Inhalt - Bewegte Worte

Auszug aus drei Rundbriefen des Heileurythmie Berufsverband Deutschland 2014/2015
Erstellt von Theodor Hundhammer 22.5.2015
Inhalt
Barabara Lampe
Koppelung von Atmung und Bewegung .... was tun?? Ein Erfahrungsbericht Aus der Praxis ............ 2
Theodor Hundhamer
Atmen in der Heileurythmie? .............................................................................................................. 4
Barabara Lampe
Polarität im Atmungsprozess .............................................................................................................. 8
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Rundbrief des BVHE-BRD 1-2014
Koppelung von Atmung und Bewegung .... was tun??
Ein Erfahrungsbericht Aus der Praxis von Barbara Lampe
Heute kommen viele Patienten in die Heileurythmie, die im Vorfeld Erfahrungen mit östlichen Meditationspraktiken, Achtsamkeitsübungen und unterschiedlichsten Bewegungsrichtungen haben, die
auf dem Wellnessmarkt oft wenig professionell angeleitet werden. Sie lernen da unter Anderem, wie
sie in besonderer Weise den Atem beobachten und ggf. mit der Bewegung koppeln (koordinieren)
sollen, um zu einer optimalen Entspannung oder Konzentration zu kommen. Die Patienten berichten,
wie sie dadurch mehr zur Ruhe kommen können und von der Gedankenflut befreit werden.
Durch das Lenken der Aufmerksamkeit auf den Atem wird das nervöse und unwillkürliche Denken
gelenkt und beruhigt. In der Wahrnehmung des Atems öffnet sich ein Raum für das Einströmen von
ätherischer Kraft, denn Wahrnehmung als solche ist eine ätherische Kraft. Das wird als Erlösung und
Entspannung erlebt.
In der Heileurythmie wird die Achtsamkeit selten oder gar nicht auf die Atmung gerichtet. Die Sinngebung in der Heileurythmie liegt im Erfassen und Bewegen der Lautgestalt. Da liegt auch ihre Wirksamkeit. Die ganze Achtsamkeit richtet sich auf den schöpferischen Prozess und seine Beziehung zum
eigenen Organismus. Alle Sinne und auch die Vorstellungskraft im Anschauen oder innerlichen Hören
der Bewegung werden maximal durch die Tätigkeit des Ich erweckt. Dadurch wird die ätherische
Bildekraft der Laute auf den Organismus hin verstärkt.
Über den beobachteten oder bewußt geführten Atem wird die Aufmerksamkeit vom Sinnerleben und
Sinngestalten weggeführt. Die Achtsamkeit wird tiefer an den Körper gebunden und das kann in
manchen Lebenssituationen wichtig sein.
Bei Panikattacken oder dissoziativen Störungen werden z.B. Atemübungen zur Stabilisierung von
traumatherapeutischen Behandlungskonzepten empfohlen. Diese sind meist an den Schritt gekoppelt wenn Gehen noch möglich ist: 2 Schritte einatmen, 3 Schritte ausatmen usw. Das bewußte Eingreifen in einen unbewußt verlaufenden chaotischen Prozess (Panik) hilft, Stand zu halten und die
Selbstführung nicht zu verlieren. Wenn Gehen nicht mehr möglich ist, dann kann taktartig gezählt
werden und daran die Atemfrequenz angepasst werden. Diese Übungen binden das Bewußtsein an
den Willen und der Atem ist die Brücke.
Ich setze in solchen Fällen das I-A-O-ein, geprochen und koordiniert mit dem Schritt oder mit Klopfen
an den Oberschenkel oder Oberarm (hier beidseitig mit gekreuzten Armen = E) Patienten gaben mir
dazu immer positive Rückmeldung, dass sie auch im akuten Fall sich selber helfen können. Die Bedeutung der Sprachkraft für die Selbstregulation ist nicht zu unterschätzen.
Dieser Kern des schöpferischen Menschen, der sich in Sprache und Musik äußert ist der Heilquell in
der Heileurythmie.
Wie gehe ich nun mit Patienten um, die den Atem habituell an die Bewegung koppeln? Wir wissen ja,
dass mittlerweile östliche Bewegungsmethoden von manchen Krankenkassen übernommen werden
und sehr viele Menschen sich dahin wenden, um Hilfe zu bekommen, weil sie gerne selber etwas für
ihre Gesundheit tun wollen.
