OTTO KRUSE: EIN THEMA EINGRENZEN Themenhinweise werden oft nach dem Motto gegeben: „Beschäftigen Sie sich doch mal mit dem frühen Freud!“ oder entsprechend mit den Spätschriften Goethes, mit dem Frauenbild der Renaissance oder mit dem Thema „Emotionalität in der Werbung“, wo eben gerade WissenschaftlerInnen eine Lücke oder einen vielversprechenden neuen Ansatz entdeckt zu haben glauben. Aus solchen Themenhinweisen sollen dann solide Themen ausgearbeitet werden. Wichtig sind dann Eingrenzungen. Die können Sie auf folgende Art und Weise vornehmen: Einen Aspekt auswählen: Weder der frühe Freud noch der späte Goethe sind machbare Themen für eine Qualifikationsarbeit. Aber es könnte Freuds Verhältnis zur Sprache, seine Emotionskonzeption oder sein Frauenbild in den frühen Schriften sein. Entsprechende Aspekte ließen sich für den späten Goethe suchen. Zeitliche Eingrenzungen: „Früh“ und „Spät“ können als Einteilung schon zu weit gefasst sein, besonders bei einem Schriftsteller wie Goethe. Es wäre also eine genaue Jahresangabe festzulegen. Eingrenzen der Quellen: Wichtig kann eine Eingrenzung der Quellen oder Materialien sein, die man zu bearbeiten gedenkt, also etwa eine Beschränkung auf Gedichte, Dramen oder Prosa von Goethe. Betrachtungsebenen spezifizieren: Viele Probleme lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen betrachten. So können Probleme eine anthropologische, individuelle, soziale, psychologische, historische, soziologische, juristische, politische, administrative, linguistische, subjektive, methodische, erkenntnistheoretische, metatheoretische, inhaltliche, formale, funktionale, systematische, kausale, strukturelle, intentionale, entwicklungsbezogene, genealogische, evolutionäre, moralische, dynamische, ökonomische, kognitive, emotionale, makro- oder mikrostrukturelle Seite haben. Wählen Sie aus! „Unter Berücksichtigung von“: Eingrenzend kann der Verweis auf einen inneren oder äußeren Bezug des Themas sein. So könnte man die Emotionstheorie des frühen Freud unter Berücksichtigung der Emotionspsychologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts untersuchen. Beziehungen herstellen: Viele wissenschaftliche Themen werden dadurch eingegrenzt, dass zwei Objekte, Theorien oder Personen miteinander in Beziehung gesetzt werden. So könnte man z.B. die Emotionstheorie in Freuds Frühschriften mit der Emotionstheorie bzw. Psychologie Wundts in Beziehung setzen (vorausgesetzt, man hat Hinweise darauf, dass Querbeziehungen bestehen). Schwerpunkte setzen: Will oder muss man ein Thema dennoch relativ breit anlegen, so sollte man Gewichtungen vornehmen, die einzelne Teile präferieren, andere zurückstellen. Beispiel oder Einzelfall hervorheben: Man kann der Breite eines Themas dadurch entgehen, dass man es anhand eines Einzelfalles aufrollt. So könnte man z.B. die Emotionstheorie des frühen Freud anhand seines Falles Dora behandeln. Überblick geben: Die Beschränkung auf einen Überblick grenzt ein Thema insofern ein, als auf eine detaillierte Behandlung verzichtet wird. Allerdings kann man Übersichten nur geben, wenn man mit den Details vertraut ist. Neues hervorheben: Die Einschränkung hierbei liegt darin, dass Bekanntes weggelassen wird. Es muss dabei eine Art Linie gezogen werden, die das bereits Bekannte markiert; alles, was darüber hinausgeht, ist neu, also Ihr Gegenstand. Personen auswählen: Manche Themen lassen sich am besten personifiziert behandeln. Wenn Sie sich also für Neorealismus oder indische Mystik interessieren, suchen Sie sich eine Person, die (je nach Materiallage) typisch für das Thema ist (wenn das Thema selten behandelt wird) oder etwas Besonderes in diesem Themenkreis darstellt (wenn es bereits viele Arbeiten zu diesem Thema gibt). Variablen spezifizieren: Wenn Sie viel mit empirischem Material zu tun haben oder selbst empirisch arbeiten möchten, ist es unumgänglich, abhängige und unabhängige Variablen zu spezifizieren. Systeme eingrenzen: Wollen Sie komplexere Zusammenhänge untersuchen, müssen Sie sich gegen die „Totalität“ schützen, d.h. gegen die Tatsache, dass alles mit allem in Zusammenhang steht. Definieren Sie dann eine Gruppe von zusammengehörigen Variablen und grenzen Sie alles aus, was nicht in diesen Zusammenhang gehört. Sie müssen dann recht feste „Mauern“ um Ihr System ziehen, damit ihre Arbeit nicht ausufert. Anwendungsbereiche konkretisieren: Bei allen Themen mit Praxisbezug kann eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs nötig sein. Definieren Sie die Fälle, Ereignisfelder, Handlungszusammenhänge, Institutionen, die Sie berücksichtigen wollen. Otto Kruse (1993): Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium. Frankfurt am Main und New York: Campus Verlag, 5. Auflage 1997, Seite 200–202.
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