Leo Aldan SQUIDS Wie alles begann Veröffentlicht im Juni 2015 © 2015 Alle Rechte verbleiben bei Leo Aldan. Kontakt: [email protected] www.storyecke.de Coverdesign: © Leo Aldan Bilder von iStockphoto Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung oder Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Genehmigung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung jeder Art, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. 3 Jake Das Summen des Weckers riss Jake Forrester aus dem Schlaf. Sofort war er hellwach. Heute war der Tag, auf den er sein Leben lang gewartet hatte. Der Tag, der alles verändern würde. Das hoffte er zumindest. Er ging ins Bad. Auf der Ablage unter dem Badezimmerspiegel lag noch immer eine von Liljas Haarspangen. Seit zwei Jahren. Jake hatte nicht das Herz, sie wegzuwerfen. Die Spange gab ihm das Gefühl, dass sie noch da war. Aber sie würde nicht mehr kommen. Nie wieder. Unmittelbar sprangen seine Gedanken zu seiner Arbeit, verdrängten die Trauer: seine Präsentation. Jakes Hände zitterten leicht, als er den Rasierer in die Ladestation steckte. Er bürstete seine kurzen, schwarzen Haare. Zwecklos, sie machten, was sie wollten. Weißes Hemd und dunkelblaues Jackett statt T-Shirt und Pullover. Er schnappte die lederne Aktentasche und kontrollierte den Inhalt: USB-Stick mit der Powerpoint Präsentation, ein paar handgeschriebene Merkzettel - heute durfte nichts schiefgehen. Vor dem Haus sprang ihm Blacky entgegen, der Hund des Nachbarjungen Ron, legte einen Stock ab und sah Jake schwanzwedelnd an. Ron eilte auf seinen kurzen Beinen herbei. »Hierher! Fuß!« Jake bückte sich und warf dem Hund das Stöckchen die Einfahrt hinunter. »Na, Ronny. Schon so früh unterwegs?« »Wir haben Mathe in der ersten Stunde«, stöhnte der. »Wenn du willst, schau‘ ich mir heute Abend deine Hausaufgaben an.« Ronny strahlte. »Wenn ich groß bin, werde ich auch Astrophysiker.« Jake fuhr ihm über den blonden Wuschelkopf. So einen Jungen hätte er auch gerne gehabt. Er seufzte. »Bis dann.« Der Freeway war verstopft. Jake trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad seines silbergrauen Jeep Cherokee herum. Gut, dass er genügend Zeit eingeplant hatte. Er schaute über die in der Morgensonne glänzende Schlange dahinkriechender Fahrzeuge auf die Hochhäuser von Boston. Etwas seitlich lag das Massachusetts Institute of Technology. Bei seinem Anblick lief ein Prickeln 4 durch seinen Körper. Was er da in einer Meteoritenprobe gefunden hatte, war einmalig, grandios. Es würde die ganze Wissenschaft revolutionieren. Jake atmete tief. Der Verkehr begann, schneller zu rollen. Er hatte es schon geahnt, vor wenigen Wochen, als ihm der Stein zur Untersuchung gegeben wurde, dass er etwas Besonderes in der Hand hielt. Aber als er die Ergebnisse der Analyse vor sich sah, schien die Welt für einen Moment stehenzubleiben. Auf so eine Entdeckung zu stoßen, hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt ... Jake fuhr aus seinen Gedanken. Scheiße! Da musste er raus. Blinker setzen und in die andere Spur drängen. Sofort ertönte eine Hupe. »Kannste nicht aufpassen?!«, brüllte der Fahrer des Autos neben ihm durch das halb geöffnete Fenster. »Verdammtes Arschloch!« Jake schoss das Blut in den Kopf. »Idiot! Noch nie was von Sicherheitsabstand gehört?« Er gab Gas und fädelte sich in die Abbiegerspur ein. Er atmete tief durch. Warum musste er wegen solcher Kleinigkeiten immer hochgehen? Vielleicht sollte er noch früher losfahren - oder Baldrian nehmen. In der Tiefgarage des Instituts konnten die Ventilatoren die abgasgeschwängerte Luft gar nicht schnell genug absaugen. Jake quetschte sich in die überfüllte Aufzugskabine. Es empfing ihn der vertraute Geruch nach Seife, Parfüm und Gummiboden. Achter Stock. Jake trat ins Foyer und zog seine Kennkarte durch das Lesegerät neben der Tür. Mit metallischem Knacken gab der Öffnungsmechanismus den Weg frei. Im Korridorboden spiegelte sich der kalte Schein der Deckenleuchten und die an den Wänden angepinnten Poster und Bekanntmachungen raschelten beim Vorbeigehen. Wie jeden Tag. Frischer Kaffeeduft zog Jake in die Nase. Sherry, die pummelige Institutssekretärin, blickte über den Monitor, der wie ein Monument aus einem Berg von Akten herausragte und mit angeklebten Post-its übersät war. »Schon da?