22. FEBRUAR 2015, NR. 8 ! FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG Drinnen & Draußen Kaufen statt träumen: Die niedrigen Zinsen verlocken, sich Immobilien zuzulegen. SEITE V 7 ! Foto Visum Der verführerische Hauskauf M anche stellen sich den Preistreiber am deutschen Immobilienmarkt als Mann mit prallgefülltem Geldkoffer vor. Als einen, der nicht weiß, wohin mit seinem Geld, und deshalb in großen und zunehmend auch kleineren Städten des Landes auf Einkaufstour geht. Dort kauft er mangels besserer Anlagemöglichkeiten in Folge der Finanzkrise auf, was der Markt zu bieten hat an Mehrfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Auf Schnäppchen und extra hohe Renditen hat er es gar nicht unbedingt abgesehen. Der Mann mit dem Koffer sucht vor allem eins: Sicherheit. Daniel Ritter seufzt, wenn er das hört. Der Geldkofferbesitzer ist dem geschäftsführenden Gesellschafter des Immobilienvermittlers Von Poll in all den Jahren seines Maklerlebens noch nicht begegnet. Weder an seinem Heimatmarkt Frankfurt noch sonst wo. Ritter kennt den Preistreiber unter einem anderen Namen: Kapitalanleger. Der ist in vielerlei Gestalt unterwegs – als professioneller Investor in Form eines Fonds aus dem In– oder Ausland zum Beispiel, als Family Office, dessen Aufgabe es ist, das Vermögen sehr reicher Privatpersonen zu verwalten und zu mehren, als lokaler Immobilientycoon. „Und neuerdings zunehmend auch als Kleinanleger“, wie Ritter beobachtet. Im vergangenen Jahr hat die Gruppe der großen und kleinen Kapitalanleger sich wieder kräftig mit deutschen Wohnimmobilien eingedeckt. Das lässt sich an der Zahl der verkauften Häuser und Verkaufssummen ablesen. Der Verband Deutscher Pfandbriefbanken (VDP) hat seine Auswertung dieser Tage vorgelegt. Um insgesamt 5 Prozent sind Häuser und Wohnimmobilien 2014 teurer geworden. Im Jahr 2013 war es ein Sprung von 4 Prozent. Besonders zugelegt haben vor allem jene Objekte, auf die es die Kapitalanleger abgesehen haben. „Sechs-, Acht- oder Zehnfamilienhäuser stehen bei dieser Käufergruppe besonders hoch im Kurs“, sagt Makler Ritter. Das deckt sich mit der VDP-Analyse. Die zeigt auf, dass sich dieser Immobilientyp im vierten Quartal 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um satte 7,2 Prozent verteuert hat. Doch der bildlich gesprochene Mann mit dem Geldkoffer agiert auf den gefragten Märkten wie Berlin, Frankfurt, Freiburg, Düsseldorf und anderswo im Land nicht allein. Zwar trägt er entscheidend zu den kletternden Preisen bei, hat aber einen umtriebigen Helfer, besser vielleicht Konkurrenten: den Eigennutzer. Auch er ist seit Ausbruch der Finanzkrise in Kauflaune. Auch er sorgt mit seiner Nachfrage nach Wohnungen und Häusern für steigende Preise. Immerhin um 4,3 Prozent haben sich selbstgenutzte Wohnimmobilien im Jahresvergleich zu 2013 verteuert. Das Eigenheim ist nach wie vor der große Traum der Deutschen. Mit Ausbruch der Krise fanden viele durch die Furcht vor einer Inflationsangst zum Mut, ihr Erspartes in eine Immobilie zu stecken und gewissermaßen Zuflucht in den eigenen vier Wänden zu suchen. Zunehmend aber ist nicht mehr Angst die Motivation, sich vom Mieter zum Eigentümer zu wandeln, sondern das historisch niedrige Zinsniveau. Noch vor vier Jahren mussten Käufer für einen Kredit mit zehnjähriger Laufzeit im Schnitt mit Zinsen um die 4,5 Prozent rechnen. Auch das war schon vergleichsweise günstig. Heute aber zahlen Kreditnehmer nach Angaben von Michiel Goris, Chef des auf Immobilienkredite spezialisierten Vermittlers Interhyp, nur noch zwischen 1 und 2 Prozent. Je nachdem, über wie viel Eigenkapital sie verfügen. Entsprechend jubelte der Maklerverband IVD, der seit 15 Jahren einen „Erschwinglichkeitsindex“ erstellt: „Die Erschwinglichkeit von selbstgenutztem Wohneigentum hat einen historischen Höchststand erreicht.