Das setzt ein wirksamer Vergleich auf Vorschlag des Gerichts voraus

Prozesspraxis
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BGH ZUM PROZESSVERGLEICH
Das setzt ein wirksamer Vergleich auf Vorschlag
des Gerichts voraus
| Es ist wichtig, die verschiedenen prozessualen Formen zu unterscheiden,
in denen ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden kann. So wird
vermieden, dass Formmängel den Vergleich und mit ihm die materiellrechtliche Einigung unwirksam werden lassen und ihm dann die Funktion
als Vollstreckungstitel fehlt. Eine aktuelle Entscheidung des BGH zeigt,
dass der Vergleichsschluss in der mündlichen Verhandlung und der schriftliche Vergleichsschluss nicht vermischt werden dürfen. |
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt den Beklagten in Anspruch, da dieser sie angeblich fehlerhaft privatärztlich behandelt hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem
OLG hat der Vorsitzende einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag zu Protokoll
diktiert. Die Aufzeichnung ist den Parteivertretern und den Parteien vorgespielt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat dann erklärt:
„Der Vergleichstext ist uns soeben vorgespielt worden. Er wird genehmigt,
und es wird hiermit die Zustimmung nach § 278 Abs. 6 ZPO erklärt.“
Klägerin stimmte
gerichtlichem
Vergleichsvorschlag
in der mV zu
Das wurde ebenfalls so ins Protokoll aufgenommen. Das Gericht hat dem
Beklagten dann Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen dem Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO zuzustimmen, was schriftsätzlich geschah.
Daraufhin hat das Gericht das Zustandekommen des Vergleichs durch
Beschluss festgestellt und den Parteien zugestellt.
Beklagter stimmt
schriftsätzlich zu
Wenig später hat die Klägerin den Prozessvergleich wegen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten und eingewandt, die Geschäftsgrundlage sei
gestört. Sie hat außerdem geltend gemacht, der Vergleich sei prozessual
nicht wirksam zustande gekommen. Das OLG hat darauf festgestellt, dass
der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt ist.
Klägerin fechtet
Vergleich anschließend an
Der BGH sieht den Vergleich als prozessual unwirksam an, auch wenn er der
Klägerin im Ergebnis verwehrt, sich nach Treu und Glauben hierauf zu berufen.
◼◼Leitsatz: BGH 14.7.15, VI ZR 326/14
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Abruf-Nr. 179408
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 Fall 2 ZPO kann nur durch Annahme des
schriftlichen Vergleichsvorschlags des Gerichts mit Schriftsatz der Parteien
wirksam geschlossen werden (Abruf-Nr. 179408).
Relevanz für die Praxis
Der Abschluss des Vergleichs hat hier nicht den Formvorschriften des § 278
Abs. 6 S. 1 Fall 2 ZPO entsprochen.
02-2016PROZESSRECHT
AKTIV
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Zunächst ist dabei festzuhalten, dass der Prozessvergleich eine rechtliche
Doppelnatur hat:
Prozessvergleich hat
Doppelnatur
„„ Er ist zum einen Prozesshandlung, durch die der Rechtsstreit beendet wird
und deren Wirksamkeit sich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen
bestimmt.
„„ Zum anderen ist er ein privates Rechtsgeschäft, für das die Vorschriften
des materiellen Rechts gelten und mit dem die Parteien Ansprüche und
Verbindlichkeiten regeln.
Prozesshandlung und privates Rechtsgeschäft stehen nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr sind sie voneinander abhängig. Der Prozessvergleich ist
nur wirksam, wenn sowohl die materiell-recht­lichen Voraussetzungen für
einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an
eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es an einer dieser
Voraussetzungen, liegt kein wirksamer Prozessvergleich vor. Der Prozess
wird nicht beendet.
PRAXISHINWEIS | Die Folge dieser janusköpfigen Struktur des Prozessvergleichs ist es, dass kein ein neuer Prozess zu führen ist. Vielmehr müssen Sie
verlangen, dass das Verfahren von dem Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen wurde, fortgesetzt wird, indem es einen Termin zur mündlichen Verhandlung
bestimmt. Sie müssen dann begründen, warum der Vergleich aus materiellrechtlichen oder prozessualen Gründen unwirksam war und deshalb weder den
Prozess noch den Streit beenden konnte.
