__ __ Diskriminierung durch Mehrkostenvorbehalt bei Wunsch- und Wahlrecht bzgl. Wohnort und –form aufheben Positionspapier der Staatlichen Koordinierungsstelle nach Art. 33 UN-BRK Fachausschuss für Freiheits- und Schutzrechte 29.09.2015 Seite 2 von 3 Der Inklusionsbeirat fordert den Gesetzgeber auf, bei der Schaffung des Bundesteilhabegesetzes die Diskriminierung durch den Mehrkostenvorbehalt beim Wunsch- und Wahlrecht bezüglich Wohnort und -form aufzuheben, und in der Erstellung eines Referentenentwurfs zum Bundesteilhabegesetz entsprechend zu berücksichtigen. Selbst 6 1/2 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK) ist es Menschen mit Behinderung, sowie jungen und alten pflegebedürftigen Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf fast unmöglich, außerhalb von stationären Einrichtungen zu leben, weil die Leistungsträger, hier insbesondere die Sozialämter, mit Hinweis auf den Mehrkostenvorbehalt in § 13 Abs. 1 S. 3 SGB XII eine bedarfsdeckende ambulante Versorgung erschweren und oft sogar versagen. Des Weiteren wird die Entscheidung behinderter und pflegebedürftiger Menschen, inklusiv, selbstbestimmt und gleichberechtigt in der Gesellschaft zu leben, durch zu geringe soziale Assistenzleistungen konterkariert. Eine Partizipation in der Gemeinschaft wird so behindert. Das hat u.a. zur Folge, dass Menschen nur aufgrund ihrer Behinderung mit Familienangehörigen nicht zusammenleben, mit Freunden und Bekannten am Leben in der Gesellschaft nicht teilhaben können und junge Menschen mit Behinderung teilweise sogar in Altenheim leben. Das ist aus menschenrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar. Deshalb begrüßt der Inklusionsbeirat die Diskussion und das Vorhaben einer Leistungsbewilligung unabhängig von Wohnort und –form, die sich ausschließlich am individuellen Bedarf des Einzelnen orientiert und mit dem Betroffenen gemeinsam erarbeitet wurde. Das in diesem Zuge ins Gespräch gebrachte Poolen1 von Leistungen kann vom Inklusionsbeirat nur mitgetragen werden, wenn das Poolen auf Wunsch des Leistungsberechtigten erfolgt. Der Inklusionsbeirat lehnt es ab, dass das Poolen von Leistungen (zugunsten von Leistungsträgern) leistungsverengend wirkt, also das Poolen zur Voraussetzung für die Leistungsbewilligung wird. Die freie Entscheidung über die Wohnform (allein, mit Familie, mit sonstigen Mitbewohnern/Mitbewohnerinnen oder in Gruppen lebend) ist ein Grundrecht, das mit der UN-Behindertenrechtskonvention bekräftigt wurde und das über Wirtschaftlichkeitserwägungen steht. Die Entscheidungsfreiheit darf keinesfalls dadurch eingeschränkt werden, dass vermeintlich oder tatsächlich billigere Unterstützungsleistungen in Einrichtungen als Maßstab oder Obergrenze der 1 Poolen bedeutet, dass mehrere Leistungsberechtigte eine Leistung gemeinsam in Anspruch nehmen, beispielsweise können mehrere in räumlicher Nähe lebende Pflegebedürftige eine Pflegekraft gemeinsam nutzen. Seite 3 von 3 Finanzierung festgelegt werden. Ein solches Zwangs-Poolen lehnt der Inklusionsbeirat entschieden ab. Das Wunsch- und Wahlrecht bezüglich Wohnort und –form muss in Deutschland nach den Vorgaben der UN-BRK tatsächlich umgesetzt werden. So kommentiert es auch der UN-Fachausschuss im Zuge der Ersten Staatsprüfung Deutschlands in seinen abschließenden Bemerkungen unter den Punkten 41 und 42. So zeigt sich der UN-Fachausschuss in Genf u.a. besorgt „[…] über den hohen Grad der Institutionalisierung und den Mangel an alternativen Wohnformen beziehungsweise einer geeigneten Infrastruktur, durch den für Menschen mit Behinderungen zusätzliche finanzielle Barrieren entstehen. Er ist ferner besorgt darüber, dass das Recht, mit angemessenem Lebensstandard in der Gemeinschaft zu leben, insoweit beeinträchtigt ist, als der Zugang zu Leistungen und Unterstützungsdiensten einer Bedürftigkeitsprüfung unterliegt und (infolge) nicht alle behinderungsbedingten Aufwendungen abgedeckt werden.“. Für die tatsächliche Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts bezüglich Wohnort und –form ohne Diskriminierung aufgrund einer Behinderung empfiehlt der UNFachausschuss „[…] (a) Schritte zur Novellierung von § 13 Abs. 1 Satz 3 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs zu unternehmen, um durch erhöhte soziale Assistenzleistungen, Inklusion, Selbstbestimmung und die Entscheidung, in der Gemeinschaft zu leben, zu ermöglichen; (b) ausreichende Finanzmittel verfügbar zu machen, um die Deinstitutionalisierung zu erleichtern und die unabhängige Lebensführung zu fördern, einschließlich höherer Finanzmittel für die Bereitstellung gemeindenaher ambulanter Dienste, die Menschen mit geistigen oder psychosozialen Behinderungen auf der Grundlage der freien und informierten Einwilligung der/des Betroffenen im gesamten Land die erforderliche Unterstützung gewähren; (c) den Zugang zu Programmen und Leistungen zu vergrößern, die das Leben in der Gemeinschaft unterstützen und behinderungsbedingte Aufwendungen decken.“. Dem kann sich der Inklusionsbeirat nur anschließen und in diesem Zusammenhang auf sein von ihm im März 2012 veröffentlichtes Positionspapier „Zwingender gesetzlicher Änderungsbedarf im SGB IX und im SGB XII - nach Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention“, das bisher wohl unberücksichtigt blieb und dessen Forderungen ebenso zwingend im Entwurf zum Bundesteilhabegesetz einfließen sollten, verweisen.
© Copyright 2024 ExpyDoc