Geleitwort April 2016 Liebe Pfarreiangehörige Es gibt immer wieder Momente in meinem Leben, in denen ich jemandem gerne ein Lob aussprechen möchte und damit zögere. Und gerade dann, wenn ich diesen Menschen vermutlich sehr lange oder gar nicht mehr wiedersehen werde, motiviert es mich am meisten, tatsächlich auf diesen Menschen zuzugehen und ihm meine Anerkennung zu offenbaren. Weil ich weiss, dass sie diesem Menschen gut tun wird. Wir alle kennen es vielleicht, dass wir so manche Kritik bald wieder vergessen, ein Lob sich aber meist tief in unserer Erinnerung verankert. Für Kardinal Walter Kasper, in einem Interview von ZEIT Online, schaut Barmherzigkeit auf die Person und gibt ihr immer wieder eine Chance. Und: Barmherzigkeit bedeutet, Geduld zu haben. Meine Verlobte und ich waren 2013 zum ersten Mal Gäste in einem Landhotel im Allgäu. Die komplette Woche hindurch wurden wir von Franziska, einer jungen und sehr engagierten Mitarbeiterin, die sich damals noch in Ausbildung befand, sehr freundlich und zuvorkommend bedient. Es hatte schon eine exzellente Note für eine junge Frau im zweiten Lehrjahr. Mit der Zeit erzählte sie dann auch immer mehr über sich und ihr Leben. So freundeten wir uns etwas an, aber wie es dann eben kommt, nahte der Abschied. So steckten wir Franziska ein wohlverdientes Trinkgeld in einen Umschlag und schrieben ihr – eher unüberlegt und spontan – einen wertschätzenden Gruss auf eine unserer Visitenkarten. Nun waren wir vor einigen Wochen erneut in diesem Hotel und entdeckten Franziska, wie sie wieder fleissig und überaus freundlich ihre Gäste bediente. Am letzten Nachmittag unseres Aufenthalts kamen wir endlich mit Franziska ins Gespräch. Ihr geht es gut, sie hat ihre Ausbildung mit Bravour abgeschlossen und nach wie vor grosse Freude an ihrem Beruf. Kurz bevor wir das Restaurant verliessen, kam Franziska gedankenversunken an unseren Tisch und zeigte uns schweigend die Visitenkarte, die wir ihr 28 Monate zuvor auf unserem Tisch hinterlassen haben. Alexandra und ich starrten diese Visitenkarte an, als würden wir sie nicht kennen – und tatsächlich, wir erinnerten uns auch nicht mehr daran, sie Franziska gegeben zu haben. Aber Franziska hat diese Karte nicht mehr aus der Hand gegeben. Sie erzählte uns, dass sie die Karte seit unserer Abreise in ihrem Portmonee bei sich trägt und, wenn sie gestresst ist oder der Tag schlecht gelaufen ist, sie diese Worte liest und sich daran erfreut. «Man gibt aus Freude. Man gibt über Gebühr. Nicht nur Geld, auch Liebenswürdigkeit», so Kardinal Kasper über Barmherzigkeit. Es vergingen einige Minuten, bis wir begriffen haben, was wir damals Franziska Gutes getan haben. Und wenn wir uns bewusst machen, wie viele Gäste seither in diesem Hotel ein- und ausgegangen sind und von Franziska bedient wurden, verschlägt es uns noch mehr die Sprache, dass sie diese Karte so treu bei sich trägt. «Barmherzigkeit» – ein antiquierter und verstaubter Begriff: «Ein Herz für die Armen haben» (Duden), bzw. «Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an» (Wikipedia). Beschreibungen, die nicht mehr so Recht in unsere Zeit zu passen scheinen. Und tatsächlich begegnen wir in unserem Alltag immer wieder Situationen, die unsere Geduld fordern: Wenn die junge Restaurant Aushilfe den Wein vor dem Wasser bringt oder sich nochmals bei uns nach Details der Bestellung erkundigt. Manche würden dann schon reklamieren und sich beschweren, weil sie in der Vergangenheit schneller, besser und perfekter bedient wurden. Walter Kasper fasst das mit den Worten zusammen: Ein barmherziger Mensch ist geduldig und demütig. Für das Pastoralteam, Andreas Spöcker
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