Reisen im Kreis 15. Juni —— 16. August 2015 Ganz nah, weit weg Reisen im Kreis 15. Juni —— 16. August 2015 Ein Kunstprojekt mit einem Reisezentrum in Dinslaken und sechs verschiedenen Tagesreisen, die den Kreis Wesel zu Fuß, per Fahrrad, Bus und Schiff erkunden: Achtzehn Termine für die Entdeckung unbekannter Orte und die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen, für einen anderen Blick auf Fremdes wie Vertrautes, begleitet von den Künstlern, die diese Erlebnistouren kreiert haben. Konzipiert und kuratiert von Kay von Keitz Mit den Künstlern Daniela Brahm, Lutz Fritsch, Uschi Huber, Christian Odzuck, Evamaria Schaller, Nicola Schudy und Hans Hs Winkler VORWORT Über Identitäten und neue Perspektiven im Ruhrgebiet Das Ruhrgebiet hat viele Gesichter. Es ist ehemalige Industrie region mit neuem touristischem Profil und es ist Experimentier feld für Künstler und Kreative. Die Region an Rhein und Ruhr ist aber auch eine bäuerlich geprägte Region. Zwischen den großen Industriearealen, vor allen Dingen jedoch an den Rändern der Städteagglomeration, scheint dieses Antlitz immer wieder auf. Der Kreis Wesel markiert den nordwestlichen Zipfel des Ruhr gebietes. Münsterland und Niederrhein befinden sich in direkter Nachbarschaft. Sie prägen die Identität des Kreises weit mehr als die industrielle Nachbarschaft in Duisburg oder Oberhausen. Seenplatten, römische Lager und Rheinauen verbindet kaum ein Besucher mit dem Ruhrgebiet, aber auch die Bewohner der Region kennen oftmals diese Seite der Heimat nicht. Um diese besondere Stadtlandschaft aus einer neuen Perspektive betrachten zu können, lädt Urbane Künste Ruhr regelmäßig Künstler und Kuratoren ein. Auch für Reisen im Kreis haben sieben Künstler und ein Kurator die Gegebenheiten vor Ort erforscht. Die Geschichten von Orten und Bewohnern des Kreises Wesel haben sie sich dabei angeeig net und in die Konzeption von künstlerisch gestalteten Tagestou ren überführt. Die Reisenden erleben auf eindrucksvolle Weise, wie die Wahrnehmung von Orten durch ihre Kontextualisierung bestimmt und verändert werden kann. Auf den Reisen entdeckt sich das Bekannte im Unbekannten und umgekehrt; in jedem Fall werden die besuchten Orte bewusst bereist und erlebt. Eine gewichtige Rolle spielt dabei auch die Form der Fortbewegung – ob mit dem Rad, dem Bus, zu Fuß oder per Schiff. Distanz, Tempo, sowie äußere und innere Ein flüsse wie die Witterung oder die Anstrengung beim Tritt in die Pedale werden erfahrbar und verdeutlichen, was es eigentlich bedeutet, auf Reisen zu sein. Katja Aßmann Künstlerische Leiterin Urbane Künste Ruhr Lukas Crepaz Geschäftsführer Kultur Ruhr GmbH EINFÜHRUNG Reisen im Kreis Mit Künstlern unterwegs in parallelen Welten Ländliche Idylle neben verwaisten Industrieanlagen, Autobah nen und Stromtrassen durch weite Auenlandschaften, vorbei an Wohnsiedlungen, Abraumhalden, Baggerseen und römischen Funden: An starken Kontrasten mangelt es nicht im Kreis Wesel, der sich von der nordwestlichen Ecke des Ruhrgebiets bis tief ins Niederrheinische erstreckt und ein typisches Resultat bundes deutscher Gebietsreformen der 1970er-Jahre ist. Doch vielleicht sind es, trotz aller Eigenheit, gerade diese unvermittelten Land schaftswechsel in der Region zwischen Dinslaken und Ham minkeln, Moers und Xanten, die einem bekannt oder geradezu exemplarisch für Westdeutschland erscheinen. Wie in vielen anderen Landesteilen auch sind die Wege hier kurz zwischen hei meliger Altstadt und nüchternem