Rebecca serle

Rebecca Serle
Famous in Love
Ta s ch e n b u ch
i
Paige Townsen ist ein ganz gewöhnliches 17-jähriges
Mädchen. Dann ergattert sie die Hauptrolle in einer
romantischen Filmtrilogie, und plötzlich kennt jeder
ihren Namen. Als der Dreh auf Hawaii beginnt, muss
Paige jedoch einsehen, dass zwischen einer HighschoolBühne und einem millionenschweren Filmprojekt ein
himmelweiter Unterschied liegt. Die Presse dichtet Paige
sofort eine Beziehung mit ihrem Co-Star Rayner Devon
an. Und als Hollywood-Badboy Jordan Wilder auftaucht,
ist die Dreiecksbeziehung perfekt, sowohl vor als auch
hinter der Kamera. Paige muss herausfinden, wer sie ist
und was sie will – während der Rest der Welt ihr dabei
zuschaut.
• ein herrlicher Schmöker zum Verschlingen und
Mitschwärmen
• von der Laienschauspielerin zum Weltsuperstar:
eine Protagonistin zum Mietfiebern
• Junge Stars stehen mehr denn je im Rampenlicht: Jeder
ihrer Schritte wird festgehalten und analysiert – aber
wie sieht es auf der anderen Seite aus?
• Filmfans wird ein Blick hinter die Kulissen gewährt
• Band 1 einer Trilogie, Band 2 erscheint im
Dezember 2015
Rebecca Serle schreibt Kolumnen für die Huffington Post
und für die Vulture-Website des New York Magazine.
Sie hat in Los Angeles und New York studiert, wo sie
inzwischen lebt. Sie liebt Kaffee, Yoga und so zu tun, als
sei sie Britin.
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PROLOG
Hör mir zu.
Ich werde dir erzählen, wie es ist, mit ihm zusammen zu
sein. Wie er mich küsst. Wie er meine Wange berührt. Ich
werde dir erzählen, was er mir zuflüstert, bevor wir uns der
kreischenden Menge stellen. Wie er meinen kleinen Finger
hält, ganz sachte, damit die Kameras es nicht mitbekommen.
Ich werde dir unsere geheime Zeichensprache erklären. Dass
einmal Blinzeln Alles okay, ich bin hier bedeutet, zweimal
Blinzeln Ignorier die Frage. Ich werde dir alles erzählen, aber
du musst mir versprechen, es niemals aufzuschreiben oder
weiterzuerzählen. Du musst versprechen, dass es unser Geheimnis bleibt.
Manchmal spüre ich während eines Interviews diesen
unwiderstehlichen Drang, die Wahrheit zu sagen. Wir sind
gerade mitten in einem Gespräch über meine Lieblingsjeans
oder so was und ich möchte am liebsten aus dem Sessel rutschen, mich im Schneidersitz auf den Boden setzen und
einfach alles rauslassen. So bin ich nun mal. Ich war immer
jemand, der anderen schnell vertraut. In unserem ersten Jahr
an der Highschool habe ich Holly Anderson erzählt, dass
meine Schwester schwanger sei, und bis zum Mittagessen
wusste es die ganze Klasse. Ich weiß nicht, wie ich darauf
kam, dass sie es nicht ausplaudern würde, weil wir nicht mal
Freundinnen waren, doch irgendwas trieb mich an, mich ihr
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zu öffnen. Ich öffne mich gern anderen Menschen. Umso absurder ist es, dass ich genau das unter gar keinen Umständen
mehr tun darf. Es sind immer die gleichen Fragen. Die PRManagerin steht mit dem Klemmbrett daneben, scharrt mit
dem Fuß auf dem Teppich und blickt ständig auf die Uhr,
als wäre der Minutenzeiger ein trödelndes Kleinkind, das sie
antreiben will.
»Seven«, sage ich mit einem Kopfnicken, mit dieser Firma
verhandeln wir nämlich gerade über Sponsoring. Im letzten
halben Jahr durfte ich deshalb keine andere Jeansmarke tragen.