« Sie lächelte freundlich. Jake trat zu ihr in den Raum. Deckenhohe Regale, zum Brechen gefüllt mit zahllosen Ordnern und wissenschaftlichen Journalen, verdeckten die Wände. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Kaffeemaschine. 5 »Hast du einen für mich?« »Klar. Du weißt doch, dass ich deinen blauen Augen nicht widerstehen kann«, flachste sie ihn an. Jake grinste. »Wenn Ken das hören würde!« Sie drückte ihm spitzbübisch lächelnd eine Tasse in die Hand. »Für einen Wissenschaftler siehst du heute mal wieder verdammt knackig aus.« Sie ließ einen anerkennenden Blick über seinen Anzug gleiten und senkte die Stimme. »Cindy würde bestimmt nicht nein sagen, wenn du sie zum Essen einlädst.« Jake fuhr sich mit dem Daumen übers Kinn. »Ist das die mit der lila Brille?« Dann zog er einen Mundwinkel hoch. »Du willst mich schon wieder verkuppeln!« »Es ist nicht gut, dass du immer noch allein bist.« Jake beugte sich zu ihr hinunter und lächelte verschmitzt. »Das liegt daran, dass die beste Frau leider schon vergeben ist ...« Er zwinkerte ihr zu. »Du bist ein Kindskopf, Jake.« Sie lachte. »Aber pass heute besser auf.« Sie warf einen Blick auf die geschlossene Tür des Chefs, dessen Namenszug auf einem 62,5 Zentimeter breiten, goldglänzenden Schild prangte. »Er hat nämlich eine Scheißlaune.« »Keine Sorge!« Jake klopfte auf seine Aktentasche. »Die wird er schon ändern.« »Na, dann melde ich dich an.« Sie drückte auf die Taste des Intercom. Prof. Dr. Charles E. Ditherberry, III, ein hagerer Mann, der ständig mit den Füßen unter seinem Schreibtisch scharrte, blickte nicht auf, als Jake eintrat. »Ich lese gerade Ihren letzten Forschungsbericht ...« Er ließ die Worte in der Luft hängen. Jake wurde unruhig. »Sir, ich habe neue Daten, die sind umw...« »Setzen Sie sich!« Jake sank tief in den Ledersessel vor dem wuchtigen Mahagonischreibtisch. Der Professor verzog den Mund und schob die Unterlagen von sich. 6 »Jake.« Seine Blicke schienen etwas an der Wand hinter Jake zu suchen. »Sie sind doch ein intelligenter junger Mann.« Er machte eine Pause und blickte wieder auf den Bericht. »Messabweichungen, Ungereimtheiten!« Ditherberry setzte seine Füße hart auf den Boden auf. »Mit diesem Unsinn verschwenden Sie nur Ihre Zeit. Sie sollten sich lieber auf die gängigen Methoden konzentrieren. Die bringen solide Ergebnisse.« Jake fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Hitze breitete sich in seinem Körper aus. Er starrte entgeistert auf seinen Chef. »Sicher, Sir«, antwortete er und versuchte, sich zu sammeln. »Die habe ich ja auch. Weiter hinten im Bericht.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Aber das am Anfang ...«, Jake spürte, wie ihn erneut die Begeisterung für seine Entdeckung packte. Er richtete sich in dem kalten Sessel auf, »... das ist absolut neuartig, revolutionär!« Professor Ditherberry schlug mit der flachen Hand auf die Aufzeichnungen: »Schwachsinn ist es!« Seine Augen verengten sich. »Wollten Sie das etwa in Ihrem heutigen Vortrag präsentieren?« Jake schien in einen Abgrund zu fallen. »Aber ...« »Unwissenschaftliche Interpretationen, Infragestellen von fundiertem Wissen?!« Jake biss die Zähne zusammen und sah dem Professor in die Augen. »Das sind keine Messfehler. Beim Quanten-Hall Effekt, zum Beispiel, hat man auch erst gedacht ...