Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist! (Lk. 5, 1-10)

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Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!
(Lk. 5, 1-10)
Liebe Gemeinde,
All die Fülle ist in dir, o Herr
haben wir miteinander gesungen.
Alle Fülle, alle Vollkommenheit, ist in dir, o Herr; alle Schönheit kommt von
dir, o Gott.
In was für einer wundervollen Welt leben wir doch! Wie haben wir doch am
Gemeindewochenende gesungen?
Plätschvoll mit Farbe, plätschvoll mit Lache, plätschvoll mit Freud u mit tuusig
coole Sache. Plätschvoll mit Stimme, plätschvoll mit Singe u plätschvoll mit
Lüt, wo das Lied lut lö la klinge.
[Christof Fankhauser]
Über Wunder wollen wir heute miteinander nachdenken. Beginnen wir mit der
Geschichte über den grossen Fischfang des Petrus, die wir in der Lesung aus dem
Lukasevangelium bereits gehört hatten.
Da ist Jesus am See Genezareth. Er hatte von einem Schiff aus zu einer grossen
Menschenmenge gesprochen und jetzt fordert er Petrus auf, noch einmal
hinauszufahren und das Netz auszuwerfen. Petrus, ein erfahrener Fischer, meldet
Zweifel an. Sie hatten die ganze Nacht die Netze ausgeworfen – ohne etwas zu
fangen. Aber er ist bereit, es auf Jesu Wort hin noch einmal zu versuchen. Wir
kennen das Ergebnis, weil wir die Geschichte schon öfters gehört haben: Petrus und
seinen Männern gingen so viele Fische in die Netze, dass diese zu zerreissen
drohten. Sie riefen ihre Fischerkollegen in einem zweiten Boot zu Hilfe. Doch die
beiden Boote vermochte die Menge der Fische kaum zu fassen. – Was für ein
Wunder! ein Wunder?
Was ist ein Wunder? Mir ist in der Vorbereitung dieser Predigt aufgefallen, wie
unterschiedlich das Wort verstanden und angewendet wird.
Es mag hilfreich sein, wenn wir Wunder verstehen als einen nicht sofort
erklärbaren, staunenerregenden Vorgang, der den Gesetzmässigkeiten in der Natur
und in der Gesellschaft zu widersprechen scheint. – Das Wort Wunder steckt auch
im Wort Verwunderung. So ist ein Wunder auch etwas, das Verwunderung und
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Staunen hervorruft. Wir verstehen Wunder als etwas Ungewöhnliches,
Überraschendes, alles Übliche Übertreffendes. –Damit genug der Theorie!
Wenn wir uns im Alten Testament umsehen, erkennen wir zwei starke
Schwerpunkte von Gottes Handeln: Es geht einerseits um Gottes Handeln in der
Natur, in der Schöpfung. Erschaffung und Erhaltung der Welt gilt als das grosse
Wunder Gottes. Andererseits geht es um sein Handeln an und mit den Menschen,
ganz besonders aber um sein Handeln in der Geschichte Israels. Das Alte
Testament unterscheidet nicht natürliche und übernatürliche Geschehnisse. Gott
vermag alles. Er ist der Allmächtige, Allgegenwärtige. Nichts und niemand kann ihm
Grenzen setzen; ihm ist grundsätzlich alles möglich.
Gerne würde ich jetzt mit euch einen Blick in die Wunder von Gottes Schöpfung
tun. Die Versuchung ist gross, dazu ein Feuerwerk von Bildern auf die Leinwand zu
projizieren. Doch reicht einerseits die Zeit nicht dazu, und andrerseits hat Stefan
Zolliker bereits vor zwei Wochen mit der Betrachtung zu Psalm 104 und dem Lied
64 das Thema vertieft.
