Leseprobe: Haufenweise Teufelskreise Lyrik und Prosa Thomas Volkermann Paperback, 176 Seiten, Format 14,8 x 21,0 cm Februar 2016 ISBN: 978-3-945725-49-8 VK: 9,95 € Edition Paashaas Verlag, www.verlag-epv.de Auszug aus: Eine Wurzel auf Abwegen … „Hallo, Thomas“, empfing mich Petra mit frigidem Ton, der kein Ausrufezeichen rechtfertigen konnte. „Wie war es bei deinen Eltern? Gibt es etwas Besonderes zu berichten?“ „Ähm, eigentlich nicht“, antwortete ich und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange, ohne mich großartig über die oberflächlich erscheinende Frage zu wundern. „Heute wirst du richtig verwöhnt, mein Schätzchen! Entspanne dich einfach noch ein wenig, denn heute kocht dein Mikrowellenmann mal etwas aufwendiger und romantischer!“ „Oh, das ist schön. Freut mich wirklich, mein Schatz!“, massierte mir der erhoffte Wohlklang ihrer Worte Ohr, Geist und Seele (mit Ausrufezeichen)! „Falls es dich nicht stört, gehe ich kurz baden und helfe dir im Anschluss bei deinen Kochkünsten (erneutes Ausrufezeichen)! Mit dem Vorschlag: „Lasse dir ruhig alle Zeit der Welt“, sprang ich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze ins Bad und ließ schon einmal wohltemperiertes Wasser ein, um mich für weitere Glücksmomente zu empfehlen. Als ich danach zielstrebig den Brattempel betrat, um den Lachs aus seinem eisigen Exil zu befreien, hörte ich die imaginäre Stimme meiner Mutter, die mir rechtzeitig zuflüsterte: „Junge, bleibe neugierig und informiere dich! Verwende nicht unvorbereitet eine unbekannte Wurzel als Fischbeilage!“ Leicht erschrocken, aber noch Herr meiner Sinne, machte ich kehrt und jagte im Wohnzimmer den Rechner hoch. Diesmal war jedoch nicht die verabscheuungswürdige Seite eines Softerotikanbieters mein Ziel, sondern das Fort Knox des Wissens – Wikipedia. Mit flinkem Tastendruck fütterte ich meine Bildungslücke (und der verehrte Leser mag es selbst gern einmal auf eigene Gefahr hin ausprobieren) mit dem simplen Suchbegriff INGWER. Ziel dieses Unterfangens war, etwas mehr über die geheimnisvolle Knolle zu erfahren, um sie dem Lachs würdig entgegentreten lassen zu können. Zunächst erfuhr ich, dass es sich bei diesem besonders in der asiatischen Kochkultur hoch geschätzten Gewürz um ein wahres Wunderkraut handelte. Die scharfe Knolle würzt nicht nur Fisch, Fleisch und Geflügel mit ihrem charismatischen Aroma, auch für die Gesundheit werden ihr heilsame Dinge nachgesagt. Sowohl Erkältungskrankheiten als auch Reiseübelkeit vermag der Ingwer zu kurieren. Selbst als Krebsvorsorge und als Unterstützung in der Chemotherapie ist der Konsum häufig sinnvoll. Dieses neu erworbene Wissen nährte nun endgültig meinen Bildungshunger. Mit einem aufkeimend schlüpfrigen Zusatzvermerk fesselte mich Wikipedia weiter am Rechner, während im Hintergrund sowohl mein salziger Lachs als auch mein süßes Sternchen auftauten und synchron die Frage: „Na, wie weit bist du denn? Alles in Ordnung?“, ins Wohnzimmer trällerten. „Ähm, ja! Bin gleich soweit!