Nichtbeachtung der BetrSichV und fehlende Gefährdungsbeurteilung Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Jörn Hülsemann Anwaltshaus seit 1895, Hameln Arbeitsschutz in Deutschland Deutschland hat einen Dualismus zweier von einander unabhängiger Arbeitsschutzsysteme. Es gibt das von Bund und Ländern erlassene staatliche Arbeitsschutzrecht. Dieses wird von den Arbeitsschutzbehörden der Länder vollzogen. Die Unfallversicherungsträger stellen durch autonomes Recht Anforderungen an den Schutz von Leben und Gesundheit ihrer Versicherten in Form von Unfallverhütungsvorschriften, die sie selbst überwachen. Dr. Hülsemann Was erwarten die Kontrolleure? Kooperation bei der Prüfung Man spielt nicht gerne „Gewerbepolizei“ Vorhandensein einer Arbeitsschutzorganisation Gibt es Bemühungen, den Arbeitsschutz vorausschauend bei Einbindung der entscheidenden Akteure zu leben? Einhaltung von Empfehlungen und Bescheiden Man spielt nicht gerne „Gewerbepolizei“ Keine Ausreden Es mag Notfälle geben – aber jeden Tag? Kurzum: Rechtstreue des Arbeitgebers Dr. Hülsemann Die Betriebssicherheitsverordnung Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) gibt dem Arbeitgeber weitere Pflichten auf. Sie gilt seit dem 03.10.2002 und regelt u.a. die Benutzung von Arbeitsmitteln. Arbeitsmittel sind Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen. Anlagen setzen sich aus mehreren Funktionseinheiten zusammen, die zueinander in Wechselwirkung stehen und deren sicherer Betrieb wesentlich von diesen Wechselwirkungen bestimmt wird Dr. Hülsemann Vorgaben an Arbeitsmittel Arbeitsmittel müssen nach § 7 BetrSichV bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Sollten diese Vorgaben nicht gesondert erlassen sein, sind die Vorgaben der Anlage 1 einzuhalten. Für ältere Arbeitsmittel gibt es eine Anlage 2, in der u.a. detaillierte Regelungen für Gerüste enthalten sind. Die Nutzung gefährlicher Arbeitsmittel erfordert besondere Schutzmaßnahmen. Dr. Hülsemann Weitere Pflichten Der Arbeitgeber muss Beschäftigte hinsichtlich der Nutzung der Arbeitsmittel unterrichten und unterweisen. Er muss ggf. Betriebsanweisungen in verständlicher Form erstellen und bekanntmachen. Er hat die Arbeitsmittel, deren Sicherheit von den Montagebedingungen abhängt, nach der Montage und vor der ersten Inbetriebnahme sowie nach jeder Montage auf einer neuen Baustelle oder an einem neuen Standort zu prüfen. Dr. Hülsemann BetrSichV – Ergänzende Regeln Auf Grundlage der Betriebssicherheitsverordnung wurde bei der BAuA der Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) eingerichtet. Wesentliche Aufgabe des ABS ist die Konzipierung eines gefährdungsorientierten schlanken Regelwerks zur Konkretisierung der BetrSichV. Der Ausschuss entwickelt Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS). Die Einhaltung dieser Regeln bringt für den Arbeitgeber wieder die Vermutung regelkonformen Verhaltens. Dr. Hülsemann Hilfestellungen Die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS 1111) zur Gefährdungsbeurteilung und sicherheitstechnischen Bewertung kann ergänzend herangezogen werden. Der LASI gibt Leitfäden heraus, u.a. zur BetrSichV. Ihre BG gibt Ihnen im Rahmen der Prävention Formulare und Handlungshilfen. Es gibt Rechtsanwälte. Dr. Hülsemann Überspannte Anforderungen? Viele der einzuhaltenden Regeln sind sehr alt: „Wenn du ein neues Haus baust, dann sollst du ein Geländer um dein Dach machen, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus bringst, wenn irgend jemand von ihm herabfällt.“ (Deuteronomium (5. Buch Mose) 22,8) Dr. Hülsemann Die Reform der BetrSichV Die BetrSichV ist neu gefasst worden. Die Neufassung tritt am 01.07.2015 in Kraft. Sie hat eine deutlich konkretere Ausgestaltung der Pflicht zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung. Diese muss sich auch auf Druck- und Explosionsschutz beziehen, auch wenn der Betreiber keine Beschäftigte hat. Die Bußgeldtatbestände wurden ausgebaut. Bis zu 42 unterschiedliche Verstöße sind jetzt möglich. Dr. Hülsemann Wandel in der Überwachung Eines der Ziele der Arbeitsschutzziele der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie für die Jahre 2013-2018 lautet: Verbesserung