Zwei Schöpfungswunder möchte ich aber doch erwähnen: Gott schafft den
Menschen in einer IHM ähnlichen Ebenbildlichkeit! –Da sass ich vor zwei Wochen
schräg hinter Andrea und Micha Fuss im Gottesdienst und konnte die kleine Elinor
beobachten, die auf Michas Oberschenkeln lag, ihren Vater anstrahlte und mit den
eigenen Beinchen und Füsschen spielte. Ich überlasse es jetzt euch, euren
Gedanken freien Lauf zu lassen und an Hand dieses Bildes zu überlegen, wie viele
Wunder Gottes in diesem kleinen Menschen angelegt sind.
Das zweite Schöpfungswunder ist Voraussetzung zu dem eben Angesprochenen.
Aus Gott stammt alles Leben. Er schuf das Leben und er schuf die Bedingungen, die
Leben ermöglichen. – Naturkonstanten sind physikalische Grössen, die in dem uns
bekannten Universum immer gleich sind. Aus der Vielzahl dieser Konstanten
kennen wir als Laien insbesondere die Lichtgeschwindigkeit, die Gravitationskonstante und den absoluten Temperatur-Nullpunkt. Wissenschaftler weisen nach,
dass diese Konstanten fein aufeinander abgestimmt sind. Würde eine von ihnen
ihren Wert nur leicht verändern, wäre Leben nicht mehr möglich.
Das den Menschen zur Verfügung stehende Wissen nimmt stetig zu. Physiker jeder
Wissenschaftsrichtung, Chemiker, Biologen, Mediziner, Neurologen entdecken
immer neue Zusammenhänge – und staunen!
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Aber führt dieses Staunen zum Glauben an Gott? zum Glauben, dass es einen
Schöpfer gibt? und dass dieser Schöpfer sein Werk auch heute noch auf
wunderbare Weise erhält?
Wunder und Glaube bedingen sich gegenseitig. Wer glaubt, kann auch akzeptieren,
dass es Wunder gibt, Ereignisse, die wir nicht, oder noch nicht erklären können.
Wer nicht glauben will, wird für sogenannte Wunder eine andere Erklärung finden.
So staunen die einen über Schöpfungswunder, andere – nicht nur gelehrte Leute –
erklären sich das Schöpfungsgeschehen mit einer langen Kette von weiterführenden
Entwicklungszufällen und wieder andere entwickeln das Konzept einer der Natur
innewohnenden Intelligenz.
Wunder oder Zufall? Kehren wir für einen Moment zu unserer Geschichte vom
Fischzug des Petrus zurück. Wie kam es, dass der grosse Fischschwarm in jenem
Moment und an jenem Ort in die Netze schwamm, wo Petrus und seine Männer ihre
Netze den Anweisungen Jesu gemäss ausgeworfen hatten? Wunder oder Zufall? Von Arnold Benz, einem einigen unter uns bekannten Astrophysiker, stammt der
Satz: „Auch im Zufall geschieht Gottes Wille“. Und ein anderer Physiker, Albert
Einstein, soll gesagt haben: “Ein glücklicher Zufall ist ein kleines Wunder, bei dem
Gott es vorgezogen hat, anonym zu bleiben.“ Und besteht ein Wunder nicht oft
darin, dass etwas Bestimmtes genau zur richtigen Zeit passiert? Unerklärlich,
erstaunlich, ist nicht, was passiert, sondern wann etwas passiert; nämlich genau
zur richtigen Zeit.
Machen wir noch einmal einen grossen Gedankenschritt: Erkennen wir Gottes
Handeln in der Geschichte?
Mit unserem Blick ins Alte Testament erkannten wir zwei Schwerpunkte:
Gottes Schöpfungshandeln und sein Handeln in der Geschichte Israels. Wenden wir
uns dem Zweiten zu:
Gott beruft sich ein Volk zu dem er in einer ganz besonderen Beziehung stehen will.