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Der Patient ist mit seiner Suche nach Heilung mit einem großen therapeutischen Angebot aller Art
konfrontiert. Viele Behandlungsmethoden hat er schon kennengelernt, wenn er zu mir in die Praxis
findet. Sein Weg ist der Wichtige, er weiß in der Tiefe seiner Seele, was er braucht. Ich werde ihm
immer mit Wertschätzung bezüglich seiner Suche begegnen. Es kann sein, dass der Patient in der
Heileurythmie auch habituell die Atmung an die Bewegung koppelt, weil er es ja irgendwo so gelernt
hat.
Ich möchte ihm jetzt aber die Bedeutung der inneren Sprachkraft und bildlichen Intention für die
Lautbewegung näher bringen. Da kann ich ihm an ganz gewöhnlichen Alltagsbewegungen zeigen,
dass z.B. der seelische Gehalt einer Begrüßungsgeste verloren geht, wenn ich diese mit koordiniertem Atmen begleiten würde. Wenn ich aber mit Freude oder einer anderen Gemütsregung die gleiche Geste durchführe, dann verändert sich durch die Empfindung der Atem. Die Beseelung vertieft
und modifiziert den Atem sinngemäß. Natürlich macht kein Mensch geführte Atmung im Alltag. Das
kann jeder sofort erleben, dass das wiedersinnig ist. Durch die seelisch-geistige Intention, die der
heileurythmischen Lautbewegung eigen ist, wird der Atem gerichtet und an Intensität, Geschwindigkeit und Kraft variiert und differenziert.
Es ist nun gut, das auch exemplarisch dem Patienten zu zeigen und ihm eine Erfahrung zu ermöglichen, wie sich die Lautbewegung anfühlt mit geführtem, koordiniertem Atem und wie, wenn er sich
ganz auf die Sinngestaltung richtet. Oft höre ich dann sagen: „Ja, jetzt habe ich die Bewegung gemacht, da war ich jetzt ganz drin und das geht eigentlich viel leichter. Auch der Körper wird dabei
leichter“. Was ist den dieses Ich für eine Kraft, die den Körper leichter machen kann? Jeden Morgen
ist dieses „Ich“ in der Lage, einen viele Kilo schweren Körper in die Senkrechte zu stellen, wenn es
etwas vorhat und etwas will und nicht in einer tiefen Depression gefangen ist. Das „Ich“ hebt die
Schwere auf und bringt mich in ein Gleichgewichtsverhältnis. Dieses Ich ist besonders essenziell präsent in der Sprachkraft, in der Sprachbewegung, beim Sprechen und Gestikulieren, denn hier will
"Ich" mich ausdrücken, hier zeige "Ich" mich und begegne anderen "Ichen".
Sehr eindrücklich kann man an „Ich denke die Rede“ erfahren, wie einen die geometrischen Stellungen in ein kosmisches Kraftfeld stellen (hier bin ich in einem kosmischen Kraftfeld) oder wie dann ein
bedeutsamer Gedanke „ernährend“ die Stellung belebt. Hier ist das Ich in der Verbindung zu dem
kosmischen Kraftfeld menschlich tätig. Durch den Sinn wird Präsenz hergestellt.
Bei schweren Erschöpfungszuständen und Depression gibt es auch das Phänomen, dass der Patient
nur mit Hilfe der Atmung seine Arme heben kann. In der Erschöpfung verliert der Mensch den Zugang zu sich selber als schaffendem und lebendig gestaltendem Wesen. Nun muss der Atem den
Initiativwillen ersetzen um überhaupt in eine Bewegung zu kommen.
Vielleicht wird dieses Thema noch andere Kollegen weiter interessieren und wir können umfangreicher daran arbeiten, wie sich die östlichen Bewegungspraktiken auch vom Kraftfeld (Wesensgliedergefüge) her von der Heileurythmie unterscheiden, was sie schulen und wo die Einseitigkeiten liegen.
Das wäre eine wichtige, für das Verständnis der Erfahrungen der Patienten, hilfreiche Untersuchung.