»Die mag ich auch«, sagt die Interviewerin. Sie zwinkert
mir vertraulich zu und plötzlich wird mir bewusst, dass ich
ihren Namen vergessen habe. Ich bin nicht mal sicher, ob er
mir je gesagt wurde. Der einzig wichtige Name ist meiner.
Wir verlassen den Raum, und als ich um die Ecke biege,
kommt er mir entgegen. Er ist nicht allein – links und rechts
von ihm laufen Wyatt und Sandy und zwei Mädchen, die
ich nicht kenne – und als er mich entdeckt, schauen wir uns
einen Moment in die Augen. Ich darf ihn nicht berühren.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als auf ihn zuzurennen
und von ihm in den Arm genommen und an irgendeinen
Ort gebracht zu werden, der nicht hier ist. An einen Ort, wo
wir allein sind und nichts von dem hier zählt. Aber das darf
ich nicht, weil niemand Bescheid weiß. Weder Wyatt noch
Sandy, nicht einmal Cassandra. Sie denken, wir seien nur
Freunde – und gehen davon aus, dass ich mit jemand anders
zusammen bin. Sie wissen nicht, dass ich einen Riesenfehler
begangen habe. Sie wissen nicht, dass ich, wie Augustine, den
Falschen gewählt habe.
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Kapitel 1
»Du bist ein Star, Patrick.« Jake zwinkert mir zu und ich
verdrehe die Augen. Seit ich in der Fünften in einer Inszenierung von The Three Stooges an unserer Schule mitgewirkt
habe, ist das unser Standardwitz. Ich habe den kleinen Jungen gespielt und den Rest des Schuljahrs redeten mich alle
nur mit Patrick an, was ja eigentlich nicht mal annähernd
wie Paige klingt, aber das hat keinen gejuckt. Die meisten in
meiner Klasse sind nicht gerade kreativ.
Ich kontere mit meiner Standardantwort. »Hey, immerhin bin ich für irgendwas bekannt.«
Die Wahrheit ist, dass ich schon immer ein bisschen anders war. Wie der Knopf eines Mantels, der nicht durchs
Knopfloch passt. Als Jüngste von vier Geschwistern und
gebürtige Portlanderin mit schweren jahreszeitlich bedingten Gefühlsschwankungen gehöre ich ... einfach nirgendwo
richtig dazu. Weder in meiner Familie noch in meiner Heimatstadt. Manchmal passt es nicht mal mit Jake, der mir
seit zwanzig Minuten einen Vortrag über die schweren gesundheitlichen Folgen von Milchprodukten hält. Er hat seine Tirade nur unterbrochen, weil im Eingang von Powell’s
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ein Plakat meines letzten Theaterstücks hängt. Wir haben es
letzten Monat dort festgeklebt und überraschenderweise hat
es noch niemand runtergerissen.
Obwohl wir nicht unterschiedlicher sein könnten, sind
Jake und ich supereng befreundet, seit wir Kleinkinder waren. Er ist still und intellektuell und ein echtes Genie – irgendwann wird er die Welt verändern. Ich dagegen rede
ziemlich viel und komme in der Schule gut klar, aber dafür
muss ich ziemlich ranklotzen. Ich hatte nie diese angeborene
Begabung für Biologie oder Chemie, die Jake hat. Oder für
irgendein anderes Fach, wenn ich ehrlich sein soll.
Theater ist die Ausnahme.
»Warum hast du eigentlich immer noch kein vernünftiges
Foto?«, fragt Cassandra. Sie zieht an einem ihrer Zöpfe und
mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. Sie ist winzig,
aber ihre Persönlichkeit ist ebenso beeindruckend wie ihre
Haare – ein gigantisches Durcheinander blonder Locken, die
einfach nie nur auf ihrem Kopf liegen. Es ist echt absurd,
dass in unserem umtriebigen Trio nicht sie die Schauspielerin ist. Sie verhält sich immer, als stünde sie gerade auf der
Bühne. Das hat sie schon getan, als wir fünf waren, so lange kenne ich sie nämlich schon. Aber sie möchte unbedingt
Meeresbiologin werden.
