18. Jahrgang · Heft 2/2015 · März/April · Seiten 33–64 · PVSt 47561 Zeitschrift für KonfliktManagement Konfliktmanagement l Mediation l Verhandeln Ben Jones/Jeremias Prassl Verpflichtende Außergerichtliche Vermittlungsverfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein erster Erfahrungsbericht 36 Andreas Freundorfer/Elvira Hauska Gerichtsnahe Mediation im Arbeitsrecht Die Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien 39 Nils Pelzer Verbraucherschutz durch Schlichtung? 43 www.centrale-fuer-mediation.de Anne-Christine Hlawaty Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationen im Arbeitsleben – Teil 2 56 H. Krabbe/M. Steinwender/G. Fürst Kurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren 60 Ne Richtige Entscheidung! u! Praxisbezogene Einführung in die Mediation und Nachschlagewerk Peter Röthemeyer Mediation Grundlagen | Recht | Markt 2015. 248 Seiten. Kart. € 42,99 ISBN 978-3-17-022582-4 Handbuch Nedden/Herzberg Praxiskommentar ICC-SchO/DIS-SchO Herausgegeben von RA Jan Heiner Nedden und RA Axel Benjamin Herzberg. Bearbeitet von 13 Spezialisten aus allen praktisch bedeutsamen Bereichen des Schiedsverfahrensrechts. 2014, 1.152 Seiten DIN A5, gbd. 139,– €. ISBN 978-3-504-47106-4 Wer jetzt zu diesem Praxiskommentar der beiden bedeutendsten Schiedsordnungen im deutschsprachigen Raum greift, trifft mit Sicherheit die richtige Entscheidung – ob Sie nun ein echter Schieds-Profi sind oder ein Neueinsteiger im wachstumsstarken Schiedsverfahrensrecht. In dieser detailliertesten deutschsprachigen Kommentierung der beiden Regelwerke, deren besonderes Augenmerk grenzüberschreitenden Verfahren gilt, kommen die Spezifika kleinerer, rein inländischer Verfahren nie zu kurz. Mit ganz konkreten Handlungsempfehlungen zu Strategie und Taktik. Mit deutsch/ englischen Mustern, mit Schaubildern, Checklisten und durchgehend stringentem Aufbau. 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Nicht zuletzt widmet sich das Buch den Grundlagen und der Zukunft der Zertifizierung. Der Autor: Peter Röthemeyer ist Leitender Ministerialrat im Niedersächsischen Justizministerium und ausgebildeter Mediator. W. Kohlhammer GmbH · 70549 Stuttgart [email protected] · www.kohlhammer.de Kohlhammer I N H A LT INHALT EDITORIAL Roland Proksch 35 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Ben Jones/Jeremias Prassl Verpflichtende Außergerichtliche Vermittlungsverfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein erster Erfahrungsbericht 36 Andreas Freundorfer/Elvira Hauska Gerichtsnahe Mediation im Arbeitsrecht Die Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien 39 Nils Pelzer Verbraucherschutz durch Schlichtung? „Berücksichtigung des geltenden Rechts“ nach dem geplanten Verbraucherstreitbeilegungsgesetz 43 Gunter Dehr Qualitäts- und Konfliktmanagement in Organisationen Ziele und Konzepte für ein betriebliches Konfliktmanagementsystem 47 Katja Windisch Fair und/oder gerecht? Fairnesskriterien in der Mediation 52 ARBEIT UND ORGANISATION Ann Christine Hlawaty Weniger ist mehr – Teil 2 Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationen im Arbeitsleben 56 PRAXISFALL Heiner Krabbe/Michaela Steinwender/Gert Fürst Kurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren – ein Praxisfall 60 REZENSIONEN Hans Helmut Bischof Klowait/Gläßer (Hrsg.): Mediationsgesetz Handkommentar 63 Georg Berkel William Ury: Getting to Yes With Yourself (and Other Worthy Opponents) 63 Impressum 64 ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 33 Damit arbeiten jetzt alle. ABCs für die praktische Umsetzung. Alles auf dem neuesten Stand (Rechtsstand: 1.1.2015). Kurzum ein Buch von Praktikern für Praktiker, das sich zum punktuellen Nachschlagen wie zur Einarbeitung in komplexe Themen gleichermaßen eignet. Der neue Tschöpe. Weil außer Rechtsanwälten auch Richter, Personaler und Verbände seit Jahren gerne mit dem Handbuch arbeiten, haben wir uns nach acht erfolgreichen Vorauflagen auf vielfachen Wunsch endgültig vom Titel Anwalts-Handbuch verabschiedet. Unverändert das Konzept: Das gesamte materielle und formelle Arbeitsrecht systematisch aufbereitet am zeitlichen Ablauf des Arbeitsverhältnisses. Mit vielen Hinweisen, Beispielen, Checklisten, Musterformulierungen und Stichwort- NEU Tschöpe, Handbuch Arbeitsrecht. Probe lesen und bestellen bei www.otto-schmidt.de/tar9 Tschöpe Handbuch Arbeitsrecht Herausgegeben von FAArbR Dr. Ulrich Tschöpe. Bearbeitet von 26 erfahrenen Praktikern des Arbeitsrechts. 9., neu bearbeitete Auflage 2015, 3.189 Seiten Lexikonformat, gbd. 159,– €. ISBN 978-3-504-42043-7 Ihr Newsletter Kostenlos monatlich per E-Mail Einfach abonnieren unter www.mediate.de Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Horst Eidenmüller LL.M., Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Ulla Gläßer LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O. Prof. Dr. Reinhard Greger, RiBGH a. D., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt, Ratingen Prof. Dr. Angela Mickley, Fachhochschule Potsdam Prof. Dr. Roland Proksch, ehem. Präsident der Ev. Fachhochschule Nürnberg Peter Roethemeyer, Niedersächsisches Justizministerium, Hannover Lis Ripke, Rechtsanwältin, Heidelberger Institut für Mediation Dr. Hansjörg Schwartz, Dipl.-Psych., TGKS Oldenburg Prof. Dr. Horst Zilleßen, MEDIATOR GmbH, Berlin 34 ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 EDITORIAL EDITORIAL Sehr geehrte Leserinnen und Leser, mit ADR-RL EU vom 21.5.2013 über Alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten führt die EU konsequent ihre früheren Maßnahmen zur Förderung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren fort. ADR-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verbrauchern bei Streitigkeiten mit Unternehmen aus Kaufverträgen oder Dienstleistungsverträgen außergerichtliche Streitbeilegungsstellen (AS) zur Verfügung stellen. Ihre Umsetzung erfordert und ermöglicht eine Förderung der Mediation im VerbraucherbereichSeit dem 10.11.2014 gibt es zur Umsetzung der ADR-RL einen Entwurf des BMJV für ein Verbraucherstreitbeilegungsgesetz. Das VSBG soll die außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland fördern (Begründung S. 42, A III, 2 a). Auch Mediatoren könnten sich mit der Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten befassen. Die Fallzahlen dürften gering ausfallen, meint der BMJV (Begründung, S. 40, A II, 2). Diese Skepsis des BMJV gegenüber Mediation deutet daraufhin, dass der BMJV für AS juristische Verfahren privilegiert und sie als „vereinfachte Rechtsschutzverfahren“ konzipiert. Dies widerspricht dem Grundgedanken der AS-RL. Sie versteht Mediation als zentralen Bestandteil einer nationalen ADR- Struktur. Von weiteren Kritikpunkten am RefE-VSBG seien nur zwei angesprochen: § 2 Abs. 1 RefE-VSBG definiert Einrichtungen für Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten als „Verbraucherschlichtungsstelle“. Schlichtung ist jedoch nur eine Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung, neben Schiedsverfahren und neben Mediation. Die ADR-RL fordert diese Einengung auf „Schlichtung“ nicht. In Anlehnung an § 5 RefE-VSBG, der die Streit vermittelnden Personen als „Streitmittler“ bezeichnet, wäre es konsequent, im VSBG durchgehend den Begriff „Streitmittlungsstellen“ statt Schlichtungsstellen zu verwenden. Nach § 5 Abs. 2 RefE-VSBG müssen Streitmittler u.a. über „allgemeine Rechtskenntnisse“ verfügen, die für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten erforderlich sind. Juristen fordern, in § 5 Abs. 2 RefE-VSBG sicherzustellen, dass nur Volljuristen als Einzelschlichter agieren. Der BMJV scheint dem nicht abgeneigt zu sein, wenn auf Beispiele verwiesen wird, wo Schlichter (sic!) die Befähigung zum Richteramt besitzen müssen (Begr. § 5 II, S. 55). Das fordert aber weder Art. 6 Abs. 1 a AS-RL („allgemeines Rechtsverständnis“), noch Art. 11 AS-RL (Verbraucher dürfen durch die Streitregelung nicht rechtschutzlos bleiben), noch ist dies nach § 2 Abs. 6 MedG für Mediation geboten. Für befriedende außergerichtliche Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten braucht es zuvörderst fundierte mediative Kompetenzen, wie dies der Gesetzgeber des § 6 MedG richtig sieht. Mediatoren nach MedG wie Streitmittler nach VSBG müssen aber über dieselben „Mittlungskompetenzen“ verfügen. Insoweit gebietet §5 Abs. 2 RefE-VSBG, die Verordnung über die Ausbildung zum zertifizierten Mediator auf den Weg zu bringen, statt sie weiter wegen der Umsetzung der AS-RL „auf die lange Bank zu schieben". Ein Appell geht somit an den BMJV: Alternative Verfahren zur Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten nicht als „Rechtsschutz-“, sondern als „Vermittlungsverfahren“ konzipieren. Kompetenzen Mediator/Streitmittler und Verfahren grundsätzlich gleich regeln. Insoweit RefE-VSBG entsprechend überarbeiten. Ihr Prof. Dr. Roland Proksch ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 35 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Ben Jones/Jeremias Prassl Verpflichtende Außergerichtliche Vermittlungsverfahren im Englischen Arbeitsrecht: ein erster Erfahrungsbericht In England, Schottland und Wales wurde 2014 ein obligatorisches außergerichtliches Vermittlungsverfahren (Early Conciliation) eingeführt, das vor jeder Klage beim Arbeitsgericht einzuleiten ist. Zuständig ist der Advisory, Conciliation and Arbitration Service (ACAS), eine öffentlich geförderte, unabhängige Einrichtung. Im folgenden Beitrag erläutern die Verfasser die neue Rolle von ACAS als verpflichtende Schlichtungsstelle für fast alle individualarbeitsrechtlichen Streitigkeiten. Sie beleuchten die Hintergründe, rechtliche Grundlage und tatsächliche Handhabung des neuen Vor-Verfahrens. Auf der Basis der ersten verfügbaren Informationen über die fast durchweg negativen Auswirkungen, die außergerichtliche Vermittlungsverfahren auf die Lösung von Problemen am Arbeitsplatz haben, ziehen die Verfasser vorläufige Schlussfolgerungen über den (Miss-)erfolg dieser Innovation, die gerade den sozialschwächsten Arbeitnehmerinnen den Zugang zum Rechtsschutz erheblich erschwert. 1. Einleitung Im Zuge des strengen Sparprogramms, welches die Koalitionsregierung Großbritanniens im Jahr 2010 eingeführt hatte, musste auch das Justizministerium ab 2014 seine Netto-Ausgaben um 23 % reduzieren.1 Eine der zentralen Optionen der darauffolgenden Einsparungsstrategie war die deutliche Senkung von Rechtsstreitigkeiten, welche vor öffentlichen Gerichten und Tribunalen geführt werden. Dies sollte durch eine Kombination von zwei Strategien erfolgen: erstens, die Einführung (oder Erhöhung) von Gerichtsgebühren, zweitens, indem potenzielle Prozessparteien dazu verpflichtet werden, vor dem Gang zu Gericht alternative Streitbeilegungsverfahren (Alternative Dispute Resolution – ADR) anzustreben. Für den Großteil aller Zivilprozesse ist diese Art der Streitbeilegung privat zu arrangieren2 und zu einem gewissen Grad optional3 (wenn auch mit potenziell erheblichen Kostenstrafen oder Sanktionen, wenn Möglichkeiten zur außergerichtli36 chen Lösung nicht in vollem Umfang ergriffen wurden).4 Gleichzeitig gibt es jedoch auch eine zunehmende Tendenz zur Bereitstellung von alternativen Ben Jones Streitbeilegungsmechanismen, die nicht nur als optionale Alternative zum Gerichtsverfahren, sondern als verpflichtende Vorstufe zur Einleitung herkömmlicher Verfahren zu sehen sind. In diesem Artikel diskutieren wir die Einführung einer solchen gesetzlichen Regelung in Bezug auf individuelle Arbeitsstreitigkeiten. Dieses System der „obligatorischen frühen Schlichtung“ bietet kostenlose Schlichtungen beim britischen Beratungs-, Vergleichs- und Schieds-Service (Advisory, Conciliation and Arbitration Service – ACAS)5 als Voraussetzung für die Einleitung von Verfahren bei den Employment Tribunals (Arbeitsgerichten der ersten Instanz). Es wurde von der Regierung mit dem erklärten Ziel, die schnellere und billigere Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu erreichen, eingeführt; vor allem in der Hoffnung, die „falschen Erwartungen“ von Antragstellern in Bezug auf die potenzielle Stärke ihrer Forderungen zu mindern.6 In diesem Artikel versuchen wir festzustellen, ob diese Regelungen ihre erhofften Ziele erreichen können. Dabei ist es vor allem wichtig, ihre möglichen Auswirkungen auf den Zugang zum Rechtsschutz zu beachten. Wir schließen aus den bisherigen Erfahrungen, dass Schlichtungsversuche durchaus von Vorteil sein können, insofern einige Rechtsstreitigkeiten, die effektiv zu geringeren Kosten gelöst werden können, nicht mehr die tägliche Arbeit der Employment Tribunals belasten. Ihre verpflichtende Einführung jedoch, vor allem im Zusammenhang mit der Einführung von erheblichen Gerichtsgebühren, hat eine relativ stark abschreckende Wirkung und damit einen negativen Einfluss auf den effektiven Rechtsschutz, insbesondere bei sozial schwa- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 chen, frisch gekündigten Arbeitern.7 Die verpflichtende Einführung einer facilitative method, d.h. einer rein vermittelnden statt einer evaluierenden MeJeremias Prassl thode, wie zum Beispiel früher neutraler Bewertung (early neutral evaluation), ist daher nicht der beste Weg, um die Reduzierung an Fallzahlen unter gleichzeitiger Wahrung der Balance zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu erreichen. 2. Die Rolle von ACAS ACAS, wie es heute existiert, ist die neueste Form einer Organisation, die in unterschiedlichen Erscheinungen seit dem späten 19. Jahrhundert existiert hat. Die Organisation erwarb ihren heutigen Ruf und Status vor allem durch ihre beschwichtigende Vermittlerrolle in den massiven englischen Arbeitskämpfen der 1970er Jahre; ihre Funktionen wurden jedoch seit 1 HM Treasury, Spending Review 2010 (HMSO Oct. 2010) p. 55, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/ file/203826/Spending_review_2010.pdf (letzter Zugriff 14. Febr. 2015) Die tatsächliche Senkung für das Budget-Jahr 2014-15 beträgt £ 286m. 2 Mit einigen Ausnahmen, welche im letzten Abschnitt dieses Artikels analysiert werden. 3 Per Dyson LJ in Halsey v Milton Keynes [2004] EWCA Civ 576, vgl. aber den Zwang zum Ruhen des Verfahrens in Wright v Michael Wright (Supplies) Ltd [2013] EWCA Civ 234. 4 Per Civil Procedure Rules Practice Direction Pre-Action Conduct paras.4.1-4.6 und den Sanktionen in Thornhill v Nationwide Metal Recycling Ltd [2011] EWCA Civ 919 und Nelson's Yard Management [2014] EWCA] Civ 235. 5 www.acas.org.uk (letzter Zugriff 14. Febr. 2015). 6 Department for Business, Innovation and Skills, Earl Conciliation, Final Impact Assessment (Febr. 2014) paras. 16-17, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/ file/284042/bis-14-585-early-conciliation-impact-final.pdf (letzter Zugriff 14. Febr. 2015). 7 Im Interesse des Leseflusses wird auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet; soweit bei personenbezogenen Bezeichnungen nur der generische Maskulin angeführt wird, sind Männer und Frauen in gleicher Weise gemeint. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN damals regelmäßig von weiteren gesetzlichen Bestimmungen entwickelt und ergänzt. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer fehlenden Jurisdiktionsgewalt (abgesehen von eingeschränkten Möglichkeiten, einvernehmliche Schiedsverfahren durchzuführen) hat ACAS eine zentrale Rolle sowohl in kollektiven als auch in individuellen Auseinandersetzungen in den letzten fünfzig Jahren gespielt. Offiziell gilt das ACAS als ein Organ des Employment Tribunal Systems, obwohl seine Aktivitäten wesentlich vielfältiger sind. Im Gegensatz zum Tribunal Service ist ACAS nämlich eine quasi-autonome Körperschaft des öffentlichen Rechts, die unabhängig von der Regierung operiert. Während das ACAS seinen heutigen Namen und seine gesetzliche Grundlage seit 1974 besitzt, geht sein eigentlicher Ursprung bis wesentlich vor der Gründung der Industrial Tribunals im Jahre 1971 zurück: Unter verschiedenen Namen haben diverse Vorläufer seit 1896 freiwillige Schlichtung angeboten. Zusätzlich zu seiner historischen Hauptfunktion als Vermittlerin in kollektiven Arbeitsstreitigkeiten trägt ACAS eine Reihe von weiteren gesetzlichen Pflichten, welche allesamt auf seiner „allgemeinen Verpflichtung“, die Verbesserung der Arbeitsbeziehungen zu fördern, auf8 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992, s.209. 9 Ebd. s.199. Diese Codes sind verfügbar unter http://www.acas.org.uk/index.aspx?articleid=1878 und eigen von ihnen erlaubt den Gerichten, die Preise bis zu 25 % anzupassen (ebd. s.207A). 10 Die im Gesetz erwähnt werden, siehe ebd., s.211. 11 Nach Schätzungen des Department for Business, Innovation and Skills, Workforce Management Information (Sept. 2014) http://data.gov.uk/dataset/workforce-management-information-bis/resource/abcda2d2-5e94-475d-8adc-a3befe9153a0 (letzter Zugriff 15. Febr. 2015) und der ACAS, Anzahl der Nachwuchsmitarbeiter und Tarife 30/09/ 2012 http://www.acas.org.uk/media/csv/k/6/ ACAS_-_07Nov2012-Junior-data.csv (letzter Zugriff 15. Febr. 2015). 12 Diese Ausnahmen sind angelegt in Regulation 3(1) of SI 254/2014. 13 Über die zentrale Website: ec.acas.org.uk (letzter Zugriff 15. Febr. 2015). 14 C.f. Charles Price, „Acas early conciliation form changes and slanted market research“ (The Employment Law Blog, 15. Jan. 2015) http://employmentlawuk.blogspot.co.uk/2015/01/acas-early-conciliation-form-changes.html (letzter Zugriff 15. Febr. 2015). 15 Eine spezielle Form der gesetzlich anerkannten Abmachung durchsetzbar sowohl als Vertrag als auch, weniger beschwerlich, durch ein beschleunigtes Verfahren, als wäre der Inhalt ein Beschluss des Gerichts. Tribunals, Court and Enforcement Act 2007 s.142. 16 Eine Hardcopy der Abmachung wird den Parteien durch ACAS zur wechselseitigen Unterschrift zugesandt, der Vertrag kommt allerdings bereits mit der Annahme der vom Schlichter vorgeschlagenen Bestimmungen zustande. bauen.8 Dazu gehören die Beratung von Arbeitgebern, Gewerkschaften, und Arbeitnehmern; die Leitung von Untersuchungen zu allgemeinen oder speziellen Themen im Bereich der Arbeitsbeziehungen; das Angebot eines kostenlosen Schiedsverfahrens für potenziell ungerechtfertigte Entlassungen, und die Schaffung von sogenannten Best-Practice-Codes für den Umgang mit individuellen sowie kollektiven Arbeitsproblemen (wie zum Beispiel mit Disziplinarfragen und anderen Beschwerden).9 Trotz dieses breiten Portfolios an Funktionen besteht die primäre Funktion von ACAS jedoch weiterhin in der Schlichtung von Arbeitskonflikten. Der Service beschäftigt ein Team von rund 300 bis 400 in Vollzeit tätigen Vermittlern10 sowie zusätzlich 200 bis 300 telefonischen Beratern, welche bei Anruf einer 'hotline' informelle Informationen und Beratung über Schlichtungsmöglichkeiten sowie gerichtliche Verfahren anbieten.11 3. Die Einführung der Vermittlungspflicht Weil ACAS diese breite Expertise und Kapazitäten für die Handhabung sowohl kollektiver als auch individueller Streitigkeiten besitzt, wurde die Organisation zur Administration eines neuen Systems der obligatorischen frühen Vergleichsverfahren nach § 7 des Enterprise and Regulatory Reform Act 2013 verpflichtet. Dieses System baut auf den bisherigen Bestimmungen des Employment Act 2002 auf, welche die Verschiebung von bereits anhängigen Verfahren erlauben, um das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens abzuwarten. Dieses neue, obligatorische System trat am 6. April 2014 in Kraft und ist nunmehr der erste Verfahrensschritt für jeden Anspruch vor einem Employment Tribunal (dem primären Ort für die Lösung individueller Arbeitsrechtsprobleme). Nur noch wenige Forderungen können ohne solche Verhandlungen vorgebracht werden. Dabei handelt es sich um folgende Fälle: k die Forderung ist eine gemeinsame Forderung mehrerer Arbeitnehmer, und eine der anderen beteiligten Parteien hat bereits eine fehlgeschlagene frühe Schlichtung erlebt; k die Arbeitgeberin hatte ACAS bereits eingeschaltet, ohne dass jedoch eine Einigung erreicht wurde; k die Mitarbeiterin versucht, eine einstweilige Anordnung nach einer angeblich ungerechtfertigten Entlassung zu erwirken; k Gegenstand des Verfahrens ist eine Klage, die in keinem Zusammenhang mit dem Zuständigkeitsbereich von ACAS steht; k es handelt sich um eine Klage gegen einen Arm des britischen Geheimdienstes, wie zum Beispiel den Secret Intelligence Service oder die Government Communications Headquarters (GCHQ).12 4. Das Verfahren Potenzielle Kläger müssen zunächst (mit Unterstützung durch die ACAS-Hotline) ein „Early Conciliation Notification Form“ ausfüllen.13 Nach Erhalt dieses Formulars ernennt ACAS einen Schlichter, welcher den Arbeitgeber (oder ehemaligen Arbeitgeber) per Telefon kontaktiert, um den Inhalt der Beschwerde zu erklären. Darauf folgt eine Periode (in der Regel von bis zu einem Monat, potenziell länger und häufig kürzer) in welcher der Schlichter als neutraler, unparteiischer, „Shuttle-Diplomat“ zwischen den Parteien verhandelt. Der Schlichter sollte einzelne Parteien eigentlich nicht über ihre Rechtsstellung beraten; in der Praxis gibt es jedoch einige Anhaltspunkte dafür, dass sie gelegentlich außerhalb ihres Aufgabenbereichs agieren und die Parteien über die Stärken und Schwächen des Anspruchs der Arbeitnehmer beraten.14 Wenn die Conciliation zu einer Schlichtungsvereinbarung führt, hat ACAS die Möglichkeit, eine besondere Form von Vergleich, genannt „COT3“,15 zu genehmigen. Im Rahmen dieser Vereinbarung, welche in Kraft tritt, sobald sich die Parteien durch den Schlichter auf alle Bedingungen geeinigt haben (egal ob mündlich oder schriftlich), verzichtet der potenzielle Antragsteller offiziell auf ihre gesetzlichen Rechte, Klage zu erheben.16 Eine dennoch versuchte Antragstellung würde von den Gerichten für unzulässig befunden werden. Als Gegenleistung für den Verzicht auf dieses Recht bietet das COT3 dem Antragsteller den Vorteil einer gesicherten Lösung, die nicht nur wie ein Vertrag wirkt, sondern wie das Urteil eines Employment Tribunals vollstreckbar ist. Dies hat den wesentlichen Vorteil, dass (ehemalige) Mitarbeiter kein Verfahren wegen Vertragsverletzung anstreben müssen, wenn der Arbeitgeber das Abkommen nicht einhält (was bei den meisten anderen Formen der außergerichtlichen Einigung erforderlich wäre). Sie können stattdessen die direkte Vollstreckung der außergerichtlichen Vereinbarung durchsetzen. Dies ist von besonderer ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 37 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Bedeutung, da die meisten Mitarbeiter nicht auf die Unterstützung eines rechtlichen Vertreters zählen können und Einigungen oft schlecht ausgearbeitet oder gar zu Gunsten des Arbeitgebers verzerrt sind. Falls die Schlichtung scheitert, stellt ACAS eine Bescheinigung über den Versuch, eine frühe Schlichtung zu erzielen, an den Arbeitnehmer aus. Diese Bescheinigung enthält eine Kennzahl, welche dann auf dem Antragsformular (ET1) für Verfahren vor dem Employment Tribunal angegeben werden muss. Jeglicher Versuch, ein ET1-Verfahren ohne die Einbeziehung einer solchen Bescheinigungsnummer zu beginnen, wird vom Gericht nicht bearbeitet. Darüber hinaus beginnen die relevanten Fristen wieder zu laufen, sobald ein solches Zertifikat ausgestellt worden ist. Es kann daher passieren, dass Antragsteller, die kurz vor dem Ende der 3-monatigen Verjährungsfrist waren, als die Schlichtung begann, keine Zeit mehr haben, um ein Verfahren einzuleiten. Auch für Antragsteller, welche ihre Schlichtung prompt beginnen, besteht die reale Gefahr, die Frist zu versäumen. Die Berechnung des Schlusstermins für die Verjährung ist eine relativ komplizierte Aufgabe, mit der unvermeidlichen Folge, dass es oft mehrere Vorverhandlungen benötigt, um festzustellen, ob das Verfahren rechtzeitig eingebracht worden war.17 Bevor wir nunmehr mit der Bewertung der Auswirkungen des neuen Systems beginnen können, ist es erwähnenswert, dass es eine bedeutende Ausnahme im soeben beschriebenen Regime gibt. Während Schlichtung heute ein wichtiger Teil am Anfang eines Tribunal-Verfahrens ist, gibt es kein obligatorisches oder offiziell angebotenes pre-action Verfahren für Prozesse vor den herkömmlichen Zivilgerichten. Die Zuständigkeit der Zivilgerichte in Arbeitsrechtsfragen ist heute stark eingeschränkt (da die Gerichte bemüht sind, es Antragstellern nicht zu ermöglichen, gesetzliche Regelungen durch das common law zu umgehen, insbesondere im Fall von ungerechtfertigter Entlassung). Einige Forderungen (vor allem Vertragsverletzungen außerhalb des Kontexts der einseitigen Kündigung)18 können jedoch immer noch beim County Court oder High Court eingebracht werden (je nach Wert und Komplexität einzelner Forderungen), ohne vorher Schlichtung zu versuchen.19 38 Supreme Court Court of Appeal Employment Appeal Tribunal The High Court over £100k Employment Tribunal County Court under £100k ACAS Claimant Route of Appeal Initiate Claim Abb.: Gerichts- und Schlichtungssystem im Vereinigten Königreich Vorläufige Schlussfolgerungen Seitdem sie zur ersten offiziellen Phase in arbeitsrechtlichen Verfahren wurde, ist die ACAS early conciliation rasch zum wichtigsten Mechanismus in individuellen Arbeitsklagen geworden. Trotz 6.000 bis 7.000 neuer Fälle pro Monat (ACAS' eigenen Zahlen zufolge weigerten sich weniger als 10 % der Kläger, den Dienst in Anspruch zu nehmen), gibt es jedoch bislang nur begrenzte Daten über die Durchführung und die Ergebnisse der neuen Regelung.20 Von den 37.407 Rückmeldungen im Laufe der ersten sechs Monate kam die große Mehrheit von Arbeitnehmern (mit 36.162 Meldungen), während nur 1.242 Meldungen von Arbeitgebern erstattet wurden. Von all diesen Fällen wurde nur in rund 18 % eine formelle Lösung durch die Ausstellung eines COT3-Zertifikats erreicht. Weitere 58 % der Streitfälle endeten ohne Schlichtung, führten aber dennoch nicht zu einem Prozess vor dem Employment Tribunal. Nur 24 % der Forderungen, die ursprünglich bei ACAS begonnen hatten, endeten tatsächlich in Prozessen. Von ACAS in der Vergangenheit in Auftrag gegebene Studien haben eine Reihe von praktischen Faktoren identifiziert, welche das Erzielen von Kompromisslösungen behindern.21 Dazu gehörten Schwierigkeiten, mit dem zugeordneten Schlichter in Kontakt zu treten, unzureichende emotionale Unterstützung der Klienten, der Bedarf an zusätzlicher Unterstützung bei sozial schwächeren Arbeitnehmer, wie beispielsweise solche mit unzureichenden Sprachkenntnissen, und nicht zuletzt die teils unzureichenden ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 oder gar widersprüchlichen Ratschläge über den Verlauf von Prozessen vor den tribunals.22 Es ist bemerkenswert, dass trotz der erheblichen Mehrbelastung von ACAS durch die neu vorgeschriebene Bereitstellung von Schlichtungsberatung für alle Prozessparteien keinerlei Erhöhung an Finanzierungsmitteln vorgesehen ist, um es dem Service zu ermöglichen, diese neuen Anforderungen zu erfüllen. Selbst wenn es mit den aktuell vorhandenen Daten nicht möglich ist, die Auswirkungen einer Reihe von arbeitsrechtlichen Reformen der derzeitigen Koalitionsregierung genau zu identifizieren, zeichnet sich ein negatives Bild sehr deutlich ab. Die Tatsache, dass nur 24 % der ursprünglichen Klagen vor Gericht verhandelt werden (und nur 18 % der frühen Vermittlungsverfahren zu einer einvernehmlichen Lösung kommen), ist nicht das Ergebnis einer besseren Einschätzung der Positionen potenzieller Kläger. Stattdessen handelt es sich hauptsächlich um die Auswirkung neuer Gebühren von £ 250, die zusätzlich zu einer weiteren Verfahrensgebühr von £ 950 vor einer Entscheidung des Rechtsstreits zu entrichten sind.23 Der Beweis, dass die letztere, finanzielle Hürde für den Rückgang der Verfahrenszahlen ursächlich ist, findet sich darin, dass es zwischen dem dritten Quartal 2013 und dem dritten Quartal 2014 keine wesentlichen Änderungen in der durchschnittlichen Erfolgsquote von neuen Klagen gab,24 während 17 Gisda Cyf v Barratt [2010] UKSC 41; J. Prassl, „Interpreting Employment Protective Legislation: Gisda Cyf v Barratt“ (2011) 40 Industrial Law Journal 103. 