Ayurveda Journal 46 – Juni 2015
Ayurveda Psychologie
Die Wirkung von Farben
Autor und © Copyright: Ralph Steuernagel
Ob das strahlende Blau des grenzenlosen Himmels, die Morgenröte, das reine Weiß
schneebedeckter Berggipfel oder das Purpurlicht bei Sonnenuntergang – ein Leben ohne
Farben ist kaum denkbar. Farben lösen im Menschen bestimmte Emotionen aus.
Die Auswirkungen von Licht- und Farbmangel erleben Viele im Spätwinter, Müdigkeit und
depressive Stimmungslagen nehmen in dieser Zeit deutlich zu.
Bereits vor 2000 Jahren wies der Ayurveda auf die Bedeutung von Farben in der
Diagnostik und Behandlung von Patienten hin. Auch wenn eine ausgewiesene
„Farbtherapie“ ayurvedisch nicht explizit definiert wurde, so lassen sich aus den
vorliegenden Informationen Therapiemöglichkeiten ableiten.
In der vedischen Wissenschaft vom gesunden Bauen und Wohnen (Vastu Shastra) und
der vedischen Astrologie (Jyotisha) werden Farben weitaus detaillierter beschrieben und
therapeutisch genutzt als im Ayurveda. Aufgrund ihrer gemeinsamen vedischen Wurzeln
lassen sich daher einige Kenntnisse der Schwesterwissenschaften ayurvedisch nutzen.
Die Farblehre im Ayurveda
Licht und Farben haben starke Auswirkungen auf Körper, Sinne und Geist. Sie sind ein
Ausdruck des von der Sonnenenergie stammenden Feuerelementes und werden über die
Augen (durch Alochaka Pitta) und die Haut (durch Bhrajaka Pitta) aufgenommen.
In den klassischen Ayurveda Kompendien werden Farben in unterschiedlichen Kontexten
beschrieben. Die meisten Zuordnungen beziehen sich auf die drei Körperaspekte Vata,
Pitta und Kapha und die drei geistigen Eigenschaften Sattva, Rajas und Tamas.
Durch Aufspaltung von weißem Licht entstehen die sieben vom menschlichen Auge
wahrnehmbaren Regenbogenfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett.
Blau, Rot und Grün können innerhalb dieses Farbspektrums als die drei Grundfarben von
Vata, Pitta und Kapha angesehen werden.
Der Künstler und Ayurveda-Kenner Nikolaus Hirschmann setzt diese Kenntnisse in seinen
Bildern um:
 „Vata wird durch Grün beruhigt und ausgeglichen und durch Rot belebt.
 Pitta wird durch Blau beruhigt und Grün ausgeglichen.
 Kapha wird durch Rot belebt und mit Blau ausgeglichen.“
Der amerikanische Gelehrte Dr. David Frawley ordnete schon vor 20 Jahren die
besänftigende und aggravierende Wirkung von Farben auf Dosha wie folgt zu:
Da die ayurvedischen Kompendien derartige tabellarische Einteilungen nicht lieferten,
variieren die Zuordnungen gemäß Autoren ein wenig. Das hängt vor allem mit der
Fragestellung zusammen, welcher Aspekt des jeweiligen Dosha angesprochen wird.
Deshalb stellen derartige Auflistungen nur eine erste Orientierungshilfe dar.
Sattva, Rajas und Tamas sind die drei ayurvedischen Grundeigenschaften des Geistes:
 Sattva steht für Erkenntnis, Unterscheidungsvermögen und inneren Frieden.
 Rajas steht als Energieprinzip im Spannungsfeld von Anhaftung und Abneigung.
 Tamas wird als Prinzip von Trägheit, Widerstand und Unwissenheit verstanden.
Die Sattva repräsentierende Farbe ist weiß, sie wird psychologisch mit Reinheit, Unschuld
und Wahrheit assoziiert. Nebst weiß stärken auch klare weiche Töne von Gold, Violett und
Blau das Sattva.
Rot ist die Kernfarbe des Rajas und symbolisiert Energie, Leidenschaft und Aggressivität.
Nebst Rot wird Rajas auch durch grelle, metallische und penetrierende Töne von Gelb,
Orange und Violett verstärkt.
Tamas wird durch schwarz symbolisiert und psychologisch mit Trauer, Schwere und
Bedrohung assoziiert. Weitere Tamas steigernde Farben sind trübe, schmutzige und
dunkle Töne von Braun und Grau.
Die Temperatur von Farben
Um die Wirkung von Farben ayurvedisch zu verstehen, müssen wir diese zunächst
anhand ihrer Eigenschaften klassifizieren. Da relevante Daten in den Klassikern nur
spärlich vermittelt wurden, ziehen wir Erkenntnisse der heutigen Farblehren und
Farbpsychologie hinzu.
Versuche haben ergeben, dass in zwei unterschiedlich gestrichenen Arbeitsräumen die
Empfindung für Kälte oder Wärme um 3-4°C differierte. In einem blaugrünen Raum
empfanden die Personen die Innentemperatur von 15°C als kalt, während sie sich im
rotorangenen Raum erst bei 11-12°C kalt fühlten.
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Warme Farben sind Gelb, Gelborange, Orange, Rotorange, Rot und Rotviolett
Kalte Farben sind Gelbgrün, Grün, Blaugrün, Blau, Blauviolett und Violett
Farben und Gefühle
Ob wir ins Blaue fahren, gelb vor Neid werden, rot sehen, uns schwarz ärgern, eine weiße
Weste tragen, noch grün hinter den Ohren sind, durch die rosarote Brille sehen, Gold in
der Kehle haben oder einfach den grauen Alltag hinter uns lassen möchten – die
Verbindung von Farben und Gefühlen ist auch in unserer Sprache tief verankert.