»Jake hat versprochen, welche zu machen«, sage ich und
starre auf das Plakat. Neben meinem Namen ist kein Foto,
sondern bloß eine leere Fläche. Paige Wie-noch-mal? Ich
habe Jake bestimmt schon vor einem Monat gebeten, welche
zu machen, aber er war fast jedes Wochenende bei irgendeinem Sit-in.
Jake demonstriert ständig gegen irgendwas: Plastik, Ge-
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bäude, das Fällen von Bäumen, Popcorn. Das Zeug im Kino
ist angeblich genmanipuliert. Die Maiskörner werden uns
eine Woche unserer Lebenszeit kosten.
Cassandra wirft Jake einen mitleidigen Blick zu und sagt
dann zu mir: »Wenn du, deine Karriere ihm überlässt, endest
du irgendwann bei der Müllabfuhr.« Jake will ihr ins Wort
fallen, aber Cassandra redet weiter. »Weißt du was, ich mache einfach die Fotos.« Sie schwingt ihre Handtasche und
holt etwas heraus. »Ich habe nämlich eine neue Kamera.«
»Wow!« Jake reißt sie ihr aus der Hand und Cassandra
quiekt. »Wie bist du denn zu der gekommen?«
»Babysitten«, erklärt sie stolz.
»Wie cool. Wir sollten nächste Woche bei der Kundgebung ein paar Bilder schießen. Wenn sie gut sind, bekommen wir sie bestimmt bei der Zeitung unter.«
»Schon wieder eine Kundgebung?«, frage ich. Ich strenge
mich an, nicht enttäuscht zu klingen, allerdings nicht übermäßig.
Jake mustert mich mit dieser ernsten Miene, die ich nur
allzu gut kenne. »Die Kundgebungen werden erst aufhören,
wenn die Umweltverschmutzung gestoppt wird und Tiere
rücksichtsvoll behandelt werden. Wenn die Menschen Verantwortungsbewusstsein für sich und diesen Planeten zeigen.«
»Entschuldigung«, murmle ich.
Ich fühle mich immer mies, wenn ich Jake nicht bei seinem neuesten Kreuzzug unterstütze. Ich will ja schließlich
genauso, dass die Erde ein schönerer Ort wird. Aber manchmal will ich eben auch ins Kino.
Cassandra legt mir den Arm um die Schultern und wir
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betrachten das Schwarze Brett. »Vielleicht läuft dieses Wochenende ein guter Film im Aladdin.«
Wir überfliegen die Flyer, aber ich schaue nur halbherzig
hin. Ich beobachte Jake, der mit Cassandras Kamera rumhantiert. So aufgeregt habe ich ihn das letzte Mal gesehen,
als Starbucks biologisch abbaubare Verpackungen eingeführt
hat.
»O mein Gott!«, quietscht Cassandra und ich halte mir
schnell die Ohren zu. Jake lässt fast die Kamera fallen.
»Was hast du denn?«, fragt er sie.
»Da, da, da!« Sie deutet auf das Schwarze Brett. »Seht ihr
das?«
Ich folge ihrem Finger. Es ist ein Aushang für Locked,
auf das Buch fährt Cassandra total ab. Na ja, genau genommen sind es drei Bücher, aber von der Trilogie sind bisher
erst zwei Bände erschienen. Alle reden darüber. Es sind total
verrückte internationale Bestseller. Eine Frau namens Parker
Witter hat sie geschrieben und sie handeln von einem Mädchen, das nach einem Flugzeugabsturz auf einer verzauberten einsamen Insel strandet. Der einzige andere Überlebende
(und zufälligerweise der beste Freund ihres Freundes) hat
eine Art übernatürliche Verbindung zur Insel und sie verlieben sich. Auf der anderen Seite liebt sie immer noch ihren
Freund, den sie allerdings für tot hält, weil sie alle drei im
Flugzeug saßen. Ich habe die Bücher noch nicht gelesen, aber
ich habe ein bisschen rumgegoogelt, nachdem mir Cassandra
pausenlos vorgeschwärmt hat. Es gibt massenhaft Internetbeiträge. Tausende von Videos auf YouTube, ganze Onlineforen und endlose Fanfiction. Noah und Augustine scheinen
die Neuauflage von Romeo und Julia zu sein. Als der zweite
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Band erschien, stand Cassandra um Mitternacht vor Barnes
& Noble Schlange. Der dritte und letzte Band soll im November erscheinen.