der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes Die Behörden im Arbeitsschutz prüfen, ob es ein organisiertes System von Arbeitsschutz gibt. Die Gefährdungsbeurteilung wird dabei als das „Basisdokument“ verstanden, an dem sich Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes ausrichten. Dr. Hülsemann Warum Gefährungsbeurteilungen? Die Pflicht, eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, ergibt sich aus § 5 ArbSchG. Daneben kann sich die Verpflichtung zur Vornahme einer Gefährdungsbeurteilung aus den nach § 19 ArbSchG erlassenen Verordnungen ergeben, z.B. aus den §§ 5-7 BiostoffVO aus § 3 I-III Lärm- und Vibrations-ArbeitsschutzVO aus § 3 BildschirmarbeitsVO und aus den §§ 3 und 10 BetriebssicherheitsVO Dr. Hülsemann Dokumentationspflicht Pflicht zur Dokumentation folgt aus § 6 ArbSchG. Sie dient der Transparenz und der betrieblichen Umsetzung des Arbeitsschutzes, insbesondere den für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen. Wie bei der Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung auch, gibt es daneben spezielle Dokumentationspflichten aus den Verordnungen nach § 19 ArbSchG, namentlich die Dokumentationspflicht nach § 2 II BaustellenVO die Dokumentationspflicht nach § 8 BiostoffVO und die Dokumentationspflicht nach § 11 BetriebssicherheitsVO Dr. Hülsemann Haftung: Begriffsklärung In Haftung genommen zu werden, selber zu haften bedeutet die rechtlichen Konsequenzen für eigene Handlungen bzw. deren Fehlen tragen zu müssen. Haftung kann in die Zukunft wirken oder an der Vergangenheit anknüpfen. Sie kann sich in unterschiedlichen Rechtsgebieten unterschiedlich auswirken. Fast immer wird hier auch nach der Verursachung der Pflichtverletzung und einem Verschulden gefragt. Dr. Hülsemann Arbeitsrechtliche Haftung Der Arbeitnehmer kann sich beim Betriebsrat beschweren. Nach dem Versuch einer innerbetrieblichen Klärung dürfen sich Arbeitnehmer auch mit ihren Beschwerden an die Aufsichtsbehörden wenden, § 17 ArbSchG. Möglich ist ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers an seiner Arbeitsleistung. Arbeitnehmer können auch wegen dieser Pflichtverletzungen (außer-)ordentlich kündigen. Dr. Hülsemann Arbeitsrechtliche Bedeutung der GB Den Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes kommt insoweit eine Doppelwirkung zu, als Schutzpflichten über § 618 I BGB in das einzelne Arbeitsverhältnis hineinwirken. Sie begründen dann [...] eine privatrechtliche Verpflichtung, die der Arbeitgeber gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer zu erfüllen hat. Die von § 5 I ArbSchG vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung dient auch dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer kann deren Durchführung verlangen. BAG, Urteil vom 12. 8. 2008, 9 AZR 1117/06. Dr. Hülsemann ...aus den Urteilsgründen (1) [23] [...] Die Gefährdungsermittlung ist zentrales Element des technischen Arbeitsschutzes. Mit ihr fängt der Schutz der Gesundheit als der körperlichen und geistig-psychischen Integrität des Arbeitnehmers an. Je genauer und wirklichkeitsnäher die Gefährdungen im Betrieb ermittelt und beurteilt werden, desto zielsicherer können konkrete Maßnahmen des Arbeitsschutzes getroffen werden. Die Bestandsaufnahme und die Analyse der Gefährdungen dienen mittelbar dem Gesundheitsschutz. Sie befinden sich im gesundheitsnahen Bereich. Dr. Hülsemann ...aus den Urteilsgründen (2) [24] Der § 5 I ArbSchG zu Grunde liegende Präventionsgedanke ist die nötige Vorstufe des Schutzes vor einer unmittelbar drohenden Gefahr und mit ihm untrennbar verbunden. [26] Die Gefährdungsbeurteilung dient damit auch dem individuellen Schutz des Arbeitnehmers. [...] Der Individualschutz des Arbeitnehmers beginnt schon mit dem Beurteilungsprozess, nicht erst dort, wo der Planungsprozess mit der Entscheidung darüber endet, ob und erforderlichenfalls welche konkreten Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Dr. Hülsemann Verwaltungsrechtliche Haftung Die zuständigen Arbeitsschutzbehörden können Verwaltungsakte (Behördenverfügungen) erlassen. Dies geschieht, wenn Arbeitgeber, verantwortliche Personen, Beauftragte oder auch einzelne Beschäftigte Regelungen des Arbeitsschutzes