18 C.f. Johnson v Unisys Ltd [2003] 1 AC 518 (HL); Edwards v Chesterfield Royal Hospital NHS Foundation Trust [2011] UKSC 58. 19 Aber wenn ein Anspruchsteller nicht in der Lage ist, zu erklären, werhalb er dem ADR-Verfahren nicht zustimmt, kann dies zu Kostensantionen nach den oben beschriebenen allgemeinen zivilprozessrechtlichen ADR-Regeln führen, s. Fn. 3. 20 ACAS, „Early Conciliation Update: April bis Sept. 2014“ (19 Nov. 2014) http://www.acas.org. uk/index.aspx?articleid=5069 (letzter Zugriff 12. Febr. 2015). 21 ACAS, Forschungsbericht: Why Pre-Claim Conciliation referrals become Employment Tribunal Claims (August 2012) http://www.acas.org.uk/ media/pdf/e/7/Why-Pre-Claim-Conciliation-referrals-become-Employment-Tribunal-claims-accessible-version.pdf. 22 Ebda. 23 Einschließlich Kündigungs- und Diskriminierungsverfahren (einfachere Fälle, wie bspw. nicht bezahlte Löhne kosten lediglich £ 160, zzgl. einer Prozessgebühr i.H.v. £ 230). 24 Daniel Boffrey, „Concern over „tax on justice“ for employees sparks coalition clash“ (The Guardian, 15. Febr. 2015), http://www.theguardian.com/ money/2015/feb/14/employment-tribunalsslump-fees-vince-cable (letzter Zugriff 15. Febr. 2015). GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN die Zahl an Verfahren im gleichen Zeitraum um mehr als 60 % sank.25 Eine zweite und wesentlich plausiblere Erklärung ist daher, dass die Erhebung von hohen Gebühren viele Arbeitnehmer, die die Summe von mehr als tausend Pfund nicht zahlen können oder wollen, davon abschreckt, Klagen zu erheben. Der kleine Prozentsatz an Fällen, welche von ACAS gelöst werden können, stellt eine Mischung aus den stärksten und schwächsten Ansprüchen dar, insofern als Arbeitgeber in diesen Situationen am ehesten versuchen, die Kosten für die Vorbereitung eines vollen Prozesses zu vermeiden. Dass der Rest der Fälle nicht mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg aufweist als zuvor, ist insofern nicht überraschend, als die Reformen nicht dazu dienen, Kläger mit neuem Wissen oder ei25 Ministry of Justice, „Tribunal and Gender Recognition Certificate Statistics Quarterly July to Sept. 2014“ (MoJ 11. Dec. 2014) p. 7 https:// www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/385759/tribunal-grcstatistics-quarterly-jul-sep-2014.pdf (letzter Zugriff 15. Febr. 2015). 26 Ebda. 27 Zu Alternativen in anderen Bereichen siehe z.B. Child And Families, Act 2014 s.10. nem Verständnis für die Erfolgsaussichten ihrer Ansprüche auszustatten. Die unvermeidliche Asymmetrie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurde durch die Einführung neuer Gebühren erheblich verstärkt. Die neuen Mechanismen zur Zwangsschlichtung verschärfen diese Waffenungleichheit weiter. Für einen skrupellose Arbeitgeber existiert nunmehr eine klare Strategie, Verhandlungen bei ACAS so lange wie möglich hinaus zu zögern, um die begrenzten finanziellen Ressourcen der Arbeitnehmer zu erschöpfen. Erste Anzeichen deuten in der Tat darauf hin, dass es vor allem die sozial schwächsten Kläger sind, welche überproportional von fairen Gerichtsprozessen abgehalten werden.26 Conclusio Es ist höchst fragwürdig, ob die Einführung von verpflichtenden außergerichtlichen Vermittlungsverfahren im englischen Arbeitsrecht als eine positive Reform gesehen werden kann. Während die Kosten der Employment Tribunals für die öffentlichen Finanzen sich etwas verringert haben, scheint es sehr wahrschein- lich, dass dies vor allem durch die Einführung von Gebühren beeinflusst wurde. Angesichts der potenziellen Erfolge von ADR ist dies bedauerlich. Die in diesem Artikel umrissene Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit im Laufe der letzten Jahre ist daher mehr als alles andere ein Mahnmal für das klare Versagen von schlecht entworfenen Mediationsmechanismen für alle Seiten. Wie die Erfahrungen in anderen Bereichen gezeigt haben, ist dies jedoch keine unvermeidliche Konsequenz;27 mit den bevorstehenden Wahlen im Mai 2015 besteht durchaus die Hoffnung auf baldige Verbesserungen. Dr. Ben Jones Retained Lecturer in Law, Pembroke College, University of Oxford. M.A., M.Phil (Cantab), D.Phil (Oxon) [email protected] Professor Jeremias Prassl Associate Professor of Law, Magdalen College and Faculty Law, and Research Fellow, Institute for European and Comparative Law, University of Oxford. M.A., M.St. D.Phil, (Oxon), L.L.M. (Harvard) [email protected] Andreas Freundorfer/Elvira Hauska Gerichtsnahe Mediation im Arbeitsrecht Die Praxis am Arbeits- und Sozialgericht Wien Die Vernetzung von Mediation und Gericht ist ein wesentlicher Baustein der institutionalisierten Konfliktbearbeitung. Dieser Beitrag fasst die Erkenntnisse eines bislang drei- Andreas Freundorfer jährigen Projekts gerichtsnaher Mediation am Arbeits- und Sozialgericht Wien zusammen. A. Vernetzung von Gericht und Mediation Seit der Zeit, in der sich Mediation als Beruf etablierte, gibt es Bestrebungen, Gerichte und Mediation miteinander zu ver1 Pramhofer, ZKM 2014, 79. netzen. Parteien bringen nur dann einen Konflikt vor Gericht, wenn sie selbst nicht mehr in der Lage sind, diesen allein zu lösen. Durch die Einbindung von Elvira Hauska Mediation in Gerichtsverfahren eröffnet sich den Beteiligten eine zusätzliche Wahlmöglichkeit. In geeigneten Fällen können sie dadurch ihren Konflikt mit Unterstützung von externen Mediatoren wieder selbst bearbeiten. Dieser Artikel beschreibt die Eckpunkte des Projekts gerichtsnahe Mediation am Arbeits- und Sozialgericht (ASG) Wien, in dem Richter gemeinsam mit Mediatoren seit 2011 an einer gezielten Vernetzung arbeiten. Die Projektinitiatoren konnten bereits bei der Anbahnung auf das Erfahrungswissen aus einem vergleichbaren Projekt des Vereins für gerichtsnahe Mediation VMG im Rahmen des Handelsgerichts Wien zurückgreifen.1 1. Das ASG Wien hat in Österreich eine Sonderstellung. Als einziges Gericht entscheidet es ausschließlich über strittige Verfahren in arbeits- und sozialrechtlichen Fällen im Bundesland Wien. Dies umfasst speziell folgende Rechtsstreitigkeiten: 2. Individualarbeitsrechtssachen, wie z. B. strittige Fragen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung 3. Betriebsverfassungsrechtliche Agenden, wie z.B. Streitigkeiten über den Inhalt und den Umfang der Mitwirkungsrechte der Belegschaft und deren Vertretung durch den Betriebsrat ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 39 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN 4. Sozialrechtsfälle, wie z.B. Klagen wegen Sozialversicherungs- und Pflegegeldleistungen. Im Jahr 2012 erledigten 42 Richterinnen und Richter des ASG 6.171 Arbeitsrechts- und 10.552 Sozialrechtsfälle. In vielen der anhängigen Fälle werden die Arbeitnehmer (meist als Kläger) durch die Arbeiterkammer bzw. Gewerkschaft vertreten oder erhalten Rechtsschutz durch diese Institutionen mit Beistellung eines Rechtsanwaltes. Die Projektgruppe der Mediatoren bestand 2014 aus folgenden Personen: Herbert Drexler, Elvira Hauska, Michael Kowarik, Stephan Proksch und Barbara Wurz. B. Auswahl und Typologie der Mediationsfälle In ersten Vorgesprächen zu dem Projekt stimmten die Mediatoren des Projektteams und die Richter des ASG Wien mögliche Falltypen ab, die sich für Mediation eignen können. Fälle aus dem Sozialrecht wurden dabei grundsätzlich ausgenommen, da hier beide Seiten kaum Anwendungsmöglichkeiten für die Mediation sahen. Im Bereich des Arbeitsrechts gab es einige Anwendungsfelder, die das Team der Mediatoren am Beginn des Projekts der Richterschaft im Zuge eines Kick-off Termins im November 2011 zur Diskussion stellte. Die wichtigsten Punkte dabei waren: k Gemeinsame Interessen über das Gerichtsverfahren hinaus, wie z.B. Erhaltung des Dienstverhältnisses Vielschichtiger Konflikt mit einer lank gen erwarteten Verfahrensdauer vor Gericht k Vermeidung eines Imageschadens für das Unternehmen In der Praxis der mittlerweile dreijährigen Projektzeit bis Ende 2014 schlugen 12 Richterinnen und Richter des ASG Wien in 24 Fällen Mediation vor. Dabei ist zu erwähnen, dass ein Richter drei Mal mehrere Gerichtsverfahren in einen Mediationsfall zusammenfasste. Einer dieser Fälle betraf die Auflösung eines Transportunternehmens. Hier einigten sich die Beteiligten in einem Mediationsverfahren, das 18 Gerichtsverfahren beendete.2 Aus den 24 Vorschlägen entstanden 16 Mediationen. In vier Fällen fanden die Parteien bereits in der Gerichtsverhandlung, in der über die Mediation beraten wurde, eine Lösung. Vier Mal lehnten die Parteien eine Mediation im Gerichtsverfahren ab, wobei in einem Fall nach dem abgeschlossenen Gerichtsverfahren eine Mediation stattfand, siehe Abbildung. 40 Fallstatistik ASG 2011-2014 16 Mediationsfälle 24 Vorschläge von Richtern 4EinigungderParteienbeider Vorstellung der Mediation oder unmittelbar danach 4 Verbleib am Gericht ohne Mediation In den meisten Fällen waren die Hauptargumente der Medianten für die Mediation eine rasche und kostengünstige Lösung bestehender Konflikte, sowie die Möglichkeit, alternative Themen in die Konfliktbearbeitung mit aufzunehmen. Wären die Verfahren weiterhin ausschließlich bei Gericht verhandelt worden, wäre ein rechtskräftiges und damit endgültiges Urteil in vielen Fällen erst in mehreren Jahren absehbar gewesen. Ein nicht zu unterschätzendes Argument im Arbeitsbereich ist die Zeugeneinvernahme. In mehreren Fällen wären in einem Gerichtsverfahren prominente Kunden als Zeugen vorgeladen worden. Dies hätte in diesen Situationen zu einem deutlichen Imageverlust des Unternehmens führen können. Die Mediationsfälle aus der Praxis lassen sich in vier unterschiedliche Falltypologien klassifizieren. I. Fälle mit Beteiligung von Betriebsräten Konflikte zwischen Arbeitgeber bzw. Führungskräften und Arbeitnehmervertretern in einem Unternehmen haben einen speziellen Stellenwert. Sie betreffen sowohl individuelle als auch kollektive Interessen. In vielen Fällen hängt auch die wirtschaftliche Situation eines Arbeitgebers von der Zusammenarbeitsfähigkeit mit seinen Betriebsräten ab. Dies ist vor allem in finanziell schwierigen Zeiten von großer Bedeutung, wenn es um die Planung und Umsetzung von gravierenden Veränderungen geht. Natürlich gibt es vielfältige rechtliche Bestimmungen. Dennoch kann eine gute Gesprächsbasis zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung nicht eingeklagt werden. In einem Mediationsverfahren können die Beteiligten dies durchaus als Ziel formulieren. Daher ist Mediation auch bei bereits gerichtsanhängigen Verfahren dieser Art immer eine sinnvolle Alternative. In vielen Fällen war hier auch die zuständige Gewerkschaft bereit, einen Kostenbeitrag für die Mediation zu übernehmen. Die konkreten gerichtsanhängigen Sachverhalte der Fälle dieses Typs waren sehr unterschiedlich. In zwei Fällen klag- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 ten Betriebsräte den Zugang zu relevanten Informationen im Personalbereich ein. In einem Fall war dies kombiniert mit einer zweiten Klage in Bezug auf die Umsetzung einer neuen kollektivvertraglichen Regelung einer Nachtdienstzulage.3 Ein Fall bestand aus mehreren Kündigungsanfechtungsklagen von unterschiedlichen Dienstnehmern4 und einmal bekämpfte der Betriebsrat eine Veränderung der Arbeitszeitregelung vor Gericht. Ein Mediationsverfahren in dem Bereich befasste sich mit den Konflikten von acht unterschiedlichen Gerichtsverfahren, die ihren Ausgang mit der Wahlanfechtung des neu konstituierten Betriebsrats durch die Geschäftsführung nahm. Eine Mediation beinhaltete Streitigkeiten zwischen unterschiedlichen Betriebsratsfraktionen. II. Fälle im Zuge von Beendigungen von Dienstverhältnissen Werden Dienstverhältnisse ohne Einvernehmen beendet, so treten hier Konflikte ans Tageslicht, die oft bereits lange vor einer Trennung aufgetreten sind. Im Zuge eines Gerichtsverfahrens werden diese zum Gegenstand des Prozesses. Die Klagen kamen in diesen Fällen immer vom Dienstnehmer. Sie bezogen sich beispielsweise auf die Anfechtung der Kündigung bzw. der Entlassung an sich, der Auszahlung von offenen Überstunden oder die Formulierung von Dienstzeugnissen. Auch Klagen hinsichtlich Mobbing bzw. sexueller Belästigung waren Sachverhalte in der Mediation. Die typische und oft auftretende Fallkonstellation der Entscheidung über den Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung wurde nie in ein Mediationsverfahren übergeleitet. III. Fälle durch unerwünschte Versetzungen von Dienstnehmern Die Klagen aufgrund von Veränderungen von Aufgaben- und Verantwortungsgebieten von Dienstnehmern eignen sich insofern gut für die Mediation, weil in diesen Fällen das Dienstverhältnis aufrecht bleibt. Sie kann Rahmenbedingungen klären, um für die Zukunft eine gute Basis der weiteren Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen. Auch in diesem Sachverhalt wird deutlich, dass die ungeliebte Versetzung 2 Proksch/Drexler, ZKM 2013, 159. 3 Hauska/Kaiser/Buchebner, Personal Manager 1/2015, http://www.elvira-hauska.at/downloads/ PersonalManager1_2015MediationversusRechtsprechung.pdf. 4 Hauska/Freundorfer, Österreichische Richterzeitung, 2014, 112. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN meist durch unterschiedliche Gründe verursacht wird, die in einer reinen Rechtsklärung nicht behandelt werden können. In der Mediation ist es auch möglich, neue akzeptierte Betätigungsfelder für den betroffenen Mitarbeiter zu suchen. In dem Fall kann eine gute Neueingliederung in den Betrieb erfolgen. IV. Streitigkeiten zwischen Unternehmen bzw. Gesellschaftsstreitigkeiten In ausgewählten Fällen ist das ASG Wien auch zuständig für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, wenn diese in Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis stehen. Dies kommt zum Beispiel vor, wenn ein angestellter Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung entlassen wird, der gleichzeitig Minderheitsgesellschafter ist. Die gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten können aber auch am Handelsgericht geführt werden, manchmal parallel zum Arbeitsrechtsprozess am ASG. Die komplexe Themenlage arbeitsrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Ansprüche und der damit korrespondierenden wirtschaftlichen Interessen macht in solchen Fällen eine Mediation besonders sinnvoll. C. Fallüberleitungen von Gericht in die Mediation und zurück In der Regel strebt zumindest eine Konfliktpartei das Gerichtsverfahren – und keine Mediation – an. Daher hängt der Erfolg, ob sich ein als geeignet erachteter Gerichtsfall in eine Mediation überführen lässt, auch von der Art der Anbahnung ab. I. Das Mediations-Informationsgespräch vor Gericht Ein erster Anhaltspunkt dafür, ob das gelingen kann, ist die Bereitschaft der Parteien zu einem Mediations-Informationsgespräch im Rahmen eines Gerichtstermins. In diesem Fall besteht eine grundsätzliche Offenheit der Parteien, die Methode der Mediation auch für ihren Konflikt zu nutzen. Mediatoren aus dem Projektteam stellen im Rahmen des Gerichtstermins je nach Bedarf das Mediationsverfahren an sich vor und stehen für konkrete Fragen zur Verfügung. Der Ablauf des Informationsgesprächs hat einen richtungsweisenden Charakter, ob sich die Konfliktparteien auf ein Mediationsver5 Hauska/Freundorfer, Österreichische Richterzeitung, 2014, 112. fahren einigen können. Im Jahr 2012 wollten in drei Fällen die Parteien auch nach dem Mediations-Informationsgespräch statt der Mediation das Gerichtsverfahren unmittelbar fortführen. 2014 hingegen entstand aus allen MediationsInformationsgesprächen bei Gericht auch ein Mediationsverfahren, außer die Parteien einigten sich bereits im Zuge dieser Vorgespräche und beendeten somit auch das Gerichtsverfahren. Die wichtigsten Lernerfahrungen aus diesen drei Jahren Projektarbeit am ASG Wien waren folgende: k Die zum Mediations-Informationsgespräch eingeladenen Mediatoren sind natürlich vor Gericht gefordert, auch ihre mediativen Kenntnisse direkt unter Beweis zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es ein Zeichen ihrer Professionalität, dass sie beim Auftreten inhaltlicher Streitgespräche eingreifen. Das Ziel des Erstgesprächs vor Gericht ist die Klärung, ob eine Mediation sinnvoll ist und nicht die Lösung des Ursprungskonflikts. Diesen Unterschied gilt es zu verdeutlichen. k Menschen, die im Zuge eines Gerichtstermins Informationen zur Mediation einholen, wollen im Zuge dessen klären, ob diese Methode auch für sie anwendbar ist. Üblicherweise will der Kläger, manchmal auch der Beklagte nach dem Termin noch Bedenkzeit dazu. Daher bewährte sich die Vorgehensweise von Vorgesprächen im Einzelsetting. Hier müssen sich die Parteien noch nicht vor Gericht darauf einigen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen eine Mediation stattfindet. Diese Fragen werden im Zuge von außergerichtlichen Einzelgesprächen diskutiert und entschieden. Die beschriebene Vorgehensweise hat zwei positive Effekte. Sie nimmt den unmittelbaren Entscheidungsdruck und verlegt ihn auf einen absehbaren Termin in der Zukunft. Außerdem versetzt es die Parteien in die Lage, dass sie sich um die Mediation bewerben müssen. Es ist ein wichtiger Punkt, in den Gesprächen darauf hinzuweisen, dass auch die Mediatoren im Zuge der Vorgespräche zur Meinung kommen können, dass sich eine Mediation im konkreten Fall nicht eignet. k Entgegen der weitläufigen Auffassung, dass ein Mediationsverfahren jedenfalls alle betroffenen Gerichtsverfahren unterbrechen muss, können im Einzelfall davon auch Ausnahmen gemacht werden. So können bestimmte Sachverhalte eines Falles weiterhin vor Gericht verhandelt werden, wohingegen andere in eine Mediation überführt werden. Auch wenn es kurzfristig angesetzte Gerichtstermine zu einem in der Mediation besprochen Sachverhalt gibt, kann eine Mediation sinnvoll sein. Es entsteht dadurch ein Einigungsdruck für die Medianten, um bis zu dem angesetzten Gerichtstermin einvernehmlich eine Lösung für ein Teilproblem zu finden. In diesem Fall kann um eine Verschiebung oder Stornierung des Gerichtstermins angesucht werden. Dies hat sich besonders in den Fällen von unmittelbarem Handlungsbedarf bewährt, wie beispielsweise der Einsichtnahme der Betriebsräte in personalrelevante Dokumente. II. ,Innehalten' des Gerichtsverfahrens Einigen sich die Parteien auf eine Mediation oder auf Vorgespräche zur Mediation, so hat dies üblicherweise auch Konsequenzen auf das Verfahren vor Gericht. Entsprechend der Zivilprozessordnung in Österreich gibt es dazu zwei verschiedene Möglichkeiten, das Ruhen des Verfahrens oder die Erstreckung auf unbestimmte Zeit.5 Während das Ruhen des Verfahrens eine Wiederaufnahme innerhalb der folgenden drei Monate ausschließt, kann bei der Erstreckung auf unbestimmte Zeit das Gerichtsverfahren jederzeit wieder aufgenommen werden. Die Art der Unterbrechung ist auch für die weitere Einbindung des Gerichts relevant. Beim Ruhen des Verfahrens liegt es allein in der Verantwortung der Parteien und deren Vertreter, wann und ob das Gerichtsverfahren weitergeführt wird. Bei der Erstreckung auf unbestimmte Zeit hat auch der Richter den Akt noch auf seiner Evidenzliste und ist daher daran interessiert, das Verfahren in einer gehörigen Zeit abzuschließen. Üblicherweise dauern gerichtsnahe Mediationsverfahren des ASG Wien zwischen zwei und vier Monaten. Dies liegt in der normalen Ausschreibungsfrist von Gerichtsterminen. Daher kommt es normalerweise auch zu keinen Verzögerungen, wenn die Mediation nicht bei allen Streitpunkten zu einer Einigung führt. Als sehr zweckmäßig hat sich die Gewohnheit erwiesen, bereits im Gerichtsprotokoll schriftlich festzuhalten, dass die Mediatoren das Datum des Beginns und der Beendigung der Mediation dem zuständigen Richter mitteilen dürfen. Dies ermöglicht es dem Richter, den Fortgang der Mediation unmittelbar zu verfolgen, um damit auch in seinem Bereich ehest möglich notwendige Schritte zu setzen. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 41 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Wie bereits oben beschrieben, kann es auch sinnvoll sein, Gerichtstermine trotz Mediation anzusetzen. Hybridverfahren ermöglichen die parallele Bearbeitung gerichtsanhängiger Konflikte. Rechtsorientierte Themen können weiterhin gerichtlich verhandelt werden, darüber hinaus gehende Konflikte während der Mediation. Verschiebungen bzw. Verzichte auf bestehende Gerichtstermine sind jedenfalls durch die bevollmächtigte Partei bzw. deren Rechtsvertretung vorzunehmen und den anderen Beteiligten – auch dem Mediationsteam – mitzuteilen. Die grundsätzliche Entscheidung zu einem Hybridverfahren, sowie die Art und Weise, wie weit gerichtliche Termine bzw. Verhandlungen mit der Mediation vereinbar sind, ist im Einvernehmen zu treffen. Auch eventuelle Änderungen dieser Vereinbarungen sind im Rahmen der Mediation zu klären. III. Nach dem Ende der Mediation Auch wenn die Mediation zu einer Einigung in allen Konfliktthemen führt, kann das gesamte Verfahren in einer gerichtlichen Tagsatzung finalisiert werden. Es wird dann ein gerichtlicher Vergleich über die erzielten Vereinbarungen abgeschlossen, die dadurch vollstreckbar werden. Vor allem bei komplexeren Vereinbarungen empfiehlt sich ein schriftlicher Vertrag, den die anwaltlichen Parteienvertreter aufbauend auf der Punktation der Mediation verfassen. Der Richter erhält in dem Fall eine Ruhensanzeige. Bleibt diese aus, kann der Richter einen Termin ausschreiben. Wenn dieser von den Parteien nicht besucht wird, dann tritt ebenfalls Ruhen ein und der Fall wird von der Evidenzliste des Richters entfernt. Gibt es nach dem Ende der Mediation noch offene Rechtsfragen, so können die Parteien das Gerichtsverfahren ohne weitere Formalitäten wieder aufnehmen. D. Zusammenfassung und Ausblick Das Projekt gerichtsnahe Mediation am ASG Wien ist ein Modell zur Vernetzung 42 von Gericht und Mediation. Rund ein Viertel der Richterschaft startete zumindest einen Versuch, einen gerichtsanhängigen Fall auch zur Mediation vorzuschlagen. Das Projekt umfasst allerdings nicht nur das Angebot einer Gruppe von Mediatoren, gratis für ein Erstgespräch im Rahmen von Gerichtsverhandlungen zur Verfügung zu stehen. Im Laufe der drei Jahre fanden unterschiedliche Aktivitäten zum wechselseitigen Kennenlernen statt. Dabei stand der Informationsfluss im Vordergrund. Einerseits war es den Mediatoren wichtig, Vorbehalte und Bedenken der Richterschaft kennen zu lernen. Dadurch konnten die Aktivitäten konkreten Erfordernissen angepasst werden. Durch die persönlichen Kontakte ergab sich nicht nur ein zusätzliches Wissen der Richter über Mediation und deren Einsetzbarkeit. Es entstand auch in mehreren Fällen ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Richtern und Mediatoren. Diese Basis ist eine wesentliche Komponente für die Zusammenarbeit. Anhand der 16 Mediationsfälle lassen sich einige Erfolgsfaktoren für die gerichtsnahe Mediation im Arbeitskontext ableiten: k Die Art der Übergabe durch das Ge- richt hat einen deutlichen Einfluss auf das Geschehen in der Mediation. Kann der Richter oder die Richterin eine diesbezügliche Empfehlung gut begründen, ist auch das Mediationsverfahren erfolgsversprechender. Die Parteien wählen in diesem Fall die Option Mediation bewusst, weil sie sich einen realen Vorteil davon versprechen. k Weichen die konkreten bearbeitbaren Themen und Ziele der Parteien in der Mediation wenig bis gar nicht von den zu klärenden Rechtsfragen ab, so ist es meist besser, diese Frage weiterhin vor Gericht zu klären. Vor allem dann, wenn die gemeinsame Formulierung allgemeiner Ziele, wie beispielsweise die Verbesserung des Gesprächsklimas, möglich ist, dann gibt es weitaus größere Chancen einer Einigung im Zuge einer Mediation. Daher empfiehlt ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 sich für Mediatoren, die in diesem Arbeitsfeld tätig sind, die Parteien dabei zu unterstützen. k Je nach Fallkonstellation kann es auch sinnvoll sein, Mediation- und Gerichtsverfahren parallel in einem Hybridverfahren aufzusetzen. So kann sukzessive an die Mediation herangeführt werden, ohne dass die Parteien auf die Vorteile des Gerichtsverfahrens verzichten müssen. Dies erleichtert den Parteien den Einstieg in die Mediation und sichert eine zügige Abwicklung. Die Erfahrungen aus dem ASG Wien Projekt zeigen, dass es durchaus abgrenzbare Einsatzbereiche für die Mediation im Arbeitsrecht gibt. Es erfordert jedoch noch deutlich mehr Bewusstseinsarbeit, um als echte Alternative zum Gerichtsverfahren Anerkennung zu finden. Daher plant das Projektteam in Zukunft eine weitere Vernetzung mit Interessensvertretern. Dennoch erreichte das Projekt anhand der drei Jahre Fallarbeit im Arbeitsrecht bereits eine namhafte Zahl an Experten. So sind nicht nur die Medianden und Richter sensibilisiert, sondern auch die facheinschlägigen Rechtsanwälte und die Laienrichter, die bei jedem Gerichtsverfahren am ASG Wien beigezogen werden. Welche Effekte das für eine weitere Verbreitung der Mediation hat, kann jetzt noch nicht eingeschätzt werden. Dennoch kristallisiert sich ein Themenspektrum heraus. Vor allem dann, wenn die Klärung einer Rechtsfrage nicht zur Beilegung des ursprünglichen Konflikts führt, ist Mediation eine sinnvolle Ergänzung. Mag. Andreas Freundorfer Richter am ASG Wien [email protected] Dr. Elvira Hauska KonfliktManagement, Schwerpunkte: Evaluierung, Mediation und Coaching, Baden bei Wien [email protected] GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Nils Pelzer Verbraucherschutz durch Schlichtung? „Berücksichtigung des geltenden Rechts“ nach dem geplanten Verbraucherstreitbeilegungsgesetz Seit Anfang November 2014 liegt der Referentenentwurf für ein geplantes Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG-E) vor. Mit diesem will der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie über Alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (AS-RL) umsetzen – die Frist dafür läuft bis zum 9. Juli 2015. Wie von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie gefordert, sieht der Entwurf die flächendeckende Gewährleistung von Verbraucherschlichtungsstellen vor, welche bestimmten Qualitätsanforderungen genügen müssen. Inwiefern diese verpflichtet sind, sich an materielles Verbraucherschutzrecht zu halten, untersucht der vorliegende Beitrag. A. Einführung in die Problematik Ein Hauptthema der – langsam aufkeimenden1 – Diskussion um die Richtlinie2 war bisher, inwieweit diese allgemeine Einführung von Schlichtungsstellen zwingendem Verbraucherrecht zur tatsächlichen Durchsetzung verhelfen kann. Bisher hat man die drohende Einbuße an Verbraucherschutzstandards vielerorts beklagt,3 allerdings nur selten konstruktive Umsetzungsvorschläge erörtert.4 Es stellt sich nun aber vorrangig die Frage, wie man vorhandene Spielräume der Richtlinie so gut wie möglich nutzt. Art. 2 Abs. 3 S. 2 AS-RL lässt die Einführung höherer Standards und damit eine sog. überschießende Umsetzung ausdrücklich zu. 1 Die juristische Öffentlichkeit hat die Problematik erst spät wahrgenommen, s. Hess in Dethloff et al. (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, Frankfurt/M. 2013, 25 (43 f.); vgl. a. Hayungs, ZKM 2013, 86 (90); Deutlmoser/Engel, MMR 2012, 433 f.; sowie neuerdings M. Stürner/Gascón Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, München 2015. 2 RL 2013/11/EU. 3 Roth, JZ 2013, 637 (643); Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 (35); Rühl, RIW 2013, 737; Wagner, CMLR 2014, 165 (179, 188, 194). 4 Soweit ersichtlich nur bei Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, BadenBaden 2014, S. 333; s.a. Hayungs, ZKM 2013, 86 (90). 5 Online verfügbar unter http://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/E% 20zum%20Verbraucherstreitbeilegungsgesetz.pdf, Der Referentenentwurf5 trifft dabei eine grundlegende Weichenstellung: Er lässt nämlich keine Verfahren zu, die mit einer Entscheidung enden, die für Nils Pelzer den Verbraucher bindend ist (§ 4 Abs. 2 VSBG-E).6 Dies ist zu begrüßen, da man andernfalls in der Tat eine befürchtete Justiz zweiter Klasse schaffen würde.7 Das Leitbild des VSBG-E ist vielmehr das eines schriftlichen8 Schlichtungsverfahrens, das mit einem Lösungsvorschlag endet.9 Ombudsmannverfahren, in denen sich der Unternehmer (bis zu einem bestimmten, vorher festgelegten Streitwert) im Vorhinein dem Schlichterspruch unterwirft, sind ebenfalls umfasst.10 Dies hat auf der anderen Seite zur Konsequenz, dass das in Art. 11 Abs. 1 AS-RL statuierte Prinzip der „Rechtmäßigkeit“ nicht anwendbar ist: Es gilt nur für Verfahren, in denen dem Verbraucher eine Lösung „auferlegt“ wird. In diesem Fall sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Verbraucher nicht den Schutz verliert, den ihm zwingendes Verbraucherschutzrecht gewährt. Stand: 11.11.2014. Dazu bereits Lemmel, ZKM 2015, 22 ff. sowie Berlin, ZKM 2015, 26 ff. 6 Vgl. ErwG 21 sowie Art. 2 Abs. 1 AS-RL. 7 Ähnlich auch Hirsch, NJW 2013, 2088 (2092); Berlin, ZKM 2013, 108 (111). 8 Dazu kritisch R. Stürner, ZZP 127 (2014), 271, 320 f. 9 Dies ist allerdings nicht zwingend, vgl. VSBG-E S. 63. 10 Vgl. § 17 Abs. 4 VSBG-E sowie Art. 9 Abs. 3, 10 Abs. 2 S. 2 und ErwG 49 AS-RL. Ob man in diesem Fall noch von Schlichtungsverfahren sprechen kann, ist allerdings zweifelhaft. Die Rechtsnatur einseitig bindender Ombudsmannverfahren diskutiert Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, Frankfurt/M. et al. 2011, S. 196 ff.; vgl. auch Greger/Stubbe, Schiedsgutachten, München 2007, Rn. 286 ff.; kritisch R. Stürner, ZZP 127 (2014), 271 (320): „Gefahr eines institutionalisierten rechtlichen Lockvogelangebots“. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten erscheint eine gesetzliche Normierung wünschenswert. Klar ist aber, dass auch von rechtlich unverbindlichen Lösungsvorschlägen11 eine faktische Bindungswirkung ausgehen kann,12 auch wenn die Annahme sowohl für den Verbraucher als auch den Unternehmer freiwillig ist. Dem mag man entgegensetzen, dass das Verbraucherschutzniveau bereits dann erhöht werden würde, wenn Streitigkeiten, bei denen der Verbraucher bislang aus verschiedenen Gründen untätig geblieben war, nun durch einen Kompromiss vor der Schlichtungsstelle gelöst würden.13 Andererseits könnten – einfach ausgedrückt – Verbraucher verstärkt Schlichtungsstellen anstatt der Gerichte anrufen. Kompromissvorschläge, die in einem auf Prinzipien statt Rechtsvorschriften basierenden Verfahren zustande gekommen und auf Billigkeitserwägungen gestützt sind, drohen dann durch falsche Anreizsetzung den Verbraucherschutzstandard zu verwässern. B. Die Lösung des VSBG-E Rechtspolitisch erscheint es deshalb wünschenswert, dass auch bloße Schlichtungsempfehlungen, die den Verbraucher nicht binden, sich maßgeblich an rechtlichen Kriterien zu orientieren haben. Diesen Gedanken aufgreifend und im Einklang mit Schlichtungsordnungen bereits bestehender Verbraucherschlichtungs- 11 Nach der Richtlinie ist auch eine „echte“ Mediation in Verbrauchersachen möglich, vgl. Art. 2 Abs. 1. Allerdings sind Verbrauchermediationsverfahren typischerweise Massenverfahren, bei denen sich eine interessenbasierte Mediation i.d.R. nicht anbietet, s. Hess, ZZP 118 (2005), 427, 442. Dagegen führen Beschwerdestellen regelmäßig reine Vermittlungstätigkeiten durch. Hierbei wird man keine Verpflichtung der Schlichtungsstelle annehmen können, einen ohne ihr weiteres Zutun allein zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Die Verantwortung liegt in diesem Fall allein bei den Parteien, so auch Berlin, s. Fn. 4, S. 333. 12 So zu Recht bereits Nicklisch in FS Bülow, 1981, 159, 176. Dies ist auch ein Hauptgrund dafür, weshalb prozessuale Mindestgarantien für Verbrauchermediationsverfahren existieren, dazu Hess, ZZP 118 (2005), 427 (443). 13 Vgl. Hayungs, ZKM 2013, 86 (90); ähnlich Deutlmoser/Engel, MMR 2012, 433 (438). ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 43 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN stellen14 sieht der VSBG-E in § 17 Abs. 1 nun folgende Vorschrift vor: Hat der Streitmittler nach der Verfahrensordnung den Parteien einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit (Schlichtungsvorschlag) zu unterbreiten, so beruht dieser auf der sich aus dem Streitbeilegungsverfahren ergebenden Sachlage und berücksichtigt das geltende Recht. Der Schlichtungsvorschlag ist mit einer Begründung zu versehen. Allerdings muss die Schlichtungsstelle die Parteien sogar zweimal darüber informieren, dass ein Schlichtungsvergleich „von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann“: zum einen „vor der Durchführung des Streitbeilegungsverfahrens“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 VSBG-E), zum anderen „mit Übermittlung des Schlichtungsvorschlags“ (§ 17 Abs. 3 S. 1 a.E. VSBG-E). Dies scheint auf den ersten Blick widersprüchlich: Zum einen ist der Schlichter nicht im gleichen Maße rechtlich gebunden wie ein Gericht, zum anderen ist er jedoch „verpflichtet, seinen Vorschlag am geltenden Recht auszurichten und dabei insbesondere zwingende Vorschriften des vertraglichen Verbraucherschutzes zu berücksichtigen.“15 Fraglich ist hierbei vor allem, was „berücksichtigen“ bzw. „ausrichten“ bedeutet und inwieweit der Vorschrift damit ein positiver (und letztlich justiziabler) Regelungsgehalt zukäme, damit sie nicht zum bloßen Programmsatz verkommt. C. Wirksamkeit eines Vergleichs Es ist davon auszugehen, dass eine Schlichtungsstelle nur solche Einigungsvorschläge unterbreiten darf, die zu einem rechtswirksamen Vergleich zwischen Unternehmer und Verbraucher führen können. Zunächst ist daher zu klären, ob ein auf Grundlage der Schlichtungsempfehlung abgeschlossener Vergleich (§ 779 BGB),16 der von zwingendem Verbraucherschutzrecht abweicht, überhaupt wirksam ist. Diese logische Vorfrage ist unabhängig davon zu beantworten, ob eine Schlichtungsaktivität der Beschwerdestelle vorliegt. Im Anschluss daran ist zu klären, welche Möglichkeiten bestehen, eventuelle Pflichten der Schlichtungsstellen durchzusetzen. Zur Erläuterung sollen folgende zwei Beispielsfälle dienen: 1. Verbraucher V kauft bei Onlinehändler U einen Eierkocher. Zwölf Tage nach Erhalt des Geräts erklärt V den Widerruf des Kaufvertrages und sendet es zurück. U weigert sich, den Kaufpreis zurückzuzahlen 44 mit der Begründung, der Widerruf sei erst nach 15 Tagen bei ihm eingegangen. V schaltet die zuständige Schlichtungsstelle ein. Diese schlägt vor, dass V statt des Kaufpreises einen Warengutschein bei U in gleicher Höhe erhalten solle. U und V sind einverstanden. Am nächsten Tag bereut V sein Einverständnis. 2. Wie oben. Allerdings behauptet U statt einer angeblichen Verfristung nun, V habe den Eierkocher schon in Gebrauch genommen und schulde deshalb Wertersatz. V erklärt gegenüber der Schlichtungsstelle, er habe ihn lediglich auf seine Funktionsfähigkeit überprüft. Die Schlichtungsstelle kann den Sachverhalt nicht weiter aufklären. Sie schlägt deshalb wieder vor, dass U dem V einen Warengutschein in Höhe des Kaufpreises zukommen lasse. Beide sind einverstanden; am nächsten Tag reut V seine Zustimmung. I. Verbrauchsgüterkaufverträge Für Verbrauchsgüterkaufverträge regelt § 475 Abs. 1 S. 1 BGB, dass lediglich „vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer“ ein Abweichen von zwingenden Vorschriften unzulässig ist. Nach der Mitteilung – also in den hier relevanten Fällen – kann der Verbraucher durch Vergleich auf seine Rechte verzichten,17 sich bspw. auf eine Preisminderung beim Kauf einer anderen Sache einlassen.18 Der Verbraucher ist nicht verpflichtet, seine bestehenden Rechte auch geltend zu machen.19 Dem liegt, so wird vertreten, sogar die Grundauffassung des europäischen Verbraucherschutzrechts zugrunde, nach welcher die Parteien ihr Rechtsverhältnis frei gestalten dürfen, wenn beide Seiten die Konsequenzen ihrer Entscheidung absehen können.20 II. Verbraucherverträge i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB Für Verbraucherverträge sieht nunmehr § 312k Abs. 1 BGB21 vor, dass von gewissen zwingenden Vorschriften – wie z.B. dem Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen – nicht zum Nachteil des Verbraucher abgewichen und dies auch nicht durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden darf. Ähnliche Vorschriften existieren in §§ 487 und 511 BGB. Hier wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines abweichenden Vergleichs unterschiedlich beurteilt. Mit dem Argument des Effektivitätsgrundsatzes des Unionsrechts lässt sich vertreten, halbzwingendes Verbraucherrecht sei auch nach Entstehen einer Streitigkeit nie disponibel;22 es fehle schlicht ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 an der Verfügungsbefugnis.23 Abweichungen von zwingendem Recht sind damit nicht möglich. In Fall 1 ist die Rechtslage klar. Da zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerrufs genügt (§ 355 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB), kommt es auf die Zeit des Zugangs nicht an. Gemäß § 357 Abs. 1, 3 S. 1 BGB muss U den Kaufpreis zurückgewähren. Ein Warengutschein stellt V insoweit rechtlich schlechter als die gesetzliche Regelung, obwohl er für V wirtschaftlich genauso viel wert sein könnte. Auch in Fall 2 ist der Vergleich nach dieser Ansicht wohl unwirksam, da von der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge abgewichen wird. Allerdings ist diese Lösung nicht unbedingt vorteilhaft für V: Stellt sich in einem anschließenden Gerichtsverfahren heraus, dass dieser tatsächlich Wertersatz schuldete, so steht er bei korrekter Rechtsanwendung schlechter als durch den Vergleich. Außerdem 14 Vgl. bspw. § 9 Verfahrensordnung (VerfO) des Ombudsmanns für Versicherungen; § 6 Abs. 1 S. 2 VerfO der Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr; § 4.1 S. 2 Schlichtungsordnung des Online-Schlichters; siehe dazu Berlin, s. Fn. 4, S. 239 (253, 265). Weiterhin etwa Nr. 4 Abs. 4 S. 3 f. VerfO des Ombudsmanns der privaten Banken, http://bankenverband.de/publikationen/ods/ ombudsmann-verfahrensordnung/ombudsmann-verfahrensordnung/download; Nr. III Abs. 4 S. 1 VerfO des Ombudsmanns des Verbands öffentlicher Banken, http://www.voeb.de/download/verfahrensordnung-2013 oder § 9 VerfO der Nahverkehr Schlichtungsstelle Niedersachsen und Bremen (Nahverkehr SNUB), http://www.nahverkehr-snub. de/fileadmin/snub/downloads/pdf/Verfahrensordnung.pdf. 15 VSBG-E S. 63, vgl. auch § 14 Abs. 2 S. 3 UKlaG i.d.F. des VSBG-E: „[Die Schlichter] sollen [!] ihre Schlichtungsvorschläge am geltenden Recht ausrichten und sie sollen insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachten“. 16 Im Einzelfall kann es sich auch um einen Erlassvertrag (§ 397 BGB), ein abstraktes Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) o.ä. handeln – die rechtliche Problematik ist allerdings gleichartig. 17 S. nur BT-Drucks. 14/6040, S. 244; Magnus in Grabitz/Hilf/EU-Recht, 2007, Art. 7 VerbrGKRL Rz. 5; Lorenz in MünchKomm/BGB, 2012, § 475 BGB Rn. 11; a.A. wohl Habersack in MünchKomm/BGB, 2013, § 779 BGB Rn. 11. 18 Stijns/Van Gerven in Grundmann/Bianca/EUKaufrechts-Richtlinie, 2002, Art. 7 Rz. 16. 19 Ebd. Magnus in Grabitz/Hilf/EU-Recht, 2007, Art. 7 VerbrGKRL Rz. 5. 20 Magnus ebd. 21 Seit 13.6.2014, vgl. BGBl. I S. 3642. Ursprünglich durch SMG in § 312 f BGB geregelt; ab 4.8.2009 in § 312g BGB; ab 4.8.2011 dann in § 312i BGB. 22 A. Staudinger, Der Prozessvergleich und andere Formen konsensualer Streitbeilegung (unveröffentlichte Habilitationsschrift Münster 2004), S. 103, zitiert nach Ewert, Grenzüberschreitende Mediation in Zivil- und Handelssachen, Jena 2012, S. 99, welcher sich dieser Meinung anschließt. 23 Marburger in Staudinger/BGB, 2009, § 779 BGB Rz. 5. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN kann diese Lösung den Zweck des Vergleichs, Unsicherheiten zu beseitigen, nicht gewährleisten. Aus diesem Grund will ein bedeutender Teil des Schrifttums eine Ausnahme für rechtlich oder tatsächlich unklare Sachverhalte machen.24 In diesen Fällen dürften Verbraucher und Unternehmer von zwingenden Verbraucherschutzvorschriften abweichen. Danach wäre der Vergleich in Fall 2 wirksam, in Fall 1 nicht. Ein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn man eine Rückausnahme für Fälle macht, in denen der Unternehmer die objektive Beweislast trifft.25 Allerdings ist dieses Kriterium ungeeignet, wenn die Unklarheit gerade darin besteht, ob der Unternehmer den Beweis führen kann. Aber es überzeugt ebenso wenig, deshalb ein Angemessenheitskriterium einzuführen:26 Zum einen findet dies keine Stütze im Gesetz; zum anderen führte es zu beträchtlicher Rechtsunsicherheit, da man ohne Not einen unbestimmten Rechtsbegriff einführen und die Beurteilung der Wirksamkeit des Vergleichs in das richterliche Ermessen stellen würde. Bei den beiden Beispielsfällen wäre das Ergebnis unklar. Das eigentliche Problem bei den genannte Lösungen ist jeweils, dass sie den Verbraucher nicht selbst entscheiden lassen, ob er den Aufwand eines Mahn- und Gerichtsverfahrens (zeitliche, emotionale und zunächst auch monetäre Ärgerlich24 Roth, JZ 2013, 637 (643); Sprau in Palandt/ BGB, 2015, § 779 BGB Rz. 6. 25 So Wendehorst in MünchKomm/BGB, 2012, § 312i BGB Rz. 11; Habersack in MünchKomm/ BGB, 2013, § 779 BGB Rz. 11. 26 Stadler in Jauernig/BGB, 2014, § 312i Rz. 2; ähnlich Grüneberg in Palandt/BGB, 2015, § 312k BGB Rz. 2. 27 Vgl. Müller-Glöge in MünchKomm/BGB, 2012, § 12 EFZG Rz. 7. 28 So auch Thüsing in Staudinger/BGB, 2013, § 312i Rz. 12. Vgl. auch OLG Karlsruhe v. 25.4.2006 – 17 U 213/05, WM 2007, 590 und OLG Brandenburg v. 30.9.2009 – 3 U 137/08, WM 2010, 115. 29 Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, Tübingen 2013, S. 341 ff., schlägt vor, dem Verbraucher ein Widerrufsrecht einzuräumen. Dies ist in einem typischerweise verschriftlichen Verbraucherschlichtungsverfahren allerdings wenig hilfreich – der Verbraucher kommt hier ohnehin in den Genuss einer „cooling-off period“. 30 So auch Berlin, s. Fn. 4, S. 333. 31 VO (EU) 1215/2012. 32 Vgl. VSBG-E S. 63: Der Schlichter muss das „geltende Recht“ in grenzüberschreitenden Fällen „grundsätzlich“ nach deutschem IPR bestimmen. 33 So auch Berlin, s. Fn. 4, S. 334. Zur Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) siehe Wendehorst, NJW 2014, 577 ff. 34 Hierzu Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, Heidelberg 2010, § 10 Rn. 110 ff. 35 Berlin, s. Fn. 4, S. 333 f. keiten) auf sich nehmen will oder diesen Aufwand nicht „eintauscht“ gegen etwas, das für ihn ggf. ohnehin den gleichen wirtschaftlichen Wert hat. Außerdem würde es zu einem Wertungswiderspruch führen, weil der Verbraucher es ja auch unterlassen könnte, seine Rechte geltend zu machen.27 Es sprechen daher die besseren Gründe dafür, § 312k BGB auf den nachträglichen Rechtsverzicht durch Vergleich nicht anzuwenden.28 Es würde dem Ideal eines aufgeklärten Verbrauchers zuwiderlaufen, diesen nach Fälligkeit eines (ihm bekannten) Anspruchs weiter zu bevormunden. Für krasse Fälle, etwa wenn der Vergleich dem Verbraucher nur einen minimalen Betrag zubilligen würde, gilt überdies ohnehin § 138 BGB. Daher bleibt festzuhalten: Verbraucher und Unternehmer können bei einem Vergleich nach Streitentstehung von verbraucherschützenden Vorschriften abweichen. Ein solcher Vergleich ist grundsätzlich wirksam.29 D. Pflichten der Schlichtungsstelle Damit ist indes noch nichts darüber ausgesagt, welche unverbindlichen Vergleichsvorschläge die Schlichtungsstelle machen darf. Es bedarf somit der Klärung, wie sich die Verpflichtung zur Berücksichtigung von Rechtsvorschriften nach § 17 Abs. 1 S. 1 VSBG-E konkretisieren lässt. I. Konkretisierung der Berücksichtigungspflicht Im Grundsatz sollte gelten, dass Schlichtungsstellen verpflichtet (und nicht nur unverbindlich dazu angehalten) sind, zwingendes Recht bei ihren Lösungsvorschlägen anzuwenden, ergänzend aber auch Billigkeitsgesichtspunkte heranziehen können.30 Dies ist zum einen notwendig, da Schlichtungsstellen oftmals keine vollständige Sachverhaltsaufklärung betreiben können. Zum anderen darf die Stoßrichtung der AS-RL, flexible Streitbeilegungsinstrumente zu schaffen, nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Gleichwohl ist eine überschießende Umsetzung der Richtlinie insoweit möglich und wünschenswert. Konkret sollte die Berücksichtigungspflicht die Verpflichtung der Schlichtungsstelle beinhalten, ihren Lösungsvorschlag einem Günstigkeitsvergleich zu unterziehen. Maßstab dieses Günstigkeitsvergleichs sollte die gerichtliche Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs sein. Dabei sollten Rechts-, Tatsachen- und Beweislage berücksichtigt werden. Bei Ombudsmann-Verfahren, die einseitig den Unternehmer binden, sollte die Schlichtungsstelle darüber hinaus die Tatsache berücksichtigen müssen, dass die Zustimmung des Unternehmers nicht erforderlich ist. Aufwand und Risiken eines möglichen Gerichtsverfahrens für den Verbraucher sind also nicht einzukalkulieren. Bei klarer Sach- und Rechtslage sollte der Ombudsmann deshalb nicht von der gesetzlichen Lösung abweichen dürfen. In Fall 1 wäre der Lösungsvorschlag mit dem Warengutschein deshalb unzulässig, in Fall 2 dagegen zulässig. II. Sonderproblem Auslandsbezug Problematisch ist diese Lösung allein in Fällen mit Auslandsbezug. Die Zuständigkeitsordnung der AS-RL ist im Grundsatz darauf angelegt, dass Streitigkeiten in dem Mitgliedstaat geschlichtet werden, in dem der Unternehmer niedergelassen ist, Art. 5 Abs. 1 AS-RL. Dies kehrt die Regelung des Art. 18 Abs. 1 EuGVO n.F.31 um, nach dem der Verbraucher die Möglichkeit hat, am Gericht seines eigenen Wohnsitzes Klage zu erheben. Das System der AS-RL hat zur Folge, dass die Schlichtungsstellen in vielen Fällen mit Auslandsberührung (vgl. Art. 6 Rom I-VO) ausländisches Recht für den Günstigkeitsvergleich heranziehen müssten.32 Der Aufwand zur Feststellung ausländischen Rechts wird jedoch oftmals außer Verhältnis zum Streitwert stehen; dem Ideal eines schnellen und kostengünstigen Verfahrens wird dies nicht gerecht. Das Problem wird allerdings dadurch abgemildert, dass in vielen Bereichen des Verbraucherschutzrechts bereits Vollharmonisierung herrscht.33 Außerdem wurde vorgeschlagen, Ressourcen des EVZ-Netzes34 zu nutzen oder den Verbraucher ihm günstige Rechtsvorschriften selbst beibringen zu lassen.35 Dies vermag nicht vollständig zu befriedigen, aber eine ideale Lösung gibt es nicht. Da das deutsche Rechtssystem im weltweiten Vergleich ein hohes Verbraucherschutzniveau bietet, mag man sich damit begnügen, im Zweifel deutsches Recht als Richtschnur heranzuziehen, wenn ausländisches Recht nicht leicht zu ermitteln ist. Es sollte der Schlichtungsstelle überlassen bleiben, diese Frage in ihre Billigkeitserwägungen mit einzubeziehen. Allerdings sollte es den Schlichtungsstellen verwehrt sein, Auslandsfälle einfach mit der Begründung abzulehnen, das ausländische Recht „nur mit unangemessenem Aufwand klären“ ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 45 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN zu können (so § 13 Abs. 2 Nr. 5 lit. b VSBG-E). Denn es ist gerade ein Grundanliegen der AS-RL, grenzüberschreitende Verbrauchergeschäfte zu erleichtern und so den Binnenmarkt zu stärken.36 III. Durchsetzbarkeit Problematisch ist damit allein, wie die Pflicht der Schlichtungsstelle, zwingendes Recht zu berücksichtigen, durchgesetzt werden kann, damit sie nicht nur auf dem Papier besteht. Andernfalls handelte es sich lediglich um soft law, das als solches von seiner Wirkung her beschränkt wäre. Als Folge einer Pflichtverletzung ist ein Schadensersatzanspruch des Verbrauchers gegen die Schlichtungsstelle nach § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 278 und ggf. § 241 Abs. 2 BGB)37 aus einem dreiseitigen Schlichtungsvertrag denkbar. Rechtsfolge dieses Anspruchs wäre, dass die Schlichtungsstelle den Verbraucher so stellen müsste, als hätte er den für ihn nachteiligen Vergleich nicht abgeschlossen.38 Diese Überlegung ist nicht neu: Bereits im Jahre 1935 warnte das „Handbuch des Schiedsmanns“ vor einer Regresspflicht und mahnte zu besonderer Vorsicht bei Vergleichsvorschlägen in der Sühneverhandlung.39 Allerdings darf ein Gericht nicht einfach seine Billigkeitsmaßstäbe an die Stelle des Günstigkeitsvergleichs der Schlichtungsstelle setzen. Insofern muss der Schlichtungsstelle ein weiter Beurteilungsspielraum verbleiben, um ihrer Funktion gerecht zu werden. Dazu bietet sich die Heranziehung verwaltungsrechtlicher Grundsätze an. Nur bei einem „Beurteilungsfehler“, also beispielsweise bei sachfremden Erwägungen, fehlerhafter rechtlicher Erwägungen oder dem Zugrundelegen eines evident unrichtigen Sachverhalts, lässt sich ein Anspruch bejahen. Daran könnte auch der oben bereits erwähnte obligatorische Hinweis in Schlichtungsvorschlägen nichts ändern, dass der Vorschlag möglicherweise nicht mit dem Ergebnis eines Gerichtsverfahrens übereinstimmt (Art. 9 Abs. 2 lit. b sublit. iii AS-RL). Denn dieser Hinweis bedeutet nicht, dass die Schlichtungsstelle keine weitergehenden Prüfungs- und Hinweispflichten hat. Ist eine Schlichtungsempfehlung juristisch begründet (vgl. § 17 Abs. 1 S. 2 VSGB-E) und bedient sich diese Begründung womöglich sogar des Urteilsstils,40 werden die Parteien häufig auf die Richtigkeit der Begründung vertrauen. Eine weitere Haftungserleichterung – etwa eine analoge Anwendung des Spruchrichterprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB) oder der gerichtlichen Sachverständigen46 haftung (§ 839a BGB) – wäre vor dem Hintergrund des weiten Beurteilungsspielraums des Schlichters nicht angemessen. Die persönliche Haftung des Streitmittlers (§ 5 VSBG-E) ist mangels eigener vertraglicher Beziehung zu den Konfliktparteien ohnehin auf die Fälle des § 826 BGB beschränkt. Die Kausalität hingegen ist im Vergleich zur Mediation41 weniger problematisch: Die Begründung des Schlichtungsvorschlags ist in der Regel (auch) kausal für den Vergleichsabschluss. Obwohl der Vorschlag gerade nicht bindend ist, werden ihn die Parteien doch häufig gerade wegen seiner Begründung durch die Schlichtungsstelle annehmen. Eine zweite Schiene der Durchsetzung der Pflicht der Schlichtungsstelle zur grundsätzlichen Rechtsbindung besteht in der Überwachung durch die zuständigen Behörden nach Art. 18–20 AS-RL (vgl. §§ 22–25 VSBG-E). Diese könnten eine Beschwerdestelle einrichten, die möglichen Verstößen nachginge, die Schlichtungsstelle abmahnen und letztlich aus der Liste der akkreditierten Streitbeilegungsstellen streichen könnten, Art. 20 Abs. 2 UAbs. 3 S. 1, 2 AS-RL42 (vgl. § 24 VSBG-E). Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie erlaubt dies gerade auch für Kriterien, die im Einklang mit dem Unionsrecht über die Anforderung der Richtlinie hinausgehen. Ob sich dieser Mechanismus in der Praxis stets als effektiv herausstellen wird, kann letztlich dahingestellt bleiben: Wichtiger erscheint vielmehr, ein Bewusstsein für Kontrollmöglichkeiten zu schaffen, welches in der Konsequenz auch das Vertrauen der Verbraucher in die Schlichtungsstellen stärkt. ge Überwachungsbehörde die Akkreditierung der Schlichtungsstelle widerrufen. § 17 Abs. 1 VSBG-E ist hierbei ein begrüßenswerter Ansatz. Es bedarf jedoch der Klarstellung, dass es sich um eine echte Pflicht handelt; um Unklarheiten zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber auch Konsequenzen bei Verletzungen dieser Pflicht explizit statuieren. Konsequenz dieser Feststellung ist schließlich aber auch, dass die Ausbildungsanforderungen an die Streitmittler überdacht werden sollten. Wünschenswert wäre eine Regelung, dass in einer Schlichtungsstelle zumindest ein Volljurist die Letztverantwortung trägt.43 Bestehende Regelungen für einzelne Branchen ließen sich hier allgemein ausweiten.44 Die Besorgnis vor einem Streitbeilegungssystem zweiter Klasse sollte man nicht leichtfertig von der Hand weisen. Es wäre fatal, Unternehmern und Verbrauchern gleichermaßen zu signalisieren, dass der Staat keine volle Durchsetzung zwingenden Verbraucherrechts erreichen will. Die staatliche Einrichtung und Beaufsichtigung der Schlichtungsstellen impliziert ein höheres Maß an Gesetzesbindung des Lösungsvorschlags, als wenn Verbraucher und Unternehmer ihren Streit ohne Anrufung eines Dritten einvernehmlich beilegen würden. Nils Pelzer Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Verfahrensrecht in Luxemburg und Doktorand bei Prof. Dr. Dr. h.c. Burkhard Hess. [email protected] E. Schluss Zusammenfassend kann man also folgende Ergebnisse festhalten: Verbraucher können nach Entstehung eines Konflikts mittels Vergleichs (§ 779 BGB) von verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften abweichen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es Schlichtungsstellen grundsätzlich erlaubt sein sollte, von zwingenden Vorschriften abweichende Vergleichsvorschläge zu machen. Schlichtungsstellen sollten zu einer Günstigkeitsprüfung am Maßstab des materiellen Rechts verpflichtet werden, die Billigkeitserwägungen einschließt. Den Schlichtungsstellen sollte dabei ein Beurteilungsspielraum zustehen. Verbrauchern steht bei Überschreiten des Beurteilungsspielraums ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen die Schlichtungsstelle zu. Außerdem kann bei andauernden Verstößen die zuständi- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 36 Vgl. nur ErwG 7 AS-RL: „... ist es auch wichtig, dass AS-Stellen grenzüberschreitende Streitigkeiten effektiv bearbeiten.“ 37 So bezogen auf die Qualitätskriterien der Richtlinie Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 90. 38 Vgl. Grüneberg in Palandt/BGB, 2015, § 280 BGB Rz. 32; BGH NJW 1982, 1145. 39 Musal, Handbuch des Schiedsmanns nach der Schiedsmannsordnung v. 3.12.1924, Berlin 1935, S. 20, 74. 40 Vgl. bspw. die veröffentlichten Schlichtungssprüche des Ombudsmanns der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2013, S. 48 ff., http://bankenverband.de/publikationen/ods/ombudsmann-taetigkeitsbericht-2013/ombudsmann-taetigkeitsbericht2013-1/download. 41 Dazu Tochtermann in Hopt/Steffek, Mediation, Tübingen 2013, S. 521, 561 f. 42 Dazu Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 89. 43 So bereits Eidenmüller/Engel, ZIP 2014, 1704 (1709). 44 Vgl. etwa § 4 Abs. 3 S 1 LuftSchlichtVO, § 191 f Abs. 2 S. 2 BRAO sowie § 14 Abs. 2 S. 1 UKlaG i.d.F. des VSBG-E. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Gunter Dehr Qualitäts- und Konfliktmanagement in Organisationen Ziele und Konzepte für ein betriebliches Konfliktmanagementsystem Total Quality Management steht für einen unternehmensweiten Ansatz auf allen Hierarchieebenen Qualitätsstandards einzuführen, um fließende und Gunter Dehr konfliktfreie Prozesse zu gewährleisten. Den Unterstützern der Qualitätskultur kommt eine zentrale Bedeutung zu, d.h. sie tragen die Verantwortung, dass die Machtapparate in Form unterschiedlicher hierarchischer Ebenen im Problemfall zu einem Ausgleich der Interessen kommen können. Interne und externe Kundenzufriedenheit, eine aktive Mitarbeiterbeteiligung und eine Akzeptanz und Umsetzung der einflußnehmenden Konzepte bilden die Basis für ein Konfliktmanagementsystem. A. Systemelemente eines vorläufigen Konfliktmanagementsystems Ein Konfliktmanagementsystem (KMS) zeichnet sich durch eine unternehmensindividuelle Gestaltung aus. Es sollen Hierarchieebenen, Organisationsprinzipien und Prozesse Berücksichtigung finden. Eine Gewinnorientierung in Unternehmen muss sich das Ziel setzen, jede denkbare Konfliktsituation erst gar nicht entstehen zu lassen, um Produktivitätssteigerungen und größtmögliche Kostenwirtschaftlichkeit nicht zu gefährden. Eine systemtheoretische Sichtweise beschreibt Elemente, die miteinander in Beziehung stehen. Bis man von einer Theorie des KMS wird sprechen können, wird noch 1 Vgl. Gläßer/Kirchhoff, Konfliktmanagement – Von den Elementen zum System (empirisches Projekt), Hrsg. PWC/Viadrina Frankfurt/O. 2011, S.16 ff. 2 Vgl. Dehr, Implementierung von Qualitätsmanagement und Qualitätscontrolling in der Wertschöpfungskette, St. Gallen, 2001, S.121 f. 3 Vgl. Dehr, TQM-Qualitätsmanagement am Arbeitsplatz, Management Checklisten 5/97, S. 3 ff. 4 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Töpfer/Mehdorn, TQM, Anforderungen und Umsetzung im Unternehmen, Neuwied, Kriftel, Berlin 1994, S.113 ff. Prozessmanagement als zentraler Leitgedanke eines KMS Vereinbarter Standard zur Sicherung von Abläufen Modell der Lieferanten-KundenBeziehungen Prozess wird durch Vereinbarungen gelenkt und hat damit eine präventiv wirkende Funktion Konfliktsituationen sollen erst gar nicht entstehen können Leitlinien eines TQM-Systems Bedeutung für Unternehmen und deren Führung Bedeutung von Standards für ein KMS Leitlinien/Leitsätze aus der ISO- bzw. EFQMDiskussion Wirkweise von Teamstrukturen Prinzip der Vorbeugung, Konfliktentstehung und Konfliktursachen in Unternehmen Einsatz von Mediatoren, Coaches und Moderatoren im Konfliktfall, interne/externe Expertenschaft Abb. 1: Systemelemente/Komponenten eines vorläufigen KMS intensive theoretische, insbesondere auch empirische Forschung1 betrieben werden müssen. Im vorliegenden Beitrag werden Anleihen aus dem Prozess- und Qualitätsmanagement auf eine Diskussion des KMS übertragen. Das vorläufige KMS kann wie folgt skizziert werden, vgl. Abbildung 1. Dem Prozessdenken kommt eine zentrale, steuernde Bedeutung zu. B. Total Quality Management (TQM) Qualität (lat.: qualitas) wird seit Anfang der neunziger Jahren als notwendiger Wettbewerbsfaktor anerkannt. Qualitätsmanagementkonzepte sind mit dem Ziel entstanden, die Qualitätsfähigkeit von Organisationen zu entwickeln und permanent zu verbessern. Dies wurde in Deutschland mit der Idee der kontinuierlichen Verbesserung und in Japan mit dem Begriff „Kaizen“ (kai=die Wende, zen=zum Besseren) in Verbindung gebracht. TQM wird in diesem Kontext als Philosophie einer qualitätsorientierten Unternehmensführung betrachtet. TQM ist in die nationale und internationale Begriffsbildung aufgenommen worden. Es wird eine Qualitätskultur angestrebt, in der Zeit (Prozessbeschleunigung), Kosten (Senkung der Kosten um x-%) und Qualität (Senkung der Fehlerrate durch größere Prozessbeherrschung) in den Mittelpunkt gerückt worden sind. Im magischen Dreieck Qualität, Kosten und Zeit wird als ein zentraler Ansatz gesehen, Mitarbeiter vor diesem Hintergrund zu trainieren. Es ist in diesem Zusammenhang die Rede von der Gestaltung eines Qualitätscontrollingsystems, welches alle Maßnahmen anhand des magischen Dreiecks bewertet.2 Die Schlagworte hierzu sind: InterneExterne Kundenbeziehungen (internes Marketingmanagement), Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sowie Mitarbeiterorientierung. In den Qualitätseckpfeilern werden die Konzepte für mehr Qualität am Arbeitsplatz verdeutlicht.3 Das TQM-Konzept präsentiert sich auf drei Ebenen, den verhaltensrelevanten Größen, wie Engagement, Kompetenz und Kommunikation, den rein betriebswirtschaftlichen Ebenen, wie Umsatz, Gewinn, etc., und den marktbezogenen Resultaten, den zufriedenen Kunden aber auch der Mitarbeiterzufriedenheit.4 Qualitätseckpfeiler im Konzept des Total Quality Managements Engagement Absatz/Umsatz Kompetenz Kommunikation Gewinn/DB Produktivität Zufriedene Kunden = Persönliche Ebene Kostenwirtschaftlichkeit Marktebene Kundenbindung / Mitarbeiterzufriedenheit Abb. 2: Konzept des TQM ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 47 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Vor diesem Hintergrund ist TQM ein langfristig wirkendes und integriertes Unternehmenskonzept, das die nachhaltige Unterstützung der Unternehmensleitung erfordert. TQM ist auf interne als auch auf externe Kunden-Lieferantenbeziehungen gerichtet.5 TQM beinhaltet Kennzahlen, um Resultate innerhalb der Prozessketten auszuweisen. TQM ist in diesem Sinn ein strategisch integriertes Konzept, um die Qualität von Produkten und Dienstleistungen zu verbessern. Mitarbeiter verschiedener Hierarchiestufen und unterschiedlicher Ausbildung sollen involviert sein. Insellösungen schließen sich damit automatisch aus.6 Zusammenfassend darf man von vier zentralen Erfolgsfaktoren des TQM sprechen: (1) Qualitätsmanagement erfordert ein dauerhaftes Bemühen. (2) Im Führungssystem des Unternehmens ist der Qualitätsgedanke fest verankert, der Begriff der Führung wird weit gefasst, d.h. er bezieht sich auf die Summe aller personellen Aspekte der Lenkung und Entwicklung eines sozialen Systems. Lenkung bezieht sich auf die Mitarbeiterführung und Entwicklung auf die Lernfähigkeit der Organisationsmitglieder.7 (3) Lieferanten- und Kundenzufriedenheit sind zentrale Größen im Qualitätsverständnis. Qualitätsfähigkeit und Qualitätsinhalte bei verschiedenen Autoren Autoren 5 Vgl. zum Konzept des internen Marketing Bruhn, Wiesbaden, 1999, S.19 ff. 6 Vgl. Kamiske/Brauer, Qualitätsmanagement von A-Z, München, Wien 1993, S.143 ff 7 Vgl. Hilb, Integriertes Personalmanagement, München-Neuwied, 2003, S.12 ff. Qualitätsfähigkeit und Qualitätsinhalte 8 Deming Der Deming-Kreislauf wird als Handlungsanweisung für Verbesserungsprozesse verstanden. Dadurch, dass Arbeitsgruppen/Teams/Quality Circles sich der Problematik annehmen, kann der Deming Cycle als steuerndes und harmonisierendes Instrument zur Konfliktüberwindung interpretiert werden. Der Deming Cycle darf als Standard interpretiert werden. 9 Deming-Cycle: Plan-Do-Check-Act, Kreislauf der Qualitätsverbesserung. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Vorgang als Prozess angesehen wird und als solcher schrittweise verbessert werden kann. Plan: Entwicklung einer Vorgehensweise unter Berücksichtigung von Ergebnissen und Hindernissen. Do: Sammlung der Daten aus dem Plan, Analyse der Daten. Vereinbarte Änderungen sind festzulegen. Check: Auswirkungen der Änderungen beobachten und überprüfen. Act: Was ist an einem Prozess noch zu verbessern? Verbesserungsideen gehen in den nächsten Durchlauf. Deming sieht die Bearbeitung des Ablaufs grundsätzlich durch Arbeitsgruppen gewährleistet. Murphy Der Autor fokussiert u.a. auf die Mitarbeiterbeteiligung und zu organisierende Teams, die für Problemlösungssitzungen eingesetzt werden sollen. Im Hintergrund darf man den Deming-Ansatz sehen, allerdings in modifizierter Form. Murphy stellt den Moderator (Betreuer) zur Disposition und weist ihm die Aufgabe zu, Teams (Arbeitsgruppen) anzuleiten und zu lenken. Sechs Elemente sind als Eckpfeiler einer Qualitätspolitik zu verstehen: Kundenorientierung, Mitarbeiterbeteiligung, Verständnis der Abläufe im Unternehmen und Kontrollmechanismen, Datenerfassung, Qualitätssysteme, stetige Verbesserung. Im Kontext der Mitarbeiterbeteiligung werden Teams für (1) Definition des Problems, (2) Analyse der Grundursache, (3) Allgemeine Lösungen, (4) Gewählte Lösung planen und implementieren, (5) Leistung messen, (6) Standardisieren diskutiert. Juran Eine These Jurans bezieht sich auf Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der Qualitätsplanung. Für den vorliegenden Ansatz ist der „konstruktive Konflikt“ von besonderer Bedeutung. Der Autor weist auf Meinungsverschiedenheiten hin und empfiehlt koordinierende Maßnahmen. Besonders interessant sind die Bemerkungen zu einer bereichsübergreifenden Gruppe. Konfliktlösung und Konfliktmanagement soll durch die Leistungserstellung in Gruppen/Teams sichergestellt werden. Juran entwickelt schrittweise die drei Hauptpfeiler seines Qualitätsansatzes: Qualitätsplanung, Qualitätsregelung und Qualitätsverbesserung. Für den vorliegenden Aufsatz sind insbesondere die aufgeführten Methoden zur Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten interessant. Es ist dies (zitiert nach Parker Follett) die Dominanz, Großkunden mit hohem Umsatzpotential dominieren den Lieferanten. Kompromiss bezieht sichaufeinenAusgleichderInteressen,ohnedasbesteErgebniszuerzielen,undderkonstruktiveKonfliktalsder Ansatz, im Team die beste Lösungsalternative zu realisieren. Diese Betrachtungsweise Jurans basiert auf dem Entwicklungsprozess von den Produkteigenschaften hin zu den Qualitätszielen und den sich daraus ergebenden Meinungsverschiedenheiten der beteiligten Manager. Als organisatorische Maßnahmen werden von Juran empfohlen zum einen der Koordinator und zum anderen die bereichsübergreifende Arbeitsgruppe bei gleichzeitiger Erfüllung der Kunden-Lieferantenbedürfnisse. 10 11 Suzaki Suzaki beschreibt in einer Input-Output-Betrachtung wichtige Faktoren der Leistungserstellung. Teams und eine Arbeitsweise mit visueller Unterstützung wird großes Gewicht zugeschrieben. Visualisierung auf allen Ebenen der Unternehmenshierarchie schafft Transparenz und Übersicht. Suzaki richtet sich ein System ein, in dem zur Befriedigung von Kundeninteressen die Faktoren „Qualität, Kosten, Lieferung, Sichere Umgebung und Arbeitsmoral“ herangezogen werden. Diese Faktoren werden als Output-Größen interpretiert. Sie stehen dem Input in Form von „Mensch, Maschine, Methode, Material und Geld“ gegenüber. Der Beurteilung teamorientierter Organisation und der visuellen Darstellung von Ergebnissen wird Rechnung getragen. Seghezzi Führungsstil und Mitarbeiterorientierung sind die Basis für einen Coaching-Ansatz. Der Autor geht nicht explizit auf die Wirkung des Coaches als Konfliktlöser ein. Im St. Galler Konzept finden sich unter den Inhalten des Qualitätsmanagements charakteristische Merkmale wie Führungsstil und Mitarbeitereinbindung. Es wird der Arbeitsstil des „Coachen“ als Führungsstilvariante angesprochen, allerdings im Kontext der Aufgaben des Qualitätsmanagements und nicht explizit im Kontext eines Konfliktcoaches. Auch hier bietet sich eine vertiefende Betrachtung des Coaching bzw. des Selbstcoaching-Prozesses an. 12 13 Töpfer/Mehdorn Die Autoren betonen in besonderem Maße das Prozessmanagement in Form von internen Lieferanten-Kunden-Beziehungen. Sie sehen in diesem Ansatz ein Gerüst für Kunden- und Mitarbeiterorientierung mit dem Ziel, Zufriedenheit zu fördern. 14 Pfeifer Der Autor hebt besonders eine „Fehlerkultur“ hervor. Es stehe nicht die Schuldzuweisung im Vordergrund, sondern es gehe um die Fehlererkennung und die Fehlerbeseitigung. Man darf vielleicht an dieser Stelle von einer „konfliktfreien Umgebung“ sprechen. Alle sind auf die Fehlerbeseitigung fokussiert und nicht auf den interpersonellen Konflikt. Eine sehr bedeutsame Bemerkung. Die AusführungenderAutoren greifenhauptsächlichdenGedankendes TQM auf. TQM wirdalsganzheitlicher Ansatz gesehen. Über Einflussfaktoren (Technologieentwicklung, Konkurrenzdruck, u.a.) werden kundenund kostenorientierte Module und Systeme von den Autoren diskutiert. Insbesondere werden die Inhalte hervorgehoben, die für den Kunden wahrnehmbar sind: Technische Qualität eines Produktes, Design- und Anmutung, Qualität von Service und Kundenbetreuung und der Kommunikationsqualität. In den Ausführungen zu Teamleistungen und Qualität wird dem Konfliktmanagement wenig Beachtung geschenkt. Unter der Überschrift „Qualitätsmanagement und Prozessplanung“ wird die Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) im Kontext der Teamarbeit vorgestellt. Die Aufgaben des Moderators seien: Projektplanung und -organisation, Dokumentation und Auswertung, Methodische Korrektheit sicherstellen, Gesprächsführung. Hier wird wohl die Funktion des Projektmanagements (Projektleiter) versehentlich mit dem eigentlichen Arbeitsgebiet des Moderators vermischt. Tabelle 1: Hinweise und Inhalte zum Qualitätsmanagement 8 Vgl. hierzu die Grundlagen bei Deming, Out of crisis, Cambridge (USA), 1986. 9 Vgl. Murphy, Dienstleistungsqualität, München-Wien, 1994, S. 78 ff. 10 Vgl. Juran, Handbuch der Qualitätsplanung, Landsberg/Lech, 1991, S.198 ff. 11 Vgl. Suzaki, Die ungenutzten Potentiale, München-Wien, 1994, S. 21 ff. 12 Vgl. Seghezzi, Integriertes Qualitätsmanagement, München-Wien, S.187 ff. 13 Vgl. Töpfer/Mehdorn, Total Quality Management, Neuwied, Kriftel, S.151 ff. 14 Vgl. Pfeifer, Qualitätsmanagement, München-Wien, S.109 ff. und S. 507 ff. 48 (4) Schulung von Qualitätsmethoden (z.B. Pareto-Analyse) für Mitarbeiter aller Hierarchiestufen. Ein Blick in die Ausführungen verschiedener „Qualitätsautoren“ soll Denkanleitungen wiedergeben und prüfen, wieweit deren Ausführungen und Konzepte Anleitungen und erste Ideen im Rahmen eines Konfliktlösungspotentials bieten. Nachfolgend sind Autoren aufgeführt, die wesentliche Beiträge zum Qualitätsmanagement geleistet haben, vgl. Tabelle 1. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Bei allen Autoren sind der Geschäftserfolg, auf der Basis langanhaltender Geschäftsbeziehungen mit dem definierten Kundenkreis, sowie der persönliche Nutzen der beteiligten Organisationsmitglieder (Mitarbeiterinteresse, Mitarbeiterzufriedenheit) von herausragender Bedeutung. Das geht vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kundendienst und einem möglichen Reklamationsprozess und der damit verbundenen gesellschaftlichen Relevanz. Juran und Crosby,15 Baumeister einer prozessorientierten Darstellung, gehen auf die Lieferanten-Kunden Beziehungen ein und erwähnen dabei auch die Schwierigkeiten und Konfliktpotentiale innerhalb der Wertekette. C. Lieferanten-Kunden-Modell – der Kollege als Kunde Um eine typische und leicht nachvollziehbare Situation vorzustellen, sei das Lieferanten-Kunden-Modell als Anschauungsobjekt gewählt. Dieses Modell macht deutlich, dass in der Abstimmung zwischen den beteiligten Personen und deren wirklichen Interessen die Schwierigkeit zu sehen ist. Interessen bzw. unterschiedliche Sichtweisen sind die Keimzelle für Auseinandersetzungen und Teams sind nicht per se soziale Gruppen deren Ziel die Harmonie ist. Es werden Rahmenrichtlinien nötig werden, die die Wechselwirkungen des Lieferanten-Kunden-Modells aufzeigen. Von zentraler Bedeutung wird Wissen um die Probleme der Konfliktentstehung und der Konfliktbehebung.16 Insbesondere dem mediativen Mandat der Konfliktlösung im Rahmen stark divergierender Interessen muss Beachtung geschenkt werden.17 Lieferanten und Kunden im diskutierten Modell definieren den Konflikt als gemeinsames Problem und verzichten von Beginn an auf einseitige Schuldzuweisungen. Das Lieferanten-Kunden-Denken hat sich bei der Prozessanalyse durchgesetzt, da es die Abhängigkeiten der Einflussgrößen „Lieferant-Kunde“ visualisiert und hilft, die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden und der Lieferanten im Sinne der Qualitätsdefinition herauszuarbeiten. So 15 Vgl. Crosby, Qualität 2000-kundennah, teamorientiert, umfassend, München-Wien, 1994, S. 60 ff. 16 Vgl. Biermann/Dehr, Wenn Arbeitskollegen zu Kunden werden, HBM, 3/98, S. 93 ff. 17 Vgl. Köstler, Mediation, München, 2010, S. 80 ff. 18 Vgl. Dehr, Marketing-Logistik, Berlin (Buchprojekt). 19 Vgl. Champy, Reengineering im Management, Frankfurt-New York, 1995, S.126 ff. 20 Vgl. Suzaki, Die ungenutzten Potentiale, München-Wien, 1994, S. 82 ff. Der Kollege als Kunde – Interne bzw. externe Lieferanten-Kunden-Beziehungen Lieferant Kunde Kunde Kunde Lieferant Lieferant Lieferant Endkunde Verbraucher Markt Abb. 3: Lieferanten-Kunden-Modell als Basis einer „konfliktfreien“ Kooperation kann man sich vorstellen, dass ein Auftragsbearbeitungsprozess in Verbindung mit einer Reklamation Größen heranziehen wird, die im Sinne des Kunden und der Lieferanten Maßstäbe setzen können. Die nachfolgenden Serviceleistungen sind die Marketing-Logistik18 entlehnt und können plausibel auf interne LieferantenKunden Strukturen im Konfliktfall übertragen werden. Folgende objektivierbare Größen, die als Standards interpretiert werden können, sind denkbar: k Lieferzeit (Angabe in Stunden, Tagen), k Lieferzuverlässigkeit/Termintreue (vereinbarte, pünktliche Lieferung), k Lieferbereitschaft (ist in der Lage zu liefern), k Lieferflexibilität (kann auch auf unerwartete Aufträge reagieren), Lieferbeschaffenheit (Lieferung hat k keine Fehler). Das hervorstechende Merkmal ist die Möglichkeit der Quantifizierung der Beurteilungskriterien und damit der Überprüfbarkeit. Die wichtigste Abhilfe ist im Sinne einer Qualitätsplanung die gemeinsame Planung. Lieferanten (intern/extern) als auch den Kunden (intern/extern) muss Rechnung getragen werden. Hierfür sind organisatorische Maßnahmen zu treffen. Diesem Gedanken wird unter dem Absatz „Konfliktüberwindung“ noch Aufmerksamkeit zu schenken sein, vgl. Tabelle 2. Juran wählt in diesem Kontext den Begriff des „Konstruktiven Konflikts“ und dessen Abhilfe, vgl. Tabelle 1. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Qualität vor dem Hintergrund der Erwartungshaltungen der Kunden zu beurteilen ist. Wir liefern immer dann Qualität, wenn wir den Erwartungen des Kunden entsprechen. Nicht mehr und nicht weniger. Das Denken in „Supply Chains“ kann als Abfolge von Lieferanten-Kunden-Beziehungen verstanden werden, d.h. es wird über den gesamten Wertschöpfungsprozess zu konfliktbeladenen Abstimmungsprozessen kommen. Kunden fordern bestimmte Leistungen oder wollen Anweisungen geben, wie sie bedient werden wollen; der Lieferant fühlt sich verletzt, er reagiert aggressiv. Es entstehen Konflikte aus der Kommunikationsbeziehung. Eine Überarbeitung bestehender Abläufe in Unternehmen, im Extremfall eine radikale Neuausrichtung, wird zwangsläufig zu Friktionen führen. Eine Synchronisation des neuen Wertschöpfungsprozesses ist konfliktbehaftet und bedarf deshalb der Begleitung. Es besteht die Aufgabe, Transparenz herzustellen im Sinne neuer interner LieferantenKunden-Strukturen. Dies beinhaltet selbstverständlich eine Qualifizierung der Mitarbeiter, insbesondere der Führungskräfte vor dem Hintergrund eines Konfliktmanagementsystems. Dem Controllinggedanken wird Rechnung getragen, indem Informationen über Erwartungen bereitgestellt werden vor dem Hintergrund der Teilplanungen von Lieferanten und Kunden. Der Begriff des Business Reengineering steht für eine „radikale Denkweise“ in diesem Kontext.19 D. Bedeutung von Standards Im Rahmen von Qualitätsmanagementphilosophien wird insbesondere von Suzaki20 die Bedeutung von Standards hervorgehoben. Es seien einige Festlegungen zu treffen, an die Mitarbeiter gebunden sein sollen. Die folgenden Forderungen verdeutlichen den Ansatz: k Disziplin entwickeln, k Bewusstsein entwickeln, k Verfahrensweisen klären, k Basis für Verbesserungen schaffen (vgl. Deming-Cycle). Überträgt man diese Prinzipien auf Trainingsangebote, so hat man wertvolle Hinweise für gute Praktiken im Konfliktfall. Organisationsteilnehmer können auf dieser Basis leichter und zielführender mit Differenzen umgehen. An diesem Punkt kann sich der Coach in besonderer Art und Weise profilieren. Der DemingCycle bildet mit seinem spezifischen ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 49 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Kreislauf den Rhythmus perfekt ab. Wenn z.B. Problemlösungsteams aus verschiedenen Abteilungsbereichen sich mit dem Deming-Cycle eine „Verfassung“ geben, dann kann das Verfahren als Leitlinie Konflikten vorbeugen. Voraussetzung ist die Akzeptanz und das Wissen um den Verfahrensablauf. Wenn nach einem Leistungsstandard gesucht wird, dann muss dieser „NullFehler“ sein, d.h. für die vorliegende Diskussion, Konflikte erst gar nicht aufkommen zu lassen. Auszutragende Konflikte wären demnach bereits im Ursprung zu erfassen und sofort zu beheben. Qualität wird an dieser Stelle als systematische Vorbeugung interpretiert. Man sollte also wissen, wie vorhandene Probleme beurteilt und beseitigt werden, um in der Zukunft auftretende Probleme zu verhindern. Menschen in Organisationen müssten sich z.B. regelmäßig die Frage stellen, ob sie immer gute Arbeit für den Kollegen (Kollege als Kunde) abliefern oder ob sie sich immer wieder eben nicht qualitätsbewusst verhalten. In diesem Fall liefern sie nicht die erwartete Leistung ab. Es kommt zu Konflikten. Wenn in diesem Zusammenhang von Partnerschaft die Rede ist, dann kann man von Respekt und Vertrauen sprechen. Die Chance, ausgewogene Entscheidungen zu bekommen und Konfliktpotential einzuengen ist groß. Der Leistungsstandard hat „Null-Fehler“ zu sein und nicht „Das ist gut genug“. Man darf vor diesem Hintergrund nicht akzeptieren, dass Qualitätsmängel nicht zu verhindern seien. Eine verpatzte Abstimmung generiert Fehler, d.h. wir enttäuschen Lieferanten und Kunden. Das stetige Bemühen um Qualität ist der zentrale Punkt in einem Verbesserungsprozess. Das Harvard-Konzept betont das „Verhandeln mithilfe objektiver Kriterien“, d.h. es werden Verfahrensweisen vorgeschlagen, die von beiden Seiten getragen werden können. 1. ,,Funktionieren Sie jeden Streitfall zur gemeinsamen Suche nach objektiven Kriterien um. 2. Argumentieren Sie vernünftig – und seien Sie selbst offen gegenüber solchen Argumenten, die auf einsichtigen Kriterien beruhen und die sagen, wie man sie entsprechend umsetzen soll. 3. Geben Sie niemals irgendwelchem Druck nach, beugen sie sich nur (sinnvollen) Prinzipien.“21 Wie sind Mitarbeiter darauf vorbereitet? Welche Instrumente stehen Ihnen zur Verfügung? Sind Kundenerwartungen de50 finiert? Sind Lieferantenerwartungen definiert? Gibt es Redundanzen in einzelnen Arbeitsschritten? Gibt es eine klare Verantwortungsabgrenzung? Gibt es geeignete organisatorische Vorkehrungen? Werden die Faktoren „Kosten, Zeit und Qualität“ berücksichtigt? E. Konfliktursachen in Organisationen Die Identifikation von Konfliktursachen und die Art und Weise der Bearbeitung sowohl durch einzelne Verantwortliche als auch durch Teams ist von zentraler Bedeutung. Konflikte sind per se nichts negatives, aber das Verlassen einer objektivierbaren Grundlage, Emotionen und aus der Luft gegriffene Haltungen erschweren den Prozess. Lautstärke und persönliche Angriffe wirken sich zusätzlich störend oder beleidigend aus. Zunächst zu den Konfliktursachen: (1) In Organisationen entstehen bei der Verteilung der Budgets auf einzelne Produkte oder Produktgruppen enorme Interessenskonflikte (Allokationsproblematik). Die Gegensatzpaare „Umsatz versus Gewinn, Umsatz versus Deckungsbeitrag, Forschung + Entwicklung versus Produktionsplanung, Produktion versus Vertrieb und Logistik versus Materialmanagement“ vervollständigen die Betrachtung. (2) Behandlung von Kollegen bzw. Teammitgliedern erfolgt gerecht oder ungerecht, persönliche Animositäten gewinnen an Gewicht. (3) Vorgesetzte oder Kollegen halten Informationen zurück, es ist die Absicht dahinter zu vermuten, Macht und Einfluss durch Informationsvorenthaltung zu gewinnen. (4) Schließlich sind Stimmungen in Organisationen, bedingt durch Freundschaften und gegenseitiges Vertrauen oder Misstrauen geprägt.22 Es sind überwiegend persönliche und betriebswirtschaftliche Betrachtungen, die Klima und Arbeitsprozesse einschränken. Ein Veränderungsprozess im Verhalten der Mitarbeiter mit Wirkung auf Kunden und Lieferanten kann durch konfliktlösende Maßnahmen erreicht werden. Im Promotorenmodel von Witte23 werden den Promotoren Opponenten (Macht-/ Fachopponenten) gegenübergestellt, die Innovationsprozesse aufhalten können und deshalb zwingend sehr früh eingebunden werden sollen. Es ist nicht auszuschließen, dass Interessengruppen (Betriebsrat, Vertrauensleute, Ombudsmänner, Personalleitung, Rechtsabteilung, u.a.) schwierige Verhandlungspartner bei der Entwicklung eines KMS sein können. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 Dafür verantwortlich sind Macht- und Ansehensverluste.24 Ausgehend von der Unternehmensleitung sind solche Veränderungsprozesse einzuleiten bzw. zu promoten. Antworten werden auch aus den Verfahrensanleitungen der ISO 9001 ff. und des EFQM (European Foundation for Quality Management) gegeben. Zentrales Element beider Ansätze ist die Steigerung der Kundenzufriedenheit, der Kundenbegeisterung und der damit verbundenen Kundenbindung. Vor diesem Hintergrund bezieht sich die Qualitätsdiskussion auf Produkte, Dienstleistungen und interne Prozesse, im Sinne der bereits erwähnten „Lieferanten-Kunden-Beziehung“. Ein entwickeltes Konfliktmanagementsystem als Hilfe zur Selbsthilfe hält Maßnahmen bereit, um eine Konfliktentstehung nicht aufkommen zu lassen. Eine Eskalation mit weitreichenden Folgen bzw. Auswirkungen für die Problemlösungsfähigkeit soll vermieden werden. Kosten, die für Korrekturen über Wochen und Monate anfallen, sind nicht außer Acht zu lassen. Im Qualitätsmanagement diskutiert man den Preis, der Abweichung als den Preis, der zu zahlen ist, wenn Nachbesserungen stattzufinden haben und deren Behebung in Geld ausgedrückt wird. Im Kontext eines Konfliktmanagementsystems könnte man vom „Preis des Konflikts“ sprechen. Dabei handelt es sich um ein wirksames Instrument für alle Verantwortlichen auf der Basis eines „objektivierbaren Kriteriums“. Basis für diese Betrachtung ist in Unternehmen die Prozesskostenrechnung.25 In Tabelle 2 werden konzeptionelle und personengesteuerte Verfahrensweisen und Empfehlungen angesprochen, die im Rahmen von Konfliktmanagementsystemen einen hohen Stellenwert genießen. Die ISO9000 Diskussion sowie der Mechanismus des EFQM sind seit Jahren in Unternehmen gelernt und bieten damit einen guten Anknüpfungspunkt an die Diskussion um Konflikte und deren Bearbeitung. Das Harvard-Konzept findet seit Jahren in amerikanischen Unternehmen eine große Resonanz. Durch den Hinweis auf objektive Kriterien und eine sachbezogene 21 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard Konzept, Frankfurt New York, 23. Aufl., 2009, S.129. 22 Vgl. Rosenstil/Molt/Rüttinger, Organisationspsychologie, Stuttgart u.a., 1975, S. 91 ff. 23 Witte, Organisation für Innovationsentscheidungen – Das Promotermodell, Göttingen, 1973; Witte, ZfB 46/1976, 319. 24 Vgl. v. Oertzen/Nöldeke, in PWC/EUV, s. Fn.1, S. 63 ff. 25 Vgl. Winkelmann, Marketing und Vertrieb, München-Wien, 2008, S. 95; Olfert, Kostenrechnung, Ludwigshafen, 2000, S. 43 f. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Handlungsebene wird schon zu Beginn eines Problemlösungsprozesses die Unabhängigkeit von Interessenlagen hervorgehoben. Überträgt man diese Überlegung auf das dargestellte Lieferanten-KundenModell, so haben die definierten Kriterien beide Seiten zufriedenzustellen. Die ISO-Richtlinien haben dafür gesorgt, dass klare Begrifflichkeiten für „Qualität“ definiert werden. Man kann in diesem Zusammenhang z.B. lesen, dass „Qualität die Eignung für den Verwendungszweck“ ist. Eine erbrachte Leistung muss für einen Verwendungszweck praktisch geeignet sein. Zentrale Kriterien der Qualitätsforschung wurden oben dargestellt, vgl. Abbildung 1. Nun ist der Frage nachzugehen, wieweit diese Kriterien auf eine Qualitätsdiskussion im Rahmen eines Konfliktmanagements anzuwenden sind. – Qualität wird unter dem Gesichtspunkt des Kundennutzens definiert. Dabei sind die streitenden Parteien „Lieferanten-Kunden“ in wechselseitigem Verhältnis, vgl. Abbildung 1. – Aber wie werden dann Qualitätsinhalte gemessen? Wann stellt sich Zufriedenheit ein? – In Konfliktsituationen wird sich der Kompromiss bewähren. „Ich habe meine Ziele zu 70 % erreicht.“ Dies wäre eine Aussage mit skalierbarem Charakter. – Qualität zeigt sich in der Beilegung von Konflikten ohne juristische Hilfe, die in Unternehmen ohnehin nicht so schnell Platz greifen dürfte. Aus der Sicht eines Moderators oder Mediators sind die Konfliktparteien Kunden. Wie wir gesehen haben, wird Qualität dann erzeugt, wenn die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt unseres Denken und Handelns steht. F. Systematische Vorbeugung und Qualität Man kann nur intervenierend wirken, wenn man die Verfahren und Bedürfnisse der Lieferanten und Kunden versteht. Es sind die Abweichungen in diesem System 26 Vgl. Dehr, Spektrum der Mediation 53/2014, 49 ff. 27 Vgl. Radatz, Einführung in das systemische Coaching, Heidelberg, 2010, S. 43 ff. 28 Vgl. Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, Frankfurt-New York, 2009, S.125 ff. 29 Vgl. zum Prinzip der Vorbeugung Dehr (Hrsg.), Kurswechsel Richtung Kunde, Frankfurt, 1996, S.136 f.; Linß, Training Qualitätsmanagement, München-Wien, 2003, S. 29; Linß, Qualitätsmanagement für Ingenieure, München Wien, 2002, S. 79. Wege zur Bewältigung unternehmerischer Verantwortung im Rahmen der Konfliktüberwindung26 Coaching/Selbstcoaching/Konfliktcoaching/Teamcoaching Zum Ablauf eines systemischen Coaching: Problemdefinition, Zielerarbeitung, klarer Auftrag, Kriterien für Zielerreichung festlegen, Lösung und 27 Erfolgsüberprüfung/Maßnahmenbildung Coaching (to coach = betreuen, trainieren) Anleitung zu frühem Erkennen von problematischen Situationen, die bei Eskalation zu erheblichen zeitlichen Belastungen führen können. Moderationstraining für die Führung von Teams Moderator kann/soll intervenieren wenn vom Thema abgewichen wird Konfliktmoderator Moderator hat eine leitende Funktion,er verhältsich neutral. Die beteiligten Personen sind reif genug, Probleme (Konflikte) unter Anleitung selbst zu lösen. Eine gute Moderation wird von Toleranz und gegenseitigem Respekt getragen. Mediation als Mandat zur Anwendung von Kon28 fliktlösungsverfahren (Harvard Ansatz) Konflikte sind zu entschärfen, eine Balance zwischen Verhandlungsthema und Individual-bzw. Gruppeninteressen ist herzustellen Ausgewählte Elemente aus dem ISO-/EFQM-AnsatzHinter beiden Ansätzen verbergen sich kundenbezogene und mitarbeiterbezogene Aspekte. Was erreicht das Unternehmen für seine Kunden? Werden diese zufriedengestellt? Wie werden Beschwerden behandelt? Wie nehmen Mitarbeiter das Unternehmen wahr? Stichworte hierzu sind: Kommunikation, Ermächtigung, Beteiligung, Anerkennung, Verhältnis zu Kollegen. Verwendung objektiver Kriterien für die Beilegung eines Streitfalls. Die Konfliktparteien sollen gemeinsam objektive Kriterien suchen Präventive Maßnahmen im Rahmen der Zertifizierung, Aufstellen von Standards, die dabei Leitlinien zur Konfliktbeilegung sind. Zentrale Elemente von Wichtigkeit für ein betriebliches Konfliktmanagement sind: Verantwortung der obersten Leitung: Regelung von Zuständigkeiten, Verantwortungen, Befugnissen Lenkung der Dokumente: Lenkung der Dokumente, Pflege der Dokumente, Einbindung in Änderungswesen (Erstellen, Prüfen, Freigeben, Verteilen) Vorbeugungsmaßnahmen: Fehlerinformationssystem, Analyse von Abläufen, Festlegung der Korrekturmaßnahmen Audits: Interne Audits, Verfahrens-und Prozessaudits Tabelle 2: Konfliktlösende Verfahren und Empfehlungen zur Konfliktüberwindung zu erkennen, nur durch diese Wahrnehmung werden die Sachverhalte klar erkennbar. Man könnte auf die Idee kommen, dass eine strikte Kontrolle im Lieferanten-Kunden-Modell Abhilfe schaffen könnte, es scheint aber so zu sein, dass wir schon bei Beginn der Austauschbeziehungen bemüht sein müssen. Was hat der Lieferant zu liefern? Was erwartet der Kunde? Welche Methoden und Verfahren müssen hierfür bereitgestellt werden? Wenn also darauf geachtet wird, dass von Beginn an keine Probleme auftreten, ist mit zufriedenen Lieferanten bzw. Kunden zu rechnen. Ansonsten steht zu befürchten, dass Fehler zu berichtigen sind oder der Prozess muss von neuem gestartet werden. Der Fehler ist Ursprung der Schuldzuweisungen und damit der Start für ein enormes Konfliktumfeld.29 Einige Unternehmen gehen in jüngerer Zeit dazu über, ein maßgeschneidertes Konfliktmanagementsystem zu entwickeln, um den Umgang mit Konfliktsituationen zu steuern. In diesem Kontext werden Kosten-Nutzen Erwägungen angestellt. Ein erster Schritt besteht in der Ausbildung interner Berater (Coaches, Moderatoren, Mediatoren) und der stärkeren Einbindung externer Helfer sowie eine Festlegung der „Audit-Zeitpunkte“ im Rahmen eines Früherkennungssystems. G. Teamstrukturen als Organisationsprinzip Mitarbeiter in Organisationen haben bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln, damit sie die Zielsetzung einer Konfliktvermeidung erfüllen können: (1) Eine positive Einstellung zur Qualitätsverbesserung und (2) die Fähigkeit, in Teams mit Kollegen zusammenzuarbeiten. Eine Grundformel hat sich in der Praxis bewährt: Fordern, Fördern, Feedback-Geben. Qualitätsarbeit und konfliktfreie Beziehungen werden gefordert, müssen aber gleichzeitig inhaltlich verdeutlicht werden und die Teilnehmer sind durch interne/externe Moderatoren, Coaches oder Mediatoren zu unterstützen. Teams werden abteilungsintern als auch abteilungsübergreifend entwickelt und sie folgen dem Lieferanten-KundenGedanken. Damit ist die Prozessorientierung gemeint, wie sie oben beschrieben wurde. Es geht um die Planung von Prozessen und um die Beseitigung von Störungen durch unzureichende Harmonisierung. Noch im Rahmen der zurückliegenden Diskussion um Schnittstellen wurden Ressortkonflikte, Motivkonflikte und Informationskonflikte behandelt und die Überwindung durch Prozessorientierung vorgeschlagen. Das Team als Entschei- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 51 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN dungsteam, Innovationsteam, etc. soll sich idealtypisch selbst in die Lage versetzen, sich Prozessorientiert als Lieferanten-Kunden-System auszurichten. Die Säulen der Zusammenarbeit sind: k Unabhängigkeit und Toleranz, k Idealismus, Verantwortung und gegenseitiges Vertrauen, k Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter, k Abbau von hierarchischen Strukturen. Wie die Praxis zeigt, gibt es erhebliche Widerstände, die aus persönlichen und machtpolitischen Überzeugungen entstehen. Es ist zu bedenken, dass eine Dezentralisierung auch einhergeht mit einem großen Autoritätsverlust insbesondere der mittleren Hierarchieebenen. Hilfreich beim Aufbau von Teams ist das „Team-Design-Konzept“ auf der Basis der Rollentheorie: Förderer, Entwickler, Organisator, Produzent, Controller, Erhalter, Berater und Erfinder stellen die unterschiedlichen Rollen dar. So nützt es wenig, wenn einem starken Förderer kein Part in Gestalt eines Controllers gegenübersteht. Es sind einseitige Entscheidungen zu befürchten, die nicht ausgewogen wahrgenommen werden. Hilb sieht in diesem Rollenkonzept den Coach als zentrale Anlaufstelle mit beratender Funktion. Es ist also nach den sich ergänzenden Rollenstärken/-schwächen zu forschen und dann ein Team zu implementieren.30 Eine Unausgewogenheit der Rolleninhaber muss Konflikte hervorrufen. Der Zweck der Rollentheorie besteht in der Balance der Kräfte und Begabungen. Wider- sprüchlichkeiten im Sinne der Ambiguitätstoleranz auszuhalten ist Teil der Persönlichkeitspsychologie und weist daraufhin, Rollenkonflikte auch zu tolerieren. Eine verwandte Betrachtungsweise besteht in der „Dynamik der Teamentwicklung“ auf der Basis der verschiedenen Entwicklungsstadien. Ziel ist die Fähigkeit eines Teams sich selbst auszurichten und Prozesse aufzunehmen und gegebenenfalls neu zu strukturieren. Beeinflusst wird dieser Ansatz von der Entwicklung arbeitsfähiger Teams. Wenn dies behutsam angegangen wird, spricht einiges für einen ausgeglichenen und abgestimmten Entscheidungsprozess. Forming (Mitglieder lernen sich kennen), Storming (Formulierung von Erwartungen und Methoden), Norming (Festlegen von Zielen und Arbeitsweisen), Performing (Planmäßige Arbeit des Teams) beschreiben die Entwicklungsschritte zu einer simultanen und konsensorientierten Vorgehensweise.31 Es ist davon auszugehen, dass bei verschiedenen Teamtypen (Top-Management-Team, Abteilungsleiter-Team, Projektteam, Quality Circle, Ausschuss, Arbeitsteam, Innovationsteam) der Teamtrainer vor unterschiedliche Aufgaben und Probleme gestellt werden wird.32 Ebenso darf vermutet werden, dass der Teamtrainer als Konflikt-Coach bzw. als Mediator Aufgaben übernehmen wird. Ein leistungsfähiges Team wird gänzlich auf einen Berater verzichten können, dies erfordert aber ein „Performing“ im Sinne der Teamentwicklung. H. Fazit Ein Konfliktmanagementsystem (KMS) hat für eine Kanalisierung der Konfliktfälle zu sorgen. Ursachen, Häufigkeit und Schwierigkeitsgrad der Konfliktfälle sind in einer „Konfliktstatistik“ zu erfassen und den Konfliktmoderatoren, Konfliktcoaches, Mediatoren zu überantworten. Die Unternehmensleitung ist in besonderer Art und Weise gefordert, Vorkehrungen personeller Art zu treffen in der Erwartung, dass immer häufiger von konfliktfreien Prozessen gesprochen werden kann und sich dies auf Kostenwirtschaftlichkeit (Konfliktkosten) und Produktivität (Produktivitätssteigerung) auswirken wird. Der vorliegende Beitrag zur Entwicklung eines KMS ist ein Plädoyer für Qualität und Konfliktvermeidung am Arbeitsplatz. Prof. Dr. Gunter Dehr em. Professor für ABWL, Unternehmensführung und Marketingplanung an der Hochschule Anhalt (FH). Inhaber der Dr. Dehr Unternehmensberatung Berlin (Schwerpunkte: Strategische Unternehmensplanung, Controlling, Coaching, Moderation und Prozessmanagement [email protected] 30 Vgl. zum Konzept der Jungschen Persönlichkeitslehre und der weiterführenden Lit. Hilb, s. Fn. 7, S. 28 ff. 31 Vgl. Dehr, s. Fn. 3, S.12 ff. 32 Vgl. Francis/Young, Mehr Erfolg im Team, Hamburg, 1996, S. 29 ff. Katja Windisch* Fair und/oder gerecht? Fairnesskriterien in der Mediation Fairness wird in der Mediationsliteratur im Wesentlichen als spezifisches Kriterium der Mediation an sich verstanden. Diez und Murbach konzipieren Katja Windisch Fairnesskriterien zusätzlich als phasenunabhängigen, flexibel einsetzbaren „Baustein“, der sich aber nicht nur auf das Verfahren, sondern auch auf das 52 jeweilige Resultat des Konfliktbearbeitungsprozesses bezieht. Vor dem Hintergrund begrifflicher Überlegungen wird vorgeschlagen, diesen Baustein anders zu bezeichnen. I. Einleitung Ralph: When she put two potatoes on the table, the big one and the small one, you immediately took the big one without asking me what I wanted. Norton: What would you have done? ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 Ralph: I would have taken the small one, of course. Norton: You would? (In disbelief) Ralph: Yes, I would! Norton: So, what are you complaining about? You GOT the little one!1 * Der Artikel basiert auf einem Teil der Abschlussarbeit der Verfasserin im Rahmen der MediationsAusbildung am Ausbildungsinstitut Perspectiva in Basel. 1 Conversation between Ralph Kramden and Ed Norton in an episode of The Honeymooners (1955), zitiert nach: Brams/Taylor: The Win-WinSolution. Guaranteeing fair Shares to Everybody, New York/London, 2000. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN Obwohl weder Ralph noch Ed in der geschilderten Szene „Fairness“ erwähnen und auch von Mediation relativ weit entfernt sind, lässt sich an diesem kurzen Dialogausschnitt doch die Problematik des phasenunabhängigen Bausteins „Fairnesskriterien“ in der Mediation exponieren:2 Während der eine sich am Verfahren abarbeitet, argumentiert der andere mit dem erzielten Resultat der Verteilung dagegen. Bei strittigen Auffassungen darüber, wie etwas geteilt werden oder welcher Standard zumutbar ist usw., ist es unbestritten hilfreich und in der Mediation gängige Methode, die Ebene zu wechseln. Gary Friedman und Jack Himmelstein,3 renommierte Mediatoren4 und Mediationsausbilder, thematisieren dann die „Points of Reference“ der Medianden, ihre Bezugspunkte oder Bewertungsmassstäbe. Hannelore Diez (2006 verstorben), Schülerin von Friedman und Himmelstein, und auch Murbach, seinerseits Schüler von Diez und namhafter Mediationstrainer in der Schweiz, konstruieren aus diesen den Baustein „Fairnesskriterien“.5 II. „Fairnesskriterien“ als phasenunabhängiger Baustein Eingesetzt werden die „Fairnesskriterien“ nach Diez/Murbach situativ bei Blocka2 Gemeinhin werden 6 Phasen unterschieden: 1. Einführung und Arbeitsbündnis, 2. Informationsund Themensammlung, 3. Interessenklärung und Konflikterhellung, 4. Optionen und Ideen, 5. Verhandeln und Einigung, 6. Vereinbarung und Abschluss. Generell gibt es parallel zum Phasenmodell des (idealen) Ablaufs von Mediationen Mediationstechniken – des Fragens, Fokussierens, Partialisierens, Visualisierens etc., die auch als phasenunabhängige Bausteine bezeichnet werden. 3 Zitiert nach Diez, Werkstattbuch Mediation, Köln 2005, S. 126 ff. 4 Im Interesse des Leseflusses wird auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet und durchgängig die männliche Form verwendet; womit jedoch alle Gender eingeschlossen sein sollen. 5 Diez, s. Fn. 3. 6 Murbach, Mediation. Die erfolgreiche Konfliktlösung, Reader und Fotoprotokoll zur Basisausbildung April–Dez. 2008 (unveröffentlicht). 7 Diez/Krabbe/Thomsen, Familienmediation und Kinder: Grundlage, Methoden, Techniken, Köln, 2002, S. 125. 8 Diez, s. Fn. 6, S. 127. 9 Maria Seehausen argumentierte, Medianden kämen „nicht nur in die Mediation, um ihre Interessen zu vertreten, sondern auch, weil sie erlebte Ungerechtigkeit ausgleichen“ wollen. Da u.a. Empörung eine Reaktion auf wahrgenommene Ungerechtigkeit sei, wäre deren konstruktive Bearbeitung eine logische Konsequenz. U.a. durch Integration der Gerechtigkeitsthematik, vgl. Seehausen, ZKM 2009, 110. 10 Zusammenstellung aus Diez, s. Fn. 3 und 6; Murbach, s. Fn. 5. 11 Also nicht: Ich finde das Ergebnis fair und gerecht, wenn ich bekomme, was ich will. 12 Murbach, s. Fn. 6. 13 Diez, s. Fn. 7, S. 127. den, Disbalancen, Unfairness, sowie bei vermuteten relevanten Tabuthemen.6 Murbach setzt die Fairnesskriterien in jeder zehnten Mediation ein, zumeist in Phase drei (Bedürfnisse/Interessen), teilweise aber auch schon im Erstgespräch, wenn dort grundsätzliche „Fragen nach Gerechtigkeit“ auftauchen. Diez nutzte die Fairnesskriterien als festen Bestandteil jeder Mediation, um die Massstäbe und Kriterien zu finden, anhand deren die Medianden die Vereinbarung für sich später überprüfen. Dies sei „von unschätzbarem Wert für die Einhaltung der Vereinbarungen“.7 Bei der Arbeit an „eigenen Gerechtigkeitskriterien“8 sei nicht in erster Linie wichtig, dass gemeinsame Kriterien gefunden werden, da die Vereinbarung v.a. für jeden Einzelnen stimmig sein muss. Zudem verändern sich die Entscheidungen und v.a. auch die Art, wie miteinander verhandelt wird, mit der Erarbeitung der Fairnesskriterien häufig.9 Mediatoren fragen:10 k „Unter welchen Bedingungen/Kriterien fänden Sie die Regelung/Vereinbarung fair/gerecht?“ k „Damit Sie nicht im Nachhinein denken, das ist nicht fair. – Was muss in der Vereinbarung alles enthalten sein, dass Sie das Gefühl haben, weil das enthalten ist, ist es fair und gerecht?“ k „Welche Kriterien müssen in Bezug auf Fairness und Gerechtigkeit erfüllt sein?“ k „Woran können Sie erkennen, dass etwas fair und gerecht ist?