Dieses Volk nimmt seinen Anfang in der Verheissung Gottes an Abraham, dass er
und seine Frau Sara, beides betagte Menschen, einen Sohn erhalten sollen, aus
dem ein grosses Volk werden wird. Die Geschichte führt dann über Isaak, Jakob
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und Josef auf vielen krummen Linien nach Ägypten, wo aus der Sippschaft des
Jakob innert ca. 400 Jahren ein grosses Volk heranwächst.
Dann folgt der Auszug aus Ägypten, die 40-jährige Wüstenwanderung und
schliesslich die Landnahme Kanaans. Die Beschreibungen dieser Zeitperioden in der
Geschichte Israels sind voll Wundergeschichten. Es würde zu weit führen, sie alle
aufzuführen. Einen Überblick in Kurzform geben uns die Psalmen 78 und 105. Zur
Erinnerung: Denken wir daran, dass der Pharao das Volk überhaupt ziehen lässt,
dass das Wasser des Schilfmeeres so gestaut wird, dass das ganze grosse Volk
trockenen Fusses durchziehen kann, die verfolgenden Ägypter aber darin ertrinken.
Und denken wir daran, wie Gott die Israeliten auf der Wüstenwanderung mit
Nahrung und Wasser versorgte.
Und wieder erkennen wir Gottes wunderbares Handeln an der Geschichte Israels in
unserer Zeit: 1948 entsteht ein neuer jüdischer Staat. Damit gehen biblische
Prophezeiungen in Erfüllung. Der neue Staat nimmt gegen alle äusseren
Widerstände und inneren Querelen die Position ein, die Gott vor langer Zeit
verheissen hat.
Das bewegte David Ben-Gurion, den ersten Ministerpräsidenten Israels dazu, am
Jom Kippur Fest im Jahre 1956 in einer Betrachtung zu Psalm 29
(Ps. 29, 11)
zur
Feststellung „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“. Mit andern Worten: Wer
Realist sein will, wer die Wirklichkeit so erkennen will, wie sie tatsächlich ist, der
muss auch glauben, dass es Wunder gibt und dass Gott Wunder wirkt. Es gibt
Menschen, die über sich selbst sagen: „Ich bin Realist; aber an Wunder glaube ich
nicht“. Ihnen würde David Ben-Gurion vielleicht sagen: „Du bist noch nicht
realistisch genug!“
Gottes Handeln in der Geschichte zeigt sich aber nicht nur am Volk Israel. Denken
wir auch an die Reformationsgeschichte, an den Zerfall des kommunistischen
Systems und den Mauerfall. Denken wir daran, dass Gott immer wieder zu einer
bestimmten Zeit die richtige Frau, den richtigen Mann an eine bestimmte Stelle
gestellt hat, damit sein Wille geschieht. Denken wir auch an das gewaltige
Wachstum christlicher Gemeinden in der Welt, trotz brutalster Christenverfolgungen; auch das ist Handeln Gottes in der Geschichte der Menschen.
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Und noch einmal ein Gedankensprung: Die Wundergeschichten im Neuen
Testament eröffnen noch eine neue Sicht. Sie zeigen uns neue Aspekte und eine
tiefergehende Sicht des Wesens Gottes, nämlich seine Liebe zu allen Menschen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn dahingab, damit jeder, der
an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe
[Joh. 3,16].
Um das
verständlich zu machen lässt Jesus Heilungswunder geschehen; deshalb tut er
Wunder, die die Nähe des Himmelreiches erkennen lassen. In seinen Wundertaten
erkennen wir die Vollmacht, die Gott ihm gegeben hat: Jesus als Herr über die
Natur und Jesus als Herr über Leben und Tod.
Was aber – diese Frage steht jetzt einfach im Raum - was aber, wenn kein Wunder
geschieht? Wenn wir uns von Gott verlassen fühlen? Wenn ein Gebet nicht
Erhörung findet? oder nicht so erhört wird, wie wir es uns wünschen?