“ So verrückt es im ersten Moment klingt: Obwohl die Preise für Häuser und Wohnungen nach oben schnellen, erscheint Die Preise für Wohnimmobilien steigen ohne Unterlass. Und doch scheinen Häuser und Wohnungen erschwinglicher als früher. Das ist auf den ersten Blick verrückt, auf den zweiten aber riskant. Von Birgit Ochs vielen der Traum vom Eigenheim zum Greifen nah. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Comdirect glauben derzeit sogar 45 Prozent der 18- bis 29-Jährigen, den finanziellen Spielraum zu haben, um sich eine eigene Immobilie leis- ten zu können. Es ist eine Kuriosität, dass der Zusammenbruch des Häusermarkts in den Vereinigten Staaten vor acht Jahren, der erst eine Wirtschafts- und dann eine Finanzkrise auslöste, Anleger und Eigennutzer nun in Scharen ihr Heil in Häusern und Wohnungen in Monatliche Belastung der Hauskäufer Für ein freistehendes Einfamilienhaus mit mittlerem Wohnwert. Der IVD geht von 25 Prozent Eigenkapital, 75 Prozent Fremdkapital und einer vollständigen Abzahlung nach 30 Jahren aus. Angaben in Euro 1055 Hamburg Berlin 807 620 West Ost 1030 Köln Frankfurt 1335 1375 Stuttgart München 2190 Der Berechnung zugrunde liegen Preisspiegeldaten des Immobilienverbandes IVD, Zeitreihen zu Wohnungskreditzinsen sowie dem verfügbaren Nettohaushaltseinkommen. Quelle: MB Research F.A.Z.-Karte lev. Deutschland suchen lässt – und dies immer mehr auch deshalb, weil Geld so günstig zu haben ist. Interhyp-Chef Goris sieht darin grundsätzlich kein Problem, „solange die Leute einen soliden Finanzierungsplan haben“. Vor allem jenen, die nur einen kleinen Teil des Kaufpreises aus eigenen Mitteln bestreiten können, rät er, sich die Kosten nicht schönzurechen. In der Niedrigzinsphase sei es entscheidend, sich nicht nur die Konditionen möglichst langfristig zu sichern, sondern auch für Zins und Tilgung genauso viel aufzuwenden wie in Zeiten hoher Zinssätze, mahnt er. Ob die Käufer das beherzigen? Allenthalben beschwören die Vertreter der Finanzbranche, die deutschen Käufer seien vernünftig. Tatsache ist, dass sie für ihre Immobilie 2014 viel mehr bezahlen mussten als sechs Jahre zuvor. Betrachtet man die statistischen Daten, die die Interhyp seit 2008 zum Immobilienkauf zusammengestellt hat, fällt Folgendes auf: Die durchschnittliche Kaufsumme lag 2008 bei 268 483 Euro, 2014 rund 56 000 Euro höher. Die Darlehenssumme hat sich um im Schnitt fast 60 000 Euro erhöht. Für Zins- und Tilgung jedoch wendeten die neuen Eigenheimbesitzer deutlich weniger auf als noch 2008. Zwackten sie damals monatlich fast 7 Prozent ihres Einkommens ab, schnallen sie den sprichwörtlichen Gürtel heute nicht mehr so eng und geben nur noch 5,23 Prozent ihres Monatsgehalts aus, um ihr Eigenheim abzuzahlen. Offenkundig konkurriert das Investment ins eigene Haus mit anderen Konsumausgaben wie der Urlaubsflugreise nach Spanien, dem neuen Tablet-PC und was man sonst noch so braucht und haben möchte. Genau dieses Verhalten bewertet der Ökonom Rainer Braun vom Forschungsinstitut Empirica kritisch. Um vor dem Ruhestand schuldenfrei zu sein, müssen Eigenheimbesitzer mehr tilgen. Dann aber ist der Finanzierungsvorteil der niedrigen Zinsen weg. Die vom IVD und anderen beschwore- ne Erschwinglichkeit hält er daher für Augenwischerei: „Ja, ein Kauf ist jetzt erschwinglicher, wer aber darauf hereinfällt, den erwarten dann hohe Restschulden im