Außerdem werden solche Untersuchungen, in welchen die unterschiedlichen therapeutischen Ansätze differenziert dargestellt werden, auch für die Arbeit der BAG KT wesentlich sein, um die besondere
Wirkrichtung der künstlerischen Therapien öffentlich darstellen zu können.
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Rundbrief des BVHE-BRD 2-2014
Atmen in der Heileurythmie?
Theodor Hundhammer
Die folgenden Betrachtungen wurde angeregt durch den Artikel «Koppelung von Atmung und Bewegung … Was tun??» von Barbara Lampe im Rundbrief vom Mai 2014, Seite 24. Dort heisst es u.a. „In
der Heileurythmie wird die Achtsamkeit selten oder gar nicht auf die Atmung gerichtet. Die Sinngebung in der Heileurythmie liegt im Erfassen und Bewegen der Lautgestalt. Da liegt auch ihre Wirksamkeit. …“ Diese Aussage möchte ich durch eine neue Lesart der von Rudolf Steiner im Anschluss an
den Heileurythmiekurs gemachten Aussagen ergänzen. Denn bei vielen heileurythmischen Übungen
wird man merken, dass der Atem in der einen oder anderen Weise in feiner Weise mitgeht – sofern
man ihn nicht festhält.
Die eurythmische Bewegung bis in den Atem fortsetzen
Meist wird bei der Interpretation der Antwort von Rudolf Steiner auf die Frage, ob man die Heileurythmie nicht durch rationelle Atemübungen unterstützen könne, der Fokus darauf gelegt, den falschen Atem zu vermeiden. Wenn man den Text mit Blick darauf liest, was stattdessen anzustreben
sei, kann man bemerken, dass Rudolf Steiner an derselben Stelle recht präzise auf die therapeutische
Bedeutung des Atems in der Heileurythmie hingewiesen hat. Man solle nämlich die Atmungsänderung des Menschen, dem man helfen will, beim Eurythmisieren beobachten und ihn auffordern, diese Tendenz bewusst fortzusetzen. Denn in der Heileurythmie müsse die Bewegung des ganzen Menschen bis in den Atem wirken. Bei jedem Menschen geschähe das anders. Das sei der umgekehrte
Weg wie beim «alten Orientalen», bei dem durch vorgeschriebenes Atmen der ganze Mensch beeinflusst wurde.1
Wenn man von Atem spricht, ist es wichtig, zwischen drei verschiedenen Atmungen zu unterscheiden. Bei der äusserlich wahrnehmbaren Lungenatmung hebt und senkt sich der Brustkorb und in den
Alveolen füllt sich das Blut mit Sauerstoff. In der Zellatmung gibt das Blut, für uns vollkommen unwahrnehmbar und von vollkommen anderen Rhythmen geprägt, den Sauerstoff an die Zellen der
Organe ab.2 Beim Durchatmen strömt die lebendige Seele durch den Körper und verbindet sich, geschützt vom Atem, mit dem Leben.3 In welchen der drei Atem soll sich in der Heileurythmie die eurythmische Bewegung fortsetzen?
Atemphänomene bei strömenden Bewegungen
Die folgenden Beispiele sind keineswegs vollständig und nicht aufs Therapeutische ausgerichtet. Sie
sollen lediglich zum eigenen Experimentieren und Entdecken anregen.
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Vortrag mit Fragenbeantwortung im 2. Ärztekurs am 18.4.1921, im Heileurythmiekurs GA 315 auf S. 106f
Davon spricht Rudolf Steiner z.B. im Heileurythmiekurs, wenn er sagt, dass beim Eurythmisieren das Ich und
der astralische Leib leise heraustreten, was „die plastische Kraft der Organe anregt, so dass der Mensch in
seinem Inneren ein besserer Atmer wird, dass er in Bezug auf die nach innen gelegene Verdauung ein …
besserer Mensch wird.“ (Heileurythmiekurs, Sechster Vortrag vom 17.4.1921, GA 315)
„Wenn der Sauerstoff nicht richtig durch unseren Körper geht, dann richtet der Kohlenstoff allerlei Unrichtiges an, und da sind dann überall in unseren Blutadern kleinwinzige (Gicht-)Bröckelchen. Wir gehen herum
und spüren das jetzt als eine Wirkung der Erde. Vor der müssen wir gerade geschützt werden. Wir leben eigentlich nur dadurch, dass wir fortwährend in der Atmung geschützt sind vor der Erde und ihren Einflüssen.
