Materialien zum 17.06.2015

Aufgabe 7
„Trennungs- und Abstraktionsprinzip“
1.
Charakterisieren Sie kurz die Quellen 1 und 2a und ordnen Sie sie in ihren jeweiligen
historischen Kontext ein.
2.
Vergleichen Sie die Voraussetzungen für die Eigentumsübertragung nach ius
commune und nach Savigny.
3.
Wie begründet Savigny seine Position?
4.
Welche Arten von Verträgen unterscheidet er?
5.
Was sind die Entscheidungsalternativen, die die BGB-Kommission erwägt?
6.
Wie verläuft der Entscheidungsprozess?
7.
Wie begründet die Mehrheit ihre Entscheidung? Was ist der Hintergrund?
LITERATUR:
(S. 62-76).
Falk/Luminati/Schmoeckel, Fälle aus der Rechtsgeschichte, 2008, Fall 5
Dr. Anna Margarete Seelentag
Propädeutikum Rechts- und Verfassungsgeschichte II
Sommersemester 2015
Text 1
[ACCURSIUS] Digestum Vetus et Novum commentariis Accursii, Turin 1576.
(zitiert nach: Hattenhauer/Buschmann, Textbuch zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.
Aufl. 2008, S. 17)
Dig. 41,1,31: Paulus libro trigensimo primo Dig. 41,1,3,1 Paulus im einunddreißigsten
ad edictum.
Buch zum Edikt
Numquam nuda traditio transfert dominium,
sed ita, si venditio aut aliqua iusta causa
praecesserit,
propter
quam
traditio
sequeretur.
Niemals überträgt eine bloße Übergabe das
Eigentum. Das geschieht nur, wenn ein Kauf
oder ein anderer Rechtsgrund vorangeht,
deswegen die Übergabe nachgeht.
Glosse.
“Numquam”. Casvs. Nuda traditio non
transfert dominium, sed ea, quae fit cum
causa: ut si tradatur res ex causa uenditionis.
Uel simili… FRAN.
Glosse:
„Niemals“. Rechtsfall. Die bloße Übergabe
überträgt das Eigentum nicht, sondern nur
diejenige, die mit einem Rechtsgrund
geschieht, wie z.B. wenn eine Sache wegen
eines Kaufes oder dergleichen übergeben
wird… Franciscus ACCURSII
“Sed ita” scilicet transfertur dominium „Das geschieht“, d.h. das Eigentum wird
traditione.
durch Übergabe übertragen.
“Iusta causa”. Uera uel putatiua: alioquin id
est, si dicas ex putatiua non transferri
dominium: totus tit. de condict. inde.
repugnaret: qui titulus habet locum, quando
transfertur dominium alicuius rei ex putatiua
causa.
Idem
in
promisssore
per
stipulationem:
ut inf. de do ex ce. l. 2 § cicra ibi. Si quis
sine causa &c. & in confessione: ut sup. de
probation l. cum de indebito. §. fin. & facit.
C. de parct. [l.] traditionibus. & supra de do.
l. nuda.
„Rechtsgrund“. Er ist entweder tatsächlich
oder vermeintlich vorhanden. Es wäre
anders, wenn man sagte, durch einen
vermeintlichen Rechtsgrund werde kein
Eigentum übertragen. Der gesamte Titel Dig.
12,6 würde dem widersprechen. Dieser Titel
greift Platz, wenn das Eigentum an einer
Sache auf Grund eines vermeintlichen
Rechtsgrundes übertragen wird. Dasselbe gilt
von demjenigen, der sich durch ein
Leistungsversprechen verpflichtet.
Vergl. unten Dig. 44,4,2,3; 44,4,2,3 a.E.; und
für das Anerkenntnis vergl. oben Dig.
22,3,25,4. Ferner gilt Cod. 2,3,20 und oben
Dig. 39,5,26.“
Dr. Anna Margarete Seelentag
Propädeutikum Rechts- und Verfassungsgeschichte II
Sommersemester 2015
Text 2a
Friedrich Carl von Savigny, Das Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen
Rechts, Bd. 2, 1853, S. 256f.