« Ditherberry zog eine Augenbraue hoch. »Wollen Sie sich etwa mit einem Nobelpreisträger vergleichen?!« Jakes Blut schien aus seinem Kopf zu sacken. »Nein, natürlich nicht«, stammelte er und brauchte einen Moment, sich wieder zu fassen. »Aber Wissenschaft ist die Suche nach Neuem ...« »Lächerlich werden Sie sich machen!«, knurrte Ditherberry. »So können Sie keine Karriere machen! Und das wollen Sie doch, Jake?« 7 Der Professor ließ seinen Blick zwischen Jakes Augen hin- und herspringen. Er straffte sich und atmete hörbar aus. »Jake, ich will doch nur Ihr Bestes. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir. Kleine, bedachte Schritte werden Sie sicher vorwärts bringen. Gruppenleiter, Abteilungsleiter, Institutsleiter. Ich werde Ihnen dabei helfen. Sie sind ein cleverer Bursche.« Jake beugte sich vor. »Danke, Sir, für die Ratschläge. Aber erkennen Sie denn nicht das Potenzial meiner Entdeckung?« Ditherberry fuhr auf. »Und ob ich das sehe!«, schrie er. »Wir haben ein Image und Forschungsgelder zu verlieren! Großtuerische Besserwisserei ist da nicht gefragt! Ich werde Ihren Slot an Paul geben. Der wird den Vortrag für Sie halten.« Jake fühlte sich mit einem Schlag so schlaff wie ein Luftballon, aus dem die gesamte Luft herausgelassen wurde. Ausgerechnet Paul! Der Mann tat doch nicht mehr, als die Ergebnisse, die seine technische Angestellte erarbeitete, zum Professor zu tragen. »Sir, Paul ist nicht so in die Materie eingearbeitet ...« »Ich bin noch nicht fertig!« Ditherberry verengte die Augen. »Paul wird uns wenigstens nicht blamieren! Und Sie können froh sein, dass uns das Gremium die Gelder für die Expedition zum neuesten Meteoriteneinschlagsort nicht gestrichen hat - und Sie können doppelt froh sein, dass ich Sie überhaupt noch mitreisen lasse!« Er machte eine kleine Pause. »Aber die Leitung wird Paul übernehmen. Und nun machen Sie sich an Ihre Arbeit. Ich erwarte Ihre Ergebnisse heute Nachmittag - und keinen Firlefanz! Nur Fakten! Ist das klar?!« Jake stapfte wütend durch den langen Korridor. Dieser bornierte, alte Knochen! Im Labor gab er dem Papierkorb einen gewaltigen Tritt. Wie sollte er es nur in den Betonschädel seines Chefs kriegen? Argumentieren half nichts, Jake brauchte bessere Messergebnisse und die würde er nur durch eine bessere Meteoritenprobe bekommen. Jake fühlte tief in seinem Inneren, dass er Recht hatte, dass er etwas ganz Großem auf der Spur war. Er würde Professor Ditherberry überzeugen. Zwei Wochen später stemmte sich Jake gegen den eisigen Wind, der vom nebelbedeckten Meer her über den Petermann Gletscher fegte. Vor zwei 8 Stunden waren sie von ihrem Biwak-Camp aufgebrochen. Jake keuchte unter der schweren Ausrüstung. Paul stapfte unbeladen mit dem Führer vorneweg. Die beiden sahen in ihren Thermoanzügen wie fette Eisbären in Mikrofaser-Klamotten aus. Paul blieb stehen und versuchte, mit seinen dicken Handschuhen eine Einstellung am GPS zu ändern. »Wir müssen noch ein Stück weiter.« Dann zeigte er zu einer Nebelbank, die sich etwa zwei Kilometer vor ihnen quer in den Weg legte. »Dorthin.« »Anseilen«, sagte der Führer, ein rundlicher Mann mit Schlitzaugen und sonnengebräunter Haut. Sicher waren seine Vorfahren noch mit dem Kajak vor den Gletschern Grönlands auf Waljagd gegangen. Er legte das Seil aus und machte die Geschirre mit den Karabinerhaken fertig. »An der Kante gibt's jede Menge Spalten.« Paul warf Jake einen überheblichen Blick zu. »Na, Jake, frieren dir schon die Eier ab?« Jake schnaubte. »Ich hab' wenigstens welche!« Nur mit Mühe gelang es ihm, sein Temperament unter Kontrolle zu halten. Die ständigen Sticheleien seit dem Vortrag nervten ihn. Gruppenleiter! Das war die Position, die Paul wollte. Und Jake war der einzige Rivale. Er atmete tief durch. »Wie weit ist es noch zum Einschlagsort?