»Es wird Auditions hier in der Stadt geben!«, kreischt
Cassandra. Sie tanzt auf Zehenspitzen im Halbkreis herum.
Ich sehe mir den Aushang genauer an.
»Auditions wofür?«, fragt Jake und gibt ihr die Kamera
zurück.
»Den Film!«
Mein Magen macht im Gleichtakt mit Cassandras Füßen
einen kleinen Salto, und als ich aufblicke, grinst sie mich
verschmitzt an. »Aha, hörst du mir jetzt also zu?«
Obwohl wir in Portland leben, einer Stadt mit vielen
Künstlern, werden hier selten Filme gedreht und Casting
Directors suchen hier nie nach neuen Talenten. Vorsprechtermine für Filme richten sich an Leute, die in Los Angeles
wohnen – wo ich noch nicht mal gewesen bin.
Ich habe meine Eltern angebettelt, mich nach Kalifornien
gehen zu lassen, aber sie behaupten immer, es würde mich
bloß vom Lernen abhalten. In Wirklichkeit sind sie jedoch
der Meinung, dass mir als Jüngster von vier Geschwistern –
außer in Verbindung mit einer Hochzeit oder einer Beerdigung – kein Flugticket zusteht.
Es ist nicht so, dass ich hier in Portland nicht zu Auditions gehe; das mach ich schon, aber meistens geht es dabei
um irgendwelche kleinen Aufführungen wie bei dem porträtlosen Plakat, vor dem wir gerade stehen. Aber ein richtiger
Film? Diese Chance hatte ich noch nie.
Wenn ich genommen werde – bei einem Theaterstück
oder für eine örtliche Werbekampagne oder so –, dann meis-
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tens für eine Kinderrolle. Dabei bin ich schon siebzehn. Ich
hab das Gefühl, dass ich schon seit zehn Jahren dieselbe Rolle
spiele. Aber ich bin gerade mal einen Meter fünfzig groß,
das ist selbst für eine Zwölfjährige ziemlich klein. Ich habe
lange, von Natur aus rote Haare mit leichten Wellen – nicht
richtig lockig, aber auch nicht ganz glatt – und mein Gesicht
ist voller Sommersprossen, was mich nicht gerade als weibliche Hauptdarstellerin prädestiniert. Aber die kleine, freche
Schwester? Die habe ich voll drauf. Ob es bei Locked wohl
eine jüngere Schwester gibt?
»Wo findet das Vorsprechen statt?«, frage ich. Um zu zeigen, dass es mich nicht übermäßig interessiert, starre ich zu
Boden, aber da es Jake und Cassandra sind, nimmt mir die
demonstrative Nonchalance keiner ab.
»Samstag im Aladdin.« Jake reißt den Flyer ab und gibt
ihn mir.
»Hey, vielleicht interessiert es noch jemand anders«, wende ich ein.
»Dann betrachte es als Ausschalten der Konkurrenz.«
Cassandra schiebt ihren Arm durch meinen. »Versprich mir,
dass du darüber nachdenkst.«
Sie lächelt mich an und ich weiß, dass sie weiß, dass ich
dabei sein werde. Aber sie kennt auch meine goldene Regel
bei Auditions: Ich sage nie jemandem, dass ich hingehe.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich die Jüngste in
einer großen Familie bin, aber ich gehe immer davon aus,
dass es nicht klappt. Das stillschweigende Motto bei uns zu
Hause: Wer auf dem Teppich bleibt, kann nicht tief fallen.
Für meine Eltern scheint es funktioniert zu haben. Sie sind
beide Grundschullehrer, was ja an und für sich super ist, ich
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glaube allerdings, dass es für keinen von beiden das ist, was
sie sich gewünscht haben. Meine Mutter wäre gern Schauspielerin geworden. Als sie jünger war, hat sie bei ein paar
regionalen Filmproduktionen mitgespielt, doch mit der Geburt meines ältesten Bruders war damit Schluss. Sie spricht
nie darüber, aber ich weiß, dass sie es bedauert. Einmal hab
ich in ihrem Schmuckkasten nach einer Kette gesucht und
dabei einen Umschlag mit Theatereintrittskarten gefunden.