“, murmelte ich gedankenverloren, da der verlinkte Hinweis meine vollste Aufmerksamkeit erforderte. Siehe auch: INGWER – Beliebte Sexualpraktik: FIGGING (Kein Druckfehler! Anm. d. Autors) Ich gab mich kurz entschlossen und wissbegierig dieser Zusatzinformation hin und ahnte nicht, dass die weiteren Ausführungen einem entspannten Kochabend eher unzuträglich sein sollten. … Auszug aus: Peinliche Befragung Was gehört bei Ihnen persönlich, verehrter Leser, zum Höhepunkt der persönlichen Peinlichkeit? Impotenz? Libidoverlust? Tangiert mich als Dauersingle in keinster Weise! Mein persönlicher Gipfel der Schamhaftigkeit liegt auf der gegenüberliegenden Seite, dem finalen Endbereich des Verdauungstraktes. Aber es musste sein. Schließlich beinhaltet der Darm den Sitz der allerorts gewünschten Gesundheit, und meine genetische Vorbelastung zwang mich letzten Endes zu einem radikalen Schritt Richtung Schritt – der unter Umständen Leben rettenden Darmspiegelung. Auch die Vorstellung, dass eine möglicherweise ausnehmend attraktive Gastroenterologin mich einmal von einer ganz anderen Seite kennenlernen dürfte, was mir höchst unmännlich erschien, konnte mich nicht von diesem lobenswerten Entschluss abbringen. Und tatsächlich, die Verdauungsexpertin glich mir eher einem Erotikstar als einer Medizinerin. Ich war zum Aufklärungsgespräch geladen und hatte ernsthafte Zweifel am Gelingen meines löblichen Vorsatzes. Unter keinen Umständen werde ich dieser Lichtgestalt weiblicher Ästhetik meine Kehrseite präsentieren, sinnierte ich, während wir im Behandlungszimmer Platz nahmen. Vermutlich lag diese trotzige Einstellung an meiner Eitelkeit, die sich nicht mit der devoten Pose, in die mich das blonde Mäuschen bald zwingen würde, vereinbaren ließ. „Herr Volkermann, was führt Sie zu mir?“, fragte mich Fräulein Doktor und warf ihr wallendes Blondhaar geschickt zurück. „Äähm, nun ja“, stotterte ich zurück, „in meiner Familie wurde häufiger Darmkrebs festgestellt und ich möchte eine Vorsorgeuntersuchung durchführen lassen!“ „Sehr löblich, Herr Volkermann. Sehr löblich“, stellte mein studiertes Busenwunder fest und leckte sich provokativ sinnlich über die Lippen. „Sie brauchen keine Angst zu haben“, ergänzte sie, und es schien, als könne sie in meiner Seele – pardon – in meinen Eingeweiden lesen wie in einem Buch. „Wir bekommen das gemeinsam ohne Probleme hin. Es ist ein Routineeingriff. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“ Die weiß bekittelte Ausnahmeerscheinung schien mich geradezu zu fixieren und rutschte lasziv auf ihrem Hocker hin und her. Mit Kennerblick entging mir nicht, dass ihr Gluteus von keinerlei Stoff bedeckt war. Um es schlicht auszudrücken: Unter ihrem knappen Kittel lugte ein wunderschöner nackter Arsch hervor. Bald würde sie meinen begutachten. Ein Jammer, dass ich Frau Doktor unter diesen Umständen entgegentreten musste! Doch die Rollen waren klar verteilt und ich nahm die des passiven Opfers an. Jetzt noch zu kneifen, hätte meine Scham nur noch verstärkt. Schließlich möchte Mann nicht als Drückeberger dastehen. Schon gar nicht vor einer solchen Erscheinung. „Äähm, nein. Alles klar. Geben Sie mir einfach einen Termin für die Untersuchung. Ist ja keine große Sache“, log ich die Darmexpertin mit gekünsteltem Selbstbewusstsein an. Viel lieber hätte ich sie und ihren Pracht-Popo zum Italiener ausgeführt, wozu mir jeglicher Mut fehlte. Ergänzend kam allerdings noch hinzu, dass nun ohnehin Hungern und Abführen auf meiner Agenda stand. Mit einem verpflichtenden Termin, einem Aufklärungsbogen und Abführpulver bewaffnet, verließ ich gleichermaßen erotisiert wie traumatisiert die Praxis und aß mich ein letztes Mal satt. Am Folgetag war es so weit. Abführen stand auf der Tagesordnung, obwohl grundsätzlich vierundzwanzig Stunden innere Reinigung ausreichen, um bei der Spiegelung einen sauberen Eindruck zu hinterlassen. Ich wollte allerdings auf Nummer sicher gehen und entschied mich für zwei Tage Fasten, um mir und Blondie übermorgen möglichst wenig Unannehmlichkeiten zu bereiten. Da eine leichte Brühe nicht als Nahrung gilt, suchte ich noch einmal kurz den örtlichen Supermarkt auf, um mir eine Rindsbouillon zu gönnen, was sich aus der Sicht meines Magens als Fehler herausstellte. Selbiger begrüßte jede einzelne Kalorie, die sich in den Regalen präsentierte mit lautem Knurren, und ich kann den verehrten Leser nur warnen: Meiden Sie in diesem Zustand derartige Besuche, da dies schwerer Folter gleicht! Um nicht doch noch schwach zu werden flüchtete ich panisch vor Chipstüten, Zartbitterschokolade, Pizza, Pasta, frischem Jägermett, Lachsauflauf, Avocados, Garnelenspießen, Negerküssen sowie vor Jahrgangssekt, Bier, Rotwein, Weißwein und meinem geliebten Kräuterlikörchen. Der geneigte Leser möge mir verzeihen, aber ich vermag es nicht gewählter auszudrücken. Ich hatte – im wahrsten Sinne des Wortes – die Arschkarte! … Haufenweise Teufelskreise Einst zwickte mich mit Zweifel mein Magendarmtrakt sehr So schwammen Gallensäfte nervös mir hin und her In diesem bitt'ren Zustand blieb mir der Teller leer denn abgeschnürt schien mir der Leib. Ich aß und trank nicht mehr Geschwächt trieb's mich zum Doktor, den ich um Meinung bat Geschwüre hielt ich für den Feind. Er schritt beherzt zur Tat So riet er mir zum Pillenkauf. Ich folgte gern dem Rat Und nährte mich mit seiner Saat, doch bald das Unheil naht Ob es wohl an der Pille lag? O Weh! Ich weiß es nicht Doch unverhofft sprang mir ein fieser Ausschlag ins Gesicht Die Reinheit ging zum Teufel nun und ich vermied das Licht Vergrub mich tief im Kämmerlein, ich armer, kranker Wicht Entschwand dann bald dem dunklen Grab, der Hautarzt sollt mich heilen Der Arzt riet mir zu Cortison, musst kurz bei ihm verweilen Mein Antlitz war nun ausschlagsfrei, doch lausche meinen Zeilen So aufgebläht möcht niemand mehr mit mir das Schicksal teilen Mit Wasserkopf bekam mein Geist bald grausame Gedanken Ich kam mir furchtbar hässlich vor, die Heilungskräfte sanken Bald lag ich beim Psychiater flach, wollt mit der Seele zanken Er nahm mein Geld und riet mir fern des Alltags Kraft zu tanken Tja, krank und pleite trieb's mich fort. Am Ende schmerzt das Leben So manche Müh und manche Pein hat mit die Zeit vergeben Ich war es satt, so jämmerlich versagt im eitlen Streben Und hoffte auf den jüngsten Tag; des Friedens Willen wegen Ja, depressiv stieg ich nun still zum Brückenmast empor Der Freitod stand mir letztlich nun als Pointe noch bevor Mir war der Mut jetzt nicht vergönnt, ich armer, feiger Tor Ich stieg hinab, doch stolpernd knapp ich Gleichgewicht verlor So traf ich ein bei Petrus, der gesund im Himmel wacht Ich hatte Durst nach Leben noch, auch Hunger, hatte Schmacht Der Petrus schickt mich fort zur Strophe 1, die mir noch lacht Und endlos hat der Teufelskerl mir Unheil eingebracht
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