… Würden wir der Erde fortwährend ausgesetzt sein, würden wir fortwährend krank sein.“ Rudolf Steiner,
Vom Leben der Seele im Atmungsprozess, 23. Dezember 1922, GA 348, 8. Vortrag, S. 152f
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Nehmen wir zunächst eine einfache Grundübung, die nach meiner Erfahrung von jedermann recht
einfach mitvollzogen werden kann. Dazu stellt man sich locker und gerade hin und bewirkt durch
Heben der Handflächen vor dem Körper einen Aufstrom nach oben. Oben wendet man die Hände
und strömt mit den Händen vor dem Körper wieder nach unten. Wenn man dabei den eignen Körper
spürt und das Körpergefühl während der Übung nicht verliert, merkt man, dass man während des
Aufströmen überraschenderweise in die Füsse kommt und geerdet wird. Umgekehrt kann man merken, dass man am Ende des Abströmens grösser geworden ist, und auf dem Scheitel sogar etwas wie
eine Krone entstanden ist. Voraussetzung ist wieder, dass man seinen Körper trotz der abströmenden Aktivität ruhig wahrgenommen hat, dass man «bei sich» geblieben ist. Wenn man sich aber nur
auf die steigenden Hände konzentriert und ganz mit ihrem Strom mitgeht, zieht es einen aus dem
Körper heraus. Wenn man ganz mit dem Abstrom mitgeht, wenn die Hände sinken, wird man schwer
und sackt zusammen. Der gesunde, ausgleichende Gegenstrom tritt nämlich nur auf, wenn man auf
der einen Seite aktiv mitgeht und auf der anderen wahrnehmend bei sich bleibt.
Bei dieser einfachen Übung des «Auf und Abströmen mit dem Armen» kann man verschiedene Stufen des Atmens beobachten oder hervorrufen. Wenn man nicht auf den Körper achtet und keinen
Tonus aufbaut, kann man die Hände einfach auf und ab bewegen, ohne dass irgendeine Wirkung auf
den Atem beobachtbar wird. Es strömt aber auch nichts. Wenn man die Übung so ausführt, dass ein
Auf- und Abstrom erlebbar wird, und das mehrmals hintereinander ganz in Ruhe macht, werden sich
der Atem und die Bewegung des Brustkorbs in freier Weise mit diesem Auf- und Abströmen harmonisieren. Wenn man diese Übung so absichtslos wie möglich macht, ergibt sich mit steigenden Armen
meist eine Einatmung, der Brustkorb hebt sich, und mit sinkenden Armen eine Ausatmung, der
Brustkorb senkt sich. Wenn man weiter experimentieren will, kann man über die Bewegung der Arme das Ein- oder Ausatmen spielerisch so verstärken, dass man das Gefühl bekommt, als bewege
man die Lunge mit seinen Armen. Man kann es genauso andersherum versuchen und durch ein leicht
exaltiertes Einatmen das Steigen der Arme beschleunigen und umgekehrt.4 Als weiteren reizvollen
Schritt kann man das Gegenteil machen und dem Steigen der Arme eine Ausatmung entgegenstellen,
die trotzdem das Steigen fördert, und das Sinken mithilfe einer Einatmung führen.
Das eigentliche Ziel aber wäre, dass man seinen eigenen Atem vom «Atem» der Bewegung löst. Dann
erlebt man a) vor sich und in sich den von den Händen bewirkten Auf- und Abstrom, b) im Inneren
und im Rücken den Gegenstrom und c) den eigenen frei strömenden Atem in den Bewegungen der
Lunge und im ganzen Körpergefühl. Nach meiner Erfahrung wird die Lungenatmung dann voller und
gleichzeitig freier als auf den vorhergehenden Stufen. Der Atem wird geistig gross.
Ausführungen von Rudolf Steiner
In dem Vortrag «Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen» 5 geht Rudolf Steiner ausführlich auf die Rolle der Atmung ein. Er führt aus, dass wir heute die Aufgabe hätten, die Zusammenschnürung und Austrocknung des Ätherleibs zu überwinden. Durch eine Ausdehnung des Ätherleibs
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5
Auch im Alltag kann man solche Experimente machen: Gehen Sie eine Treppe hinauf und atmen Sie davor
so ein, dass sich Ihr ganzer Brustkorb und Körper weitet. Dann können Sie beim Hinaufsteigen den Eindruck
bekommen, als würden Sie wie von Fallschirmseilen hinaufgezogen. Wenn Sie stattdessen dezidiert ausatmen, werden Sie sich schwerer fühlen und das Steigen als mühsamer erleben. Wenn Sie die Treppe hinunterlaufen, können Sie das Tempo der Schritte mit dem Atem steuern. Atmen sie dezidiert ein, so dass sich
die Brust davon weitet, wird das Hinunterlaufen langsamer, atmen Sie dagegen aus, schneller. Sie können
damit spielen wie mit einem Gaspedal.
Rudolf Steiner, Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen, Dornach, 22. November 1914 in dem
Band Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt, GA 158, S. 131ff
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hätten wir die Möglichkeit, die Atmung zu verstärken und das luziferische Element als Gegenpol geltend zu machen. Wir sollten aber „nicht beim Atem stehenbleiben, wir müssen die Blutkräfte durchatmen“. Dass dabei «eine Art spirituelle Genussbedürftigkeit» entstünde, sei nach Rudolf Steiner
angemessen, denn die geistigen Schöpfungen auf der Erde müssten genossen werden, es dürfe nur
nicht bis zu Hochmut und Eitelkeit gehen.6 Bei einem sich selber empfindenden Atmen könne es an
der Grenze zwischen Atmen und Ätherleib zu einem Wahrnehmen der elementarischen oder ätherischen Welt kommen. Diese vermittle eine Erfahrung realer ätherischer Prozesse der Aussenwelt, die
aber zu niederen psychischen Prozessen gehören und, wenn man sie zu früh erlebt, keinen richtigen
Begriff von der wahren geistigen Welt vermitteln. Wenn man die ätherische Welt aber zwischen
Denken und Fühlen erlebe, würden sich Weisheit und Gedanke von oben mit einer Art Scham und
Dankbarkeit von unten begegnen. Das wäre die richtige Art, um sich zu geistigen Wesen zu erheben,
die nur bis zum Ätherleib und nicht bis zum physischen Leib herunterkommen können.
Anwendung in der Heileurythmie
Um der Aufforderung aus dem Heileurythmiekurs, den Atem zu verstärken, nachzukommen, können
solche Ausführungen wertvolle Hinweise geben. Wenn man, wie Rudolf Steiner vorschlägt, den Atem
beobachtet, und den Klienten 7 auffordert, seine Tendenz zu erleben und bewusst fortzusetzen, geht
es also nicht darum, durch den Atem zur Wahrnehmung äusserer ätherischer Erlebnisse zu kommen.
Es geht um die wahrnehmende Anwesenheit in dem mit dem Atem verbundenen Gefühl einerseits
und um das wahrnehmende Bewusstsein im selbstverantworteten Gegenstrom, der eine gesetzmässige Äthererscheinung ist, andererseits. Wie oben beschrieben soll und darf das zu einem feinen Genusserleben führen, weil das die Seele und mit ihr den Ätherleib weitet. Die Atmung verstärkt sich
natürlich von innen und breitet sich im ganzen Menschen aus. Er durchatmet sich mit dem, was nur
bis in den Ätherleib heruntersteigen kann.
Von Angelika Jaschke gibt es eine sehr präzise gefasste Umwandlungsreihe des eurythmischen Lautes
zum Heilmittel:
Wie wird aus dem eurythmischen Laut ein heileurythmisches Arzneimittel? 8
1. Der Tier- und Planetenkreis als Quelle der Eurythmie-Bewegung.
2. Die Lautgebärde in ihrer räumlichen, zeitlichen und seelischen Differenzierung.9
3. Die Eurythmiefigur als Abbild der ätherisch-eurythmischen Bewegung in der vierten Dimension.
4. Die Einbeziehung der unteren Gliedmassen als direkte Einwirkung auf den StoffwechselMenschen und im Weiteren auf das rhythmische System.
