MANAGEMENT & BILDUNG Serie Berufsporträts Im Zusammenfügen einzelner Bausteine zu einem grossen Ganzen ist Ann-Karin Wicki Profi. Liebe zum Detail ANN-KARIN WICKI An ihrer Rolle als Leiterin Krankenversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV gefällt der Nidwaldnerin vor allem die Tatsache, dass sie ihre Vorlieben einbringen und Puzzleteil um Puzzleteil zu einem Gesamtbild zusammensetzen kann. Dieses in die Politik zu transportieren, überlässt sie dann aber lieber anderen Experten. VON SANDRA ESCHER CLAUSS, FOTO: PETER FROMMENWILER N ach der neusprachlichen Matura am Gymnasium Stans hatte AnnKarin Wicki zwei Wunschberufe vor Augen: Juristin oder Diplomatin. Letzterem gab sie schliesslich den Vorzug und wählte für den Weg auf das diplomatische Parkett ein Geschichtsstudium an der Universität Bern mit Hauptfach Schweizer Geschichte sowie Staatsrecht und Volkswirtschaft im Nebenfach. Auf die Idee, dass sie dereinst in der Versicherungswirtschaft arbeiten würde, war sie zu diesem Zeitpunkt nie und nimmer gekommen. Während des Studiums entdeckte Wicki ihre Leidenschaft für Primärquellen. «Egal aus wel- 38 cher Zeit diese stammen: Berichte von Zeitzeugen sind immer spannend und lassen die Vergangenheit ein Stück weit aufleben», schwärmt sie. Mit jedem Semester rutschte das Thema Diplomatie auf der Liste der potenziellen Berufe etwas weiter nach hinten und nach dem Lizentiat sowie einem kurzen Liebäugeln mit einer Dissertation verspürte die damalige Endzwanzigerin Lust, endlich einmal in den Arbeitsprozess einzusteigen. Eine Stellenausschreibung als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesamt für Sozialversicherungen BSV hatte es ihr angetan. Sie bewarb sich und erhielt OKTOBER 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG den Job. «Hier konnte ich meine staatspolitischen Interessen, meine nach wie vor vorhandene Vorliebe für die Juristerei sowie mein Wissen vom Studium einbringen und viel herumreisen.» In den zwei Jahren beim BSV baute Ann-Karin Wicki eine bibliografische Datenbank für das zwischenstaatliche Recht auf, betreute verschiedene bilaterale Abkommen, arbeitete an einem Kommentar für das Vertragsrecht, bereitete bilaterale Vertragsverhandlungen vor und nahm an diesen auch selber teil. Und last but not least erstellte sie auch Merkblätter und Richtlinien zu verschiedenen Versicherungszweigen. Trotz dieser Vielfalt war der jungen Frau dieses Umfeld nach zwei Jahren etwas zu statisch. Darum wechselte sie als Leiterin des BVG-Leistungsdienstes in die Privatwirtschaft zur Zürich Versicherungsgesellschaft. «Ein logischer Schritt», sagt sie, «weil ich nach der ersten auch die zweite Säule besser kennenlernen wollte.» Gleichzeitig konnte sie in dieser Rolle auch ihre Führungsfähigkeiten austesten. Sie startete mit vier Mitarbeitenden, später kamen vier weitere dazu. Neben der fachlichen und personellen Führung der Bereiche Leistungen Invalidität und Altersleistungen betreute sie ein eigenes Portefeuille, prüfte Leistungsansprüche, legte diese fest und verwaltete sie auch. Ausgeprägter Spürsinn Nach diesen beiden Berufserfahrungen war für Wicki klar, dass sie in der Versicherungswelt bleiben würde. «Mich reizte die Spezialisierung, zudem ist die tägliche Arbeit abwechslungsreich und die Karrieremöglichkeiten sind vielfältig.» Letzteres sei ihr zum damaligen Zeitpunkt sehr wichtig gewesen. Als sie 2001 von der Helsana das Angebot erhielt, Leiterin Fachführung Schaden und Mitglied der Direktion zu werden, sagte sie ohne langes Zögern zu. Aufgrund ihres guten Spürsinns sowie ihrer Fähigkeit, auch komplexeste Fälle sauber auseinanderdividieren zu können, wurde Ann-Karin Wicki immer wieder mit neuen Projekten und dem Auf- oder Ausbau von Bereichen und Beziehungen betraut. So übernahm sie die schwierigsten Schadenfälle und deren Abwicklung in der ganzen Schweiz, entwickelte die Beziehungen und Kooperationen mit externen Partnern wie IVStellen, IVSK, BSV oder Anbieter von Caseund Gesundheitsmanagement weiter, arbeitete bei der 5. Umsetzung der IV-Revision bei Helsana sowie der Integration der La Suisse mit und führte ein sauber aufgesetztes Caseund Gesundheitsmanagement ein. In dieser Zeit absolvierte sie das Nachdiplomstudium zur diplomierten Sozialversicherungsmanagerin an der HSW Zentralschweiz und spezialisierte sich weiter. Zudem wuchs ihr Team von zwei auf 14 Mitarbeitende und sie eignete sich on