Gedanken zu den «neutralen» Farben

Textauszüge aus dem Buch Schwarz 1
Gedanken zu den «neutralen» Farben
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raum und zeit covıss
«Und dann diese stumpfen Häuser – ich
weiss nicht, was es ist, ich weiss nicht,
was die da anstreichen. Und dann
sieht man, dass sie alle tot sind. Jedes
zehnte Haus hat noch eine alte Ecke,
wo es plötzlich wieder leuchtet oder
wo irgendwie wieder etwas ankommt.
Und das ist so schön, Materialien zu
wählen, Stoffe, Kleider, die schön im
Licht stehen, und so die Kombination
zu machen.» 2
«Ich kann gut nachvollziehen, was Peter
Zumthor irritiert. Es sind die neuen, mit
Titanweiss oder abgetöntem Titanweiss
gestrichenen Fassaden, die das Licht an
ihrer Oberfläche hart zurückweisen und
den Betrachter blenden. Wie eine gegen die
Umgebung gerichtete Ritterrüstung wehren
diese deckenden Silikonharz-, Mineral- oder
Dispersionsfarben den Einbezug in ihre Umgebung ab. Die alte Scheune nebenan, die
schon lange nicht mehr gestrichen wurde,
leuchtet hingegen aus der Tiefe heraus.
Morgens nimmt sie die frische Farbe der
aufgehenden Sonne auf, abends die Röte
des Sonnenuntergangs. Für ihren Anstrich
wurde eine schlichte Kalkfarbe oder ein aus
der Kreide der Champagne gewonnenes Weiss
verwendet. Das Weiss dieser Kalkpigmente
erinnert an die Farbe von sonnengebleichten
Muscheln am Sandstrand – nicht an Styropor.
ähnlich oder gleich nuancierte Farben aus
synthetisch hergestellten Pigmenten. Traditionelle Pigmente wie Elfenbeinschwarz und
Kreide aus der Champagne sind kristallin,
grobteilig und mit artfremden Mineralien
vermischt. Sie setzen sich aus einem untrennbaren Gemenge aus Quarzsand, Lehm
und allerlei Mineralien zusammen. Diese
wie Titanweiss und alle anderen Mineralfarbpulver zu mikronisieren. Die Teilchen
werden so fein gemahlen und kompakt in
der Beschichtung verteilt, dass sie das Licht
nicht in die Farbschichten eindringen lassen,
sondern schon an der Oberfläche zerstreuen.
Auf diese Weise deckt die Farbe besser, und
aufgerollt ist sie im Handumdrehen. Bei den
chemischen Verunreinigungen sind wichtig,
da jedes Körnchen dem Licht eine andere
Spiegelfläche bietet. Am schönsten kommen Naturpigmente zur Geltung, wenn die
auf ihnen basierenden Farben aufgebürstet
werden, denn das erhöht die Spiegeleffekte.
Industriell verwertbare Pigmente sind das
pure Gegenteil. Sie sind mikroskopische
Monokulturen. Es ist heute üblich, Pigmente
Vertretern der Investorenarchitektur ist sie
besonders gefragt, weil sie kostengünstig ist.
Die natürliche Wirkung und der Zauber der
Anstriche aus Naturpigmenten geht jedoch
verloren.
Manche grosse Farbflächen in der Natur,
wie zum Beispiel Gletscherzungen, wirken
auch wie Monokulturen. Sie sind aber
Die Wahl des Farbmaterials sorgt
für den Unterschied
Farben aus natürlichen Erdpigmenten entfalten eine andere Wirkung im Raum als
1
extauszüge aus Schwarz Black, Katrin Trautwein, Lars Müller Verlag, Zürich, 2014. Zu beziehen über
T
www.ktcolor.ch
2
Atmosphären, Peter Zumthor, Birkhäuser Verlag, Basel, 2006, Seite 61
covıss raum und zeit
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Die Farben der Grauleiter
Verhältnis Elfenbeinschwarz : Kreide
KT 43.5 Noir*
100 Teile Elfenbeinschwarz
KT 10.010 Anthrazit
50: 50-Mischung
KT 32.010 Gris fer*
25: 75-Mischung
KT 08.044 Gris natur moyen
10: 90-Mischung
KT 26.012 Gris clair La Roche*
4: 96-Mischung
KT 26.013 Gris pâle*
2: 98-Mischung
KT 26.015 Gris blanc*
1:99-Mischung
KT 08.001 Champagnerweiss
100 Teile Champagnerkreide
* kennzeichnet eine Farbe mit Le Corbusier Referenz
keineswegs eintönig, sondern stellen ein
koloristisches Sammelsurium verschiedener
Lokalfarben dar. Man denke an das Meer,
den Himmel, Wiesen, Wälder, Felswände
oder Sandstrände. Farben in der Natur erscheinen nicht isoliert, sondern als Mosaik,
das sich aus Farbe, Kontrastfarbe und zahlreichen Nachbarfarben zusammensetzt. Es
ist anzunehmen, dass sich unsere Augen
über Jahrtausende hinweg an die ineinanderfliessenden Gleichgewichte der Natur
gewöhnt haben. Unser Sehvermögen ist darauf abgestimmt. Auf Räume übertragen,
­impliziert das, dass grosse, farbreine Flä-
chen aus Titanweiss, Oxidschwarz und deren Mischungen künstlich und flach wirken
und ein Gefühl der Heimatlosigkeit in einer
fremd wirkenden Umgebung hervorrufen.