Was, wenn uns die Warum-Frage bedrängt: Warum lässt Gott all das Elend und die
zahllosen Ungerechtigkeiten zu? Warum lässt Gott es zu, dass wir ein Kind erhalten,
das krank zur Welt kommen und kaum überlebensfähig sein wird? Warum tut er da
kein Wunder?
Diesen Fragen müssen wir uns stellen; wir sollen sie nicht verdrängen, aber im
Moment müssen wir sie einfach zurückstellen. Sie können nicht im Rahmen dieser
Predigt beantwortet werden, auch wissend, dass es nicht immer eine Antwort gibt.
Aber das möchte ich noch mit euch überlegen: Weshalb tut Gott überhaupt
Wunder?
Als Erstes müssen wir uns bewusst sein, dass Gottes Tun für ihn selbst nicht
überraschend ist, nicht Staunen erregend, nichts Ausserordentliches. Was uns als
Wunder erscheint, ist für ihn kein Wunder, sondern liebevolles Handeln an uns
Menschen. Dieses Handeln geschieht sowohl auf für uns gewöhnliche, wie auch
aussergewöhnliche Weise – aber doch mit einem ganz bestimmten Ziel: Im Wunder
sollen Gottes Macht, seine Herrlichkeit und seine Liebe offenbar werden. Das hat
auch Petrus auf seinem Fischzug erlebt. Wir hörten: Als Simon Petrus das sah, warf
er sich zu den Knien Jesu nieder und sprach: Geh von mir hinaus, denn ich bin ein
sündiger Mensch, o Herr!
[Lk. 5, 8].
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Der Evangelist Johannes schreibt: Noch viele andre Zeichen nun tat Jesus vor den
Jüngern, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind. Diese aber sind
aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist und
damit ihr dadurch, dass ihr glaubt, in seinem Namen Leben habt.
[Joh. 20, 30.31]
Erinnert ihr euch an die Geschichte des Schatzmeisters aus Äthiopien?
[Apg. 8, 40]
Philippus frägt den Kämmerer: Verstehst du auch, was du liest?
Ähnlich sind wir gefragt: Verstehen wir, was wir sehen? Verstehen wir, was wir
erleben? Können wir darin Gottes Handeln an uns erkennen?
Amen
Gebet
Vater im Himmel, Schöpfer Himmels und der Erde,
Vater unseres Herrn Jesus Christus,
Wie hast Du alles so herrlich geschaffen! Wir staunen und beten
Dich an.
Als Deine Geschöpfe sollen wir Dir ähnlich sein. Du hast uns
unser Bewusstsein geschenkt, die Möglichkeit, über uns und über
Dich nachzudenken, und durch deinen Geist leitest Du uns darin.
Du öffnest unsere Sinne für die Wunder und die Schönheit Deiner
Schöpfung, und Du begegnest uns auf wunderbare Weise immer
wieder neu in Deiner Liebe. Wir staunen, wir danken Dir und wir
beten Dich an.
Treuer Vater, der Du uns nahe bist, wir erkennen aber auch, dass
in unserem Leben nicht alles Deinem Willen entspricht. Wir gehen
eigene, egoistische Wege, übersehen und überhören, was Du für
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uns tun willst, zerstören – manchmal unbewusst, manchmal aber
auch ganz bewusst – was Du für uns geschaffen hast. Vergib uns!
wir bitten Dich. Vergib uns im Namen Deines Sohnes, unseres
Herrn und Bruders Jesus Christus, und lass uns als glaubwürdige
Zeugen Deiner Liebe den Platz ausfüllen, den Du uns im Leben
zugedacht hast.
Erhöre uns, wenn wir jetzt all das, was uns beschäftigt, erfreut
und belastet in dem Gebet vor Dich bringen, das uns der Herr
Jesus gelehrt hat: Unser Vater…
Segen
Der Herr segne und behüte euch.
Er schenke euch Freude am Leben,
Hoffnung für alles Kommende
und Kraft zum Leben.
Der Herr begleite und stärke euch
auf allen euren Wegen.