Farben wirken objektiv und subjektiv.
Unter der Harmonie von Farben wird das Gleichgewicht und die Symmetrie der Kräfte
gemäß physiologischer Vorgänge beim farbigen Sehen verstanden – diese stellen die
objektive Seite und keine subjektiven Gefühle von angenehm oder unangenehm dar.
Auf der subjektiven Seite ordnen wir Farben bestimmten Gefühlen zu, da diese
Verbindungen im Laufe des Lebens erfahren wurden. Somit ist eine Individualisierung der
Farbwirkung aus psychologischer Sicht von großer Bedeutung.
Die Wirkung von Farben ist zudem abhängig vom Kontext, mit dem sie in Verbindung
gebracht wird. Eine grüne Tomate gilt als unreif und somit weniger attraktiv als das satte
Grün frischer Gräser.
Die im Durchschnitt beliebtesten Farben bei Frauen und Männern sind blau, rot und grün –
die unbeliebtesten braun, orange und violett. Schauen wir uns die Wirkung der drei
beliebtesten Farben etwas detaillierter an.
Die Farbe BLAU
Die beliebteste Farbe Blau wird mit der Weite, der Unendlichkeit und der Kühle assoziiert.
Sie ist weitgehend positiv belegt und gilt als Farbe des Vertrauens, der Freundschaft und
Verlässlichkeit. Blau ist still, blau entspannt.
Wir können blauäugig sein, unser blaues Wunder erleben oder ins Blaue hinein reden.
Die Farbe ROT
Die zweibeliebteste Farbe Rot wird psychologisch mit Feuer und Blut assoziiert und steht
symbolisch für Liebe, Erotik und Leidenschaft sowie Wut, Aggressivität und Gefahr.
Wir werden rot, geraten in die roten Zahlen oder verlieren den roten Faden.
Die Farbe GRÜN
Die drittplatzierte Farbe Grün wird mit der Natur assoziiert und steht für Lebendigkeit,
Erholung und Hoffnung. Grün gilt als gesund und zugleich als unreif.
Wir fahren ins Grüne, geben grünes Licht oder kommen auf keinen grünen Zweig.
Heilen mit Farben – die Chromotherapie
Das ayurvedische Therapiemandala umfasst drei Ebenen der Heilkunde: die
Körpertherapie (Yuktivyapashraya), die „Psychotherapie“ zur Entwicklungsförderung des
Geistes (Sattvavajaya) und die subtilen Verfahren (Daivavyapashraya).
Chromotherapie lässt sich auf allen drei Ebenen integrieren:
 Körpertherapeutisch als Teil der Ordnungstherapie und gesunden Lebensführung zur
Balancierung von Vata, Pitta und Kapha
 Psychotherapeutisch zur Steigerung von Sattva und Kontrolle über Rajas und Tamas

Subtil zur Förderung transzendenter Erfahrungen
1947 entwickelte der weltweit anerkannte Farbpsychologe Prof. Dr. Max Lüscher einen
Farbtest, der die präferierte Reihenfolge vorgegebener Testfarben bei Patienten ermittelt
und daraus psychologisch relevante Charaktereigenschaften ermittelt. Dieser Test wurde
in mehr als 30 Sprachen übersetzt.
Lüscher beschreibt auch die Verbindung von Farben und Selbstgefühlen:
Die Behandlung von Krankheiten durch Farbtherapie sollte nur von erfahrenen und
umfangreich ausgebildeten Therapeuten durchgeführt werden. Leider tummeln sich in
diesem Gebiet zahlreiche selbsternannte „Farbtherapeuten“ herum, deren Ansatz weder
auf klassischen Richtlinien noch wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Hier besteht
großer Entwicklungsbedarf, um die zweifelsfrei existierende Heilkraft von Farben
therapeutisch mit Hilfe modernster Farblichttechnik nutzen zu können.
Praktische Anwendungsmöglichkeiten der Farblehre im Alltag
Jeder kann aktiv Farben nutzen, um Balance in Körper und Geist zu bringen.
Ich empfehle zu Beginn einen dreifachen Farben-Check durchzuführen und darauf
basierend erste Veränderungen vorzunehmen:
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Farbcheck Ihres Kleiderschranks: Welche Farben dominieren? Weshalb haben Sie
diese seinerzeit gewählt? Entsprechen diese Ihren aktuellen Bedürfnissen?
Farbcheck Ihrer Wohnräume: Welchen Farben haben Ihre Wände und Bodenbeläge?
Welche Möbelfarben dominieren? In welchen Räumen fühlen Sie sich besonders wohl,
welche meiden Sie eher?
Farbcheck Ihrer Arbeitsräume: Welches unmittelbare Farbumfeld erleben Sie an Ihrem
Schreibtisch? Gibt es farbige Ausblicke, z.B. ins Grüne? Welche Farbhintergründe
haben Sie am Computer für den Bildschirmschoner gewählt?
Es gibt so viele Möglichkeiten kleiner Veränderungen, die leicht umsetzbar und
kostengünstig sind. Spielen Sie mit Bildern, ändern Sie Ihre Computereinstellungen,
wählen Sie ein farbiges Sitzkissen oder ändern Sie einfach Ihre Sitzrichtung zum Fenster
hin oder in einen freien Raum.
Geben Sie sich 4 Wochen Zeit, um die Änderungen wirksam werden zu lassen. Sprechen
Sie mit Ihren Mitmenschen über die möglichen neuen Gefühle und Wahrnehmungen, die
sich zeigen oder schreiben Sie diese auf. Vergleichen Sie dann das Ergebnis mit dem
Zustand vor den Änderungen.
Ich wünsche Ihnen einen lichtreichen und farbenfrohen Sommer!