Dieses Phänomen betrifft die grossflächigen Anwendungen der vermeintlich neutralen Farben NCS S 0500, RAL 9010,
NCS 9000 N, RAL 9016 und all ihre Ableitungen in einem besonderen Masse. Vom
Bindemittel unabhängig, sind sie künstlich,
strengen das Auge an und blenden uns. Solche Farben entfremden uns von unserer natürlichen Umgebung. Farben aus natürlichen
Pigmenten hingegen schaffen eine vertraute
Atmosphäre und erzeugen über den Tag
wandelnde Licht- und Schatteneffekte,
durch die der Bewohner in den Raum und
in die wechselhaften Stimmungen der Tagesund Jahreszeiten miteinbezogen wird. Mithilfe einer Palette von acht Farben kann man
dementsprechende Farbkonzepte umsetzen.
Wie setzt man diese Palette nun ein? Im Anschluss an ein Fachseminar, in dem wir eine
Grauleiter hatten mischen lassen, baten wir
die Kursteilnehmer um ihre Rückmeldungen. Einer der teilnehmenden Architekten
beliess es bei dem Hinweis, er habe Grau
als Farbe entdeckt. Grau ist die wichtigste
Farbe für eine Architektur der Stille, und
mir schien es, als hätte ihn die Wirkkraft
der Farbe von der Vorstellung befreit, Worte
für seine Erfahrung finden zu müssen. Nicht
nur er hatte im Seminar festgestellt, dass
ein schlichtes Farbsortiment aus differenziert abgestuften Graunuancen eine mächtige Werkzeugkiste für die Lichtführung
und Farbgestaltung von Räumen darstellt.
Durch den Einsatz von hellen Nuancen an
lichten Flächen macht man diese sichtbar
und rückt den hellwandigen Raum ins Zen-
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KT 26.012 Gris clair La Roche
KT 26.012
Still
und ewigGris
gültigclair La Roche
Still verwitterte
und ewig gültig
wie
Felsen.
verwitterte
wie sie
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heldenhaft
Wie Launen
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der Villa La Roche
Die Referenz
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von
Le Corbusier.
von Le Corbusier.
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www.ktcolor.ch
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COLOR
die Farbmanufaktur
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trum der Betrachtung. Umgekehrt entziehen
sich im Schatten stehende Flächen, die mit
dunklen Nuancen der Graupalette gestrichen werden, der Aufmerksamkeit. Die
dunkleren Flächen verschwinden auf diese
Weise förmlich im Schatten, helle Flächen
treten hervor, enge Flure erscheinen weiter,
lichte Zentren magisch heller und Licht-
Farbe ist Material
und Schatteneffekte im Raum stärker. Die
Farbwahl gliedert die Architektur, erzeugt
Tiefe und Spannung und eine angenehme
Atmosphäre.
Licht – sogar noch unter LED-Lichtquellen – kommt die weiche, von innen
her leuchtende Qualität des Kalks zur
Geltung, im Schatten die steinige, erdige
Abschliessend möchte ich im Titel des
Beitrags das Wort «neutral» entfernen,
denn es gibt keine neutralen Farben.
Farbe ist Material. Elfenbeinschwarz
und das aus der Kreide der Champagne
hergestellte Weiss erzeugen ausser­
ordentlich schöne Graunuancen. Im
Qualität des Schwarzpigments. Mit anderen
Pigmenten ist diese samtige Wärme nicht
zu erreichen. Gelungene Farbkonzepte,
­weisse, unbunte oder bunte, stützen sich
auf Farben aus Pigmenten wie Elfenbeinschwarz oder der schwarzen, römischen
Erde ‹Nero vite› ab.»
Text: Katrin Trautwein
Bilder: Frank Klingenbach; Kerstin Stöhr
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