“ k „Es könnte für Sie beide wichtig sein, dass Sie sich Gedanken machen, unter welchen Umständen Sie (beide) die erarbeiteten Zahlen mit gutem Gefühl unterschreiben könnten?“ k „Welche Fairnessaspekte sollten – unausgesprochen – in die Vereinbarkeit eingeflossen sein?“ Besonders häufig genannte Massstäbe und Kriterien sind gemäß Diez z.B.: – Machbarkeit und ökonomische Realität – Weiterhin Respekt im Umgang miteinander nach Beendigung der Konflikte – Interessen und Bedürfnisse von jedem Einzelnen – Erhalt von „Werten“ wie z.B. Firmenoder Familienbesitz, guter Ruf – Wohl der Kinder/Umwelt – Erhalt von Beziehungen (Schulgemeinschaft, Familie, Betrieb, Nachbarschaft, Elternschaft) – Absicherung der Zukunft – Anerkennung von Arbeit und Energie – Materieller und immaterieller Kontenausgleich, z.B. auch von Schuld – Ausgleich von Geben und Nehmen – Prinzipien der Rechtsordnung. Die Schwierigkeiten bei der Erarbeitung der „Fairnesskriterien“ liegen in dem Anspruch, dass die Kriterien einerseits so allgemein formuliert werden sollten, dass die zu findende Lösung nicht eingeschränkt wird,11 andererseits aber einen konkreten Bezug zur Thematik der Vereinbarung aufweisen sollten.12 Des Weiteren sollten die Kriterien intersubjektiv überprüfbar bzw. messbar sein, aber zugleich individuell spezifisch, denn: ,,Genau diese „Eigen-Gerechtigkeit“ ist in der zugestandenen Privatautonomie [...] ausdrücklich gemeint und gewollt. [Das bedeutet] zunächst, Abschied zu nehmen von der „objektiven“ Gerechtigkeit und eine Relativierung des normativen Rechts“.13 Bei grundsätzlicher Betrachtung ist eine Problematik ähnlich der Kartoffel-Szene zwischen Ralph und Ed erkennbar: Das Ergebnis bleibt für den einen stimmig. Für den anderen aber ist es – so entstanden – unfair, während es – anders entstanden – akzeptabel gewesen wäre: Die Kriterien, die auf das Entstehen verwendet werden, passen offensichtlich nicht unbedingt in gleicher Weise auf das Ergebnis. Bezogen auf Mediation als Verfahren lässt sich fragen: k Ist „Fairness“ nun einer unter mehreren möglichen Bewertungsmassstäben für die Vereinbarung, z.B. neben dem Recht? k Ist Fairness der (vorgegebene) Massstab, zu dem Auslegungskriterien gesucht werden sollen? k Können Fairness und Gerechtigkeit – wie von Diez und Murbach – synonym verwendet werden? k Und wie verhält sich der so benannte „Baustein“ zur Fairness als Charakteristikum des Mediationsprozesses? III. Fairness als Verfahrensgerechtigkeit Der amerikanische Philosoph John Rawls (1921–2002) konzipierte Fairness als Verfahrensgerechtigkeit bzw. „die [...] Fairness eines Vorgangs, [als diejenige] der Mittel oder der Art und Weise, in der verschiedenartige Ergebnisse oder Endzustände erzielt oder hervorgebracht wer- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 53 GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN den“.14 Dagegen bezieht sich distributive Gerechtigkeit auf die erzielten Ergebnisse oder Endzustände selbst. Als zentrales Kennzeichen einer verfahrensgerechten – fairen – Gesellschaft erachtet Rawls in seiner „Theory of Justice“ (1971), dass ihre Mitglieder ihr auch dann zustimmen könnten, wenn sie ihre eigene Stellung darin (noch) nicht kennen würden. Denn sie würden den Regeln zustimmen, welche „die jeweiligen Anteile an Vorteilen und Lasten festlegen“.15 Fairness taugt als Konzept daher „gerade dort, wo das gerechte Ergebnis als solches nicht mit anderen Mitteln festzustellen ist“.16 Selbstredend sind nicht alle Regeln per se „fair“. Der Entstehung fairer Regeln zuträglich ist der sog. „Schleier des Nichtwissens“17 bei ihrer Erarbeitung, um damit Vorteile weitgehend auszuräumen. Exemplarisch dafür ist „wie Kinder einen Kuchen fair teilen":18 „Ein Kind zerteilt den Kuchen, das andere wählt aus. Da kann man sagen, die Lösung sei fair [zustande gekommen!, KW]“.19 Diese Methode korrespondiert mit der „fairen Haltung",20 dass man nicht nur Vorteile einer Gemeinschaft geniessen will, sondern auch bereit ist, Belastungen zu übernehmen. Dies wiederum ist nicht zuletzt im Sinne der Nachhaltigkeit und Stabilität des gefundenen Entscheids „vernünftig“.21 Diese Haltung liegt auch der sog. Goldenen Regel zugrunde, bekannt bereits aus altägyptischen Spruchsammlungen: „Tu niemandem etwas Böses an, um nicht heraufzubeschwören, dass ein anderer es dir antue“.22 Sie existiert in vielfältigen Abwandlungen von Konfuzius, Augustinus, Thomas von Aquin, Voltaire bis hin zum deutschen Sprichwort: „Was Du nicht willst, dass man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu“.23 Die ihr zugrunde liegende Reziprozität wird im Neuen Testament positiv for-muliert: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das sollt ihr auch ihnen tun“.24 Mit der Goldenen Regel verknüpft sind nach Studer25 als Merkmale moralischer Urteile ihre Universalisierbarkeit (Anwendbarkeit auf eine Klasse von Fällen), sowie Präskriptivität („vor-schreibende“ Verpflichtung, auch selbst zur Erbringung der Leistung bereit zu sein, die als moralische Pflicht formuliert wird). Der Universalisierungsgrundsatz wurde von dem amerikanischen Sozialphilosophen George Herbert Mead (1863–1931) auch als „universeller Rollentausch“26 und Grundlage der Entstehung gesellschaftlicher Normen bzw. ihrer Generalisierung bezeichnet. 54 Zentral bei allen bisher skizzierten Konzeptualisierungen ist, dass nicht das „gerechte Ergebnis“ als Zielvorstellung der distributiven oder allokativen Gerechtigkeit im Vordergrund steht, sondern die Regeln ihres Zustandekommens.27 Hierauf würden sich folglich – begrifflich gesehen – auch so benannte „Fairnesskriterien“ in der Mediation beziehen. IV. Die konkrete Ausgestaltung fairer Verfahren – Procedural Justice Eine Reihe sozialwissenschaftlicher Arbeiten setzt sich damit auseinander, wie die Regeln fairer Kommunikations- und Entscheidungsverfahren konkret aussehen. Dies nicht zuletzt aufgrund des aus dem Recht bekannten sog. „Procedural-Justice-Effekts“:28 Beteiligte Parteien empfinden eine durch ein bestimmtes Verfahren festgelegte Aufteilung je eher als „gerecht“, je mehr sie das Verfahren als „fair“ einstufen, insbesondere im Falle eines für sie nachteiligen Verfahrensergebnisses. In der Diskursethik des deutschen Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas gehört zu den Voraussetzungen eines „begründeten Konsenses“ die „ideale Sprech(bzw. Dialog-) Situation“, mit: k dem Einschluss aller Interessenten und Betroffenen, k der gleichmässigen Verteilung der Dialogrechte, k dem Ausschluss von Zwang (zulässig ist nur die Überzeugungskraft der besseren Argumente), k der Aufrichtigkeit der29 Äusserungen der Diskursteilnehmer. Die amerikanischen Psychologen Thibaut und Walker bezeichnen in ihren Arbeiten neben der Verfahrenskontrolle (process control) auch die Entscheidungskontrolle (decision control) als entscheidende Variable.30 Während ersteres die Möglichkeit der Meinungsäusserung bezeichnet, meint zweiteres die Möglichkeit, die Entscheidung z.B. durch Vetorechte zu beeinflussen. Ergänzende Verfahrenselemente werden von Leventhal31 genannt: k Die Regeln gelten bei jeder Anwendung und verschiedenen Personen (consistency), k Die Durchführenden sind neutral (bias suppression), k Informationen werden korrekt gesammelt und angemessen berücksichtigt (accuracy), k Fehler können korrigiert werden (correctability), ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 k Moralische und ethische Werte der Be- teiligten werden berücksichtigt (ethicality). Neben diesen strukturellen Aspekten liegen weitere Fairness-Komponenten im Bereich des Umgangs, z.B. dem subjektiven Gefühl, mit Würde und Respekt behandelt zu werden.32 Erklärt wird der „Procedural-JusticeEffekt“ beispielsweise von der sog. Gruppenwerttheorie33 damit, dass Menschen grundsätzlich sozial integriert sein wollen (Selbstwertgefühl, soziale Identität) und dies u.a. an ihrer Behandlung ablesen. Mit entsprechend respektvoller, vorurteilsloser und ernsthafter persönliche Behandlung steigt dann auch die Bereitschaft, nachteilige Entscheidungen zu akzeptieren.34 Mediationen sind nach den hier genannten Aspekten per se faire Verfahren, in denen (wenn immer möglich) alle am Konflikt Beteiligten versammelt werden. Sie werden von einem/einer allparteilichen Dritten darin unterstützt, eigenverantwortlich tragfähige Regelungen bzw. Lösungen zu finden. Mediationen laufen nach einer klaren Struktur und in einem (mindestens seitens des Mediators) wertschätzenden Klima ab.35 14 Walkner, Gerechtigkeit und Fairness als Konzepte zur Überwindung der Widerstandsproblematik bei Beratungsprojekten, Bamberg, 2001, S. 99. 15 Rawls, Gerechtigkeit als Fairness. Ein Neuentwurf, Frankfurt, 2006, S. 57. 16 Walkner, s. Fn. 14, S. 78. 17 Rawls, s. Fn. 15, S. 40. 18 Hösl, Mediation – die erfolgreiche Konfliktlösung. Grundlagen und praktische Anwendung, München 2008, S. 89. 19 Hösl, ebd. 20 Studer, Fairness – Leerformel oder durchsetzbare Forderung? Das Wertewort Fairness in ausgewählten Bereichen der ethischen und juristischen Praxis, Konstanzer Universitätsreden, Band 219, Konstanz, 2005, S. 14. 21 Rawls, s. Fn. 15, S. 27. 22 Studer, s. Fn. 20, S. 16. 23 Studer, s. Fn. 20. 24 Matth. 7.12, Lukas, 6.31. 25 Studer, s. Fn. 20, S. 17 f. 26 Vgl. Mead/Morris/Pacher, Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt a. M., 1973. 27 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 14. 28 Vgl. u.a. Walkner, s. Fn. 14, S. 100. 29 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 15. 30 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 101. 31 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 105 f.; Klendauer/ Streicher/Jonas/Frey, in Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, Bierhoff/ Frey (Hrsg.), Göttingen 2006, S. 187–195, S. 190. 32 Vgl. Walkner, s. Fn. 14, S. 108 ff. 33 Lind/Tyler, The Social Psychology of Procedural Justice, New York, 1988; vgl. auch Klinger/Bierbrauer, ZKM, 2006, 72 f. 34 Vgl. Machura, Fairness und Legitimität, Reihe: Schriften zur Rechtspolitologie, Bd. 10, Baden-Baden, 2001, S. 11., sowie auch: Streicher, ZKM 2010, 100. 35 Vgl. Hösl, s. Fn. 18, S. 15, 29, 39. GRUNDLAGEN UND ENTWICKLUNGEN V. Fairness als „Prinzip der mittleren Ebene“ Die deutsche Philosophin Annemarie Pieper verortet Fairness zudem als Prinzip auf einer mittleren Ebene, auf der erstrebenswerte, universalisierbare Ziele, Basisnormen bzw. Grundwerte über ihre Anwendung stabilisiert werden,36 und „der Handelnde – etwa der Strafrichter – [in deren Sinn, KW] Ermessen ausüb[t]“.37 Solche Grundwerte sind beispielsweise „Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit, Menschenwürde, psychische und physische Integrität“.38 Diesem Verständnis der Fairness als Kriterium einer handlungs- bzw. anwendungsbezogenen Ebene und einer prozeduralen, nicht inhaltlichen Norm entsprechen auch Fairnessbegriffe anderer Wissenschaften: So umfasst juristische Verfahrensgerechtigkeit insbesondere das Recht auf Gehör oder das Recht auf Gegendarstellung39 bzw. Fairness als Gütekriterium von psychologischen Tests den Ausschluss von Diskriminierung.40 Auch Fair-Play im Sport erfordert das konsequente und bewusste Einhalten der Regeln im Dienste der Olympischen Idee als universalem Ziel.41 In Mediationen findet sich Fairness nach diesem Verständnis beispielsweise dann, wenn Medianden bei der Aushandlung ihrer Vereinbarung fair miteinander umgehen bzw. sich über Umgangsregeln miteinander während der Mediation verständigen. Damit wurde gleichsam der Ralphs Part bei der Kartoffelverteilung näher beleuchtet. Für die Praxis der Mediation heißt das, dass Fairness eher ein Kriterium der Gestaltung des Prozesses insgesamt ist, ob als phasenübergreifende, fortwährende Reflexionsdynamik eingebracht oder im Rahmen eines punktuellen „Bausteins“ erarbeitet. Da aber Eds Perspektive in ihrer Fokussierung des Ergebnisses sowohl in der Kartoffelszene als 36 Vgl. Pieper, Einführung in die Ethik, Tübingen/Basel, 2007, S. 32. 37 Vgl. Studer, s. Fn. 20, S. 18. 38 Pieper, Gut und Böse, München, 2002, S. 15. 39 Studer, s. Fn. 20, S. 40. 40 Vgl. Testkuratorium der Föderation deutscher Psychologenverbände: Mitteilung, Diagnostica, 32/ 1986, S. 358-360, S. 358. 41 Vgl. Deutsche Olympische Gesellschaft, FairPlay-Initiative 2009, http://www.dog-bewegt.de/ engagement/fair_play.html, 23.7.09. 42 Walkner, s. Fn. 14, S. 108. 43 Walkner, s. Fn. 14, S. 95. 44 Rawls, s. Fn. 15, S. 102. 45 Rawls, s. Fn. 15, S. 156. 46 Mastronardi, Mediation als Weg. Kunst und Technik der Vermittlung, Ittingen, 2000, S. 143. 47 Hösl, s. Fn. 18. 48 Besemer, Mediation – Vermittlung in Konflikten, Königsfeld/Baden, 1998, S. 79. 49 Mastronardi, s. Fn. 46, S. 131. auch in jeder Mediation von ebenso grosser Berechtigung ist, sollen im Folgenden auch Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit skizziert werden, um auch die weitergehenden, durchaus berechtigten Anliegen des mediativen Zwischenschritts von Dietz und Murbach theoretisch zu verorten. VI. Drei Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Gegenüber Fairness als Verfahrensgerechtigkeit oder prozeduraler Gerechtigkeit bezieht sich die distributive Gerechtigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit auf das Ergebnis sozialer Austauschbeziehungen. Dabei wird dieses Ergebnis42 von den jeweils Betroffenen dann als gerecht angesehen, wenn sich entweder k die Zuteilung im Ergebnis proportional zu den individuellen Beiträgen verhält (Beitragsprinzip bzw. Equitiy), oder k jeder der Beteiligten den gleichen Teil erhält (Gleichheitsprinzip bzw. Equality), oder k die Zuteilung den individuellen Bedürfnissen entspricht (Bedürfnisprinzip bzw. Need). Die Relevanz der jeweiligen Verteilungsnorm hängt dabei u.a. von der Natur der sozialen Beziehung (Freundschaft, Partnerschaft, Geschäftspartnerschaft etc.) und der zu verteilenden Ressource (Information, Güter, Dienstleistung/Service, Geld, Status, Liebe etc.) ab. Die Zufriedenheit mit dem Resultat der Verteilung hängt daher – distributiv betrachtet – von der Angemessenheit der Verteilungsnorm und dem Grad ihrer Erfüllung ab.43 Bei der Auswahl der Verteilungsnorm könnte wiederum auf Kriterien der Fairness zurückgegriffen werden: Nach dem Differenz- oder Maximin-Prinzip44 wird diejenige Alternative ausgewählt, bei dem die/ der Schlechtergestellte im Vergleich zu den übrigen Alternativen das beste Ergebnis erzielen kann.45 VII. Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit in der Mediation Die genannten Beispielkriterien (vgl. unter Ziff. II) zeigen, dass der Baustein „Fairnesskriterien“ in der Verwendung von Diez und Murbach tatsächlich auf allgemeine Prinzipien zielt, die den Medianden grundsätzlich wichtig sind und die sie in der zu findenden Vereinbarung berücksichtigt wissen wollen. Von den klassischen Interessen und Bedürfnissen (explizit in jeder Mediation thematisiert als dritte Phase) unterscheiden sich diese Bewertungsmassstäbe oder -prinzipien dadurch, dass sie (noch) allgemeiner bzw. unabhängiger vom Gegenstand der Mediation sind. Sie werden von der Mehrheit der Autoren des Mediationsfeldes thematisiert: k Mastronardi beschreibt als „prinzipienorientiertes Verhandeln“: „Bringe die Parteien dazu, alles, was sie wollen, zu begründen, damit das Gespräch auf eine möglichst rationale Ebene gehoben wird“46 und fragt die Parteien nach „ethischen, moralischen und rechtlichen Grundsätzen“, um „objektive Prinzipien und nicht mehr nur subjektive Auffassungen“ als Begründungsraster zu haben. k Hösl47 fragt (in Phase 1 der Mediation) nach den „Bewertungskriterien“ der Medianden für ihre zu treffende Vereinbarung und bietet dann an: „Was halten Sie vom Kriterium der Fairness?“ Andere Kriterien seien z.B. Gerechtigkeit, Gleichheit, Effizienz, Vernunft. k Besemer bezieht sich auf das faire Zu- standekommen der Vereinbarung, und fragt: „ob alle vom Problem Betroffenen die Möglichkeit hatten, an der Problemlösung mitzuarbeiten, ob alle gleiche Chancen im Verhandlungsprozess hatten etc.“.48 Fairness ist damit einer von mehreren möglichen Massstäben, die von den Medianden zur Bewertung und Prüfung ihrer Vereinbarung festgelegt bzw. ihnen vom Mediator/der Mediatorin angeboten werden können. Fairness ist kein Synonym für Gerechtigkeit, sondern bezieht sich auf den Prozess, nicht das Resultat des Verhandelns. Weitere Bewertungsmassstäbe neben Fairness und Gerechtigkeit wären z.B. gesetzliche Bestimmungen, Praktikabilität, wirtschaftliche Machbarkeit, Einhaltbarkeit bestehender Verträge, moralische Werte, politische und religiöse Grundgesinnungen.49 Die Bezeichnung „Fairnesskriterien“ als Titel der Erarbeitung verschiedener Massstäbe ist daher einengend und verwirrend. Zudem widerspräche die (alleinige) Festlegung dieses Massstabs als Prüfmassstab an dieser Stelle dem Autonomieanspruch der Medianden. Diese Arbeit nicht auf die Frage zu beschränken: Wann finde ich den Entscheidungsfindungsprozess fair, sondern: An welchen Massstäben soll der Prozess als Ganzes und sein Ergebnis gemessen werden, ist hingegen für ein Gelingen der Mediation ausserordentlich wichtig. Hier erscheinen dann Gerechtigkeit, Absicherung der Zukunft, Erhalt von Beziehungen Prinzipien der Rechtsordnung etc. (im richtigen Licht). ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 55 ARBEIT UND ORGANISATION VIII. Schlusswort: Nicht „Fairness-“, sondern „Prüfkriterien“ Fairness des Verfahrens ist der (Idee der) Mediation inhärent. Hierbei gibt es verschiedene Auffassungen zur Einbindung der Medianden: Die Grundregeln der Mediation wie Fairness, Transparenz, Verschwiegenheit usw. können vom Mediator/der Mediatorin vorgegeben oder (teilweise) im Sinne der Umgangsregeln mit Parteien erarbeitet bzw. konkretisiert werden. Im Sinne Rawls würde es sich dabei um „Fairnesskriterien“ im eigentlichen Sinn handeln. Der phasenunabhängige Baustein – nennen wir ihn vorläufig neutraler ,,Be- wertungs- und Prüfkriterien“ – hingegen kann „Fairness“ als möglicherweise einen von mehreren Massstäben beinhalten. Essentiell ist – und das sei Plädoyer wie Fazit dieses Artikels –, Begriffe in dem jungen Feld der Mediation unter Berücksichtigung ihres vorhandenen begrifflichen Gehalts zu verwenden, allein schon, um Verwirrungen der Art zu vermeiden, wie sie im eingangs zitierten Dialog aus den „Honeymooners“ eben aus der Vermischung von Prozess und Resultat erwachsen. Denn Medianden repräsentieren auch betreffend ihre Vorbildung einen Querschnitt aus der Gesellschaft, und wären – mit sozial(wissenschaftlich)em, Ann Christine Hlawaty Weniger ist mehr – Teil 2 Diagnostik als Element der Qualitätssicherung bei Mediationen im Arbeitsleben In diesem Artikel werden ausgewählte Aspekte eines von der Verfasserin entwickelten Modells zur Einschätzung der Eignung des MediationsverfahAnn Christine rens bei der LöHlawaty sung innerbetrieblicher Konflikte dargestellt. Der bereits erschienene 1.Teil befasste sich mit den entscheidungsrelevanten Kontextvariablen. Im vorliegenden 2. Teil werden neben den Grundsatzorientierungen professioneller Diagnostik die personenbezogenen Erfolgsfaktoren in der Mediation dargelegt. Teil 1 (Heft 1/2015, 164): A. Warum eigentlich Diagnostik? B. Kontextvariablen I. Dysfunktionale Strukturen oder Prozesse II. Vakanzen oder gravierende Defizite auf Leitungsebene III. Komplexe Langzeitkonflikte C. Personenbezogene Variablen Ein wenig heikel ist die Tatsache, dass nicht alle Konfliktbetroffenen die Voraussetzungen mitbringen, um vom Media56 tionsverfahren zu profitieren. Mediation braucht kompetente Medianden, um zu gelingen. Die großen Vorteile „Eigenverantwortlichkeit“ und „Selbstbestimmtheit“ sind ohne eigenes Zutun nicht zu haben. Jeder Schritt des mitunter anstrengenden Weges zur Verständigung muss von den Parteien aus eigener Kraft selbst geleistet werde. Es gibt keine Abkürzungen und keinen Personennahverkehr. Mediation ist ein anspruchsvolles Verfahren, das nur funktioniert, wenn die Beteiligten engagiert mitarbeiten. Nicht jedem Auftraggeber und längst nicht allen Medianden ist das bewusst. Wer sich im Fitnessstudio anmeldet ahnt, dass er dort keine E-Bikes zu seiner körperlichen Ertüchtigung vorfinden wird. Aber so mancher, der sich an einen Mediator wendet, hofft auf ein Wunder. Diagnostik im Vorfeld des Verfahrens kann helfen, unrealistische Vorstellungen und Hoffnungen aufzuspüren und gerade zu rücken. Nach meinem Verständnis zielt darauf übrigens § 2 (2) MedG ab: „Der Mediator vergewissert sich, dass die Parteien die Grundsätze und den Ablauf des Mediationsverfahrens verstanden haben (...)“ Alle, die nicht Gedanken lesen können, brauchen für eine solche Vergewisserung ein diagnostisches Repertoire. Die reine Erläuterung des Phasen-Modells reicht nicht, um sicherzustellen, dass Medianden wissen, worauf sie sich einlassen, was Mediation leisten kann und an welchen Stellen ihr eigener Einsatz erforderlich ist. Nur dann aber ist eine ei- ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 juristischen, psychologischen o.Ä. Hintergrund – begrifflich möglicherweise mindestens verunsichert. Anderen müsste der/die Mediator/in die Begriffe erklären – und hätte mit Bezug auf ihren Kontext ein profundes Instrumentarium. Dr. Katja Windisch Soziologin und Mediatorin SDM-FSM, Geschäftsleitung des Departements Gesellschaftswissenschaften an der Universität Basel, Lehraufträge u.a. an der Humboldt-Universität zu Berlin, Mitglied des Mediations-Teams Basel [email protected] www.mediations-team.com/ genverantwortliche Entscheidung für dieses Verfahren überhaupt erst möglich. Und nur dann haben wir genügend Rückenwind für eine gemeinsame Lösung. I. Personenbezogener Diagnostik: Ressourcenorientierte phänomenologische Verhaltensbeobachtung Bevor wir uns den personenbezogenen Erfolgsfaktoren in der Mediation zuwenden können, muss zunächst noch etwas Grundsätzliches vorausgeschickt werden: Entscheidend ist die Blickrichtung. Modellhaft kann man sich die menschliche Persönlichkeit in etwa wie eine Zwiebel aufgebaut vorstellen, s. Abbildung.1 Den inneren Kern (1) bildet das materielle Grundgerüst der Seele, zum 1 Grafik aus: Hlawaty, „Die Coaching Kompetenzen“ in der Reihe „Führen und Verantworten“, Medienpaket, Ernst Klett Verlag 1997. ARBEIT UND ORGANISATION überwiegenden Teil bestehend aus Eiweiß, also Neuronen und Neurotransmittern. Hier wird aus Psychologie Biologie – und umgekehrt. Eine Ebene darüber (2) befinden sich sog. „Lebensprogramme und Prägungen“: verdichtete, in der Regel vorsprachliche Erfahrungen über das Selbst und die Beschaffenheit und Wirkzusammenhänge der Welt. Darüber liegen die Ebenen (3) „Motive, Einstellungen, Werte“ sowie (4) „Gedanken, Gefühle, Erleben“ Die äußeren Schichten der Zwiebel schließlich bildet die öffentliche Person. Zur öffentlichen Person gehören „Verhalten und Äußerungen“ (5) sowie „Leistungen“ und „Resonanzen“ eines Menschen. (6) Im Großen und Ganzen ist davon auszugehen: je tiefer eine Schicht in diesem Modell angesiedelt ist, desto weniger ist sie dem reflektierenden Bewusstsein zugänglich. Üblicherweise (sozusagen als „Standardeinstellung ab Werk“) haben Menschen beim Betrachten ihrer Artgenossen bevorzugt den Hintergrund im Vordergrund – in unserer Abbildung die Ebenen 2-4. Menschen beschäftigen sich liebend gern mit ihren Fantasien zu den vermutlichen Motiven, Beweggründen und (psychischen) Strukturen anderer (Personen) und antizipieren darüber deren zukünftiges Verhalten. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, zumal diese Angewohnheit aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich zum Erfolg unserer Spezies beigetragen hat.2 Im Konfliktfall allerdings kann diese Wahrnehmungsvorliebe ganz maßgeblich an Entstehung und Aufrechterhaltung von Kontroversen beteiligt sein. Professionelle Diagnostik konzentriert sich auf die öffentliche Person. Was sagt jemand? Was macht er? Und welche Effekte ruft er hervor? Mehr nicht. Was sich im ersten Moment wie eine fahrlässige Einschränkung des Gesichtsfeldes anhört, hat viele Vorteile: die weitaus größere Präzision der Informationsaufnahme und das „eingebaute“ Taktgefühl. Alle im dargestellten Modell tiefer angesiedelten 2 Z.B. gilt die Fähigkeit, die logischen Strukturen seines Gegenübers zu erkennen als einer der Gründe dafür, warum es dem Schachgroßmeister Garry Kasparov anfangs gelang, das Computerprogramm „Deep Blue“ zu besiegen. 