Herausgabe von Patientendaten – Wie würden Sie entscheiden? Von Dr. Vanessa Christin Vollmar Stationäre wie ambulante Leistungserbringer im Gesundheitswesen verfügen über zahlreiche, zum Teil sehr persönliche und intime Gesundheitsdaten ihrer Patientinnen und Patienten. Es verwundert daher nicht, dass an der Kenntnis dieser Informationen vielfach großes Interesse besteht. Die Konstellationen, in denen Sie bzw. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der täglichen Praxis immer wieder mit Herausgabeverlangen von Patientendaten unterschiedlichster Art konfrontiert werden, sind vielfältig, der Entscheidungskonflikt zwischen den Informationsinteressen der anfragenden Stelle, dem Geheimhaltungsinteresse des Patienten und der eigenen Schweigepflicht vorprogrammiert. Entsprechend differenziert muss der Umgang mit solchen Anfragen erfolgen. Die umfassende und regelmäßige Schulung Ihres Personals ist deshalb unerlässlich. 1. Herausgabeverlangen des Patienten selbst oder eines Vertreters Der Patient selbst kann grundsätzlich immer Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte verlangen (§ 630g Abs. 1 S. 1 BGB). Einen besonderen Grund braucht er hierfür nicht. Dem Einsichtsgesuch ist unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, zu entsprechen. Die Einsicht erfolgt in der Regel durch Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Originalpatientenakte am Ort ihrer Aufbewahrung, also in den Räumen Ihrer Praxis bzw. Ihrer Einrichtung. Gegen Kostenerstattung kann der Patient die Überlassung von Kopien oder elektronischen Abschriften verlangen. Von dem Recht auf Akteneinsicht ist grundsätzlich die vollständige Patientenakte umfasst, also nicht nur die Aufzeichnungen über objektive Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen, sondern auch subjektive Eindrücke und Wahrnehmungen der Behandelnden. Hier hat sich die Rechtslage in den letzten Jahren verändert. Nur in Ausnahmefällen darf dem Patienten die Einsicht verweigert werden, wenn und soweit dies zu seinem eigenen Schutz aus therapeutischen Erwägungen oder mit Rücksicht auf entgegenstehende Interessen Dritter erforderlich ist. In diesen Fällen kann die Akteneinsicht in Begleitung einer Vertrauensperson oder in die Bestandteile der Akte erfolgen, die von den entgegenstehenden 1 Hinderungsgründen nicht berührt werden. Notwendige Abdeckungen sind von Ihnen vorzunehmen und nach Einsichtnahme durch den Patienten wieder zu entfernen. Verlangt statt des Patienten ein gesetzlicher Vertreter (z.B. Eltern bei minderjährigen Kindern oder der Betreuer des Patienten) oder ein in sonstiger Weise Bevollmächtigter (z.B. ein Rechtsanwalt) die Einsicht, ist vor der Herausgabe der Unterlagen die Vertretungsmacht dieser Personen durch Prüfung geeigneter Ausweisdokumente sicherzustellen, etwa durch Vorlage des Personalausweises, der gerichtlichen Bestellung zum Betreuer, im Übrigen durch schriftliche Bevollmächtigung durch den Patienten. Von der Legitimation sollten Sie eine Kopie zu Ihren Akten nehmen. Haben Sie Zweifel an der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung, ist die Einsichtnahme zu verweigern. 2. Herausgabeverlangen von Erben oder nahen Angehörigen Das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in seine Patientenakte geht mit seinem Tod nicht automatisch auf die Erben über. Weder der Erbe noch ein naher Angehöriger können ohne Weiteres Einsicht in die Behandlungsunterlagen verlangen. Dem Erbe ist die Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu gewähren, wenn er geltend machen kann, dass die Kenntnis der Patientenakte des Verstorbenen zur Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen erforderlich ist und seinem Einsichtsgesuch weder der ausdrückliche noch der mutmaßliche Wille des Verstorbenen entgegensteht (§ 630g Abs. 1 S. 1 BGB). Den Hauptanwendungsfall der Norm bildet das Einsichtsgesuch eines Erben im Rahmen eines laufenden