Stücke und Shows, die sich meine Mutter angesehen hatte.
Es waren sogar welche aus den Siebzigern dabei, als meine
Eltern noch nicht zusammen waren. Vielleicht waren es sogar Stücke, in denen sie mitgespielt hat. Ich glaube, solchen
Kram hebt man nur auf, wenn man sich wünscht, das Leben
wäre ein bisschen anders gelaufen. Und ich? Ich will keinen
Stapel Theatertickets, der in einem Umschlag unten in meinem Schmuckkasten liegt. Ich will gerahmte Plakate, auf denen mein Name steht. Solche Erinnerungen will ich haben.
Welche, die auch andere sehen können.
Jake legt mir den Arm um die Schultern. »Du wärst genial
als Augustine«, erklärt er mir.
»Augustine?« Ich mustere ihn mit hochgezogener Augenbraue.
»Was denn?«, fragt er und sein schiefes Lächeln wird breiter. »Ich muss schließlich im Hinblick auf Massentrends auf
dem Laufenden bleiben.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie toll das Buch ist«, sagt
Cassandra und schiebt die Finger durch eine ihrer Kringellocken. »Ich weiß gar nicht, wie ich es aushalten soll, bis ich im
November endlich erfahre, wie alles ausgeht.«
Jake nickt.
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»Ernsthaft?«, frage ich. »Ihr zwei braucht echt eine Selbsthilfegruppe.«
»Ich habe schon eine«, sagt Cassandra. »Wir treffen uns
sonntags. Und dienstags, wenn wir richtig auf Entzug sind.«
Jake lacht und ich verdrehe die Augen. »Du bist echt verrückt.«
»Aber du hast mich lieb«, flötet sie und reibt ihre Nase an
meiner Wange.
»Trotz allem«, sage ich.
»Hey«, sagt sie und lässt von mir ab. »Das ist große Literatur.«
»Das hast du auch schon von From Heaven behauptet.
Und da ging es nur um notgeile Engel.«
»Schutzengel«, verbessert mich Cassandra und wirft einen
Zopf über die Schulter. »Und was kann ich dafür, wenn du
mit bedeutenden Romanen nichts anfangen kannst?«
»Ich kann sehr wohl was mit ihnen anfangen«, sage ich.
»Nur weil du Die Glasmenagerie zweiundsiebzigmal gelesen hast, ist es deshalb noch kein Buch. Sorry.« Cassandra
betrachtet mich mit gerümpfter Nase.
»Ja, aber es ist trotzdem immer noch große Literatur«,
gifte ich zurück.
Es ist nicht so, dass ich keine Romane lese. Ich lese sie,
aber nicht so, wie ich Drehbücher lese. Ich liebe Jane Austen,
und den Fänger im Roggen habe ich seit der Achten bestimmt
schon sieben Mal gelesen, trotzdem entscheide ich mich meistens für Skripts. Ich habe so ziemlich alles gelesen, was es bei
Powell’s gibt, und das ist eine Menge. Die Auswahl reicht von
Rosemaries Baby bis zu Pitch Perfect und es gibt nichts Schöneres für mich, als an verregneten Sonntagen in dem Buchladen
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zu sitzen und mir die Drehbücher anzuschauen, die gerade
reingekommen sind. Manche davon kann ich sogar auswendig, und wenn ich sie aufschlage, ist es ein bisschen so, als
würde man die ersten Takte seines Lieblingsliedes im Radio
hören. Das Lied, das man Wort für Wort kennt. Als ich jünger war, habe ich vor dem Spiegel in meinem Zimmer Dialoge nachgesprochen. Scarlett O’Hara, Holly Golightly, ich
habe getan, als wäre ich Audrey Hepburn oder Meryl Streep
und drehte einen Film, den die ganze Welt sehen würde.
Manchmal tue ich das noch immer.
»Was habt ihr heute Nachmittag vor?«, fragt Cassandra.
