A n to n y G o r m l e y Ü be r S ku l p t u r 1 Körperraum u nd Körperzeit: di e Sku lptu r bewoh nen S .7 2 Bi ldhau er S.7 9 Die Texte in diesem Buch beruhen auf einer Reihe von Vorträgen und Fernsehsendungen Antony Gormleys aus den Jahren 2009 bis 2014. Ausführliche Quellenangaben finden sich auf Seite 235. 3 Achtsamkeit S. 1 4 1 4 Ausdeh nu ng S. 1 9 3 1979 besuchte ich den Ort in Arizona, an dem Walter De Maria seine Zeichnungen aus parallelen Kreidelinien geschaffen hatte. Das Werk von De Maria, Robert Smithson und Richard Serra war für mich aufgrund dessen Stellenwerts in der amerikanischen Kunst von entscheidender Bedeutung. Dasselbe gilt für die menschliche Figur in ihrer Aus einandersetzung mit Material und Ort, ohne Rücksicht auf das Bildermachen. Hier warf ich einfach einen faustgroßen Stein, so weit ich konnte, räumte alle Steine in diesem Umkreis fort, legte einen Haufen an, auf den ich mich stellte, und warf die Steine dann wieder in die Landschaft. Wie die Fotos erkennen lassen, habe ich tief in die Topografie eingegriffen. In der Mitte des Bildes kann man sehen, wo der Haufen war. Dort befindet sich nun eine Art abwe sender Körper. Die Streuung der Steine reichte nur so weit, wie ich werfen konnte. So hat die Einwirkung eines lebendigen, fühlenden Körpers auf andere Körper für eine Verschiebung im Raum gesorgt. Diese präsentiere ich Ihnen hier nur als Bild, für mich aber war es eine Erfahrung. Mich interessiert die Frage, wie die Aktion (Handlung) eines menschlichen Körpers potenziell andere Körper beeinflusst. Welche Art von Raum überträgt sie geistig, körperlich und schöpferisch auf andere? 8 Re-arranged Desert, 1979 Temporäre Installation Arizona, USA Wir müssen unser Umfeld überdenken, das gebaute wie das natürliche. Wir sind die ein zigen Lebewesen, die sich dazu entschlossen haben, in einem Umfeld zu leben, das ganz durch die euklidische Geometrie bestimmt wird. Aber um welchen Preis? Learning to Think (1991) wurde in einem ehemaligen Gefängnis in South Carolina instal liert. Eine Aufgabe von Skulptur ist es, die stillschweigende Voraussetzung der Dauer haftigkeit oder überhaupt des Gebrauchswertes der architektonischen Bedingungen zu durchbrechen, unter denen wir leben. Skulptur darf nicht länger bloß das Bekannte bekräftigen, sondern muss eine Brücke zum Unbekannten sein. Sie kann uns kein Iden titätsgefühl mehr geben, sondern muss über die Wertschätzung der Vergangenheit für mögliche zukünftige Welten offen sein. Dieses Werk hat, so könnte man sagen, zwei Sei ten. Einerseits erinnert es an die Lynchmorde, die das Leben in diesem Gefängnis und generell die Geschichte des frühen Amerika so sehr geprägt haben. Andererseits handelt es aber auch vom Potenzial gemeinsam geteilter Vorstellungskraft: jenem Bereich des Bewusstseins, der frei von der Befindlichkeit eines Körpers im Raum ist. Wir existieren im Raum, aber Raum existiert auch in uns. 14 Learning to Think, 1991 Blei, Fiberglas und Luft (insgesamt fünf »Körperformen«), jeweils 173 × 56 × 31 cm Installationsansicht, Old Jail, Charleston, USA Ich liebe Museen. Sie sind ganz besondere Orte, an denen Gedanke und Gegenstand auf interessante Weise zusammenkommen. Mir geht es darum, wie man die Dinge mit Ener gie auflädt. Museen können zu Katalogen von Objekten werden, die nur Beispiele einer Kultur abgeben, anstatt dynamisch und direkt in diese hineinzuwirken. In einem solchen Museum laufen die Gegenstände Gefahr, ihre phänomenologische Kraft zu verlieren. Die Vorstellung von einem Museum als einem Warenhaus von Beutegütern oder Schätzen ist wirklich sehr traurig. Jedes Objekt versucht, uns auf seine Weise etwas über unsere Geschichte und unseren menschlichen Schaffensdrang mitzuteilen. Für mich war es sehr wichtig, den Betrachter in der Eremitage auf die gleiche Ebene wie den Schöpfer zu stellen. Wir haben uns allzu sehr daran gewöhnt, Skulpturen auf einem erhöhten Podest zu sehen. Versucht ein Betrachter als heute lebendes Wesen, mit einem Objekt rund zweitausend Jahre nach dessen Entstehung in Beziehung zu treten, dann ist es ein guter Ausgangspunkt, wenn er ihm auf gleicher Höhe gegenübersteht wie der Bildhauer, als er es schuf. Still Standing, Ausstellungsansicht Eremitage, St. Petersburg, Russland September 2011 – Januar 2012 Folgende Doppelseite: Horizon Field (Detail), 2010 – 2012 100 lebensgroße, in massivem Eisen gegossene Figuren des menschlichen Körpers, verteilt auf ein 150 Quadratkilometer großes Gebiet Landschaftsinstallation in den Vorarlberger Alpen, Österreich Zu sehen ist eine weitere horizontale Ebene in der Kunsthalle zu Kiel, die aus ungefähr 40 000 handgeformten und gebrannten Lehmstücken bestand; eine Erde, die uns anblickte. Installiert war sie in der Sammlung der deutschen Romantik und Genremalerei. Sie nahm den Raum völlig in Beschlag, verwehrte uns den Zugang und beharrte darauf, dass die Zukunft der Natur in der menschlichen Vorstellungskraft liege. 70 European Field, 1993 Terrakotta, unterschiedliche Abmessungen, 40 000 Elemente, Höhe zwischen 8 und 26 cm Installationsansicht, Kunsthalle zu Kiel, 1997 Domain XX, 2001 4,76 mm starke Vierkant-Edelstahlstäbe, 188 × 67 × 36 cm Quantum Cloud XV, 2000 4,76 mm starke Vierkant-Edelstahlstäbe, 258 × 170 × 160 cm
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