„Die wahre Bedeutung der justa causa ist vielmehr folgende. Man kann eine Tradition
vornehmen zu sehr verschiedenen Zwecken: es kann geschehen, indem man eine Sache
vermietet, zur Aufbewahrung hingibt, oder als Pfand, und in diesen Fällen geht gewiss kein
Eigentum über;1 es kann aber auch geschehen in Folge eines Verkaufs, eines Tausches, oder
in den soeben angeführten Fällen eines Geschenks oder eines Darlehens, und in allen diesen
Fällen geht Eigentum über. Worin liegt nun der wahre Unterschied zwischen diesen beiden
Klassen von Fällen? Lediglich darin, dass in den letzten Fällen der bisherige Eigentümer das
Eigentum übertragen will, in den ersten dagegen nicht will. Daraus folgt, dass die Tradition
das Eigentum überträgt durch den übereinstimmenden Willen beider handelnden Personen,
ohne diesen Willen aber nicht.2
Wörtlich eben so wird die Sache ausgedrückt in einer Stelle des Gaius und in einer Stelle der
Institutionen, die nur den Wollen erfordern, und von einer justa causa daneben kein Wort
sagen.3
Text 2b
Inst. 2.1.40
(Übers.: O. Behrends/ R. Knütel/ B. Kupisch/ H.H. Seiler: Corpus Iuris Civilis, Die
Institutionen, Text u. Übersetzung, 21999)
Per traditionem quoque iure naturali res
nobis adquiruntur: nihil enim tam conveniens
est naturali aequitati, quam voluntatem
domini, volentis rem suam in alium
transferre, ratam haberi.
„Auch durch Übergabe erwerben wir nach
Naturrecht Eigentum an Sachen. Denn nichts
entspricht so
sehr
der
natürlichen
Gerechtigkeit,
als
den Willen des
Eigentümers, der seine Sache einem anderen
übereignen
möchte,
als
wirksam
anzuerkennen. […]“
1
In den meisten Stellen, und bei genauer Rede, wird der Ausdruck traditio bezogen auf die Übertragung des
juristischen oder Interdicten-Besitzes, wohin das Pfand gehört. Aber mehrere Stellen gebrauchen ihn auch von
der Übertragung der bloßen Detention, wohin die Miete und das Depositum gehören. L 20 commod. 13.6, L 1
§ 36.37 depos. 16.3 L 31 loc. 19.2.
2
Die Tradition selbst ist daher ein wahrer Vertrag, nur nicht ein obligatorischer, sondern ein dinglicher; wohl zu
unterscheiden von dem obligatorischen Vertrag (Kauf, Tausch usw.), der bei ihr zum Grunde liegen kann, und
meist wirklich zum Grunde liegt und vorher zu gehen pflegt. Vgl. System B. 3 § 140.
3
L 9 § 3 ad adqu. rer. dem (41.1) (Gaius) „… nihil enim tam conveniens est naturali aequitati quam voluntatem
domini volentis rem suam in alium transferre, ratam haberi“. - § 40 J de div. rer. (2.1), wörtlich gleichlautend mit
der Stelle des Gaius, Theophilus hat dieselbe Rechtsregel weiter ausgeführt.
Dr. Anna Margarete Seelentag
Propädeutikum Rechts- und Verfassungsgeschichte II
Sommersemester 2015
Text 3a
Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen
Gesetzbuchs III, 1899, S. 196f., 200f.
„Es lagen die Anträge vor:
I als § 874a zu bestimmen:
Befindet sich der Veräußerer im Besitz der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt
werden, dass der Erwerber ihm den Besitz als Nießbraucher, als Mieter oder Pächter oder als
Verwahrer belässt.
Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Umstände ergeben, dass durch die
Veräußerung dem Erwerber Sicherheit wegen einer Forderung verschafft werden soll.
…
Man wandte sich zur Beratung des Abs. 2 des Antrags 1 … Der Antrag wurde abgelehnt...
Die Mehrheit hat erwogen:
Die vorgeschlagene Vorschrift würde sich als rein positive Ausnahme von dem aus
gewichtigen
Gründen
angenommen
Grundsatze
der
Unabhängigkeit
der
Eigentumsübertragung von ihrem Rechtsgrund darstellen. … Das Reichsgericht hat es mit
Recht abgelehnt, in einer Übereignung der hier fraglichen Art eine Umgehung der auf die
Erfordernisse des Pfandrechts an beweglichen Sachen bezüglichen Vorschriften zu erblicken
(Entsch. in Civils. 26, S. 180). Auch daraus lasse sich die Notwendigkeit der beantragten
Bestimmung nicht herleiten, dass durch die Belassung des Besitzes beim Veräußerer andere
Gläubiger desselben über seine Kreditfähigkeit getäuscht werden könnten; denn die
Gläubiger seien im Allgemeinen nicht berechtigt, sich darauf zu verlassen, dass alle im
Besitz des Schuldners befindlichen Sachen diesem auch gehörten.“
Bürgerliches Gesetzbuch
§ 929 Einigung und Übergabe
Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der
Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das
Eigentum übergehen soll. …
§ 930 Besitzkonstitut
Ist der Eigentümer im Besitz der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, dass
zwischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis vereinbart wird, vermöge dessen der
Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt.
§ 932 Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten
(1) Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer,
wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach
diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. …
Dr. Anna Margarete Seelentag
Propädeutikum Rechts- und Verfassungsgeschichte II
Sommersemester 2015