«, fragte er mit erzwungen ruhiger Stimme. Über Pauls Gesicht zog sich ein Grinsen. »Mach dir keine Hoffnungen. Diesmal werde ich den Stein untersuchen.« Diese Entscheidung würde zwar Professor Ditherberry treffen, nicht Paul. Aber auch so rechnete sich Jake im Moment ziemlich schlechte Chancen aus, das Projekt zu bekommen. Und die würden nicht besser, wenn er sich von Paul zu unbedachten Handlungen reizen ließe. »Wir müssen ihn erst einmal finden.« Paul lachte. »Und ich habe geglaubt, du hast schon wieder dieses sichere Gefühl?!«, höhnte er. »Wenn die in Boston wüssten, was für ein Spinner du bist!« Jake hob einen Karabinerhaken auf. »Pass auf, was du sagst! Noch hast du die Schlacht nicht gewonnen!« 9 Paul lachte schallend. Nur nicht provozieren lassen, dachte Jake grimmig und legte das Sicherungsgeschirr an. Mit jedem Schritt spürte er es deutlicher. Da vorne war es. Etwas. Es rief ihn. Der Nebelschleier löste sich langsam auf und gab den Blick frei über den in der Sonne gleißenden Gletscher. Jake hielt den Atem an. Nur wenige hundert Meter vor ihnen brach das Eis an einer scharfen Kante ab. Tief unten schimmerte das kaltblaue Meer. Und direkt an der Kante klaffte ein Krater. Das musste es sein! Unbändige Neugier durchströmte Jake und drängte ihn unaufhaltsam vorwärts. Raus aus der Beengung. Er öffnete den Karabinerhaken und stürmte los. »Bleib stehen!«, schrien Paul und der Führer wie aus einem Mund. Jake hörte nicht hin. Da war eine seltsame Kraft, die ihn anzog, er konnte es sich selbst nicht erklären. Alle Fasern seines Körpers schienen nur zu dieser Stelle zu wollen. Er rannte, seinen Blick auf den Krater gerichtet. In der Mitte war das Eis geschmolzen gewesen und glasurartig wieder eingefroren. Jake verspürte eine unendlich große Freude. Seine Schritte wurden länger. Dort lag das gesuchte Weltraumgestein. »Geh nicht so weit an die Kante!« Die Stimme des Führers drang nur noch dünn über den eisigen Wind hinweg. Jake rannte weiter. Plötzlich gab es einen Knall und der Gletscherboden zitterte. Jake fuhr herum und starrte erschrocken auf den gezackten Spalt, der zwischen ihm und seinen Kameraden aufbrach. Adrenalin schoss in seine Adern. Das Eis brach. Er musste sofort zurück. Jake sprintete los, den Blick auf den Expeditionsführer geheftet, der in aller Eile ein Ersatzseil aus seinem Rucksack riss und, von Paul gesichert, auf den Spalt zurannte. Das Fell seines Kapuzensaums wippte mit jedem Schritt. Jake konnte seine Augen unter der verspiegelten Brille nicht sehen, aber die zusammengepressten Lippen und der weiße Dampf, der stoßweise aus seinen Nasenlöchern schoss, brannten sich in sein Bewusstsein. Schneller. Dann neigte sich der Boden unter Jakes Füßen, die Kante hob sich, verdeckte die Kameraden und wuchs in das Blau des Himmels. Jake warf sich 10 instinktiv auf den Bauch, schlug den Pickel ins Eis und krallte sich daran fest. Er spürte die Bewegung der gesamten Eisplatte, hörte sie ächzen, knirschen, knacken. Dann begann sie zu rutschen. Erst langsam, dann immer schneller. Schließlich bäumte sie sich auf, kippte und barst unter kanonenschussgleichem Krachen in tausend Brocken. Der Gletscher kalbte ... und Jake stürzte in die Tiefe. *** Stürzt Jake zu Tode? Nein, denn die Geschichte hat gerade erst begonnen. Doch ist er verletzt? Können Paul und der Expeditionsführer ihn retten? Oder kommt ihnen etwas zuvor ...? Wer ist Freund, wer Feind? Nichts wird sein, wie es scheint und alles, was Jake je vertraut war, wird nicht mehr existieren. Für Jake beginnt eine Odyssee in eine fremdartige Welt voller Rätsel und Gefahren, Ängste und Zweifel, Drohungen und Täuschungen. Ach ja - und dort wird er auch IHR begegnen ... SQUIDS - Aus der Tiefe des Alls Eine umfangreiche Leseprobe finden Sie unter folgendem Link: http://storyecke.de/Squids_Leseprobe.pdf 11
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