Gewerbegebiet, historischer Schlossanlage und Wohnblöcken der Nachkriegsmoderne, viel befahrenem Verkehrsknotenpunkt und romantischem Flussufer. Genau diese Phänomene von Widersprüchlichkeit auszuloten und das Unbekannte im Bekannten, das Ungewöhnliche im Alltäglichen zu entdecken, ist das Anliegen von Reisen im Kreis. Selbst für Menschen, die hier zuhause sind, gibt es vieles zu entdecken, was einem bei aller räumlichen Nähe doch sehr fern vorkommen mag. Denn bei einem echten Reiseerlebnis geht es ja bekanntlich darum, den eigenen Blick auf die Dinge zu verän dern und zu intensivieren, eine andere Haltung einzunehmen und sich für neue Erfahrungen zu öffnen – ganz unabhängig von der geografischen Distanz, die man dabei zurücklegt. Insgesamt sieben Künstler, die sich alle seit geraumer Zeit in sehr unterschiedlicher Form mit architektonischen, urbanen und landschaftlichen Räumen beschäftigen, wurden zu diesem EINFÜHRUNG Projekt eingeladen, um mit solchen Perspektiv- und Haltungs wechseln zu experimentieren: Daniela Brahm, Lutz Fritsch, Uschi Huber, Christian Odzuck, Evamaria Schaller, Nicola Schudy und Hans Winkler. Sechs von ihnen wurden gebeten, im Kreis Wesel eine ortsbezogene Arbeit zu realisieren – ohne jede Vorgabe, abgesehen von einer zwingenden Bedingung: Das Ergebnis sollte kein künstlerisches Werk im eigentlichen Sinne, sondern eben eine Reise sein. Die Aufgabe der Künstler war, für eine Gruppe von Teilnehmern jeweils eine Tour zu gestalten, die innerhalb eines Tages durchführbar ist. Sie selbst werden dabei zu »Reiseführern«, die ihre thematisch-motivischen Fokussie rungen und persönlichen Wahrnehmungen dramaturgisch inszenieren und damit auch für ihre Mitreisenden erlebbar machen. Jeder Interessent kann also unter sechs verschiedenen Tagesreisen wählen, die jeweils drei Mal an insgesamt achtzehn Wochenend-Terminen stattfinden. Dabei bewegt man sich zu Fuß, per Rad, Bus und Schiff und gelangt nicht nur an die unter schiedlichsten Orte, sondern auch zu den unterschiedlichsten Menschen, die dort leben. So folgen die Reisenden dem speziel len Blick des jeweiligen Künstlers, aber recht bald auch einer dadurch geschärften, eigenen Wahrnehmung – und darum soll es ja letztlich gehen. Nur was wäre ein Angebot außergewöhnlicher Reisen ohne ein eigens dafür geschaffenes Reisezentrum? Die Gestaltung einer solchen Mischung aus Reisebüro und Projektzentrale hat Nicola Schudy, als eine »Spezialistin« für Rauminterventionen, über nommen und ein leer stehendes Ladenlokal in der Innenstadt von Dinslaken mit allen erforderlichen Funktionen ausgestattet. Zugleich ist aber auch eine große Installation entstanden, die unverkennbar ihre künstlerische Handschrift trägt und auch ohne touristische Absichten in jedem Fall einen Besuch lohnt. Man kann sich dort umfassend über die einzelnen Touren, die grundsätzlich am Reisezentrum starten und enden, über das gesamte Projekt und die beteiligten Künstler informieren. Und wer sich nicht im Internet, sondern lieber persönlich betreut für einen oder mehrere Termine anmelden möchte, ist natürlich herzlich eingeladen, das hier zu tun. Gute Reise! Kay von Keitz Kurator KREIS WESEL Past / Present / Futur S. 19 Die Tour als Skulptur: Satteldach City Dinslaken S. 13 + + WESEL XANTEN Treffpunkt (Start- & Endpunkt) Reisezentrum Dinslaken S. 25 HÜNXE ALPEN + DINSLAKEN Lass uns eine Runde drehen S. 17 RHEINBERG Expedition durch Xanten – mit Fellinis Satyricon und den Batavern Die erste S. 23 österreichische Weseler