Faire Asylverfahren statt - Kölner Flüchtlingsrat eV

Faire Asylverfahren statt Sonderverfahren für Flüchtlinge aus den
Staaten des westlichen Balkans !
Das Thema „Flüchtlinge“ ist weiterhin so präsent in den Medien wie lange nicht mehr. Und
während einerseits erfreuliche neue Netzwerke und Unterstützungsangebote aus der
Zivilbevölkerung für Flüchtlinge entstehen, treibt die Politik energisch die Einteilung der
Flüchtlinge in „gute/ echte Flüchtlinge“ und „falsche/ Wirtschaftsflüchtlinge“ voran. Allen
voran bekräftigte Bundesinnenminister de Maizière letzte Woche erneut, dass Asylsuchende
aus den Staaten des westlichen Balkans in einem gesonderten Verfahren, dem
„Balkanverfahren“, behandelt werden sollen. Kern des Konzeptes: die AsylbewerberInnen
sollen bis zu ihrer „absehbaren Abschiebung“ in den Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen
bleiben. Dies soll die Kommunen entlasten. Die somit nicht einmal verheimlichte
Aushebelung des Grundrechts auf Asyl für bestimmte Herkunftsländer, wird regelmäßig mit
den niedrigen Anerkennungszahlen in den Asylverfahren durch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge begründet. Doch ist das „Balkanverfahren“ überhaupt noch ein
rechtsstaatliches Verfahren?
Während Asylanträge von „Nicht-Balkan-Flüchtlingen“ zum Teil über Monate nicht registriert
werden, behandelt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylverfahren von
Flüchtlingen aus dem westlichen Balkan, z.B. Kosovo priorisiert, mit dem Ziel der
schnellstmöglichen Ablehnung. Nur so ist es zu erklären, dass z.B. Flüchtlinge aus dem
Kosovo noch am gleichen Tag der Anhörung ihren ablehnenden Bescheid bekommen,
während andere AsylantragstellerInnen zum Teil Monate bis Jahre auf ihre Bescheide
warten. Eine individuelle Prüfung der Asylanträge ist für Asylbewerber aus den
Westbalkanstaaten derzeit nicht mehr gewährleistet. Vor den daraus resultierenden Folgen
warnte bereits am 09.05.2015 die Rechtsberaterkonferenz in ihrer Pressemitteilung. Hier
heißt es: „Es sei dringend erforderlich, in die Asylverfahren zu investieren. Dies aber nicht,
um schneller abzuschieben, sondern um die Qualität der Verfahren zu verbessern und
denen, die Schutz brauchen, schneller Sicherheit zu geben.“
Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. hat in konkreten Einzelfällen systematische Mängel an den
derzeit beschleunigten Asylverfahren festgestellt, mit zum Teil verheerenden Auswirkungen
für die betroffenen Menschen.
Ein systematischer Mangel ist z.B. die quasi automatische Ablehnung als offensichtlich
unbegründet. Hier spielt eine Rolle, dass die Verfahren so schnell durchgeführt werden.
Klienten berichten, dass die ausgefüllten Bescheide mit der Entscheidung "offensichtlich
unbegründet" dem Entscheider schon vorlagen, bevor die Anhörung überhaupt begonnen
wurde; die Anhörung habe daraus bestanden, in den fertigen Bescheid einige Absätze
einzufügen.
Bei diesem Verfahren werden die individuellen Gründe, die zum Verlassen des Landes
geführt haben und die nicht im wirtschaftlichen Bereich liegen, derart lückenhaft und auf der
Grundlage der Vorentscheidung aufgenommen, dass sie teilweise unverständlich sind und
mit der Lebensgeschichte der Betroffenen nichts mehr zu tun haben. Unabhängig vom
Vortrag wird geschlossen, dass "das Vorgetragene unglaubwürdig und nur zum Zweck der
Asylantragstellung erdacht" wurde.