Arzthaftungsprozesses wegen vermeintlicher Fehlerhaftigkeit der Behandlung des Verstorbenen. Bevor Sie dem Wunsch eines Erben auf Einsicht in die Patientenakte entsprechen, hat der Erbe seine Erbenstellung ebenso wie das Bestehen eines vermögensrechtlichen Interesses nachzuweisen. Beides sollten Sie sorgfältig prüfen und durch geeignete Kopien (etwa des Erbscheins) und Notizen in Ihren Unterlagen dokumentieren. Neben den Erben können auch die nächsten Angehörigen die Einsichtnahme in die Patientenakte verlangen, wenn dies zur Wahrnehmung immaterieller Interessen erforderlich ist (§ 630g Abs. 3 S. 2 BGB). Hierunter fällt z.B. die Einsichtnahme zur Abklärung von Erbkrankheiten. 2 Widerspricht die Einsichtnahme dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des verstorbenen Patienten, dürfen Sie dem Einsichtsgesuch nicht nachkommen. Leicht fällt diese Entscheidung, wenn sich der Patient noch zu Lebzeiten hierzu geäußert hat. Entsprechende Aussagen über die Entbindung von der Schweigepflicht über den Tod hinaus oder – umgekehrt – dahingehend, dass Erben und Angehörigen nach dem Tod keine Einsicht in die Behandlungsunterlagen erhalten sollen, sollten von Ihnen deshalb unbedingt dokumentiert werden. Fehlt es an ausdrücklichen und eindeutigen Erklärungen des Patienten, müssen Sie den mutmaßlichen Willen des Patienten ermitteln. Bei der Verfolgung von möglichen Behandlungsfehlern ist in der Regel aber von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten auszugehen, sodass Sie eine gleichwohl versagte Einsichtnahme gut begründen müssen. Hegen Sie Zweifel an der Erbenstellung oder den geltend gemachten vermögensrechtlichen bzw. immateriellen Interessen gilt: Im Zweifel für den Geheimnisschutz des Patienten! 3. Herausgabeverlangen der gesetzlichen Krankenkasse des GKV-Patienten Die gesetzlichen Krankenkassen haben – mit einer Ausnahme – grundsätzlich keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte ihres Versicherungsnehmers. Wenn es darum geht, die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung oder die Ordnungsmäßigkeit einer Abrechnung zu prüfen, sieht das Gesetz die Übermittlung der Leistungsdaten nach § 301 SGB V vom Krankenhaus an die Krankenkasse und bei danach verbleibenden Zweifeln die Möglichkeit zur Einleitung eines MDK-Prüfverfahrens vor (§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Erst, wenn sich auch für den MDK auf der Grundlage der Angaben nach § 301 SGB V kein abschließendes Ergebnis über die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die anderweitigen in Frage stehenden Abrechnungsvoraussetzungen ergibt, trifft Sie als Leistungserbringer die Pflicht, dem MDK, nicht aber der Krankenkasse, weitere Angaben zu machen und einzelne relevante Unterlagen vorzulegen (vgl. hierzu noch unten unter II.5.). Einen eigenen Informationsanspruch und ein Recht auf Überlassung von Behandlungsunterlagen haben die gesetzlichen Krankenkassen nur bei möglichem Eigen- oder Drittverschulden des Gesundheitszustands eines Patienten. Vor allem, wenn das Vorliegen einer Berufskrankheit, eines Arbeitsunfalls oder einer Körperverletzung durch Dritte in Betracht kommt, sind Sie verpflichtet, der Krankenkasse unaufgefordert (!) Informationen über die Ursachen der Erkrankung und mögliche Verursacher zur Verfügung zu stellen (§ 294a SGB V). Hierzu eignen sich insbesondere die 3 Überlassung von Arztberichten, Gutachten oder sonstigen Untersuchungsbefunden, einschließlich genetischer Daten, Röntgen-CT oder Kernspinaufnahmen. Auch Angaben über den behandelnden Arzt, das Krankenhaus, verwendete Arznei- bzw. sonstige Heil- und Hilfsmittel sind zu machen. Einer vorherigen Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten bedürfen Sie nicht. § 294a SGB V stellt eine hinreichend legitimierende Rechtsgrundlage für die Weitergabe der Daten dar. Verweigert werden dürfen Informationen nach § 294a SGB V aber dann, wenn Sie sich hierdurch selbst bezichtigen müssten, für den Gesundheitszustand des Patienten verantwortlich zu sein, etwa aufgrund eines Behandlungsfehlers. 