Bergtour S. 21 + Grenzgebiete S. 15 KAMP- LINTFORT + MOERS DUISBURG + DÜSSELDORF ESSEN › TAG E S R E I S E E I N S Die Tour als Skulptur Satteldach City Dinslaken 13 Daniela Brahm Sa. 20.06. ——— So. 21.06. ——— So. 19.07. jeweils 12 bis 18 Uhr Warum sieht eine Stadt so aus, wie sie aussieht? Genau das will die seit vielen Jahren in Berlin lebende Künstlerin Daniela Brahm, die sich in ihren Zeichnungen, Collagen und raumgreifenden Installationen mit urbanistischen Themen beschäftigt, heraus finden. Denn die Gestalt der Stadt, in der wir aufwachsen oder lange Zeit wohnen, ist unser ästhetischer Maßstab und prägt zu einem nicht unerheblichen Teil unser Lebensgefühl. Brahms insgesamt sechsstündige Fahrradtour durch Dinslaken ist vor allem der eingehenden Beschäftigung mit Wohnsiedlungen der 1950er- und 60er-Jahre, also der Moderne aus Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeiten, gewidmet. Dabei steuert ihre Reise gruppe Kirchen und Schulen, Jugendzentren und Schwimm bäder und immer wieder Arbeitersiedlungen unterschiedlicher Prägung und Geschichte an. Diese Architekturen werden visuell oder gedanklich von späteren Umgestaltungen befreit und auf ihre ursprünglichen funktionalen, gestalterischen und gesell schaftlichen Ideen hin betrachtet – ein »archäologischer« Blick in die jüngste Vergangenheit. An mehreren Stationen stehen kennt nisreiche Gesprächspartner zur Verfügung, die den Wissensdurst der Tourteilnehmer stillen. Anderem Durst und Hunger wird durch eine Mittags- und eine Kaffeepause begegnet. Daniela Brahms Tagesreise hat zum Ziel, Dinslaken – als eine zugleich typische und doch sehr eigene westdeutsche Stadt dieser Größe – durch intensives ästhetisches Erleben besser zu verstehen. Und mit dem treffenden Titel bringt sie nicht nur ihre spezielle Betrachtungsweise, sondern auch einen Grundgedan ken von Reisen im Kreis auf den Punkt: »Die Tour als Skulptur«. TAG E S R E I S E Z W E I Grenzgebiete 15 Uschi Huber Sa. 27.06. ——— Sa. 04.07. ——— Sa. 11.07. jeweils 10 bis 18 Uhr Auch wenn uns das gar nicht bewusst ist, wir überqueren tag täglich unzählige Grenzlinien: Grundstücks-, Gemeinde- oder Gebietsgrenzen, die Grenzen zwischen privaten, gemeinschaft lichen, halböffentlichen und öffentlichen Räumen, zwischen verschiedenen Untergründen, ober- und unterirdischem Terrain, Drinnen und Draußen, Hell und Dunkel … Die in Köln leben de Künstlerin Uschi Huber, die ursprünglich aus Oberbayern stammt, ist eine sehr genaue Beobachterin ihrer Umgebung, was nicht zuletzt von ihrer langen und intensiven Beschäftigung mit der Fotografie herrührt. Auf ihrer Tour führt sie zu Fuß und mit dem Fahrrad zu den unterschiedlichsten Formen von Grenzen, Grenzbauten und Grenzgestaltungen in und um Dins laken. Das reicht von Bodenbelägen und Zaunanlagen, über Pfade und Wege, die aus Grenzverläufen entstanden sind, bis hin zur mitten im Rhein gelegenen Weseler Kreisgrenze, die – als ausnahmsweise geduldeter Regelverstoß – bei dieser Reise per Fähre überquert wird. Huber beschränkt sich aber nicht darauf, solche Phänome ne mit einem geschärften Blick zu betrachten, sondern sie sorgt auch für Begegnungen mit Menschen vor Ort: Experten, die mit ihrem Fach- und Hintergrundwissen die gemeinsamen Beob achtungen vertiefen. Die kleine Reisegruppe begleitet sogar den einen oder anderen »Grenzgänger« auf dessen Weg diesseits, jen seits oder entlang von sichtbaren und unsichtbaren Trennlinien. Es wird wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk emp fohlen, für Erfrischungspausen werden die vorhandenen Ein kehrmöglichkeiten genutzt. TAG E S R E I S E D R E I Lass uns eine Runde drehen 17 Lutz Fritsch So. 28.06. ——— So. 05.07. ——— So. 12.07. jeweils 14 bis 19 Uhr Noch vor 30 oder 40 Jahren war der Trabrennsport gerade im Ruhrgebiet sehr populär und in den Medien präsent, heute scheint er fast zu einem Nischenphänomen geworden zu sein. Trotzdem ist eine traditionsreiche Einrichtung wie die 1954 eröff nete Trabrennbahn in Dinslaken für viele bis heute ein wichtiger Bestandteil dieser Stadt. Ein ganz eigenes Raumerlebnis stellt sich auf dem weiten Gelände mit seinem elliptischen Parcours ein, und so waren auch die an Reisen im Kreis beteiligten Künst ler gleich fasziniert von diesem Ort. Vor allem Lutz Fritsch war derart begeistert, dass seine Tagesreise nun ausschließlich hier stattfindet. Der in Köln lebende Bildhauer, den einige auch als »Raum forscher« bezeichnen, hat bereits an den ungewöhnlichsten Orten gearbeitet. So hat er in der Antarktis nahe der deutschen Forschungsstation eine Bibliothek im Eis geschaffen und in Duis burg, dort wo die Ruhr in den Rhein mündet, die stählerne Landmarke Rheinorange errichtet. Bei seiner Tour erkundet die Reisegruppe das Areal der Trabrennbahn in konzentrischen Kreisen von außen nach innen, trifft dabei kompetente Ge sprächspartner und entwickelt schließlich Visionen für die Zukunft dieser Anlage: sinnvolle neue Nutzungen, die zugleich den Erhalt des Bisherigen sichern. Die dabei entstehenden Phan tasien werden vor Ort zu Bildern und Texten verarbeitet, die jeder Teilnehmer in seinem individuellen Skizzenbuch festhält, die aber auch digital archiviert werden. Anschließend sollen diese dann allen Interessierten, vor allem natürlich in Dinslaken und im Kreis Wesel, für eine möglichst produktive Verwendung zur Verfügung stehen. TAG E S R E I S E V I E R Past / Present / Futur Researching Simultanität II 19 Christian Odzuck Sa. 18.07. ——— Sa. 15.08. ——— So. 16.08. jeweils 10.30 bis 16.30 Uhr Unsichtbare parallele Welten – das sind kurz gesagt die Reiseziele, die Christian Odzuck bei seiner großen Busrundfahrt im Kreis Wesel ansteuert, immer wieder unterbrochen von Spaziergän gen und einer kleinen Rheinschifffahrt als erholsame Pause. Auch bei seinen architektonischen Skulpturen in Innen- und Außenräumen, für die er oft eine Performance als theatrale »Nutzung« gleich mitentwickelt, handelt es sich um Werke, die auf umfangreichen Recherchen und komplexen Bezugnahmen zum jeweiligen Ort basieren. So hat sich Odzuck auch bei der Konzeption seiner Tagestour ganz den Dingen hinter den Din gen verschrieben und die Region auf landschaftliche, bauliche und strukturelle Eigentümlichkeiten hin untersucht. Oft be merkt man diese erst auf den zweiten Blick, wobei einem ihre tatsächlichen Funktionen oder hintergründigen Geschichten verborgen bleiben. Er lädt also zu einer Entdeckungsreise ein, bei der zeitliche und räumliche Realitäten an der Autobahn, auf einem Kasernengelände oder rund um einen Aussichtsturm er forscht werden. Experten und Zeitzeugen geben dabei Auskunft und bringen die wahren Fakten ans Licht. Wobei das mit der »Wahrheit« wie immer so eine Sache ist: Schließlich gilt natürlich auch und gerade bei den Reisen im Kreis das Recht auf künstlerische Freiheit. Christian Odzuck, jedenfalls, bietet allen, die an dieser ungewöhnlichen Erkun dung teilnehmen, nicht nur vielfältige Informationen, sondern auch eine durchdachte Inszenierung. TAG E