5. Die Wiederholungen zur Entfaltung der aufbauenden Kräfte des Ätherleibs und Temposteigerungen für die direkte Ich-Wirkung auf den Ätherleib.
6. Das «Abfotografieren» und «geistig-seelisches Hören» als Stufen der Imagination und Inspiration im Tun.
7. Die vier Pausen der Heileurythmie 10 um die Heilungsprozesse in den Sphären der Planeten6
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Rudolf Steiner, Umwandlung von Urteil, Gefühl und Wille, Den Haag, 24. März 1913, Fünfter Vortrag in:
Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischen Leib, Ätherleib,
Astralleib) und sein Selbst? GA 145
Der in der Schweiz übliche Sprachgebrauch in der KomplementärTherapie ist Klient anstelle von Patient.
Angelika Jaschke, Leiterin des Internationalen Forum Heileurythmie, «Wie wird aus dem eurythmischen
Laut ein heileurythmisches Arzneimittel?», 2014, persönlich ausgehändigtes Dokument
Räumlich: Zahn-, Lippen-, Gaumenlaute. Zeitlich: Stoss-, Wellen-, Blase-, Zitterlaute. Seelisch: Vor- und
Nach-Tingierung.
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und Tierkreiswelt zu ermöglichen.
(Zusammenfassung durch den Autor in eigenen Worten)
Wäre es nicht naheliegend, die bewusste Fortführung der Atmung als Stufe 7 einzuordnen und die
vier Pausen als Stufe 8? Das würde dem Erleben als Septim und Oktav sehr entsprechen.
Oder vermeiden wir instinktiv, Luzifer zu direkt zu begegnen? Auch ich habe die besagte Textstelle
lange Jahre als „in der Heileurythmie macht man keine Atemübungen“ gelesen. Erst als ich lernte, mit
den Klienten intensiver in die Laute hineinzugehen und zu beobachten, wie sich der Atem dabei
leicht verändern und die Gestalt ergreifen kann, hat sich mein Blick auf diese Textstelle geändert.
Heute ist mir vollkommen unverständlich, wie ich sie je anders lesen konnte.
Wie wird die Aufforderung Rudolf Steiners zur bewussten Durchatmung des Klienten als Folge der
eurythmischen Gebärde konkret umgesetzt? Gibt es Kollegen, die aus eigener Erfahrung dazu berichten können?
Dieser Artikel ist ein überarbeiteter Abschnitt aus dem Buch «Heileurythmie - Quo Vadis? Thesen und
Denkansätze, Visionen und Aktionen» 220 Seiten, ISBN 978-3-7357-8164-2, 12.- Euro, auch als E-Book
10
Nach jeder Übung, nach der Therapiestunde, durch die Nacht, zwischen zwei Therapieblöcken.
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Rundbrief des BVHE-BRD 1-2015 Seite 37
Polarität im Atmungsprozess
Barbara Lampe
In seinem Artikel „Atmen in der Heileurythmie?“ im Rundbrief II 2014 hat Herr Hundhammer wunderbar ausgeführt, dass es natürlich in der Heileurythmie einen tiefen Umgang mit Atemphänomenen und Atemwirkungen gibt. Dafür möchte ich ihm herzlich danken. Was an Fragen in meinem Erfahrungsbericht (Rundbrief I 2014) aufgeworfen wurde, hat er vertieft und in eine phänomenologische Ebene gehoben.
Dass heute in der breiten therapeutischen Szene unter Atmung aber etwas anderes verstanden wird,
als es in der anthroposophischen Medizin der Fall ist, muss berücksichtigt werden. Um hier in ein
Gespräch unter Kollegen zu kommen, dazu können diese Beiträge dienen. In diesem Sinne möchte
ich hier nun weitere Gedanken dazustellen.
Ein sehr wichtiger Satz bei Hundhammer ist: „Das eigentliche Ziel aber wäre, dass man seinen eigenen Atem vom „Atem“ der Bewegung löst.“ Er hat anhand der ätherischen Gegenbewegung gezeigt,
wie tief Bewegung und Atmung verbunden sind, aber eben nicht synchron, sondern polar. „...wenn
umgesetzt wird dasjenige, was also im Atmungssystem lebt, ins Bewegungssystem, so wird es umgekehrt. Oberer Mensch und unterer Mensch ist ja umgekehrt ... die Eurythmie ... entspricht nach dem
Bilde der Polarität ...“ aus: 5. HE-Vortrag von R. Steiner.