4. Herausgabeverlangen der privaten Krankenversicherung bei PKV-Patienten Die privaten Versicherungen können personenbezogene Gesundheitsdaten ihrer Versicherten erfragen, sofern und soweit sie die Daten für die Beurteilung entweder des zu versichernden Risikos, also im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrags, oder aber zur Beurteilung der Leistungspflicht bei Eintritt des Versicherungsfalls benötigen (§ 213 VVG). Der Informationsanspruch des Versicherers ist abhängig von der Einwilligung des Patienten in die Weitergabe seiner Daten. Gleichermaßen ist zu berücksichtigen, dass der Patient vom Versicherer vor der Datenabfrage bei Ihnen über diese unterrichtet worden sein muss (§ 213 Abs. 2 S. 2 VVG). Dies ist deshalb von Bedeutung, weil viele privat Versicherte zu Beginn ihrer Versicherungszeit eine pauschale Vorab-Einwilligung als Generalermächtigung zur Einholung von Patientendaten bei Ärzten, Krankenhäusern, etc. erteilt haben. Im Einzelfall muss ihnen deshalb die Möglichkeit bleiben, der Datenerhebung zu widersprechen (§ 213 Abs. 2 S. 2 VVG). Bevor Sie Auskünfte über den gesundheitlichen Zustand eines Patienten erteilen, sollten Sie sich von dem Versicherer deshalb die schriftliche Einwilligung des Patienten zeigen lassen und sichergehen, dass der Patient über die Datenerhebung unterrichtet und auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen worden ist. Inhaltlich sind grundsätzlich alle Tatsachen mitzuteilen, die für die Feststellung und Abwicklung der Leistungen aus dem Versicherungsvertrag rechtserheblich sein können, also Arztberichte, Gutachten oder sonstige Untersuchungsbefunde, einschließlich genetischer Daten, Röntgen-CT oder Kernspinaufnahmen. 5. Herausgabeverlangen des MDK 4 Der MDK hat einen Informationsanspruch nur im Rahmen eines konkreten Prüfauftrags, sofern ihm dieser von der gesetzlichen Krankenkasse des Patienten innerhalb der Sechs-Wochen-Frist ordnungsgemäß erteilt wurde (§§ 275 ff. SGB V). Dies sollten Sie vor Erteilung von Informationen an den MDK im Einzelfall intern prüfen! Ist der Prüfauftrag korrekt, hat der MDK das Recht, Sozialdaten des Patienten unmittelbar bei Ihnen zu erfragen (§ 276 Abs. 2 SGB V). Dabei können ergänzende Informationen erforderlich werden, wenn der MDK allein auf der Grundlage der von Ihnen übermittelten Daten nach § 301 SGB V kein abschließendes Prüfergebnis erzielen kann. Wenn es im Einzelfall für die Stellungnahme des MDK über die Notwendigkeit und Dauer der stationären Behandlung erforderlich ist, sind die Ärzte des MDK außerdem befugt, zwischen 8:00 und 18:00 Uhr Ihre Räume zu betreten, um dort die Patientenunterlagen einzusehen und, soweit erforderlich, den Patienten selbst zu untersuchen (§ 276 Abs. 4 S. 1 SGB V). 6. Herausgabeverlangen von mit-/weiterbehandelnden Ärzten Mit- und weiterbehandelnde Ärzte, insbesondere der Hausarzt eines Patienten, können von Ihnen nach § 73 Abs. 1b SGB V die Überlassung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befundberichte und bildgebenden Befunde zum Zweck der Dokumentation und der weiteren Behandlung verlangen, wenn der Patient in die Weitergabe eingewilligt hat. In der Praxis sollten Sie – auch mit Blick auf § 73 Abs. 1b S. 2 SGB V – den Patienten im Rahmen der Anamnese nach seinem Hausarzt befragen und sich die Einwilligung zur Weitergabe der Daten an diesen erteilen lassen. Dies kann durch eine standardmäßige Einwilligungserklärung auf dem Anamnesebogen oder in dem Behandlungsvertrag erfolgen. Wichtig ist, dass der Patient bei Erteilung seiner Einwilligung darauf hingewiesen wird, dass er die Einwilligung zu einem späteren Zeitpunkt widerrufen kann. Verlangt nicht der mit- oder weiterbehandelnde Arzt, sondern der Patient selbst die Herausgabe an einen anderen Arzt, ist diesem Wunsch zu entsprechen. 