S R E I S E F Ü N F Die erste österreichische Weseler Bergtour Wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk sind mitzubringen, die Brotzeit gibt’s in einer Wirtschaft am Wegesrand. Evamaria Schaller Sa. 25.07. ——— So. 26.07. ——— Sa. 01.08. jeweils 10 bis 18 Uhr 21 Bergtouren im Kreis Wesel? Doch, das geht! Dabei werden zwar keine Gipfel im Alpenformat erklommen, aber Orte, in deren Namen »Berg« vorkommt, gibt es reichlich. Und das muss doch Gründe haben – welche es nach Ansicht von Evamaria Schaller zu entdecken und zu erwandern gilt. Die aus Öster reich stammende Künstlerin, die normalerweise vor allem im Bereich Performance aktiv ist, verfolgt mit ihrer Tagesreise für alle Bergbegeisterten vor allem zwei Ziele: zum einen das Stillen ihrer eigenen Sehnsucht, die sie immer beim Anblick von Flach land überkommt, und zum anderen den damit verbundenen Klischees ordentlich Zucker zu geben, damit sich am Schluss doch alles ganz anders dreht und wendet, als man es vielleicht erwarten würde. Allerdings wird das kein kaffeeseliger Sonn tagsausflug, denn bei dieser Tour ist sowohl physischer wie auch geistiger Einsatz gefordert: Zwischen den einzelnen Wander etappen ist auch so manche spezielle Aufgabe zu bewältigen, die sich die Bergführerin für ihre Seilschaft ausgedacht hat. Als ein Motto ihrer Reise hat Schaller das schöne Zitat der österreichischen Schriftstellerin Kriemhild Buhl gewählt: Bergsteiger sind Künstler. Sie entdecken das Verborgene im Vorhandenen. Eine Route durch den Fels zu zeichnen ist eine Komposition aus Schwerkraft, Fantasie und Körperbeherrschung. TAG E S R E I S E S E C H S Expedition durch Xanten mit Fellinis Satyricon und den Batavern 23 Hans Hs Winkler So. 02.08. ——— Sa. 08.08. ——— S0. 09.08. jeweils 14 bis 19 Uhr Der in Berlin und New York lebende und überhaupt sehr weit gereiste Hans Winkler lädt zu einer Forschungsreise ein: in die antike Vergangenheit zu Römern und Batavern, zu Brot und Spielen, bacchantischen Gelagen und Reiterritualen. Aber das wäre keine echte Winkler-Expedition, wenn es nicht auch um unsere Gegenwart ginge. Wie immer bei diesem Künstler werden fast beiläufig subversiv die Perspektiven verschoben und scheinbare Gewissheiten in Frage gestellt: Welchen historischen und touristischen Blick haben wir auf diese Epoche und ihre Spuren? Wie ist dieser durch unser heutiges Leben beeinflusst? Wollen wir wirklich »die ganze Wahrheit« erfahren oder doch nur das, was uns aktuell genehm ist? Und wie wird unsere eigene Kultur in Zukunft überliefert und musealisiert? Um diese Themen gemeinsam mit seiner Reisegruppe von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, hat Winkler Quellenma terial aus Literatur und Film mit im Gepäck, von Hanns Dieter Hüsch bis zu Pier Paolo Pasolini, von Hollywoods Sandalenfil men bis zur italienischen Avantgarde. Eine zentrale Rolle wird dabei Federico Fellinis berühmter Film Satyricon aus dem Jahr 1969 spielen, den der Regisseur selbst als »eine in die Vergangen heit gerichtete Science-Fiction« bezeichnete und als eine Reise in die »Unbekanntnis«. Damit ist wohl auch Hans Winklers abenteuerlicher Ausflug zutreffend beschrieben. Doch wie bei allen Touren ist die eigene Bewegung natür lich das Wichtigste – zur römischen Arena, kreuz und quer durch Xanten, ans schöne Ufer des Rheins und als Finale dann zurück nach Dinslaken auf die Trabrennbahn. REISEZENTRUM Reisezentrum 25 Nicola Schudy Mo. 15.06. ——— So. 16.08. täglich 14 bis 18 Uhr Auch in Zeiten von