Gehorsam – Ungehorsam - Gewissen

Gehorsam – Ungehorsam - Gewissen
Zwei ambivalente Begriffe ???
Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen! So steht es in der Apostelgeschichte
(Apg 5,29). Aber wie gehorcht man Gott? Wo und wie erfährt man seinen Willen?
Rom ist überzeugt: Was Gott will, vermittelt - ein für alle Male gültig - das als irrtumsfrei
verstandene kirchliche Lehramt, dem außer dem Papst alle unterworfen sind. Das war
nicht immer so – im Gegenteil: Niemals haben Päpste innerhalb der Kirche ein solche
Machtfülle besessen, wie seit dem 1. Vatikanischen Konzil, auf dem die Unfehlbarkeit des
Papstes definiert wurde. Übrigens wirkte dieses Dogma spaltend. Etliche Bischöfe, deren
Kirchenbild mit einem unfehlbaren Amt nicht vereinbar war, folgten ihrem Gewissen und
gründeten die altkatholische Kirche.
Gerade heute versucht die Kirchenleitung Formen vorkonziliarer Religiosität neu zu
beleben. Diesen Rückschritt will sie erzingen, indem sie von Priestern und Laien
Gehorsam fordert. Durchsetzen jedoch läßt sich solcher Gehorsam heutzutage allenfalls
bei denen, die dem Papst ihre hohen Ämter und kirchlichen Privilegien verdanken – bei
den Kardinälen und Bischöfen. Schon bei den meisten Priestern, die in ihren Gemeinden
nur dann Fuß fassen können, wenn sie gesellschaftliche Entwicklungen ohne Vorurteile
wahrnehmen, ist ein pragmatisch verstandener Ungehorsam an der Tagesordnung. Für
engagierte Christen, die sich für Ihre Kirche verantwortlich fühlen, wird Ungehorsam
gegenüber einer Hierarchie, die den Dialog notorisch verweigert, schließlich zur
Gewissenssache.
Aber auch Bischöfe und Priester berufen sich auf ihr Gewissen, wenn sie glauben,
römische Verbote in ihren Bistümern und Gemeinden durchsetzen zu müssen.
Gehorsam und Gewissen
Aber: Kann ich mich auf mein Gewissen berufen, nur weil ich gehorche? Oder umgekehrt:
Kann und darf man unbesehen Befehlen und Anordnungen gehorchen, die ein waches
Gewissen für nicht vertretbar hält? Ist nicht gerade dort mein Gewissen unverzichtbar, wo
man mir absoluten Gehorsam abverlangt? Denn: Gott mehr zu gehorchen als den
Menschen setzt eine Gewissensprüfung zwingend voraus. Wenn aber der Befehlende der
Papst ist, der »Stellvertreter Christi«? Ist da nicht absoluter Gehorsam geboten?
Abgesehen von der Anmaßung, die in diesem Titel steckt, – auch der Papst ist als Mensch
nicht irrtumsfrei, allen Unfehlbarkeitsvorstellungen zum Trotz.
Gehorsam und Spaltung
Eine Institution, deren – gestaltendes Element der Untertanengehorsam ist,
Bei den Begriffen Gehorsam und Ungehorsam haben wir es nicht einfach mit einem
Gegensatzpaar zu tun, wie es etwa vorliegt bei treu – untreu . Der Gehorsam wäre dann
positiv zu bewerten und der Ungehorsam negativ. Aber so einfach ist es nicht. Das haben
gerade uns Deutschen die Nürnberger Prozesse nur allzu deutlich vor Augen geführt.
Dem unmündigen Kind geben die Eltern gewisse Regeln vor, die es nicht nur schützen,
sondern auch auf das selbständige Leben in Gemeinschaft vorbereiten sollen. In der
intakten Familie ist der Gehorsam des Kindes getragen von dem Grundvertrauen, daß die
Eltern es gut mit ihm meinen. Auch gelegentliche Widersetzlichkeit als Erprobung des
eigenen Willens stören dieses Vertrauensverhältnis nicht.
An die Stelle dieses erzieherischen Gehorsams treten im positiven Fall mit wachsender
Einsicht des Kindes Schritt für Schritt größere Freiräume, bis schließlich die
Heranwachsenden zu selbständigem und verantwortlichem Handeln fähig sind.
Was macht also den kindlichen Gehorsam aus?
- Er schützt das unmündige Kind vor Gefahren und hilft ihm, ein rücksichtsvolles Mitglied
der Familie zu werden. Das ist positiv.
- Er gelingt in einer Atmosphäre des Angenommenseins und Verständnisses.
- Er beruht jedoch – auch in der intakten Familie – auf einem Machtgefälle. Das bringt
Probleme mit sich.
In vordemokratischen Zeiten beruhte das gesamte öffentliche Leben auf Strukturen der
Über- und Unterordnung. Gehorsam war das Band, das Obrigkeit und Untertanen
zusammenhielt. Selten war es Fürsorglichkeit, die die Höhergestellten gegenüber den
Untergeordneten empfanden. Oft entsprach der Arroganz der Mächtigen der devote
Gehorsam der Untertanen.
Natürlich beeinflußten diese Herrschaftsverhältnisse auch das damalige Gottes- und
Menschenbild: Gott, der allmächtige Herrscher, erwartet von seinen Geschöpfen Demut,
Huldigung und unterwürfigen Gehorsam. Diese Einstellung spiegelt sich bis heutenicht nur
in Gewändern, Riten und Machtgebaren mancher kirchlichen Würdenträger, sondern vor
allem in einer Gehorsamsideologie, die alles reglementiert, vorschreibt und sanktioniert
und Bischöfe und Kardinäle zu untertänigen Befehlsempfängern macht. Bis heute werden
Konflikte in der katholischen Kirche als Gehorsamsverweigerung gehandhabt – in einer
Zeit, in der mündige Bürger in vielen Ländern ihre machtbesessenen Regenten stürzen.