3 Solche Verläufe finden sich häufiger: Wenn das „Nein“ einfach beiläufig freundlich begrüßt und zur Kenntnis genommen worden ist, kommt meistens ohne großartiges weiteres Zutun auch noch ein „Ja“ durch die Tür. 4 In der Psychologie bezeichnet der Begriff „Performanz“ die Fähigkeit durch den eigenen sprachlichen oder körperlichen Ausdruck Atmosphären in sozialen Kontexten zu verändern. Schichten sind privat. Sie sind nur dann Thema in der Mediation, wenn die Betreffenden sie aus eigenem Antrieb ins Spiel bringen, also von sich aus Persönliches besprechen oder zeigen wollen. Das heißt auch: Aufdeckende und tiefende Interventionen gehören nicht zum Repertoire von Mediationen im Arbeitsleben. Im beruflichen Kontext halte ich für elementar, die Grenze zwischen Arbeit und Privatem strikt zu wahren. Freiwilligkeit bedeutet, dass Medianden bei jedem Schritt nach eigenem Gutdünken entscheiden, wie weit sie sich vorwagen wollen und dazu u.a. erwägen, wie viel Offenheit sie auch am nächsten und an allen weiteren Arbeitstagen weiterhin richtig finden werden. Wer sich jetzt Sorgen macht, dass diese Haltung in Mediationen dazu führen könnte, aus lauter Vorsicht am Eigentlichen vorbei zu segeln und sich mit Oberflächlichem und Belanglosem zu beschäftigen, sei beruhigt: Konfliktbetroffene haben von sich aus ein tiefes Bedürfnis und Drängen danach, zu verstehen und verstanden werden zu wollen. Sobald Medianden erkennen, dass niemand gegen ihren Willen ihr Innerstes nach außen kehren wird, äußern sie aus eigenem Impuls, was für die Lösung erforderlich ist. ... und wenn nicht, dann sollte sich niemand gezwungen, verpflichtet, überredet oder verführt fühlen. Mindestens ebenso wichtig wie die Blickrichtung ist die Intention von Diagnostik. Wonach suchen wir eigentlich? In unserem Kulturkreis erfreut sich das Ermitteln und Analysieren von Fehlern und Schwachstellen großer Beliebtheit. Für ein gelingendes soziales Miteinander ist das Gift. Wahrscheinlich mehr als alles andere brauchen Menschen positive Resonanz und Bestätigung, um friedliche Koexistenz leben zu können. An vielen Konflikten sind gegenseitige Schuld- und Versagensvorwürfe ursächlich beteiligt. Hier ist Umkehr gefragt. Im Zentrum professioneller Diagnostik und der daraus resultierenden Interventionen stehen die Kompetenzen, Ressourcen und Leistungen der Beteiligten und ihrer Interaktionen: Was funktioniert gut? Warum? Welche Stärken, Fähigkeiten und Qualitäten sind erkennbar? Potentialorientierung ist radikal und konsequent darauf ausgerichtet, die Bausteine zukünftiger gemeinsamer Erfolge zu finden und zu nutzen. In Mediationen erweist sich der ressourcenorientierte Blick als Analysetool und Intervention zugleich und wirkt auf Medianden bereits in den Vorgesprächen unmittelbar beruhigend und entspannend. II. Lösungswille, Standpunkt, Distanz, Perspektivenwechsel – Die personenbezogenen Erfolgsfaktoren Jede Theorie ist eine Reduktion der Komplexität von Wirklichkeit mit dem Ziel Handlungskompetenz zu erhalten und zu steigern. In den teilweise aufgeheizten Atmosphären von Konfliktlösungsprozessen müssen beachtliche Informationsmengen irgendwie einigermaßen strukturiert aufgenommen werden, um zu entscheiden, ob und wenn ja wie wir eine realistische Chance haben, die Probleme zu bewältigen. In meiner Praxis hat sich bewährt, beim Blick auf die Personen den oben genannten vier Aspekten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Bereits im Vorgespräch sollten diese Erfolgsfaktoren bei Medianden zumindest in Ansätzen erkennbar sein. 1. Lösungswille „Please hold the line“ Betriebsrat und Geschäftsführung eines Versicherers haben es nicht leicht miteinander und schon einige Versuche unternommen, ihre Zusammenarbeit erträglicher zu gestalten. Bislang ohne rechten Erfolg. Die Arbeitgeberin fragt eine Mediation an. In solchen Fällen möchte ich mich beiden Seiten zunächst ergebnisoffen persönlich vorstellen. Der Betriebsratsvorsitzende leitet das Vorgespräch damit ein, dass er unter den gegebenen Umständen nicht die geringste Chance auf Verständigung sähe. Auch die anderen Betriebsräte zeigen sich äußerst skeptisch und misstrauisch. Allerdings verändert sich die Atmosphäre nach diesem nicht eben ermutigenden Auftakt rasch, und es ist entwickelt sich mehr und mehr Zuversicht im Raum.3 Als ich gegen Ende schließlich frage, ob es noch etwas gäbe, was ich wissen sollte, ergreift der bislang überwiegend schweigsame BRV das Wort: Das Gespräch sei angenehm gewesen – und ich auch nett. Einen Erfolg des geplanten Vorhabens könne er sich allerdings weiterhin nicht vorstellen. Er werde an der Mediation teilnehmen, könne aber bereits jetzt vorhersagen, dass die gesamte Aktion aussichtslos sei. – Drei Sätze – und die Stimmungslage des Gremiums befindet sich schlagartig wieder im Keller. So viel Performanz4 beeindruckt – auch wenn sich der Effekt gerade als bedauerlich erweist. Bei Formulierungen wie „Ich kann nicht“, ist immer lohnend zu prüfen, wie es um das Wollen der Person bestellt ist. Für das Gelingen einer Mediation ist Lösungswille unverzichtbar. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 57 ARBEIT UND ORGANISATION Beziehungsangebote der Kategorie „Machen Sie mal ...“ oder „Überzeugen Sie mich, dass dieses Vorgehen gut für uns ist.“ sind Freifahrtscheine in die Katakomben belasteter Systeme und enden in Verwicklung und Verstrickung. Bevor wir beginnen, sollte immer sichergestellt werden, dass die Beteiligten sich ernsthaft und aus freien Stücken entschieden haben, miteinander an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Im dargestellten Beispiel beende ich das Gespräch deshalb in etwa wie folgt: Unter diesen Bedingungen würde ich nicht kommen. Der BRV habe soeben ein weiteres Mal die für den Erfolg der angedachten Veranstaltung mit weitem Abstand allerwichtigste Frage aufgeworfen. Inzwischen hätten sicher alle eine ausreichend konkrete Vorstellung davon, wie wir in etwa vorgehen würden. Jetzt stünde an, das Vorhaben im Gremium sehr kritisch zu diskutieren und sich dann zu entscheiden. Auf eines aber müsse ich mich bitte verlassen können: Sollten die Zweifel überwiegen, dürften die Anwesenden dem Verfahren keinesfalls zustimmen. – Anschließend verabschiede ich mich freundlich und gehe.5 Eine weitere mögliche Klippe kann darin bestehen, dass Menschen im Arbeitsleben sich oft im Sinne sozialer Erwünschtheit äußern, aber eigentlich (noch?) nicht bereit sind, an einer produktiven Streitbeilegung mitzuwirken.6 Manchmal begegnet uns auch vorgeblicher Lösungswille „Ich würde mich ja sofort verständigen – wenn der andere ein anderer wäre.“ Die Entscheidung, die Medianden sehr gewissenhaft für sich allein fällen müssen und die ihnen niemand abnehmen oder erleichtern darf, lautet: „Will ich tatsächlich mit meinem Konfliktgegenüber, so wie es nun einmal ist, eine neue Ebene finden und nach Lösungen suchen, mit denen wir alle gut leben können? 2. Standpunkt „Concordia domis – foris pax“ Ohne halbwegs offene Meinungsäußerungen gibt es keinen produktiven Dialog. Im beruflichen Kontext kommt häufiger vor, dass Medianden sich so bedeckt halten (Pokerface), dass Verstehen und Verständigung massiv erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden. Vor Beginn eines Konfliktlösungsverfahrens ist daher zu klären: Sind die Beteiligten bereit, und sind sie in der Lage, ihre Vorstellungen, Anliegen und Interessen vorzutragen? 7 58 Es kann sein, dass Konfliktbetroffene selbst (noch) nicht so genau wissen oder formulieren können, was genau sie eigentlich stört oder entrüstet. Dies insbesondere, wenn der Konfliktgegenstand in einem Fachgebiet liegt, in dem die Parteien sich unterschiedlich gut auskennen und eine Seite die Befürchtung hat sich zu blamieren. Manchmal sind Konfliktinhalte auch sehr persönlichkeitsnah und deshalb schambesetzt und schwer in Worte zu fassen. Als besonders anspruchsvoll erweist sich die Umwandlung von Störungen in positive Zielvorstellungen. Viele Menschen können ohne Probleme sehr detailliert und anschaulich schildern, was sie falsch finden, aber es fällt ihnen unglaublich schwer zu erläutern, unter welchen Bedingungen sie zufrieden wären oder wie ihrer Einschätzung nach erste Schritte in eine bessere Richtung aussehen könnten. Manchmal liegt es auch daran, dass zusätzlich zum äußeren ein inneres Konfliktgeschehen vorliegt, weil gerade „zwei oder noch mehr Seelen in einer Brust wohnen“: von Mediation sicherzustellen, dass die Personengruppen sich jeweils intern auf gemeinsam getragene Anliegen und Interessen verständigt haben. 3. Distanz Ein Unternehmen hat einen ehemaligen Mitbewerber als Spezialisten für die eigene Entwicklungsabteilung gewinnen können. Dieser etwa 55 Jahre alte Ingenieur ist inzwischen kreuzunglücklich: Seinen eigenen kleinen Betrieb hat er abgewickelt und im neuen Unternehmen nicht die erhoffte Position und Autorisierung vorgefunden. Während des Vorgespräch oszillieren seine Vorstellungen unablässig und in rascher Abfolge zwischen (1) dem Beenden des ungeliebten Arbeitsverhältnisses, wobei er im Anschluss absolut keine berufliche Alternative für sich erkennen kann, und (2) dem Fortführen der Beschäftigung – dies allerdings nur unter Bedingungen, die in der gegebenen Situation ohne Zweifel vollkommen unrealistisch sind. So versteigt er sich in die gänzlich unproduktive Position, getäuscht und betrogen worden zu sein und produziert in seiner Abteilung beachtliche Störungen. ,,Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich selten dazu.“ (Ödön von Horváth) Bei dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus findet sich ein Bericht über ein aus heutiger Sicht hochmodernes Beschlussverfahren der Germanen: Vor wichtigen Entscheidungen ging der Stammesälteste mit seinem Rat der Weisen zunächst einmal alle Argumente durch. Anschließend wurden größere Mengen Alkohol verteilt und konsumiert, und man beriet erneut. Als tauglich befunden wurden Entscheidungen erst dann, wenn sie in beiden Bewusstseinszuständen identisch waren. Die Bedeutung der Balance von Denken und Fühlen erfährt als Grundlage dauerhafter Lösungen gegenwärtig wissenschaftliche Bestätigung und Renaissance. Beide Qualitäten sind unverzichtbare Bestandteile des Gelingens. Im psychologischen Fachjargon wird Distanz auch als Fähigkeit eine exzentrische Position einzunehmen bezeichnet und markiert den Unterschied zwischen selbstgesteuertem Handeln und re-aktivem Agieren. Konkret bedeutet Distanz: – So viel Abstand zu sich selbst in dem Geschehen herstellen zu können, dass Selbstwahrnehmung und Introspektion überhaupt möglich sind und bewusst entscheiden werden kann, wie viel davon man dem Konfliktgegenüber offenbaren will. – In der Lage zu sein, sich zumindest streckenweise von der eigenen Betroffenheit zu lösen und anderen Aspekten und Sichtweisen zuzuwenden. Damit ist Distanz eine der Voraussetzungen, um mit anderen Menschen in einen Dialog und Gedankenaustausch treten zu können. Wenn eine innere Zerrissenheit so virulent ist, dass die Person keinen Gedanken im Raum stehen lassen kann, ohne unmittelbar ins Gegenteil zu verfallen, ist sie zu dieser Zeit ihres Lebens einer Mediation nicht gewachsen. Manchmal kann externe Unterstützung nötig sein, damit zunächst ein einigermaßen stabiler innerer Frieden hergestellt wird, bevor ein Mensch seinem Ärger mit der Außenwelt entgegen tritt. Gleiches gilt für Konfliktlösungen zwischen Mehrpersonenparteien. In unserer täglichen Arbeit nehmen Konfliktlösungen zwischen Arbeitgebervertretungen und Mitbestimmungsorganen einen großen Raum ein. Hier ist im Vorfeld 5 Grundsätzlich möchte ich, dass potentielle Medianden sich nicht bereits im Vorgespräch entscheiden, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen, sondern bitte sie immer, sich ein paar Tage Bedenkzeit zu gönnen. Im vorliegenden Fall ist die Mediation übrigens völlig problemlos zustande gekommen und gelungen. 6 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die sich gegenwärtig abzeichnende Tendenz in der Arbeitsgerichtsbarkeit, das Ablehnen einer Mediation im anschließenden Gerichtsverfahren negativ zu bewerten, dem Grundgedanken der Freiwilligkeit widerspricht. Siehe hierzu auch Dahl in Koweit/Gäßler, Kommentar zum Mediationsgesetz, Nomos 2014, S. 378 Rz. 21. 7 Inschrift über dem Lübecker Holstentor, frei übersetzt: „Eintracht innen – außen Frieden“. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 ARBEIT UND ORGANISATION – Außerdem werden Affektkontrolle und Selbststeuerung – ein kühler Kopf – benötigt, um Alternativen und deren mögliche Folgen und Gefahren erkennen und abschätzen zu können. Unter starkem Stress entspricht die individuelle Wahrnehmung der Außenwelt in etwa der Sehkraft eines Maulwurfs, während Risikobereitschaft und Engagement umgekehrt proportional zunehmen. Affektiv aufgeladene Zustände sind also ungeeignet, um kompetent und eigenverantwortlich Entscheidungen zu fällen. Nach meinem Empfinden gehört es zu den Aufgaben des Mediators, im Vorfeld zu überprüfen, ob eine exzentrische Position eingenommen werden kann. Ein ausgesprochen gutes Zeichen ist übrigens, wenn Personen noch über Restbestände von Humor verfügen und sich beispielsweise mit dem Gedanken anfreunden können, dass „jedes Ding drei Seiten hat: eine gute, eine schlechte und eine komische.“ (Karl Valentin) Ganz grundsätzlich sollte während des gesamten Verfahrens im Blick behalten werden, dass Medianden die Beherrschung nicht verlieren – schließlich sind sie auf der Arbeit und nicht in der Therapie. Um Missverständnissen vorzubeugen: Gefühle gehören dazu. Ein ordentliches Wut-Gewitter kann reinigende Wirkung haben und der Ausdruck von zarten Empfindungen wie Verletzung, Schmerz, Scham oder Angst mitunter sogar die Voraussetzung dafür sein, dass dauerhafte Problemlösungen gefunden werden. Gleichzeitig hängen Qualität und insbesondere Tragfähigkeit von Ergebnissen entscheidend davon ab, ob die Beteiligten finden, durchgängig ausreichend Kontrolle behalten zu haben, also in der Mediation nicht „völlig außer sich“ geraten zu sein. Bezogen auf die Bereitschaft, Einblicke in das eigene Gefühls- und Seelenleben zu gewähren, gibt es stark differierende kontextabhängige Gepflogenheiten. Während eine gewisse Offenheit und Redseligkeit in manchen Berufsgruppen (z.B. meiner ei8 Was in einem Text kaum zu vermitteln ist: diese Aussage war nicht als Entwertung gemeint. Für den CEO hatten sachlogische Fragestellungen und Erfordernisse sowie absolute Ehrlichkeit oberste Priorität. Bezogen auf Gefühlsbotschaften und persönliche Anliegen zeigte er sich auch im weiteren Verlauf der Mediation weitestgehend blind und taub und behandelte Herzensangelegenheiten wie Denksportaufgaben – Dabei war er allerdings durchgängig und unter erkennbar gewaltigem Stress ernsthaft bemüht, alles „richtig“ zu machen. Demgegenüber hatte der HR Manager in ebenso radikaler Ausschließlichkeit – auch in seinem Verantwortungsbereich – nur die emotionalen Belange im Vordergrund. genen) und Arbeitsfeldern vorausgesetzt wird, ist das Veröffentlichen von Innenwelten in anderen Bereichen des Arbeitslebens eher unüblich. Allparteilichkeit bedeutet auch, bei den Konfliktbeteiligten die Gegebenheiten zu akzeptieren und mit dem zu arbeiten, was Medianden aus freien Stücken entfalten wollen. 4. Perspektivenwechsel ,,Ein Wort gab das andere. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen.“ (Lothar Matthäus) CEO und HR Manager eines Konzerns unterstellen einander Intrigen und Demontage und wollen einen Versuch unternehmen, ihre Zusammenarbeit zu verbessern. In der Mediation gestaltet sich die Kommunikation mühsam. Zu verstehen, was der jeweils andere gerade gesagt hat, scheint für beide in etwa so anspruchsvoll wie die Übersetzung klingonischer Poesie. Der HR Manager erläutert schließlich, er fühle sich in seinem Engagement und seiner Leistung nicht gesehen und fragt ganz direkt, was der CEO eigentlich von seiner Arbeit mitbekäme und gut fände. Daraufhin schweigt der CEO – gefühlt minutenlang – und berichtet dann, dass das Catering in den Meetings immer ganz ausgezeichnet sei 8 Perspektivenwechsel hat eine sachlogische und eine zwischenmenschliche Komponente. Letztere bedeutet, die IchGrenzen zeitweise zu überwinden, was sich bereits in den Begrifflichkeiten ausdrückt: In der Sprache der Hopi Indianer beispielsweise wird Perspektivenwechsel sehr anschaulich als „eine Weile in den Mokassins des anderen wandern“ bezeichnet. Im Deutschen spricht man davon „sich in jemanden hineinzuversetzen“ oder „etwas durch seine Augen zu sehen“. Interpersonell umfasst die Qualität Perspektivenwechsel: Hinschauen: Die Vermeidung von Blickkontakt ist in vielen Konflikten Ursache und Wirkung zugleich. Wenn Menschen einander nicht mehr ansehen (mögen), findet eine wahre Kettenreaktion verhängnisvoller Effekte statt. Unter anderem auch deshalb hat sich bewährt, die Platzwahl konfliktzentraler Personen zu steuern. Die weitreichende Bedeutung visueller Kontaktaufnahme wurde erstmalig von dem Italiener Giacomo Rizzolatti und seinen Mitarbeitern in geradezu bahnbrechenden Experimenten nachgewiesen. Seither wissen wir, dass Menschen – eigentlich – „wie gemacht“ für Mitgefühl und intuitives Verstehen sind. Sobald Personen einander anschauen, geht es gar nicht anders, ein einziger Blick, und die aktuelle Befindlichkeit des jeweils anderen ist in einer Tiefe erfasst, die weit über das hinausreicht, was Worte zu leisten vermögen. Unser soeben dargestelltes Beispiel zeigt allerdings auch, dass nicht jedem gegeben ist, mit diesen autonomen Resonanzphänomenen in konstruktiver Weise umzugehen. Zuhören: Verhältnismäßig viele Menschen tun sich schwer damit, anderen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. In Konflikten wird diese Tendenz weiter verstärkt. Konkret bedeutet das: Entweder die Konfliktbeteiligten reden selbst – oder sie bereiten sich darauf vor zu reden und warten auf den Moment, in dem das Gegenüber Atem schöpfen muss. Man braucht kein Experte zu sein, um zu erkennen, ob Personen wirklich zuhören: echte Dialoge zeichnen sich dadurch aus, dass Gesprächspartner einander ausreden lassen und sich wechselseitig aufeinander beziehen. Einordnen: Zur Beurteilung sozialer Situationen und zur Antizipation von Effekten des eigenen Handelns greifen Menschen auf emotional bewertete abgespeicherte Erlebnisse zurück. Dieser Vorgang dauert nur wenige Millisekunden. Im oben dargestellten Beispiel liegt das Problem nicht darin, dass der CEO anscheinend kaum weiß, was der HR-Manager macht. Unglücklich ist seine Einschätzung, wie eine adäquate Beantwortung der Frage des Mitarbeiters aussieht. Soziale Sensibilität und interpersonelle Effektivität hängen entscheidend davon ab, ob eine Person auf einen Erfahrungshintergrund zurückgreifen kann, der es ihr ermöglicht, die vom anderen gesetzten Schwerpunkte (in dessen Sinne) richtig zu erfassen und sich gleichzeitig die Auswirkungen des eigenen Verhaltens vorzustellen. Bei dauerhaften Konflikten besteht das Handikap übrigens meistens nicht darin, dass die Personen sich nicht verstehen und die Äußerungen des jeweils anderen nicht einordnen können. Ganz im Gegenteil finden wir bei „gut eingespielten“ Langzeitfeinden vielmehr häufig eine große Nähe oder sogar eine komplementäre Seelenverwandtschaft kombiniert mit der fatalen Neigung, gegenseitig die roten Knöpfen zu bedienen. Aushalten: Eigentlich weiß es jeder und dennoch kann es zuweilen unbegreiflich oder unerträglich sein: Wirklichkeit ist ein Konstrukt und hängt stark von der individuellen Blickrichtung ab. In Konfliktsituationen erweist sich die wiederbelebte Akzeptanz dieser Erkenntnis immer als erster Schritt des Verstehens, dass auch der eigene Gegenspieler für seine ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 59 PRAXISFALL Verhaltensweisen subjektiv nachvollziehbare Gründe hat. Im oben dargestellten Beispielfall wurde Lösung möglich, als es den beiden Managern gelang, ihre wirklich sehr weit auseinander liegenden Wahrnehmungsspezialisierungen als individuelle Eigenarten zu erkennen und zu tolerieren. Angesichts der vielen in den vorangegangenen Abschnitten dieses Artikels dargestellten psychologischen Aspekte könnte der Eindruck entstehen, dass es bei Konflikten im Arbeitsleben vorrangig um die Klärung persönlicher Problematiken ginge – was falsch wäre. Dem mit weitem Abstand überwiegenden Teil der an uns herangetragenen Thematiken liegen handfeste sachlogische Meinungsverschiedenheiten bzw. systemimmanente Interessengegensätze zugrunde, bei denen die phasenweise auftretenden „Nickeligkeiten“ nicht überbewertet werden sollten. In den allermeisten Fällen finden wir menschlich und fachlich hochkompetente Parteien in Situationen, die meine Kollegin Dr. Katja Mückenberger ebenso anschaulich wie zutreffend als „verkantet“ bezeichnet. Bei der Lösung punktueller inhaltlichen Verkantungen steht im Vordergrund, die sachlogischen Komponenten von Perspektivenwechsel zu fokussieren, d.h. u.a.: Haben alle Beteiligten Zugang zu den relevanten Informationen? und: Haben sie das Fachwissen oder entsprechende Unterstützung, diese verstehen und einordnen zu können? Zusätzlich gehören systemisches Denken und die Fähigkeit zur Antizipation von Effekten und Risikoanalyse zu den sachlogischen Anteilen von Perspektivenwechsel. D. Fazit Das eigentliche Anliegen von Konfliktbetroffenen ist die Lösung eines Problems und nicht die Durchführung eines spezifischen Verfahrens. Vor jedem Eingreifen in belastete Systeme stehen diagnostische Erwägungen zu Effizienz und Effektivität der in Betracht kommenden Maßnahmen. Professionelle Konfliktlösungsberatung im beruflichen Kontext berücksichtigt die Bandbreite der Interventionsmöglichkeiten und gibt minimalinvasiven Strategien der Vorrang. Ann Christine Hlawaty, Psychologin und Mediatorin, Hamburg. Kooperationspartnerin des Frankfurter Unternehmens roland lukas KONFLIKTLÖSUNGEN Heiner Krabbe/Michaela Steinwender/Gert Fürst Kurz-Zeit-Mediation in einem Anlegerverfahren – ein Praxisfall Auf Anraten des Handelserläutert. Im Gerichtsvergerichts Wiens wurde ein fahren wäre mit umfangAnlegerverfahren mit einer reichen ZeugenvernehSchadenssumme von 23 mungen zu rechnen geweMillionen Euro im Rahmen sen. Einschätzungen gineiner Kurz-Zeit-Mediation gen von einem Zeitraum erfolgreich beendet. Nach von bis zu zehn Jahren einer sehr ausführlichen aus. Dieses Zeit- und KosVorlaufphase (hearing, tenrisiko gab letztlich den Vorgespräche mit den Ausschlag, dass die ParHeiner Krabbe Michaela Steinwender Gert Fürst Rechtsanwälten, Vorgeteien einer Mediation zuspräche mit den Parteien) konnte in zwei stimmten. So wurde „Ruhen des VerfahAnlageberater in Form der Kurz-Zeit-MeSitzungsblöcken (3 Tage/2 Tage) mit den rens“ vereinbart und gleichzeitig ein neudiation erfolgreich abgeschlossen werden. beteiligten Parteien eine Vereinbarung er Verhandlungstermin in drei Monaten mediiert werden. Dabei spielte sowohl der festgelegt. 2. Die Überweisung in die Faktor Zeit als auch die interdisziplinär Mediation besetzte Co-Arbeit eine entscheidende 3. Das Hearing Rolle. Beim Handelsgericht Wien reichte der Verein für Konsumenteninformation Der Verband für Mediation gerichtsan(VKI) im Namen von 2.500 Wertpapierhängiger Verfahren (VMG) organisierte anlegern fünf Sammelklagen ein. Es ging eine Ausschreibung, wonach sich drei Be1. Der Fall um eine Schadenssumme von 23 Milliowerberteams, die sich in einem Hearing In einem gerichtsanhängigen Anlegervernen Euro. Verklagt wurde eine Anlagebeden Konfliktparteien vorstellen mussten. fahren mit vermeintlich 2.500 Geschädigratungsgesellschaft mit dem Vorwurf der Dabei ging es einerseits um Vorschläge ten wurde in einem mehrjährigen Rechtssystematischen Fehlberatung. Zwei Jahre der Mediatoren zur Gestaltung der anstestreit vor dem Handelsgericht in Wien war das Gericht dann mit der Erledigung henden Mediation; andererseits sollten um die Zulässigkeit von Sammelklagen formaler Streitpunkte beschäftigt. In der die Mediatoren die Form ihrer Zusamgestritten. Nach Bejahung der Zulässigkeit mündlichen Streitverhandlung hatte der menarbeit vorstellen. Große Bedeutung konnte auf Vorschlag des Handelsgerichts Richter mit den Prozessparteien die rechtnahm die Frage nach der Indikation von eine Mediation zwischen einer Konsuliche Ausgangssituation erörtert und zuMediation für beide Seiten ein. Die Parmentenschutzorganisation und einem gleich die mögliche Alternative Mediation teien wollten überzeugt werden, dass eine 60 ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 PRAXISFALL Mediation in ihrem Fall Sinn machen könnte. Sie waren jedoch erstaunt, dass das Mediatorenteam mit der gleichen Frage in das Hearing gekommen war. Zudem gab es eine große Skepsis seitens der Parteien, ob eine solche umfangreiche Mediation in diesem knappen Zeitrahmen gelingen konnte. Das Konzept der Kurz-ZeitMediation wurde intensiv erörtert mit der Zusicherung der Mediatoren, dass sie den Zeitrahmen entsprechend gestalten und die Variable „Zeit“ bei der Prozessgestaltung bewusst einsetzen werden. Die Kurz-Zeit-Mediation ist eine spezielle Form der Mediation, bei der eine Gesamtmediation in ein bis zwei Sitzungen durchgeführt wird.1 Sie baut auf Leitlinien der Kurz-Zeit-Therapie auf und beschränkt sich auf eine Lösung, die von den Parteien akzeptiert werden kann ohne Anspruch auf Transformation. In der Kurz-Zeit-Mediation hat der Mediator die zusätzliche Aufgabe, ein präzises Zeitmanagement zu führen. Mediator und Parteien durchlaufen in einem vorher festgelegten Zeitrahmen alle Prozessstufen einer Mediation. In diesem Fall war es ausdrücklicher Wunsch der Parteien, in einem begrenzten Zeitrahmen den Versuch einer Mediation zu unternehmen. Von daher wurde das Zeitmanagement der Mediation ausführlich erörtert. Nach einer Beratungspause beauftragten beide Seiten die Mediatoren zur Ausführung der Kurz-Zeit-Mediation. 4. Die Vorgespräche In der Vorlaufphase der Mediation wurden mit jeder Seite Vorgespräche durchgeführt. Die ersten Vorgespräche fanden mit den Rechtsanwälten jeder Seite statt, da diese bereits im gerichtlichen Verfahren zahlreiche Schriftsätze ausgetauscht hatten und sich stärker in die juristische Materie eingearbeitet hatten. Hier war den Mediatoren die Zustimmung der Rechtsanwälte zum Verfahren der Mediation sowie deren Rollenklärung in der Mediation von großer Bedeutung. Die Mediatoren erhielten zugleich einen ersten Überblick über die strittigen Sachverhalte sowie deren rechtliche Einschätzung. Es konnten erste Hypothesen zum Konflikt entwickelt werden. Die Konfliktanalyse konnte dann in einer zweiten Einzelgesprächsrunde mit den jeweiligen Konfliktparteien vertieft werden. In diesem konnten die Mediatoren nochmals das Verfahren der Mediation beiden Sei1 Hierzu ausführlich Krabbe/Fritz, ZKM 2013, 76. 