Online-Angeboten jedweder Art sollte ein Kunst- und Reiseprojekt, bei dem es ausdrücklich um eigene Erkundungen und Erlebnisse geht, nicht auf ein reales Zentrum verzichten. Ein Ort, der als traditionelles Reisebüro mit entspre chendem Informations- und Buchungsservice fungiert, gleich zeitig aber auch als Treffpunkt, um zu den jeweiligen Touren aufzubrechen, und natürlich als Projektraum, wo man alles Wissenswerte über die beteiligten Künstler erfahren kann. Ein solches Reisezentrum ist jedoch nicht einfach durch das Aufstel len von branchentypischem Mobiliar herzustellen: Eine projekt gemäße Gestaltung soll neben der Erfüllung aller notwendigen Funktionen auch den Facettenreichtum und die Besonderheiten der angebotenen Reisen im Kreis vermitteln – durch eine eigen ständige künstlerische Arbeit. Diesen Part hat Nicola Schudy übernommen. Für ihre meist raumgreifenden Installationen untersucht sie die betreffenden Architekturen sehr genau auf spezielle Merkmale hin und leitet daraus skulpturale Eingriffe ab, die oft ganze Geschichten erzäh len. Hier in Dinslaken, in einem leer stehenden Ladenlokal mit ten in der Fußgängerzone, kreiert Schudy eine Art benutzbares Bühnenbild, bei dem sie eine Reihe unterschiedlicher Elemente miteinander verknüpft: Reisebüro-Einrichtungsklischees von der Topfpflanze bis zum mobilen Raumteiler, vorgefundene Boden-, Wand- oder Deckenmaterialien und eine Farbpalette, die von den Fassaden der Umgebung stammt. Dieses Reise zentrum ist somit »Aushängeschild« des Projekts und zugleich Präsentationsplattform für die sechs verschiedenen Touren der Künstlerkollegen. BIOGRAFIEN Biografien Daniela Brahm Lutz Fritsch Lutz Fritsch, Zeichner, Bildhauer, Fotograf, Filmemacher und Polarreisender, studierte Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie. Fritsch arbeitet mit farbigen Skulpturen im Innenund Außenraum. Seine Fotografien zeigen den Blick des Bild hauers auf räumliche Zustände, urbane Situationen, während seine Zeichnungen mit dem gesehenen und erlebten Raum umgehen. Mit den Außenskulpturen will Lutz Fritsch den Blick auf immer Übersehenes lenken, lang Vertrautes bewusst werden lassen und neue Orte des Geschehens bilden. Die Skulpturen strukturieren vorhandene Räume und definieren neue Räume. Sie sollen Orientierungspunkte, Landmarken im urbanen Raum Uschi Huber Uschi Huber studierte freie Kunst an der University of Brighton sowie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Magdalena Jetelovà. Seit 1995 ist sie Mitherausgeberin von »Ohio«, einem Foto- und Videoprojekt in Magazinform. Schwerpunkte bilden Fotografie, Video und Installation. Dabei spielen Definitions spielräume zwischen Kunst und Nicht-Kunst, sowie Formen künstlerischer Aneignung und Interpretation des öffentlichen Raums eine Rolle. Auszeichnungen umfassen u.a. das DG-Bank Fotostipendium, den Toyota Fotokunst-Preis, sowie Förderun gen der Kunststiftung NRW und des Kunstfond Bonn e.V. Län gere Arbeitsaufenthalte führten sie u.a. nach New York, Florenz, Tel Aviv und Singapur. Nach Lehrtätigkeiten u.a. an der HFBK Hamburg ist Huber Professorin für künstlerische Fotografie an der Universität Siegen. Christian Odzuck Christian Odzuck studierte Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Rita McBride, Hubert Kiecol und David Rabi nowitch und schloss das Studium als Meisterschüler ab. Der Ausgangspunkt von Odzuck’s künstlerischer Praxis ist das Interesse an Prozessen der Wahrnehmung und der Frage, wie Realitäten im Kontext von Gesellschaft, Politik und Ökonomie entstehen. Nach intensiven Rechercheprozessen entwickelt er 27 Daniela Brahm, bildende Künstlerin und Raumproduzentin, studierte an der Hochschule der Künste Berlin. Raum und Formen der gebauten Umwelt sind Schwerpunkte ihrer künst lerischen Arbeit. Ausstellungen im In- und Ausland, u.a. Künst lerhaus Bethanien Berlin, Museo Tamayo Mexiko-City, Ideal City / Invisible Cities Zamosc (PL) und Potsdam, Museum für Moderne Kunst Warschau. 