Unwirksamer
Prozessvergleich:
kein neuer Prozess
Der BGH sieht die Formvorschriften des § 278 Abs. 6 S. 1 Fall 2 ZPO hier aus
folgenden Gründen nicht als gewährt an:
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Nach dieser Vorschrift kann ein gerichtlicher Vergleich geschlossen werden,
indem die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts
durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Ob dies hier gegeben
war, bezweifelt der BGH:
„„ Der Vergleichsvorschlag des Gerichts zu Protokoll genügt der Schriftform.
Zwar wurde der Vorschlag zunächst vorläufig auf Tonträger gemäß § 160a
Abs. 1 ZPO aufgezeichnet. Doch ist das Schriftformerfordernis dadurch
gewahrt, dass die Aufzeichnung in das vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnete Protokoll (§ 160a Abs. 2; § 163
Abs. 1 ZPO) übertragen worden ist.
Zwar genügte der
gerichtliche
Vergleichsvorschlag
den Formalien, ...
„„ Nicht ausreichend ist dagegen, dass die Klägerin die Annahme des schriftlichen Vergleichsvorschlags zu Protokoll erklärt hat. Dies genügte nicht
dem Formerfordernis nach § 278 Abs. 6 S. 1 Fall 2 ZPO. Ausgehend vom
Wortlaut verlangt die Vorschrift einen Schriftsatz der Partei. Die Niederschrift einer mündlichen Erklärung der Partei zu Protokoll genügt dafür
nicht. Diese bietet zwar Beweis dafür, dass die Partei etwas mit dem protokollierten Inhalt erklärt hat. Das Protokoll stellt aber eine schriftliche
... nicht aber die
Annahme des
Klägers
02-2016PROZESSRECHT
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Erklärung des Gerichts über Förmlichkeiten und Inhalt einer mündlichen
Verhandlung und Beweisaufnahme dar. Es ist nicht die schriftliche Erklärung der Partei.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte zwar ein Vergleichsschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung in einem schriftlichen Verfahren ohne Termin erleichtert werden, als er § 278 Abs. 6 ZPO neu gefasst hat (BT-Drucksache 14/4722, S. 61, 82). Es sollte aber für die einzelne Partei nicht ermöglicht
werden, zu Protokoll eine Zustimmungserklärung zu einem Vergleichsvorschlag abzugeben, dem die Gegenpartei innerhalb gesetzter Frist mit Schriftsatz zustimmen kann.
Intention des Gesetzgebers
Gegen eine solche Absicht des Gesetzgebers, die sich im Gesetzestext auch
nicht wiederfindet, spricht der Umkehrschluss aus der Regelung in § 269
Abs. 2 S. 2 ZPO über das Prozessende durch Klagerücknahme. Für die
Zurücknahme der Klage lässt es das Gesetz ausdrücklich genügen, wenn ein
entsprechender Schriftsatz eingereicht oder dies in der mündlichen Verhandlung erklärt wird.
Beim Abschluss eines Prozessvergleichs ist außerdem im Interesse der
Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Parteien Formstrenge geboten. Sie
verlangt, klar abzugrenzen.
Prinzip der Formstrenge
Ein gerichtlicher Vergleich ist als verfahrensbeendigende Prozesshandlung
und als Vollstreckungstitel deshalb nur wirksam, wenn er nach den maßgeblichen gesetzlichen Formvorschriften geschlossen worden ist. Ermöglichte
man einen von Gesetzes wegen prozessrechtlich nicht vorgesehenen gerichtlichen Vergleichsabschluss, würde dies zu Rechtsunsicherheit führen.
Da der BGH schon beanstandete, dass die Klägerin nicht schriftlich zugestimmt hatte, musste er nicht mehr entscheiden, ob auch schon zugestimmt
werden kann, bevor der schriftliche Vergleichsvorschlag zugeht (= Protokollabschrift). Auch hieran kann gezweifelt werden (vgl. OLG Hamm NJW-RR 12,
882).