7. Herausgabeverlangen von Ermittlungsbehörden und Gerichten Hin und wieder kann es vorkommen, dass Sie mit Herausgabeverlangen von Ermittlungsbehörden, also Polizei und Staatsanwaltschaft, oder Gerichten konfrontiert werden. Beim Umgang mit solchen Anfragen ist zu differenzieren: 5 Die ärztliche Schweigepflicht gilt grundsätzlich auch gegenüber Ermittlungsbehörden. Herausgabeverlangen von Polizei und Staatsanwaltschaft sollte deshalb nicht freiwillig entsprochen werden, wenn sich der Patient nicht ausdrücklich mit der Weitergabe seiner Daten einverstanden erklärt hat. Bei einem verstorbenen Patienten gilt das gleiche. Hinsichtlich der für die Weitergabe erforderlichen Einwilligung kommt es dann auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an, der vom Arzt zu ermitteln ist. Gegen Vorlage eines gerichtlichen Beschlagnahme- oder Durchsuchungsbeschlusses sind Sie allerdings verpflichtet, die in dem Beschluss konkret benannten Unterlagen auch ohne Einwilligung des Patienten herauszugeben. Sofern zur Wahrnehmung berechtigter Eigeninteressen erforderlich, etwa zur Verteidigung gegen den Vorwurf eines Behandlungsfehlers oder der fahrlässigen Tötung, dürfen Sie Angaben ebenfalls ohne Einwilligung des Patienten machen. Verlangt ein Gericht von Ihnen im Rahmen eines laufenden Prozesses, an dem Ihre Einrichtung als Partei beteiligt ist, in der Regel ein Arzthaftungsprozess, die Vorlage der Patientenakte, haben Sie diesem Verlangen aufgrund Ihrer Mitwirkungspflichten nach § 422 ZPO zu entsprechen. Regelmäßig wird vom Gericht die Vorlage der Originalakte verlangt. Etwas anders stellt sich die Situation dar, wenn es um einen Rechtsstreit vor den Sozialgerichten geht, der die Frage der Notwendigkeit einer stationären Behandlung zum Gegenstand hat, etwa weil Sie als Leistungserbringer gegen eine Krankenkasse auf Zahlung der Vergütung klagen oder – umgekehrt – die Krankenkasse gegen Sie einen Rückzahlungsanspruch schon geleisteter Beträge geltend macht. Auch in diesen Fällen wird das mit der Sache befasste Sozialgericht aufgrund des bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes bei Ihnen die Behandlungsunterlagen beiziehen; auch in diesen Fällen sind Sie aufgrund Ihrer prozessualen Mitwirkungslast verpflichtet, die Unterlagen zu übersenden (§§ 202 SGG, 142 Abs. 1 ZPO). Bei Verweigerung der Übersendung kann das Gericht nach entsprechendem Hinweis ohne weitere Ermittlungen von der Nichterweislichkeit der Notwendigkeit ausgehen. Allerdings dürfen Sie die Unterlagen vor der Herausgabe an das Gericht insoweit schwärzen, als sie ausnahmsweise Informationen enthalten, die für den Abrechnungsstreit irrelevant sind, zum Beispiel über weitere nicht streitgegenständliche Erkrankungen des Patienten. 6 Befinden sich die Behandlungsunterlagen bei Gericht, hat auch die am Verfahren beteiligte Krankenkasse über das ihr zustehende Akteneinsichtsrecht die Möglichkeit, die beigezogenen Unterlagen einzusehen. Insoweit geht das prozessuale Einsichtsrecht der Krankenkassen über die ihnen nur sehr eingeschränkt zustehenden außergerichtlichen Einsichtsrechte (vgl. hierzu oben unter 3.) hinaus. Unabhängig davon, ob die Herausgabe der Patientenakte an Ermittlungsbehörden oder das Gericht erfolgt, sollten Sie sich zuvor unbedingt ein Duplikat für Ihre eigenen Unterlagen anfertigen. Nach Abschluss des Prozesses erhalten Sie Ihre Originaldokumentation wieder zurück. Dr. Vanessa Christin Vollmar Telefon: 0228 / 9 83 91-67 [email protected] Impressum BUSSE & MIESSEN Rechtsanwälte Partnerschaft mbB Dr. Vanessa Christin Vollmar Friedensplatz 1 53111 Bonn Telefon: 0228/98391-67 Telefax: 0228/630283 [email protected] www.busse-miessen.de Partnerschaftsgesellschaft mbB im Sinne des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes (PartGG) Zuständiges Registergericht: Amtsgericht Essen (PR 2768) UStIdentNr: DE 122127466 7
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