Ein Interview mit Thomas Pigor, Sänger, Musiker, Musicalautor und Kabarettist, von dem die Bearbeitung des Librettos von ORPHEUS IN DER UNTERWELT am Theater Konstanz stammt. Lieber Thomas Pigor, gleich zu Beginn eine sehr persönliche Frage: Sind Sie verheiratet? Nein und das ist auch gut so. Ist die Ehe heutzutage überflüssig? Oder brauchen wir sie immer noch % und wenn vielleicht auch nur, um uns kritisch oder humoristisch an ihr zu reiben? Wenn man sich ansieht, wie die Schwulen und Lesben dafür gekämpft haben, endlich heiraten zu dürfen, dann muss man zugestehen, dass es offensichtlich viele Menschen gibt, die diese Zeremonie brauchen. Das Konzept der lebenslangen Ehe geht jedoch an der Lebenswirklichkeit eines großen Teils der Menschen hierzulande vorbei. Es gibt zwar ein Bedürfnis nach Regelung rechtlicher Fragen, wie Patientenverfügungen und Erbangelegenheiten. Aber man sollte auch anständig wieder auseinanderkommen können, ohne dass der Gesetzgeber mit althergebrachten Vorstellungen vom besonderen Schutz von Ehe und Familie dazwischenfunkt. Was die Konservativen als „Ehe light” diskreditieren wollen, das wär genau mein Ding. Sie arbeiten seit vielen Jahrzehnten äußerst erfolgreich als Musiker und Kabarettist oder Satiriker, also eher in Formaten, die man gerne als „Kleinkunst“ abtut. Ist da so eine Bearbeitung einer weltbekannten Operette ein schöner Ausbruch oder eher eine Bürde, weil man sich ja gewissermaßen mit anderen messen muss? Wir haben leider unser traditionelles Apartheidsystem, das zwischen E- und U-Kultur unterscheidet, vielerorts noch nicht überwunden. Ein Relikt davon ist der Dünkel der Großkunst gegenüber der so genannten Kleinkunst. Ich glaube aber, was Unterhaltung betrifft, kann eine Seite von der anderen durchaus lernen. Die Tatsache, dass Orpheus so häufig bearbeitet wurde, ist dann eher ein Ansporn nach dem Motto: „So, jetzt zeig ich Euch mal, wie ich das Ding drehen würde.” Was muss eine gute Operette in Ihren Augen leisten? Oder muss sie gar nichts leisten? Musik, Text und Inszenierung müssen miteinander auf Augenhöhe korrespondieren, sich die Bälle zuspielen, eine Einheit werden und wenn das hinhaut, ist das schon mal eine große Leistung. Doch zuallererst muss eine Operette gut unterhalten. Zur guten Unterhaltung gehört, dass man den Zuschauer überrascht, irritiert, vielleicht sogar vor den Kopf stößt. Ist der Zuschauer intellektuell dauer-unterfordert, ist er nicht gut unterhalten. Kann man, wie Volker Klotz, von der Operette als „unerhörte Kunst“ sprechen? Klotz sieht in ihr ja bei aller Ironie ja ein utopisches Potenzial, das spielerisch die Welt aus den Angeln heben möchte. Haben wir alle die Operette verkannt? Oder birgt das Hervorkehren solcher Seiten nicht gerade die Gefahr eines Verlusts von revolutionärem Potential? Wenn mich nicht alles täuscht, ist es zuerst Siegfried Kracauer gewesen, der der Operette ein gesellschaftsveränderndes Potential zugeschrieben hat, das aber meiner Ansicht nach viel zu hoch gehängt ist. Natürlich ist der Ton der Offenbach´schen Librettisten frech, respektlos, despektierlich. Man kann das anarchistisch oder antiautoritär nennen, aber wenn sichs der Empéreur gefallen lässt? Nehmen wir den Starkbieranstich am Münchner Nockerberg, da sitzen die CSU-Granden im Publikum und sehen amüsiert zu, wie ihre Doubles sie auf der Bühne durch den Kakao ziehen. Das ist kritisch und systemerhaltend zugleich. Niemand kommt dort auf die Idee, dass durch eine Markus-Söder-Parodie die Welt aus den Angeln gehoben werden könnte. Wie modern ist ORPHEUS IN DER UNTERWELT? Immerhin ist die Operette über 150 Jahre alt und stammt aus den Zeiten des Zweiten Kaiserreichs in Frankreich. (Muss man den Stoff immer wieder aktualisieren?) Das Original ist erstaunlich modern, man muss gar nicht so viel verändern um den Text ins Hier und Heute zu holen: Der Ton, die Ironie, die Kalauer. Es gibt allerdings einige Anspielungen, die das heutige Publikum nicht versteht. Dem Publikum von 1858 war z.B. die griechische Götter- und Sagenwelt präsenter als uns, deshalb haben bei uns ein paar Götter dran glauben müssen. ORPHEUS IN DER UNTERWELT spielte ja immer schon mit Schein und Sein. Gerade Ihre Bearbeitung hebt aber deutlich auf die Metahaftigkeit der Operette ab, etwa im Zitieren der Mythologie oder im Reflektieren der eigenen Banalitäten. Ist das unsere Zeit, die da zu spüren ist? Eine Art kritischer Distanz zu beinahe allem, wie es etwa der Ironie innewohnt? Danke für die Blumen, aber alles was Sie anführen, ist im Original bereits angelegt. Ich glaube nur, dass wir heute den ironischen Ton viel besser verstehen, als die Deutschen 1858. Der Kampf der Antipoden, die vermeintlich tiefgründige deutsche Kultur gegen die vermeintlich oberflächliche französische „civilisation” ist zu Gunsten der „civilisation” entschieden worden. Die letzten Bierernsten werden gerade zu Tode gelacht. Letzte Frage: Angenommen, Sie sind Paartherapeut und sollen eine Gruppensitzung mit Orpheus und Eurydike, Pluto, Jupiter und Juno leiten. Was würden Sie denen sagen? Freut mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Wie machen wir das mit der Abrechnung? Das Interview führte Produktionsdramaturg Adrian Herrmann.
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