13.9.2015, Stadtfestgottesdienst Gerlingen, 10 Uhr, Petruskirche Pfarrer Dr. Christoph Keller DIE FREMDEN Mt 25,31-40 31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Das dritte unter den leiblichen Werken der Barmherzigkeit macht uns zur Zeit am meisten zu schaffen: die Aufnahme von Fremden und Obdachlosen. Betroffen ist nicht nur unsere Stadt, betroffen sind auch unsere Partnerstädte Seaham, Vesoul und Tata, jedes Land in Europa auf seine Weise. Deshalb ist es sinnvoll, sich dieses Jahr in unserem gemeinsamen Gottesdienst dem Flüchtlingsthema zu widmen. Es wird also eine politische Predigt werden, die zu halten ist, allerdings nicht eine Predigt, die sich auf die Stellungnahmen bezieht, die täglich von allen Seiten abgegeben werden, sondern eine Predigt, die nachschaut, was der Heiligen Schrift zum Thema Fremde / Flüchtlinge / Vertriebene zu entnehmen ist. Was hat das zu bedeuten, dass Christus sich mit diesen Menschen identifiziert? Das schauen wir uns als erstes an. Für alle leiblichen Werke der Barmherzigkeit gilt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Heißt das, dass in jedem Afghanen, in jedem Syrer, in jedem Roma, in jedem Nigerianer, der nach Gerlingen kommt, Christus zu sehen ist? Das hört sich fromm an, ist aber nicht gemeint. Was ist dann damit gemeint? Gemeint ist: Wenn ihr etwas für mich tun wollt, dann nehmt den Flüchtling auf, dann gebt dem, der hungert, zu essen, dann kümmert euch um die Kranken, um die Gefangenen – kurzum: Wir sollen im Sinne Christi handeln. Genau genommen, identifiziert sich Christus nicht mit den Armen, sondern will, dass wir uns mit Ihm, mit Christus, identifizieren und tun, was Er getan haben will. Daraus folgt: Es hat uns um die Gesinnung zu gehen, um die Einstellung, um die Mobilisierung des Willens. Wenn erst der Wille da ist, findet sich auch ein Weg. Der beste Vorschlag nützt nichts, wenn kein Wille da ist, ihn zu verwirklichen. Wir von Kirchens haben die Aufgabe, die Gewissen zu schärfen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wir können nicht mit Patentlösungen dienen in Sachen Verteilung und Unterbringung der Flüchtlinge. Dafür gibt es Fachleute, Zuständige, Kenner der Materie, darunter zu Hauf gute Christen, die den vorhandenen guten Willen in Maßnahmen umsetzen. Strategie und Taktik sind nicht Sache des Glaubens, sondern Sache der Kompetenz. Gott sei Dank!, muss man sagen, denn sonst kann es gehen, wie es in dem Gedicht – ich meine, es sei von Christian Morgenstern – heißt: Ein Hecht, vom heiligen Anton bekehrt, beschloss samt Frau und Sohn, am vegetarischen Gedanken moralisch sich emporzuranken. Er fraß seit jenem nur noch dies: Seegras, Seerose und Seegrieß. Doch Gras, Grieß, Rose floss, o Graus, entsetzlich wieder hinten raus. Der ganze Teich ward angesteckt, fünfhundert Fische sind verreckt. Doch Sankt Anton, gerufen eilig, sprach nichts als: Heilig, heilig, heilig. So geht´s, wenn die Kirche sich einmischt in Dinge, von denen sie nichts versteht. Hat sie also gar nichts verloren in der Politik? Hat sie in der Flüchtlingsfrage den Mund zu halten? Im Gegenteil! Mit dem, was Christus sagt, ist der Kirche aufgetragen, für die Bereitschaft zu helfen zu sorgen. Für die Gesinnung ist sie zuständig, für das Feuer unterm Hintern. Das Mitfühlen ist die treibende Kraft, ohne die nichts in Gang kommt. Wir lassen uns anrühren von den Schicksalen der Menschen, die vor unserer Tür stehen. Wir lassen keine Herzenskälte aufkommen. Deswegen fahren wir auch denen über den Mund, die Stimmung machen gegen die Fremden. Wir hören nicht weg, wenn gehetzt wird, wir halten dagegen, wenn Parolen verbreitet werden wie „Das Boot ist voll“ oder scheinheilig gesagt wird: „Unterbringen ja, aber nicht bei uns.“ Schäbig, was wir da immer wieder von staatlichen Instanzen zu hören kriegen. „Das Land sollte“ sagen die Kommunen, „der Bund sollte“ sagen die Länder, „Europa sollte“ sagt der Bund. Wer die Gesinnung Christi hat, legt den Finger nicht darauf, was andere tun sollten, sondern legt Hand an und tut, was er selber tun kann. Was man selber tun kann, hat man in der Hand, was andere tun sollten, hat man nur im Mund. Oder auf dem Papier. Es geschehen aber auch Zeichen und Wunder. Die „Stuttgarter Zeitung“ - ich rede von der „Stuttgarter Zeitung“ nicht vom „Strohgäu extra“ – die wochenlang an nichts, was Bund und Länder machen, ein gutes Haar ließ, selber aber keinen Muckser tat, was Bund und Länder denn dann machen sollten, hört plötzlich auf mit Mängelrügen .Von Beschäftigungsmöglichkeiten für Mastschweine war kürzlich in der „Stuttgarter Zeitung“ zu lesen, da werden Beschäftigungsmöglichkeiten für Flüchtlinge wohl bald folgen! Mit ihrer Weihnachtsaktion zeigt die „Stuttgarter Zeitung“ doch, dass sie mehr kann als zetern. Biblisch gesehen, darf die Politik sicher einen Unterschied machen zwischen Kriegsflüchtlingen und Armutsflüchtlingen. Der einzelne Christ freilich sortiert nicht, sondern hilft einfach, wenn er helfen kann, wie er das als barmherziger Samariter sonst auch macht. Kleine Gesten sind oft wichtiger als große Reden. Als ich Pfarrer in Böblingen wurde, war ich, noch gar nicht richtig eingezogen, in der Sakristei gestürzt und hatte mir den Fuß gebrochen. Ein befreundetes Ehepaar, das gekommen war, beim Einzug zu helfen, musste das Einrichten der Wohnung mehr oder weniger alleine besorgen. Am Sonntag nachmittag klingelte es. Lorenz ging öffnen und kam zurück. „Es ist niemand da“, sagte er, „nur ein Rollstuhl steht vor der Tür.“ – Ich werde den Rollstuhl nie vergessen: ein Beispiel, wie einfaches Mitdenken einem Menschen das Leben erleichtern kann. Christi Wort von den leiblichen Werken der Barmherzigkeit ist uns Verpflichtung, so wahr wir Christen sind und so wahr jedem anderen Menschenfreund klar ist. Wie ich mich einem Hilfsbedürftigen gegenüber verhalte, zeigt, wes Geistes Kind ich bin. Zum Schluss: Es kann gut sein, dass unter den Flüchtlingen, die nach Gerlingen kommen, nicht nur Familien sind, sondern auch alleinstehende junge Leute, denen es nicht gut tut, wenn sie nicht beschäftigt werden. Sie dürfen gemeinnützige Arbeit leisten. Unterstützen wir unsere Stadtverwaltung und unsere Kirchengemeinden auf der Suche nach solcher Arbeit, für die es 1,05 Euro gibt, und sind wir dankbar dafür, dass das Arbeitsverbot aufgehoben ist bzw. großzügig behandelt werden kann – gemäß dem Christuswort Markus 2,27: „Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz.“
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