Im 7. Vortrag des „Pastoral-Medizinischen Kurses“ (Dornach September 1924), beschreibt nun R.
Steiner sehr komplex und prozesshaft, wie die Atmung im Menschen verläuft. Wichtig war für mich
zu erkennen, dass eine Einatmung immer gleichzeitig auch eine Ausatmung in ein anderes Gebiet
hinein ist. Der Sauerstoff der Luft wird beim Einatmen sofort an das Blut abgegeben, was einer Ausatmung entspräche. Vom Blut aus gesehen ist es aber eine Einatmung, weil es ja den Sauerstoff aufnimmt. Dann gibt ihn das Blut wieder an die Organe ab (Ausatmung), empfängt aus den Organen das
Kohlendioxyd (Einatmung) und gibt dieses wieder in den Ausatemstrom der Lunge ab, die das Kohlendioxyd allerdings erst aufnehmen (einatmen) muss, um es an die Umgebung zuletzt abzugeben
(ausatmen). Das geschieht nun alles gleichzeitig, weil durch den Ätherleib vermittelt, auf der Stoffebene und wird von Steiner als grober Atmungsprozess bezeichnet. Das Zusammenwirken von Ätherleib und Astralleib ist die elementare Grundlage für diese Atmungsprozesse. Die dann weiter beschriebene Sinnesatmung ist nicht weniger komplex und greift ihrerseits in die Stoffwechselprozesse
atmend ein.
Ich möchte nun diesen wichtigen Vortrag nicht weiter referieren, sondern versuchen, etwas aus dem
Gesagten zu übertragen in die Lautbildung. Wir arbeiten vor allem in der Konsonantenbildung mit
plastischen Gesetzen. Konvexe und konkave Bewegungsgestaltungen wandeln sich fließend oder
stauend, ganz spezifisch bei jedem Laut. Die Fülle der Bewegung hängt davon ab, wie wir dem Innenraum eine dehnende und dem Außenraum eine begrenzende Qualität geben. Ähnlich wie die Lungenbläschen an die Blutgefäße tasten, tasten wir zwischen Innenraum und Außenraum. Wir versuchen an der Grenze, die dem Laut äußerlich seine Gestalt gibt, mit der Empfindung so wahrnehmend
zu werden, dass eine atmende Gestalt mit einer bestimmten Qualität entstehen kann, in welche sich
die heilende Kraft ergießen kann. Das ist alles andere als ein Vorgang, der reproduzierbar ist. In jedem Moment muss ich diese wahrnehmende Empfindungskraft mit einem inneren moralischen Im8
puls verbinden, z.B. Dankbarkeit oder Hingabe, um die Bewegung aus meiner astralen Natur zu befreien. Diese möchte immer selber der „Macher“ sein. Das wäre aber vergleichbar mit dem Impuls,
selber bewusst die Atmung zu steuern und an die Bewegung zu binden. Atmen ist im innersten ein
passiv-achtsamer Vorgang. Wenn nun der Patient eine Bewegung vom Therapeuten abnimmt, so tut
er das meistens zuerst eigenaktiv. Er möchte alles „richtig“ machen, er konzentriert sich, um die Koordination zu beherrschen. Man kann erleben, wie da die Atmung ins Stocken kommt und die Anstrengung des Patienten die Heilwirkung paralysiert (Kopfkräfte). Je mehr es gelingt, der Lautbildung
innerlich Raum zu geben, schließt sich die Bewegungsgestalt und kann mehr und mehr ein Wahrnehmungsorgan für die Heilkraft werden. Die Muskelbewegung gewinnt an Differenzierung, die
Wärmequalitäten gewinnen an Differenzierung und so entsteht zwischen der Bewegung des Lautes,
dem Erleben des Patienten und der Lautkraft ein atmendes Verhältnis.
In welcher Weise hier auch die Sinnesatmung eine Rolle spielt, könnte im Weiteren untersucht werden.
Barbara Lampe
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