nicht einhalten. Hierdurch wird das bisherige Fehlverhalten durch die Statuierung konkreter Pflichten für die Zukunft zum Anlass genommen. Dr. Hülsemann Wie Regelverstöße festgestellen? Anlass (Anonyme) Anzeigen von Arbeitnehmern, Kunden, Mitbewerbern Stichproben Konkrete Vorfälle Gezielte Wiederholungsprüfung nach vorherigen Mängeln Überprüfung erfolgt durch Befragung von Arbeitnehmern Befragung des Betriebsrats Auswertung der Unterlagen (Dienstpläne usw) Dr. Hülsemann Konsequenz: Prüfungsumfang steigt Ausdehnung der Überprüfung der Einhaltung der sonstigen Vorschriften des staatlichen und satzungsautonomen Arbeitsschutzes. „Dürfen wir bitte mal die aktuellen Gefährdungsbeurteilungen sehen?“ Wann war die letzte Unterweisung? Wer ist Ihre Betriebsarzt? Wer ist Fachkraft für Arbeitssicherheit? Wo ist das Pflasterbuch? Dr. Hülsemann Arbeitsunfall (1) Bei Arbeitsunfällen ergibt sich aus dem Unfallversicherungsrecht eine Besonderheit. Ansprüche der Verletzten gegenüber dem Arbeitgeber oder dem schädigenden Kollegen des gleichen Betriebs sind grundsätzlich nur gegenüber der Berufsgenossenschaft geltend zu machen. Ausnahme: Vorsatz des Schädigers. Dr. Hülsemann Arbeitsunfall (2) Die Berufsgenossenschaft kann allerdings im Fall grober Fahrlässigkeit oder bei Vorsatz den Schädiger in Regress nehmen: § 110 SGB VII (1) Haben Personen, […] den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, haften sie den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs. Dr. Hülsemann Aktuell: OLG Koblenz Lässt ein Baustellenleiter den Arbeiter entgegen eindeutiger Sicherheitsbestimmungen ungesichert auf dem Dach arbeiten und kommt es dabei zu einem Unfall, kann dies dazu führen, dass der Sozialversicherungsträger seine Aufwendungen vom Vorgesetzten ersetzt verlangen kann. Hier ist der Vorgesetzte zu mehr als 1 Mio EUR Schadensersatz verurteilt worden! OLG Koblenz, Urteil vom 22.05.2014, 2 U 574/12 Dr. Hülsemann Bußgeldtatbestände (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 18 Abs. 1 oder § 19 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist (§ 25 I Nr. 1 ArbSchG). Die fehlenden Gefährdungsbeurteilungen nach der BiostoffVO oder der Lärm- und VibrationsArbeitsschutzVO lösen z.B. ein Bußgeld aus. Dr. Hülsemann Bußgeldtatbestände (2) Ordnungswidrig handelt nach § 25 I Nr. 2 ArbSchG, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Arbeitgeber oder als verantwortliche Person einer vollziehbaren Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG oder als Beschäftigter einer vollziehbaren Anordnung nach § 22 III 1 Nr. 1 ArbSchG zuwiderhandelt. Voraussetzung eines Bußgeldes ist hier, dass das Gewerbeaufsichtsamt zuvor einen vollziehbaren Verwaltungsakt erlassen hat. Auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes kommt es nicht an, solange er nur vollziehbar ist. Dr. Hülsemann Strafrechtliche Haftung (1) Eine strafrechtliche Haftung des Arbeitgebers kann sich bei der Verletzung arbeitschutzrechtlicher Vorschriften u.a. aus den folgenden Straftatbeständen ergeben: § 222 StGB: Fahrlässige Tötung Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 229 StGB: Fahrlässige Körperverletzung Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstraße bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dr. Hülsemann Strafrechtliche Haftung (2) Möglich sind ferner noch Straftaten nach § 323c StGB. Unterlassene Hilfeleistung Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. § 26 ArbSchG Dr. Hülsemann Nutzen für den Arbeitgeber Mit der Umsetzung des Arbeitsschutzes zeigt der Arbeitgeber seine Rechtstreue. Er macht klar, dass er seine Arbeitnehmer nicht nur als „Humankapital“ sieht. Der einzelne Arbeitnehmer wird als Mensch wahrgenommen, seine Bedürfnisse werden erfragt. Meint der Arbeitgeber dies ernst, wird „menschliche Arbeit im Betrieb“ zu mehr als einem reinen Produktionsfaktor. Der Arbeitgeber zeigt Verantwortung. Dr. Hülsemann Diplom-Verwaltungswirt (FH) Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Jörn Hülsemann Anwaltshaus seit 1895 Ostertorwall 9 31785 Hameln Telefon: (05151) 9477-21 Telefax: (05151) 9477-66 www.anwaltshaus-1895.de [email protected]
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