2 Österreichische Amtssprache für „Sprachregelung gegenüber der Öffentlichkeit“. ten in Abgrenzung zu Vergleichsverhandlungen erläutern. Schließlich nahm die Formulierung des Mediationsvertrages noch einige Zeit in Anspruch, bis die Parteien der Durchführung der Kurz-Zeit-Mediation in zwei Sitzungen zustimmten. Darüber informierten die Mediatoren das Handelsgericht, was gemäß dem österreichischen Zivilrechts-Mediations-Gesetz Fristenhemmungen bewirkt. Die Mediatoren sind gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. 5. Die erste Mediationssitzung (drei Tage) Für die erste Mediationssitzung war ein Zeitrahmen von drei Tagen vorgesehen. Ausgehend von den Prozesshypothesen aus den Vorgesprächen planten die Mediatoren einen halben Tag für die endgültige Version des Mediationsvertrages ein, einen ganzen Tag für den Themenbereich Kommunikation und Kommuniqué2 mit allen Prozessstufen der Mediation sowie einen Tag für den Themenbereich „Schaden“ bis zur Stufe der Interessen. Die verbleibende Zeit wurde als Joker-Zeit eingeplant. Dabei wurde der Themenbereich Kommuniqué bewusst vor den des Schadens, des Geldes gezogen, um ein positives Bild bei den Parteien als Stabilisierungsmöglichkeit vorwegnehmen zu können („Welches Kommuniqué im Fall einer Einigung?“). Auf dieser Basis sollte dann der Themenbereich Geld angegangen werden. Zudem sollte den Parteien genügend Zeit eingeräumt werden, ihre Interessen in dem Zeitraum zwischen beiden Sitzungen hinreichend zu beleuchten und abzusichern. Es wurde mit den Parteien das Setting festgelegt. Auf jeder Seite stellten zwei Personen die Verhandlungsparteien; jeweils drei weitere Personen (inklusive Rechtsanwälte) saßen jeweils seitlich zum Mediationsgeschehen und erhielten zwischendurch an bestimmten Punkten die Möglichkeit, die beiden Verhandlungsführer zu unterstützen. Zu Beginn der Mediationssitzung wurden weitere Änderungsvorschläge der Rechtsanwälte zur Mediationsvereinbarung eingebracht. Von großer Bedeutung für die Mediation war die vertragliche Verpflichtung jeder Seite, keine weiteren Schriftsätze an das Gericht weiterzuleiten. Sollten aus formalen prozessualen Gründen noch Schriftsätze erforderlich sein, würden diese nur möglich sein, wenn diese vorher der anderen Seite bekannt gemacht würden. Ansonsten sollte der di- rekte Austausch der Parteien ausschließlich im Rahmen der Mediation praktiziert werden. Nach Unterzeichnung des Mediationsvertrages schlugen die Mediatoren den Konfliktparteien das zeitliche und inhaltliche Vorgehen vor. Beide Seiten wollten sich zunächst auf die Ermittlung der Schadenssumme konzentrieren, bevor ein Kommuniqué erarbeitet werden würde. Beide Seiten befürchteten, dass im anderen Fall „das Pferd von hinten“ aufgezäumt würde, stimmten aber den Mediatoren zu, dass das Kommuniqué ein guter Test sei, um eine grundsätzliche Einigungsmöglichkeit auszuloten. Der Themenblock „Kommuniqué“ umfasste eine begrenzte Themensammlung. Viel Zeit wurde für die Stufe der Interessen vereinbart. Die Bedürfnisse zum Umgang mit der Öffentlichkeit waren auf jeder Seite sehr unterschiedlich. Während auf Seiten der Konsumentenschützer die Kommunikation mit den Anlegern in der Öffentlichkeit eine große Bedeutung hatte, sollte die Kommunikation mit der Öffentlichkeit auf Seiten des Anlageberaters auf ein Mindestmaß reduziert werden. Hier gaben die Mediatoren jeder Seite viel Zeit, die jeweiligen Bedürfnisse der anderen Seite zu verstehen, ohne ihnen zustimmen zu müssen. So konnten bis Mitte des zweiten Tages verschiedene Textvorschläge verhandelt und vorläufig vereinbart werden. Mit diesen „Kommuniqué Vereinbarungen“ zeigte sich auf beiden Seiten ein wenig mehr Zuversicht, dass eine Vereinbarung auch zum zweiten Themenkomplex erreicht werden könnte. Die Themensammlung zum Bereich Schaden beschränkte sich auf wenige Unterpunkte. In der nächsten Stufe wurden dann wiederum die Interessen und Bedürfnisse jeder Seite hinsichtlich des Schadens intensiver beleuchtet. Hierfür hatten die Mediatoren einen halben Tag veranschlagt mit gemeinsamen Sitzungen und Rücksprachen sowie Einzelgesprächen auf beiden Seiten. Dem Verband der Konsumentenschützer war es vor allem wichtig, eine bestimmte Mindestsumme für jeden Anleger zu erhalten. Dem Anlageberater war eine nachvollziehbare Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Schadenssumme sowie die Rücknahme des Vorwurfs systematischer Fehlberatungen wichtig. Dies konnte erst in Einzelgesprächen mit jeder Seite erarbeitet werden. Die Mediatoren unterstützten jede Seite in ihrer ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 61 PRAXISFALL Selbstbehauptung. Noch wichtiger war anschließend der wechselseitige Verstehensprozess der jeweils anderen Seite. So gelang es den Mediatoren, verständlich zu machen, dass die eine Seite großen Wert legte auf ihr Auftreten gegenüber den Wertpapieranlegern, die eine Mindestsumme an Entschädigung erwarteten. Andererseits war nachvollziehbar, dass die Anlageberater eine rechnerische Formel zur Ermittlung des Schadens benötigten und auch nicht in den Verdacht geraten wollten systematisch fehlberaten zu haben. Nach einer längeren Pause zeigten beide Verständnis für die andere Seite und deuteten an, eine Berechnungsmethode vorzustellen sowie eine feste Gesamtsumme für die Anleger anzubieten. Weitere Details sollten dann in einer zweiten Mediationssitzung behandelt werden mit dem Ziel einer Vereinbarung. 6. Die zweite Mediationssitzung (zwei Tage) Für den Zeitraum von zwei Tagen wurde das Setting nochmals verändert. Auf jeder Seite war nur jeweils ein Verhandler anwesend, die anderen Beteiligten hielten sich in der jeweiligen Anwaltskanzlei auf und trafen sich in den Pausen mit ihren Verhandlern. Zu Beginn der zweiten Sitzung wurden die internen Abstimmungen zum vorläufigen Kommuniqué zurückgemeldet und in den bestehenden Entwurf eingearbeitet. Anschließend machten beide Seiten konkrete Angebote an die andere Seite. Im Wechsel von gemeinsamen und Einzelgesprächen konnten Angebote zur Schadenssumme schrittweise miteinander ausgehandelt werden. Es gelang, die jeweiligen Restsummen optional zu verkleinern. Dabei war eine straffe Verhandlungsführung durch die Mediatoren hilfreich. Der Hinweis auf den jeweils zur Verfügung stehenden Zeitrahmen ließ die Parteien auch bei Störungen rasch weiter verhandeln. In den letzten 1,5 Stunden vor Zeitablauf kam es bei einer sehr gerin- 62 gen Restsumme für die Mediatoren unerwartet zu Abbruchdrohungen von beiden Parteien. Zunächst versuchten die Mediatoren, die Situation zu normalisieren und boten eine Pause mit der Möglichkeit der Rücksprache an. Es kam von beiden Verhandlungsparteien erneut die Ankündigung, abzubrechen. Erst der energische Hinweis durch die Mediatoren, dass nur noch eine geringe Summe zu verhandeln sei und die Parteien sich nur noch auf diese Summe konzentrieren sollen, half weiter. Beide Seiten hielten Rücksprachen mit ihren Beratern und konnten zum Schluss die verbleibende Restsumme aufteilen, so dass eine Gesamtsumme als Schaden ermittelt und vereinbart werden konnte. Am Ende der Verhandlung wurde die noch verbleibende eingeplante Zeit genutzt, ein Memorandum bezüglich der Verfahren vor den Zivilgerichten (Einigung über Schadenssumme) und im Hinblick auf das Kommuniqué zu erarbeiten. Beide Verhandlungsführer holten ihre Berater in den Verhandlungsraum und bedankten sich für die Zusammenarbeit und die entwickelte Lösung. Es wurden entsprechende Pressemitteilungen veröffentlicht. Anleger und Behörden wurden jeweils rasch informiert. Die zuständigen Richter am Handelsgericht erhielten vom Mediatorenteam die Mitteilung, dass im Rahmen der Mediation eine Lösung gefunden werden konnte. 7. Fazit Es lassen sich eine Reihe von Erkenntnissen aus dieser Mediation ableiten: – Der knappe Zeitrahmen bringt die Parteien dazu, sich schneller wieder auf die Sachebene zu begeben. – Der knappe Zeitrahmen ermöglicht die Konzentration auf ein Hauptthema. – Das Setting muss so gestaltet werden, dass die Verhandler genügend durch ihre Berater und Rechtsanwälte abgestützt sind. ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 – Ebenso muss die Einbeziehung aller Entscheidungsträger zu Beginn der Kurz-Zeit-Mediation sichergestellt sein. – Es kommt in der Kurz-Zeit-Mediation immer wieder zu Blockierungen, die sich durch Einzelgespräche mit anschließendem gemeinsamen Gespräch auflösen lassen. – Bei beiden Themenbereichen war jeweils die Stufe der Interessen und Bedürfnisse von ausschlaggebender Bedeutung; dies gilt insbesondere für das wechselseitige Verstehen, was durch die Mediatoren in Einzelgesprächen aufbereitet werden musste – Eine gute Co-Arbeit von Mediatoren scheint darin zu bestehen, dass zum einen unter den Mediatoren ein gemeinsam erarbeitetes Mediationsverständnisses besteht. Zum anderen sollten die Mediatoren aus verschiedenen Grundberufen kommen, so dass die unterschiedlichen Blicke auf den Konflikt der Parteien miteinander ausgetauscht werden können, um die nächsten Schritte der Mediation festlegen zu können. Als ideal hat sich die Besetzung des Mediatorenteams mit je einem Mediator aus einem ökonomischen, juristischen und psychologischen Grundberuf erwiesen. Alle drei Perspektiven gemeinsam konnten der Vieldimensionalität des Konfliktgeschehens gerecht werden. Heiner Krabbe Psychologe, Mediator Mediationswerkstatt Münster www.heiner-krabbe.de [email protected] Michaela Steinwender Juristin, Mediatorin www.astpartner.eu [email protected] Gerhart Fürst Ökonom, Mediator www.trialogis.at [email protected] REZENSIONEN Klowait/Gläßer (Hrsg.): Mediationsgesetz Handkommentar, Baden-Baden 2014, 732 S., 78 €, ISBN 978 3 8329 6997 4 Die Liste der Namen der Herausgeber und Autoren liest sich wie das WHO'S WHO der deutschen Mediationsszene. Vor allem die Herausgeber drücken dem Werk ihr Gütesiegel auf. Aufgrund seiner langjährigen Mediationserfahrung ist Klowait in der Lage, bei Gesetzeslücken mit tiefgreifenden Gedanken Lösungsoptionen anzubieten. Bsp: Zunächst leitet er (§ 5 Rz. 44; § 6 Rz. 43) aus der Nr. 20 der Gesetzesbegründung zu § 6 und dem Gesetzeswortlaut § 6 S. 2 Nr. 8 („Übergangsbestimmungen für Personen, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes als Mediatoren tätig sind“) ab, dass ein Mediator, der bereits vor dem Inkrafttreten der VO eine Ausbildung im Inland absolviert hat, die den Anforderungen und dem Mindestumfang von 120 Std. entspricht, sich mit Inkrafttreten der VO als zertifizierter Mediator bezeichnen darf.“ Dieser begründete Hinweis dürfte besonders alle Altfälle interessieren, einschließlich diejenigen die ihre der VO entsprechende Ausbildung noch bis zu deren Inkrafttreten beenden. Klowait rügt (§ 5 Rz. 22) den unscharfen Gesetzgeber, der in § 5 Abs. 1 S. 3 im Kontext der Ausbildung zwar zutreffend praktische Übungen, Rollenspiele und Supervision erwähnt. Supervision sei aber berufsbegleitend Unterstützung des praktizierenden Mediators. Im Kontext der Ausbildung könne „Supervision“ daher nur fachkundige Aufsicht und Anleitung bei den Übungen und Rollenspiel bedeuten. Auch Gläßers kluge und praxistaugliche Ausführungen beeindrucken. Beispielsweise wird in § 2 Rz. 141 die interessante These vertreten, dass Vorgespräche zur Verfahrensübernahme auch ohne allseitiges Einverständnis nach § 2 Abs. 3 S. 3 einseitig erfolgen dürfen. Das Gebot gelte erst ab dem grundsätzlichen Zustandekommen der Mediation. Goltermann (§ 3 Rz. 11) äußert Zweifel an der Zulässigkeit einer Erfolgsprämie für den Fall einer Einigung. Letztlich sei die Frage davon abhängig, welche Ziele mit der Mediation verfolgt würden, das liege in der Entscheidungsgewalt der Parteien. Rezensent dazu: Bei einer Baumediation zielt das beiderseitige Interesse auf eine schnelle interessengerechte Einigung, um den Bauablauf nicht zu gefährden. Hier dürfte die Vereinbarung einer Einigungsgebühr wegen der angestrebten Sachlösung in jedem Falle zulässig sein. Dendorfer-Ditges (3 11 Rz. 21 – 25) sieht die Zulässigkeit von in USA üblichen MedArb-Verfahren kritisch, und das selbst bei übereinstimmenden Parteiwillen – jedenfalls dann, wenn der Mediator Einzelgespräche durchgeführt hat. Der Rezensent hat in vielen Verfahren damit gute Erfahrungen gemacht. Zuletzt sei noch ein weiterer Stern am Autorenhimmel hervorgehoben: Kirchhoff (3 1 Rz. 7) berichtet von der Studienserie Viadrina/PwC und Pionierprogrammen der RTMKM der deutschen Wirtschaft, etwa SAP, E.ON, DB, Deutsche Bank und Bombardier. Gerade aus diesem Kreis rekrutiert sich eine Vielzahl der weiteren Autoren. Das erklärt die geballte und umfassende Information des Werkes, das jedem Lernenden und Tätigen in der Mediation wärmstens empfohlen wird. Hans Helmut Bischof, VizePräs. OLG a.D., Schiedsrichter/Mediator, Koblenz William Ury: Getting to Yes With Yourself (and Other Worthy Opponents) HarperCollins 2015, 191 S., 16,99 €, ISBN 9780062390677 Wenige Autoren haben das Gebiet der Verhandlungsforschung so maßgeblich beeinflusst wie William Ury. Vor 30 Jahren verfasste er (gemeinsam mit Roger Fisher) „Getting to Yes“, danach (zusammen mit Jeanne Brett und Stephen Goldberg) „Getting Disputes Resolved“, und schließlich „Getting Past No“. In den USA assoziiert man daher mit seinem Namen die „Getting-To-Trilogie“. Im deutschsprachigen Raum ist er dank der klugen Übersetzung des ersten Titels als Vater des „Harvard Konzepts der Verhandlung“ bekannt. Mit „Getting to Yes with Yourself“ legt William Ury nun, nach eigenen Worten, die bisher fehlende erste Hälfte des Klassikers vor. Ging es in jenem um das richtige Agieren am Verhandlungstisch, so geht es nun um die Schaffung der inneren Voraussetzungen des Verhandlungserfolgs. Dieser Erfolg, so argumentiert Ury, sei letztlich das Resultat einer lebensbejahenden Einstellung des Verhandlers – gegenüber sich selbst, dem Leben, und dem Gegenüber. Dementsprechend befasst sich Ury dieses Mal nicht etwa mit schnöder Transaktionsvorbereitung a la Berechnung der ZOPA. Vielmehr geht es in diesem Werk um nichts weniger als das eigene Lebensglück und die stückweise Verbesserung der Welt. handler. Denn hier findet er einen einfachen aber umfassenden Rahmen, um die eigenen Überlegungen einzuordnen und zu vertiefen. Darüber hinaus bietet sich das Buch selbstverständlich auch als Handreichung für Medianten an, die bereit sind, den eigenen Umgang mit ihren Konflikten zu überdenken. Um ersteres zu erreichen und zu letzterem beizutragen, lädt „Getting To Yes With Yourself“ vor allen Dingen zur Selbstreflexion ein. Das Überdenken und Anpassen der eigenen Haltung steht für Ury im Zentrum jeder erfolgreichen Verhandlungstätigkeit. Sein neues Werk zeigt, was der Titel verspricht – wie man sich als Verhandler eine bejahende Haltung auch unter widrigsten Umständen erschaffen und bewahren kann. Seinen Lesern, gleich welcher Color, bietet Ury in gebwohnter Manier und nach bester amerikanischer Tradition ein eingängiges Schema, das die systematische Arbeit am eigenen Selbst in sechs Schritten ermöglicht. Dieses begründet und illustriert er nicht nur mit sehr persönlichen Beispielen, sondern auch mit Leben und Werk von Persönlichkeiten wie Nelson Mandela und Viktor Frankl. Aus dieser Kombination entsteht ein Buch von außergewöhnlicher Klarheit und Kraft. „Getting to Yes with Yourself“ hat das Potential, unser Verhandlungsverständnis in ähnlicher Weise zu beeinflussen wie „Getting To Yes“. Manches davon hat sich der Praktiker, möglicherweise intuitiv, selbst erarbeitet. In diesem Sinne ist für ihn vielleicht nicht alles neu, was das Buch zu bieten hat. Dennoch empfiehlt es sich gerade für den erfahrenen Mediator oder Ver- RA Prof. Dr. Georg Berkel MBA, Freising ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 63 Jetzt abonnieren! www.mediate.de IMPRESSUM Die interdisziplinäre Fachzeitschrift zum Thema Konfliktmanagement und Mediation. Erstens: Alle zwei Monate die aktuelle Zeitschrift. Interdisziplinär aufbereitet. So bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Zweitens: Das breite Spektrum: Aufsätze, Anwendungshilfen, Problemlösungsvorschläge, Praxisberichte. Drittens: Machen Sie den Praxistest und bestellen Sie Ihr kostenloses Probeabonnement. Bestellfax (02 21) 9 37 38-943 8 Ja, ich bestelle die Zeitschrift für Konfliktmanagement. Die beiden ersten Hefte erhalte ich kostenlos zur Probe. Wenn ich nach Erhalt des zweiten Heftes das Abo nicht innerhalb von 14 Tagen (Datum des Poststempels) widerrufe, bekomme ich die ZKM zum Jahresbezugspreis von 144,– € plus Versandkosten. Kündigungstermin: sechs Wochen zum Jahresende. Preisstand 01.01.2015 ______________________________________________________________________________________________________________________________ Name PLZ/Ort ______________________________________________________________________________________________________________________________ Straße Datum/Unterschrift Zeitschrift für KonfliktManagement Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Horst Eidenmüller LL.M., Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Ulla Gäßler LL.M., Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/O. Prof. Dr. Reinhard Greger, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt, Ratingen Prof. Dr. Angela Mickley, Fachhochschule Potsdam Prof. Dr. Roland Proksch, ehem. Präsident der Ev. Fachhochschule Nürnberg Peter Roethemeyer, Niedersächsisches Justizministerium, Hannover Lis Ripke, Rechtsanwältin, Heidelberger Institut für Mediation Dr. Hansjörg Schwartz, Dipl.-Psych., TGKS Oldenburg Prof. Dr. Horst Zilleßen, MEDIATOR GmbH, Berlin Redaktion: Dr. Karen Engler (verantwortlich); Birgit Schumann (Herstellung) Centrale für Mediation, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Redaktionsassistenz: Leticia Seidl, “ 02 21/9 37 38-821, Fax: -926. E-Mail: [email protected], http://www.centrale-fuer-mediation.de Herausgeber und Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Postfach 51 10 26, 50964 Köln. Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Köln. Abonnementbestellung: “ 02 21/9 37 38-997, Fax: -943. Anzeigenverkauf: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Pfaffenweg 15, 53227 Bonn, “ 02 28/9 78 98-0, Fax: 02 28/9 78 98-20. E-Mail: [email protected] Anzeigenpreisliste Nr. 26 vom 1.1.2015 Satz: rewi druckhaus, Reiner Winters GmbH, Wiesenstr. 11, 57537 Wissen, E-Mail: [email protected]. Druck: msk marketingserviceköln gmbH, www.mzsued.de Abonnement: Die ZKM erscheint jeweils zum 15. jeden 2. Monats. Bezugspreis für das Jahresabonnement 144 Euro, Einzelheft 28,80 Euro. Für Mitglieder der Centrale für Mediation ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. Umsatzsteuer. 64 ZKM – ZEITSCHRIFT FÜR KONFLIKTMANAGEMENT 2/2015 Mein Recht: Das Probeabonnement ist ohne Risiko – ich kann es bis 14 Tage nach Erhalt des letzten Heftes beim Verlag oder meiner Buchhandlung widerrufen. __________________________________________________________ Datum Unterschrift/Widerrufsrecht 01/15 Bestellungen bei jeder Buchhandlung sowie beim Verlag. Kündigungstermin für das Abonnement 6 Wochen vor Jahresende. Die „Zeitschrift für Konfliktmanagement“ ist für die Jahrgänge 1998-1999 unter dem Titel „KON:SENS“ erschienen. 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Mit der Annahme des Manuskripts gehen für die Dauer von vier Jahren das ausschließliche, danach das einfache Nutzungsrecht vom Autor auf den Verlag über, jeweils auch für Übersetzungen, Nachdrucke, Nachdruckgenehmigungen und die Kombination mit anderen Werken oder Teilen daraus.Das Nutzungsrecht umfasst insbesondere auch die Befugnis zur Einspeicherung in Datenbanken sowie zur weiteren Vervielfältigung und Verbreitung zu gewerblichen Zwecken im Wege fotomechanischer, elektronischer und anderer Verfahren einschließlich CD-ROM und Online-Diensten. Die Zeitschrift und alle veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede vom Urheberrechtsgesetz nicht ausdrücklich zugelassene Verwertung bedarf vorheriger schriftlicher Zustimmung der Centrale für Mediation. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung,Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung und Einspeicherung,Verarbeitung bzw.Wiedergabe in Datenbanken oder anderen elektronischen Medien und Systemen. Fotokopien dürfen nur als Einzelkopien für den persönlichen Gebrauch hergestellt werden. Hinweise für Autoren und Einsender: Bitte senden Sie alle Aufsatzmanuskripte, zum Abdruck bestimmte Gerichtsentscheidungen und Leserbriefe unmittelbar an die Redaktion. Bitte geben Sie möglichst schon bei der Einsendung Ihre Bankverbindung an. Die Zahlung einer Pauschalvergütung für die Einsendung einer Gerichtsentscheidung erfolgt im Falle des Abdrucks und gilt für die Übertragung des Nutzungsrechts auf den Verlag mit der Maßgabe, die Entscheidung auch in anderen Printund elektronischen Produkten des Verlages, insbesondere anderen Zeitschriften, veröffentlichen zu können. Wenn bei der Manuskripterstellung ein Textverarbeitungssystem verwendet worden ist, bitten wir um Übersendung der Daten per E-Mail oder einer Diskette mit Ausdruck und Angabe des verwendeten Systems. ISSN 1439-2127 (Print) ISSN 2194-4210 (eJournal) Ein gutes Werk. Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes Hüttemann Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht Von Prof. Dr. Rainer Hüttemann. 3. neu bearbeitete Auflage 2015, 1023 Seiten Lexikonformat, gbd. 119,– €. ISBN 978-3-504-06258-3 Gemeinnützige Organisationen und ihre Förderer werden für ihre guten Werke mit zahlreichen Steuervorteilen belohnt. Aber nur, wenn sie alles richtig machen. Wie Sie Fehler in diesem unübersichtlichen Rechtsgebiet und die damit verbundenen steuerlichen Risiken vermeiden, erfahren Sie aus diesem Werk. Die rundum auf den aktuellen Stand gebrachte Neuauflage reagiert auf viele wichtige Änderungen durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Hüttemann ist Experte auf diesem Rechtsgebiet und hat sich durch Veröffentlichungen und Vorträge einen Namen gemacht. Aufgrund seiner kritischen Haltung und genauen Analyse hat er meist die besseren Argumente und Sie damit genügend Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Finanzverwaltung und Gerichten im Streitfall. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht. Probelesen unter www.otto-schmidt.de/hgs3 Gut gegen Rosenkrieg. Wer als Familienmediator/in Paare in der Trennungsphase professionell und konstruktiv unterstützen will, stößt oft auf unerwartete Hindernisse oder an eigene Grenzen. Die aktualisierte Neuauflage dieses Buchs hilft Ihnen nun wieder dabei, die Konfliktpartner auf dem Weg zu einer einvernehmlichen Lösung zu begleiten. Die Autorinnen – selbst langjährig erfahrene Familienmediatorinnen – erläutern dem Leser die grundlegenden Methoden und Techniken der Familienmediation anhand 40 ausgewählter, typischer Fallbeispiele aus ihrer eigenen Praxis. Dabei ist der Inhalt entsprechend dem Mediationsverfahren gegliedert. Sie erfahren, wie Sie schwierige Situationen des Mediationsprozesses erfolgreich bewältigen und Stolpersteine aus dem Weg räumen: Was können Sie tun, wenn die Konfliktpartner Druck aufeinander ausüben, ein Konflikt- 40 Praxisfälle Hohmann/Morawe Praxis der Familienmediation Typische Probleme mit Fallbeispielen und Formularen bei Trennung und Scheidung. RAin FAinFamR und Notarin Jutta Hohmann und Rain FAinFamR Doris Morawe. 2., aktualisierte Auflage 2013, 311 Seiten DIN A5, brosch., 44,80 . ISBN 978-3-504-65402-3 paar die Bestandsaufnahme verweigert oder wenn Sie merken, dass Sie aus der Balance geraten und Ihre Neutralität verlieren? Schließlich werden konkrete Anleitungen dafür entwickelt, wie Sie die Beteiligten bei ihren Bemühungen um Konfliktbeilegung zielführend unterstützen. In einem weiteren Teil gibt das erfolgreiche Werk einen Überblick über die Rechtslage nach dem seit Juli 2012 geltenden Mediationsgesetz. Ebenfalls berücksichtigt: die Aktualisierung und Weiterentwicklung der Darstellung der Mediationsprinzipien sowie eine Kurzdarstellung der Methode gewaltfreier Kommunikation nach Rosenberg. Mediationstypische Formulare und ein Geleitwort der amerikanischen „Mediationspäpste“ Gary Friedman und Jack Himmelstein runden das Buch ab. Eine kleine Leseprobe gefällig? www.otto-schmidt.de Bestellschein ausfüllen und faxen (02 21) 9 37 38-943 ✁ Ja, ich bestelle mit 14-tägigem Rückgaberecht jeweils plus Versandkosten Hohmann/Morawe Praxis der Familienmediation brosch. 44,80 für Mitglieder der Centrale für Mediation brosch. 39,80 ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Name Straße PLZ Ort ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Telefon Fax Datum Unterschrift 12/12 B e s t e l l e n S i e b e i I h re r B u c h h a n d l u n g o d e r b e i m Ve r l a g D r. O t t o S c h m i d t · P o s t f a c h 5 1 1 0 2 6 · 5 0 9 4 6 K ö l n
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