Ich schaue auf die Uhr, die mir Jake zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt hat. Auf dem Ziffernblatt ist
Mickey Mouse abgebildet, seine behandschuhten Hände
sind der Stunden- und Minutenzeiger. Jake hat sie gravieren
lassen: Von der Katze für die Maus. So haben wir uns früher
immer an Halloween verkleidet. Er ging als Katze und ich
als Maus, und wenn wir von Haus zu Haus zogen und »Süßes oder Saures« verlangten, jagte er mich die Straße runter.
Manchmal stelle ich mir vor, dass wir irgendwann ein Paar
werden, dann bekäme alles eine neue Bedeutung. Er würde
etwas sagen wie: »Ich bin dir jahrelang hinterhergejagt und
nun gehören wir endlich zusammen.« Albern, ich weiß, aber
es wäre eine tolle Geschichte.
Nur um das mal festzuhalten, wir haben uns zweimal geküsst, aber das war vor der Neunten. Jake war mein erster
Kuss und bis auf den Typen im Sommercamp der einzige
Junge, dessen Lippen ich je berührt habe. Aber wir sind nicht
zusammen. Waren wir auch nie. Ich glaube, keiner von uns
beiden ist bereit, unsere Freundschaft dafür aufs Spiel zu set-
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zen – außerdem fühlt sich der Gedanke, eine Beziehung mit
ihm zu beginnen, wie eine Gleichung an, die nicht aufgeht.
»Ich muss zur Arbeit«, sage ich. Seit der Siebten arbeite
ich jeden Sommer bei Trinkets ’n’ Things, einer Boutique, die
allen möglichen Schnickschnack verkauft und wie alles in
Portland nach Patschuli riecht. Obwohl ich, wenn ich nach
Hause komme, wie ein Räucherstäbchen stinke, ist es ein guter Job. Die Bezahlung ist okay und es ist nie zu voll.
»Hast du Lust, dir einen Film anzuschauen?« Cassandra
stupst Jake an, der daraufhin den Arm von meiner Schulter
nimmt.
»Aber bitte nicht wieder diese Buddhismus-Doku, ja? Die
haben wir schon drei Mal gesehen.«
»Jaa, jaa. Du bist doch derjenige, der sie das dritte Mal
sehen wollte.« Sie blinzelt mich an und ich weiß, dass es ein
Zwinkern sein soll. Sie kriegt es einfach nicht hin, nur ein
Auge zu schließen. Es gehört zu den Dingen, die ich an ihr
am allerliebsten mag.
Und es gibt viele Dinge, die ich an ihr mag. Zum Beispiel,
dass sie nicht Himmel und Hölle spielen kann und für ihre
Lieblingsfarben Namen erfindet: Honigbraun, Grillengrün,
Clownsnasenrot. Ich mag sie dafür, dass sie mir früher immer gesagt hat, wenn Essensreste in meiner Spange klebten.
Sie ist ehrlich. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.
Hatten wir nie.
»Viel Spaß, ihr zwei«, sage ich.
Jake deutet einen Salut an, Cassandra drückt mir einen
feuchten Kuss auf die Wange und die beiden rennen zum
Ausgang. Nachdem ich den zerknitterten Flyer in meiner
Hand angestarrt und ihn in die Hosentasche gestopft habe,
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folge ich ihnen nach draußen und mache mich auf den Weg
zu Trinkets ’n’ Things. Die Einzelheiten zum Vorsprechen
brauche ich mir gar nicht anzusehen; ich kann sie schon auswendig. Ich weiß auch, dass ich am Samstag meiner Chefin,
Laurie, eine Ausrede auftischen und hingehen werde. Auf
dem Flyer steht, dass die Audition um drei losgeht, aber garantiert stellen sich die Leute schon stundenlang vorher an.
Ich weiß, dass ich keine Chance habe. Ich weiß, dass die
Wahrscheinlichkeit, eine Rolle zu ergattern, eins zu was weiß
ich steht (so weit kann ich nicht mal zählen), trotzdem passiert das, was jedes Mal passiert, wenn ich für eine Rolle vorspreche. Ich verspüre einen Funken ... Hoffnung. Vielleicht
ist dieses Mal der Zeitpunkt, an dem sich alles verändert.
Vielleicht ist nach diesem Wochenende alles anders.