2004 initiierte sie zusammen mit Les Schliesserdas Projekt ExRotaprint auf dem Gelände der ehema ligen Rotaprint-Fabrik in Berlin-Wedding. 2007 Mitbegründerin der ExRotaprint gGmbH. Von Künstlern initiiert entsteht hier ein Modell für eine offene und profitferne Stadtentwicklung. sein, wie z. B. Vorgang – Zustand in Bonn vor dem Schumann haus, Rheinorange an der Mündung von Rhein und Ruhr in Duisburg, Der Stand der Dinge in Pforzheim oder auch seine Bibliothek im Eis. BIOGRAFIEN medial vielfältigeArbeiten, die mit den Gegebenheiten vor Ort interagieren oder diese verändern. Evamaria Schaller Nicola Schudy Nicola Schudy studierte visuelle Kommunikation an der Fach hochschule Düsseldorf sowie Bildende Kunst an der Ecole des Beaux-Arts de Besançon in Frankreich. Danach folgten verschie dene Engagements im Film und Theater, u.a. als Ausstattungs assistenz bei Christoph Schlingensief, Steven Berkhoff und Peter Greenaway. Ihre Arbeiten sind konkret und fiktiv zugleich – sie oszillieren zwischen Installation, Filmkulisse und Architektur. »Mehr poetische Idee als real gestalteter Raum, ein fiktiver Ort, an dem sich Atmosphäre und Materialität verdichten und der Raum eine mehrdeutige Fortschreibung erfährt.« Hans Hs Winkler studierte Sozialwissenschaft in München und Berlin sowie Kunst und Archäologie. Seit 1980 Ausstellungen, Interventionenund Aktionen. 1988—2000 p.t.t.red zusammen mit Stefan Micheel. U.a. realisierte er 2002 »un incidente in gondola« in Venedig, 2008 die »Flucht des Ötzi« in Bozen in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Museum, der Eurac und dem Museion Bozen, oder die »Held Saga«, 2005 in der Akademie der Künste in Berlin. Er kuratierte die Ausstellungen »FestKunst« in Brixen 2002 (mit Marion Piffer Damiani), oder »Looking for Mushrooms« im Museum Ludwig Köln 2008 (mit Barbara Engelbach und Friederike Wappler). Er unterrichtet Interventionen und Public Art in unterschiedlichen Kunstaka demien, u.a. im San Francisco Art Insitute. 29 Evamaria Schaller studierte Film, Medienwissenschaften und Fotografie in Graz, Salzburg, Prag und Köln und ist seit 2011 als Performance- und Filmkünstlerin international tätig. Sie ist Gründungsmitglied von PAErsche, einer Kölner Plattform für Performancekunst, und dem Künstlerkollektiv Raumfaltung. Schaller arbeitet zwischen Performance, Film und Installation. Ihr Augenmerk liegt dabei vor allem auf der Interaktion mit ortsspezifischen Bedingungen, die menschliches Verhalten und Beziehungen bestimmen. Sie interveniert im Raum mit simplen, klaren Gesten. Alltägliche Dinge und gefundene Materialien werden dabei dekontextualisiert und metamorphorisiert. Hans Hs Winkler Kurator Kay von Keitz Kay von Keitz studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim. Er lebt in Köln und arbei tet in den Bereichen Kunst und Architektur als freier Autor, Herausgeber (»En passant. Reisen durch urbane Räume: Perspek tiven einer anderen Art der Stadtwahrnehmung«) und Kurator (»gesterndie stadt von morgen«, 2014). 