Kriegsfolgen wie familiäre Konflikte nach Aufnahme von Kriegswaisen, stigmatisierte Frauen
nach Vergewaltigungen im Krieg, und kriegstraumatisierte Familienmitglieder, die Gewalt
ausüben und nur notdürftig in den psychiatrischen Kliniken des Kosovo behandelt werden,
sind möglicherweise kein Asylgrund - dass kein fluchtauslösendes Ereignis vorgelegen habe
und deshalb die Ablehnung als offensichtlich unbegründet gerechtfertigt sei, ist jedoch
zynisch und verharmlost die Schwierigkeiten einer Gesellschaft nach einem (vergessenen)
Krieg ohne Wiederaufbauhilfen als "wirtschaftliche Gründe und Gründe, die ausgedacht
wurden, um Asyl in Deutschland zu bekommen". Die Einzelfälle, die oft die Folgen des
Krieges gut zwei Jahrzehnte später schildern, werden in ihrer Individualität nicht
wahrgenommen und als Lebensschicksal herabgewürdigt. Das wird der Situation im Kosovo
und den Einzelfällen nicht gerecht.
Eine Reihe der nun eingereisten Flüchtlinge aus dem Kosovo hatten vor über 15 Jahren
Schutz in Deutschland gesucht und waren dann freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt. Es
handelt sich um Personen, die damals, bevor eine Bleiberechtsregelung getroffen wurde, an
einer dauerhaften Perspektive in Deutschland gehindert worden waren und sich
gezwungenermaßen zur Rückkehr entschlossen hatten. Diese Personengruppe reist z. B.
mit Kontakten zu alten Arbeitgebern und guten Deutschkenntnissen ein, könnten sich
mühelos wieder in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren und wären bei vorhandener
Asylverfahrensberatung nicht in ein Asylverfahren mit dem notwendigen Ausgang als
offensichtlich unbegründet gegangen. Durch die o. u. Ablehnung werden sie stigmatisiert und
an einer erneuten Einreise gehindert.
Für Personen, die unter schweren psychischen Störungen leiden und aufgrund der
Behandlung eine Aufenthaltsperspektive in Deutschland haben könnten, ist es wiederum
schwierig, diese Behandlungsnotwendigkeit überhaupt bescheinigt zu bekommen. Sie gehen
in eine Anhörung, ohne Beratung, ob es sinnvoll wäre, sich auf diese humanitären
Abschiebehindernisse zu beschränken, werden o. u. abgelehnt und müssen, wenn sie sich in
Behandlung begeben, mit dem Vorwurf der Instrumentalisierung des Gesundheitssystems
leben, auch wenn wegen schwerer Suizidalität lange Klinikaufenthalte notwendig sind.
Insbesondere dort, wo in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen noch keine
Asylverfahrensberatung eingerichtet ist, zeigt sich sehr deutlich, dass diese Flüchtlinge zu
wenig Möglichkeiten haben, ihre Rechte geltend zu machen und einzufordern. Eine
angemessene Vorbereitung auf das Asylverfahren ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Es zeigt sich der Mangel an Asylverfahrensberatung auch darin, dass ein Teil der
Betroffenen, bei frühzeitiger Beratung und Aufklärung, lediglich zielstaatsbezogene
Abschiebehindernisse nach §60 Abs.7 AufenthG oder Duldungsgründe geltend gemacht
hätte, statt in ein aussichtloses Asylverfahren zu gehen. Die Konsequenz der Ablehnung als
„offensichtlich unbegründet“, mit den Folgen, die dies demnächst haben wird, wären nicht
eingetreten.
Zugang zum Beratungs- und Gesundheitssystem ist im Vergleich zu Flüchtlingen, die
Kommunen zugewiesen werden, erheblich eingeschränkt. Dadurch, dass diese Gruppe von
Flüchtlingen nicht mehr in die Kommunen zugewiesen wird, wird Verständnis und
gesellschaftliches Engagement für Menschen aus Krisengebieten bewusst verhindert.
Schutzsuchende bleiben schutzlos und werden in Schnellverfahren abgefertigt.
Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. fordert faire und qualitativ hochwertige Einzelfallprüfungen
auch und gerade von Asylsuchenden aus den westlichen Balkanstaaten! Die derzeitige
Behandlung in beschleunigten Sonderverfahren wird den individuellen Fluchtgründen dieser
Menschen in keinster Weise gerecht.