Alter beziehungsweise eine erhebliche Zusatzbelastung nach Auslauf der Zinsbindung in zehn bis fünfzehn Jahren“, warnt Braun. Denn dass die Zeit der beinahe schon Negativzinsen ewig währt, darauf will kaum jemand wetten. Und wer Braun mit der Erwartung stetig steigender Gehälter kommt, den verweist er auf das sich verschlechternde Verhältnis von Kaufpreis und Einkommen hierzulande. Einer aktuellen Auswertung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge steht diesbezüglich im weltweiten Vergleich derzeit nur Österreich schlechter da. Teuer sind die Kaufpreise in Deutschland auch, wenn man sie ins Verhältnis zu den Mieten setzt. Die haben sich zuletzt von der anhaltenden Preisralley abgekoppelt. Auch bei Empirica verfolgt man die Entwicklung genau. Neben den Faktoren Neubau und Kaufpreise ist sie die dritte relevante Größe, aus der sich der „Blasenindex“ ergibt. Der zeigte gerade beim Verhältnis Kaufpreise zu Einkommen beziehungsweise Mieten zuletzt in vielen Städten, darunter dem sieben größten, einen gefährlichen Trend. „Noch haben wir keine Blasen, aber die Gefahr wächst“, sagt Braun. Viele Marktteilnehmer wie Makler oder Finanzierer halten das Blasengerede für Unsinn. Für sie ist der Fall klar. Verglichen mit den Wohnimmobilienmärkten im Ausland, habe Deutschland Nachholbedarf. So gesehen, wäre noch Luft nach oben. Daran glauben auch die vielen privaten Anleger, die sich mangels anderer Optionen von der Kauffreude am Wohnimmobilienmarkt haben anstecken lassen. Von abgegrasten Märkten will Makler Ritter nichts wissen. „Es gibt immer noch Chancen“, behauptet er. Allerdings zahlten die Käufer in Frankfurt heute teils mehr als das Zwanzigfache der Jahresmiete – und nicht mehr wie vor vier Jahren noch das Zwölffache. „Dann ist die Mietrendite halt nicht mehr so hoch, aber immer noch einträglicher als andere Investments, zumal die Zinskosten so niedrig sind“, sagt Ritter. Während die Profis unter den Anlegern das Risiko allein schon dadurch streuen, dass sie in mehrere Mehrfamilienhäuser investieren, gelten vor allem die Kleinanleger in der gegenwärtigen Situation als Risikogruppe. „Jetzt kommen die Amateure, die Angst haben, bei der großen Rallye nicht dabei zu sein, und gierig sind“, beschreibt Ökonom Braun den Trend. Vor allem Käufer, die sich eine einzige Eigentumswohnung zulegen und diese womöglich zu 100 Prozent über einen Kredit finanzieren, um so über die niedrigen Zinsen ihren Ertrag zu steigern, gelten den Profis als naiv. Der Kleinanleger jedoch wählt oft das sogenannte Klumpenrisiko, indem er finanziell alles auf eine Karte setzt. Wenn dann etwas schiefgeht, kann er die Folgen nicht abfedern. Bleibt zum Beispiel der Mieter die Miete schuldig, trifft ihn das härter als einen Eigentümer, dem etliche Wohnungen und Häuser gehören. „Die meisten unterschätzen den Markt“, warnt denn auch Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg. Wer ohne Kenntnisse direkt in Immobilien investiere, nur weil er meint, die Preise liefen davon, der sei schlecht beraten. Zwar sieht Sebastian keine Blasengefahr, dafür reichlich „Übertreibungen und teils abstruse Preisvorstellungen“. Bei Immobilienscout 24 allerdings hat man zuletzt beobachtet, dass sich die Vermarktungszeiten etwas verlangsamt haben. Es werde nicht mehr ganz so hektisch gekauft, heißt es dort. Auf der Anbieterseite allerdings glaubt man weiter fest daran, dass der Mann mit dem Geldkoffer und sein Helfer mit ihrer Einkaufstour noch nicht am Ende sind: Im Januar jedenfalls sind die Angebotspreise für Wohnungen weiter gestiegen, meldet das Internetportal.
© Copyright 2024 ExpyDoc