1999 gründete er gemein sam mit Sabine Voggenreiter das internationale Ausstellungsund Veranstaltungsprojekt »plan – Architektur Biennale Köln«. Von 2012 bis 2015 hat er im Auftrag der Stadt Köln unter dem Projekttitel »Der urbane Kongress« gemeinsam mit Markus Ambach die erste Phase des neu eingerichteten »StadtLabors für Kunst im öffentlichen Raum« konzipiert und umgesetzt. INFO Tour-Infos Sa. 20.06 — So. 21.06. — So. 19.07. Die Tour als Skulptur: Satteldach City Dinslaken Daniela Brahm jeweils 12 bis 18 Uhr mit dem Fahrrad Fahrräder werden gestellt, eigene Fahrräder können genutzt werden. Inklusive Einkehr (Selbstzahler) Teilnehmerzahl: max. 20 Pers. Sa. 27.06. — Sa. 04.07. — Sa. 11.07. jeweils 10 bis 18 Uhr mit dem Fahrrad Fahrräder werden gestellt, eigene Fahrräder können genutzt werden. Inklusive Einkehr (Selbstzahler) Teilnehmerzahl: max. 20 Pers. So. 28.06. — So. 05.07. — So. 12.07. Lass uns eine Runde drehen Lutz Fritsch jeweils 14 bis 19 Uhr zu Fuß Teilnehmerzahl: max. 20 Pers. 31 Grenzgebiete Uschi Huber INFO Sa. 18.07. — Sa. 15.08. — So. 16.08. Past / Present / Futur — Researching Simultanität II Christian Odzuck jeweils 10.30 bis 16.30 Uhr mit Bus und Schiff Inklusive Einkehr (Selbstzahler) Teilnehmerzahl: max. 30 Pers. Sa. 25.07. — So. 26.07. — Sa. 01.08 Die erste österreichische Weseler Bergtour Evamaria Schaller Anmeldung und Treffpunkt, Start- und Endpunkt aller Tagesreisen im Reisezentrum Neustraße 54 46535 Dinslaken Das Reisezentrum ist täglich von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Das Reisezentrum befindet sich in der Fußgängerzone und ist fußläufig etwa 10 Minuten vom Dinslakener Hauptbahnhof entfernt. Eine Anmeldung zu den Touren ist erforderlich. Jede Tagesreise ist kostenfrei. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt! Zu jeder Tagesreise bitte festes Schuhwerk und ggf. Regenkleidung mitbringen sowie Verpflegung zur Selbstversorgung unterwegs. So. 02.08. — Sa. 08.08. — So. 09.08. Auskunft und Anmeldung Expedition durch Xanten — mit Fellinis Satyricon und den Batavern Hans Hs Winkler jeweils 14 bis 19 Uhr mit dem Bus und zu Fuß »Römisches Picknick« inklusive Teilnehmerzahl: max. 30 Pers. Die Touren sind nicht barrierefrei. telefonisch unter 0209 — 60507 301 montags bis freitags 10 bis 17 Uhr Oder jederzeit per Mail an [email protected] Internet www.urbanekuensteruhr.de 33 jeweils 10 bis 18 Uhr mit dem Bus und zu Fuß Bitte festes Schuhwerk, ggf. Regenkleidung und Rucksack mitbringen! Inklusive Einkehr (Brettl-Jause) Teilnehmerzahl: max. 25 Pers. IMPRESSUM REISEZENTRUM Neustraße 54 46535 Dinslaken (Innenstadt – Fußgängerzone) Anreise mit dem ÖPNV: Dinslaken Hbf (ca. 10 Minuten Fußweg). Öffnungszeiten ab 15. Juni: täglich von 14 bis 18 Uhr. HERAUSGEBER Urbane Künste Ruhr Leithestraße 35 45886 Gelsenkirchen T 0209 — 60507 301 F 0209 — 60507 399 [email protected] facebook: is.gd/HLuQ 49 urbanekuensteruhr.de GESCHÄFTSFÜHRUNG Kultur Ruhr GmbH — Lukas Crepaz, Johan Simons K Ü N S T L E R I S C H E L E I T U N G U R B A N E K Ü N S T E R U H R Katja Aßmann TEXT (AUSSE R VORWORT UND BIOGRAFIE N) Kay von Keitz FOTOS Daniela Brahm (S.13), Sarah Brenk, Uschi Huber (S.15), Fellinis Satyricon © United Artists (S.23), Evamaria Schaller (S.21), Nicola Schudy (S.25), Magdalena Spinn PROJ E K TPARTN E R Stadt Dinslaken Regionalverband Ruhr 18 Tagesreisen im Kreis Wesel und 1 Reisezentrum in Dinslaken gestaltet von 7 Künstlern urbanekuensteruhr.de
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