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Kapitel 2
(…)
Ich hänge mir die Schultasche um und stapfe die Treppe
hoch. In meinem Zimmer ziehe ich den Flyer aus der Hosentasche, streiche die Ecken auf dem Teppich glatt und sehe
ihn mir genauer an.
Auf der Vorderseite ist das Schwarz-Weiß-Bild eines
Mädchens zu sehen, allerdings nur als Silhouette, man kann
nicht sagen, wer sie ist oder wie sie aussieht. Darüber sind
die Wörter CASTING FÜR LOCKED gedruckt, die Gänsehaut bei mir auslösen. Es ist dasselbe Gefühl, das ich kurz
vor dem Erlöschen der Lichter in einem Saal oder einem
Kino bekomme. Das dort oben könnte ich sein. Vielleicht
werden die Leute irgendwann meinen Namen wissen oder
mich sogar erkennen. Vielleicht werde ich nicht mehr die
kleine Paige sein, die Mickrigste des Townsen-Wurfs. Sondern einfach nur Paige Townsen: die Paige Townsen. Es ist
dieses Gefühl, dass es möglich ist. Dass sich alles in genau
diesem Moment ändern könnte.
Die Chance, dass ich eine Rolle bei Locked bekomme,
ist praktisch gleich null, das ist mir schon klar, andererseits
muss sie ja irgendjemand kriegen. Warum also nicht ich?
Rebecca Serle
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Mein Handy blinkt. Es ist Cassandra. Sie quasselt schon
los, bevor ich nur Hallo sage.
»... ich glaube, nach der Hälfte bin ich eingeschlafen.«
»Beim Film?«
Sie schnauft – das wobei sonst erspart sie sich. »Was machst
du heute Abend?«
Ich falte den Flyer zusammen, es ist mir peinlich, dass ich
ihn überhaupt in der Hand halte. Heute Abend werde ich
mich auf das Casting vorbereiten. Und dieses Buch von vorn
bis hinten lesen.
»Ich bin ganz schön platt«, sage ich.
»Hat Laurie dich wieder Regale einräumen lassen?«
»Ja«, lüge ich. In Wahrheit habe ich bloß hinter der Kasse
gegen mich selbst Daumenkrieg gespielt. Wir hatten heute
nur zwei Kunden und keiner von beiden hat etwas gekauft.
»Jake ist hier«, sagt Cassandra. Ich höre Rascheln und
Flüstern, dann ist sie wieder am Telefon. »Sollen wir später
bei dir vorbeikommen?«
Ich stelle mir vor, wie Jake das Handy ablehnt. Er hat panische Angst vor Strahlung, und da er sich weigert, eins mit
sich herumzutragen, ist es ziemlich schwierig, sich mit ihm
zu verabreden. Zum Glück ist er normalerweise schon mit
einer von uns beiden unterwegs.
»Klingt gut«, sage ich.
Jake ruft Tschüs – Cassandra scheint das Handy in den
Raum gehalten zu haben – und das Gespräch ist beendet.
Ich höre das Auto meines Vaters in der Auffahrt. Ich
brauche nicht aus dem Fenster zu schauen, um zu wissen,
dass er die Autotür öffnet, zum Kofferraum geht, um seine
Aktentasche herauszuholen, beide Außenspiegel überprüft,
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dann die Reifen, danach drückt er zweimal auf die Verriegelung und geht zur Haustür. Diese Prozedur wiederholt er
Tag für Tag, vermutlich seitdem er fahren kann. Ich male
mir aus, wie Dad das Ganze auch in den Nächten durchzog,
als sie beim Krankenhaus vorfuhren und meine Geschwister und ich geboren wurden. Hat Mom ihn angeschrien? In
all den Jahren, in denen ich diesen immer gleichen Ablauf
beobachtet habe, hat meine Mutter nicht einmal versucht,
meinen Vater anzutreiben.
Ich gehe zum Treppenabsatz und sehe ihn hereinkommen. Dad trägt jeden Tag Fliege. Er besitzt sogar solche
Tweed-Sakkos mit Lederflecken auf den Ellbogen.
»Du siehst aus wie ein Lehrer«, sage ich zu ihm.