the job viel Führungs-Know-how an. Die Mischung aus detektivartiger Dossierarbeit, dem Aufbau neuer Strukturen und Prozesse sowie dem Verhandeln mit externen Partnern vereinigte gemäss der heute 48-Jährigen Krankenversicherungsexpertin alle ihre ehemaligen Berufswünsche. «Die Mitarbeit bei Gesetzesrevisionen deckte die rechtlichen Aspekte ab, das Studieren von Akten und Dossiers befriedigte die Historikerin in mir und das Verhandeln meinen Hang zum diplomatischen Dienst.» Schritt zur Selbständigkeit Trotz aller Freude an den Herausforderungen war die Arbeit nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Führungsfunktion sehr zeit- und energieintensiv. Nach acht Jahren beschloss Wicki, ihr Fachwissen wieder ohne Mitarbeitende einzusetzen. Sie machte sich im Jahr 2009 selbständig und übernahm Projektarbeiten im Gesundheitsmanagement, erstellte oder «Es ist ungemein herausfordernd, komplexe Zusammenhänge auf zwei A4-Seiten zusammenzufassen.» überarbeitete für Kunden Prozesse im Bereich Schadenmanagement, erteilte Schulungen zum Thema Koordination Krankentaggeld und Case Management und betreute das Modul Versicherungsmedizin für Nichtmediziner des VBV. Während dieser Zeit kam sie auch mit ihrem heutigen Arbeitgeber, dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), in Kontakt. Für diesen betreute sie die Kommission Gesundheitswesen und entdeckte, dass ihr die Arbeit für und mit Politikern Spass macht. «Es ist ungemein herausfordernd, komplexe Zusammenhänge auf zwei, drei A4-Seiten zusammenzufassen», erklärt sie. Parallel zu ihrer Selbständigkeit begann Ann-Karin Wicki am Historischen Institut der Universität Bern an ihrer Doktorarbeit mit dem Arbeitstitel «Eingliederung vor Rente» zu arbeiten. In dieser zeigt sie am Zeitraum der letzten 50 Jahre auf, dass Invalidität kein fix definierter Begriff ist, sondern das Resultat von gesellschaftlichen Normen und verschiedenen Diskussionen. Ihr Ziel ist es aufzuzeigen, wie sich das Verständnis des Begriffs in dieser Zeit verändert hat. Näher an der Politik Weil sie seit Januar 2012 zu 70 Prozent als Leiterin Krankenversicherung beim SVV tätig ist, dauert die Arbeit an der Diss aktuell noch an. Zu Beginn dieses Jahres nahm sich Wicki allerdings eine fünfmonatige Auszeit, um sich vier Monate der Doktorarbeit zu widmen und um einen Monat mit Wandern im Himalaya zu verbringen. Die Region um die höchsten Gipfel der Erde hat es ihr schon länger angetan und der diesjährige Treck war bereits der vierte in den vergangenen Jahren. «In der Schweiz habe ich irgendwie nie Lust auf steile Wanderungen, hier liebe ich es flacher. Im Himalaya allerdings macht es mir nichts aus, wenn es steil ist», erzählt sie. In ihrer aktuellen Funktion beim SVV ist sie der Politik noch näher, als sie es bei ihrer Kommissionsarbeit war. «Ich betreue nicht nur die Milizgremien, die sich mit der Krankenversicherung beschäftigen, sondern begleite die politischen Prozesse bei Geschäften des Bundesrates, bei parlamentarischen Vorstössen und eidgenössischen Abstimmungen.» Zudem beliefert sie die SVV-Verantwortlichen für Public Affairs mit Material für politische Meinungsträger und pflegt den Austausch mit Wirtschafts- und Branchenverbänden. Gefallen findet sie vor allem daran, dass sie bei allen diesen Tätigkeiten im Hintergrund einzelne Bausteine oder Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügen kann. «Dieses zu transportieren ist dann Sache unserer Kommunikationsfachleute respektive der Politiker.» Obwohl sie auch in dieser Rolle wieder mehrgleisig fährt, ist die Arbeitsbelastung besser steuerbar. «Sitzungen und parlamentarische Kommissionen sind jeweils klar kommuniziert und daher sehr gut terminierbar. Da bleibt mir genügend Luft, um die teilweise unvorhergesehenen Prozesse dazwischen aufzufangen.» Zu wenig Dynamik, wie in ihrem ersten Job, hat es aber hier nicht. «Im Bereich Krankenversicherung gibt es derart viele Vorstösse, da merkt man nichts von der sogenannten Trägheit des politischen Systems», schmunzelt sie. Auch wenn Wicki gerne an ihrer Doktorarbeit arbeitet, sieht sie es als wenig wahrscheinlich an, dass sie die Privatwirtschaft zu Gunsten der Wissenschaft eintauschen wird. «So gerne ich Primärquellen habe, so gerne habe ich auch den Bezug zur Aktualität». Aber, so Wicki, man soll ja nie nie sagen… SCHWEIZER VERSICHERUNG | OKTOBER 2015 39
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