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PRAXISHINWEIS | Der Vergleich hätte hier im gleichen zeitlichen und formalen
Ablauf wirksam geschlossen werden können. Erforderlich wäre nur gewesen,
dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung einen Widerrufsvergleich
geschlossen hätten. Hierin hätten sie nur dem Beklagten zugestehen können,
binnen einer Frist von drei Wochen zu widerrufen. Ob und warum die Parteivertreter diesen Weg nicht gewählt haben, geht aus dem mitgeteilten Sachverhalt
nicht hervor.
Widerrufsvergleich
als Mittel der Wahl
Am Ende half dies allerdings der Klägerin nicht. Wenn dem Pragmatismus
zum Durchbruch verholfen werden soll, muss auf § 242 BGB, den Grundsatz
von Treu und Glauben, zurückgegriffen werden.
02-2016PROZESSRECHT
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Der Grundsatz von Treu und Glauben wird auch im Prozessrecht angewendet
(st. Rspr.; BGH VersR 13, 207). Widersprüchliches Verhalten einer Partei im
Prozess kann rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein (BGH NJW 97,
3377; NJW-RR 09, 1582).
Venire contra factum
proprium
Rechtsmissbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände
die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Ein Recht auszuüben,
kann etwa unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren
sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH WuM 15, 296). Der Vorrang
öffentlicher Interessen oder das Gebot der Rechtssicherheit müssen nicht
dazu führen, dass der Grundsatz von Treu und Glauben zurücktritt. Dies gilt
auch, wenn das öffentliche Interesse am sicheren Ablauf des Verfahrens den
Einwand im Einzelfall ausschließen kann (BGH NJW 73, 2110).
Treu und Glauben
vs. öffentliche
Interessen
Für den konkreten Fall hat der BGH einen beachtlichen Verstoß gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben angenommen. Es hat außerdem den
Beklagten gegenüber den öffentlichen Interessen als schutzwürdiger angesehen, weil gerade eine „mündliche Zustimmung nach § 278 Abs. 6 ZPO“
erklärt wurde und der Kläger weder unmittelbar auf die Zustimmungserklärung des Beklagten noch auf den Feststellungsbeschluss reagiert hat, sondern weitere drei Wochen gewartet hat. Das allein prozesstaktische Moment
steht dem formellen Einwand aus Sicht des BGH quasi „auf die Stirn geschrieben“.
Kläger hatte nur drei
Wochen nach
mündlicher Zustimmung angefochten
Das öffentliche Interesse an der durch die Schriftform gewährleisteten
Sicherheit im Hinblick auf die Abgabe und den Inhalt der Annahmeerklärung
ist nicht beeinträchtigt, wenn sowohl der Vergleichsvorschlag des Gerichts
als auch die Annahmeerklärung protokolliert, vorgespielt und von der Partei
genehmigt wurden. Immerhin entspricht diese Verfahrensweise den Formvorschriften, die im Fall eines in mündlicher Verhandlung geschlossenen
Vergleichs gelten (§ 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 Abs. 1 S. 2 ZPO).
ARCHIV
↘↘ WEITERFÜHRENDE HINWEISE
Ausgabe 4 | 2015
Seite 69
•Kostenregelung im Vergleich muss präzise sein (mit Musterformulierung), PAK 15, 69
•Vergessen Sie den Androhungsantrag nicht (mit Musterformulierung), PAK 14, 156
•Unwirksamer Prozessvergleich, PAK 14, 92
•Prozessvergleich: Abgeltung von gegnerischen vorgerichtlichen Anwaltskosten eindeutig regeln, RVG prof. 14, 57
•Prozessvergleich: Gebühren bei Anfechtung, RVG prof. 12, 134
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
•Erneuter Gebührenanspruch bei Anfechtung eines Prozessvergleichs nach zwei Jahren,
RVG prof. 11, 40
•Androhung von Ordnungsmitteln nach Prozessvergleich, PAK 11, 9
•Kostenerstattung bei späterer Ersetzung des Vollstreckungsbescheids durch Prozessvergleich, VE 09, 175
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