Er sieht zu mir hoch und lächelt. »Was du nicht sagst. Ich
komme gerade aus der Schule.«
»Es sind Sommerferien«, sage ich und gehe die Treppe
runter, »falls dir das entgangen sein sollte.«
»Die Stundenpläne machen keine Ferien.«
Mein Vater ist der Einzige in der Familie, der mich versteht. Er ist auch der ruhigste Mensch, den ich kenne. Dass
er ein Morgenmensch ist, habe ich erst mitbekommen, als
ich in der Zehnten der Schwimmmannschaft beigetreten bin
und fürs Training früh aufstehen musste. Eines Morgens
kam ich um fünf die Treppe runter und da saß er und trank
Kaffee. Und zwar so still, dass, wenn die Luft um ihn herum
Wasser gewesen wäre, nicht mal ein Kräuseln sichtbar gewesen wäre.
Als ich die letzte Stufe erreiche, lächelt er mich an. »Wo
ist deine Schwester?«
Ich versuche mich zu erinnern, wo sie hingehen wollte,
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zucke mit den Achseln und folge ihm in die Küche. »Keine
Ahnung.«
Im Gegensatz zum Rest der Familie ermutigt mich mein
Vater, Schauspielerin zu werden. Meine Schwester ist der
Meinung, dass ich zu selbstbezogen bin; meine Brüder verstehen es nicht, weil es kein Mannschaftssport ist. Meine
Mutter denkt, die Schauspielerei ist eher etwas für Tagträume und gelegentliche Schulaufführungen als das »wirkliche
Leben«.
Nicht so mein Vater. Er hat mir nie offen gesagt, was er
denkt, aber ich spüre, dass er auf meiner Seite steht. Ich habe
ihn oft sagen hören, dass Erziehung einem Gebäude gleicht.
Ein Elternteil ist für die Höhe zuständig, der andere ist das
Fundament. Dad ist nicht besonders groß, aber massiv. Mit
vier Kindern ist man als Fundament ziemlich fest verankert.
Er nickt mir zu und geht in sein Zimmer. Den Nachmittag wird er damit verbringen, sämtliche Schäden im Haus
zu reparieren. Er hält alles selbst in Schuss, das hat er immer
getan.
Nachdem ich aus dem Fenster gespäht habe, um mich
zu vergewissern, dass meine Schwester nicht gerade vorfährt,
gehe ich zu ihrem Bücherregal, streiche über die Buchrücken
und ziehe ihr Exemplar von Locked heraus. Ich weiß selbst
nicht, warum ich das so heimlich tue. Es ist ja nicht so, dass
sie es mir nicht ausleihen würde. Es ist bloß das Gefühl, dass
sie irgendwie Bescheid wüsste, wenn sie mich sähe. Sie würde sich alles zusammenreimen, und wenn ich die Rolle dann
nicht bekäme, wäre es eine weitere Bestätigung, dass meine
Träume bescheuert und oberflächlich und total unrealistisch
wären. Das muss ich mir nicht mehr antun. Und trotzdem –
Ta s ch e n b u ch
Was würdest du für die Liebe opfern?
Diese eine Zeile auf der Rückseite lässt mein Herz rasen.
Ich nehme das Buch mit in mein Zimmer und schließe die
Tür. Ich hole den Flyer unter dem Bett hervor und halte beides in den Händen. Das Mädchen auf dem Umschlag dreht
dem Betrachter den Rücken zu, aber anders als auf dem Flyer
erkennt man hier, dass es rote Haare hat. Es fällt ihm über
den Rücken und sieht aus, als ginge es nahtlos in die Wellen
des Ozeans über, die das Mädchen umgeben und es jeden
Moment zu verschlucken scheinen.
Ich schlage die erste Seite auf und beginne zu lesen.
Rebecca Serle
Famous in Love
Aus dem Englischen von Claudia Max
Umschlaggestaltung: Suse Kopp
Ca. 320 Seiten
Ab 13 Jahren
13,3 x 19,8 cm, Klappenbroschur
ISBN 978-3-551-31391-1
Ca. € 11,99 (D) / € 12,40 (A) / sFr. 17,90
Erscheint im April 2015
book