Institut für Kreativitätserforschung in der Arbeits- und Bildungskultur Impulsvortrag „Der kreative Mensch” im Rahmen der Veranstaltung „Aus der Reihe“ – Arbeitskultur am 27. Juni 2015 Dr. Bärbel Kühne – es gilt das gesprochene Wort Liebe Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter. Gestern und heute haben wir – aus der Reihe – die Arbeitskultur auf ungewohnte Weise in den Blick genommen: Ihr alle habt euch auf etwas Neues eingelassen, neue Denkrichtungen erprobt, euer Können gezeigt, Freiräume erkannt – Das waren die drei Themenfelder, in denen unser Stop-and-go-Parcours zur Arbeitskultur in neun Stationen verlief. Zum einen ging es um die Kreativität im Kopf um das Erproben neuer Denkrichtungen, das Verändern von Rahmenbedingungen, die Verknüpfung unterschiedlicher Themenbereiche... (die kreativen Methoden im ersten Feld) Beim Können stand das Tun im Mittelpunkt etwas ausprobieren, sich der eigenen Stärken bewusst werden, etwas mit den Händen machen, andere Ausdrucksformen kennen lernen Der Freiraum eröffnete neue Welten – durch verbale und visuelle Inspirationen und Herausforderungen – etwas weniger ernsthaft sein, übertreiben, geistig und mit ganzem Körpereinsatz etwas wagen In all diesen Feldern ging es um Kreativität und um die Kultur unserer Arbeit. Was hat das beides nun miteinander zu tun? Dazu einige Überlegungen... Ihr alle kennt die Nadel im Heuhaufen – die bekannte Metapher für eine unlösbar scheinende Aufgabe, deren Wahrscheinlichkeit auf Erfolg – realistisch betrachtet – sehr gering ist. Eine Nadel im Heuhaufen zu finden ist keine wirklich kreative Aufgabe, kein künstlerisches Projekt oder wissenschaftliche Herausforderung, sondern ein mühevolles Unterfangen, dessen Ergebnis schon bekannt ist und das viel Aufwand und Durchhaltevermögen erfordert. Dr. Bärbel Kühne • Impulsvortrag „Der kreative Mensch” • 27. Juni 2015 [email protected] • re-found, GbR www.re-found.de Institut für Kreativitätserforschung in der Arbeits- und Bildungskultur Welche Wege sind denn denkbar, eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden? Diese Frage stelle ich manchmal in unseren Seminaren und habe mittlerweile schon eine beeindruckende Anzahl von Möglichkeiten zusammen: An erster Stelle natürlich der klassische Weg, der bekannte: man stürzt sich hinein in den Heuhaufen, wühlt darin herum und hofft auf den Zufall. Etwas weniger exponiert dagegen das Auseinandersortieren von Heuhalmen, bis man auf die Nadel stößt, eine sehr fleißige Angelegenheit mit nahezu sicherem Ergebnis. Oder wir kommen mit einer ganzen Gruppe und teilen den großen Heuhaufen auf in viele kleine. Wir sind schneller am Ziel, und der Spaßfaktor ist vermutlich ebenfalls größer. Als weitere Möglichkeiten kommen technische Hilfsmittel in Betracht. Der riesige Magnet könnte hilfreich sein oder sogar ein Ultraschall- oder Röntgengerät. Sehr umstritten die Idee, den Heuhaufen an eine Kuhherde zu verteilen. Das Tier mit Magenschmerzen grenzt die Suche zumindest ein. Eine weitere Suchrichtung bleibt eher bei der Natur und erstreckt sich auf die Elemente. Flutet man den Heuhaufen, sinkt die Nadel voraussichtlich nach unten, brennt man ihn ab, bleibt sie zurück, auch ein Fön wurde schon in Erwägung gezogen. An dieser Aufgabe und ihren vielfältigen Lösungen sind erste Merkmale von Kreativität ablesbar: • das Suchen und Finden als klassische Kernthemen des kreativen Prozesses • die denkbar unterschiedlichsten Wege auf dem Weg zu einer Lösung • die Eigenschaften, die es braucht, diese Wege zu erkennen und zu gehen: Problemsensibilität, Beharrlichkeit und analytisches Interesse, vielseitiges Wissen, Neugier, die Flüssigkeit im Denken und die Bereitschaft, neue, ungewohnte Bezüge herzustellen... Kreativität zeigt sich hier als Strategie, anstehende Aufgaben, welcher Art und Dimension auch immer, zu bewältigen. Man könnte die Aufgabe auch in einem größeren Kontext sehen. Brauche ich die Nadel überhaupt? Muss es gerade diese sein? Kann ich sie vielleicht durch etwas anderes ersetzen? Worum geht es eigentlich? Auch das ist kreativ: über den Tellerrand hinaus sehen und größere Zusammenhänge erkennen und herstellen. Und wer stellt überhaupt solche Aufgaben? Auch diese Überlegung gehört zur Kreativität und zeigt den Mut, etwas in Frage zu stellen. Aber was ist Kreativität überhaupt? Dr. Bärbel Kühne • Impulsvortrag „Der kreative Mensch” • 27. Juni 2015 [email protected] • re-found, GbR www.re-found.de Institut für Kreativitätserforschung in der Arbeits- und Bildungskultur Auch hier bemühen wir zunächst die Suchmaschine und erhalten aktuell ca. 15 Millionen Einträge und tausende von Definitionen – aus unterschiedlichen Fachgebieten heraus notiert... und es wird deutlich, dass Kreativität ein schillernder, vielschichtiger, auch inflationär genutzter Begriff ist. Es gibt also keine eindeutige Definition, aber eine eindeutige Herkunft. Der Begriff stammt aus der Theologie und bezeichnet ursprünglich den Schöpfergott, den Creator, der aus dem Nichts etwas Neues erschafft. Mit der Aufklärung wurde dieser Begriff auf Menschen übertragen, die herausragende Leistungen in Kunst, Kultur, später auch in Wirtschaft und Politik vorweisen konnten. Kreativität verwies auf eine besondere Genialität. Diese Vorstellung hat sich bis heute in unserem kollektiven Gedächtnis gehalten. Erfolgreiche Künstler und Wissenschaftler prägen unser Bild von kreativen Menschen und damit in gewisser Weise auch das Klischee vom einfallsreichen Exzentriker. Heute wissen wir jedoch: Alle Menschen haben die Anlage schöpferisch tätig zu sein. Jeder Mensch hat kreatives Potenzial. Diese Erkenntnis verdanken wir dem Psychologen und Intelligenzforscher Joy Paul Guilford, der vor mehr als 60 Jahren seine bahnbrechenden Überlegungen zur Kreativität vorstellte. Dies kam nicht von ungefähr und hatte politische Gründe. Die USA wollten angesichts der russischen Erfolge in der Raumfahrttechnik nicht ins Hintertreffen geraten und suchten nach Wegen, technologische Fortschritte zu beschleunigen. Recht bald erkannte man, dass dazu nicht nur Intelligenz gehört, die Kreativitätsforschung löste sich von der Intelligenzforschung und wurde eine eigenständige, finanziell ausgesprochen gut geförderte Disziplin. Schon früh gelang es, die kreative Persönlichkeit zu beschreiben. Ihre Kreativität messbar zu machen, entzieht sich der Forschung jedoch bis heute. Kreativität ist, wenn jemand aus etwas Normalem etwas Außergewöhnliches macht, das sagte eine Teilnehmerin. Dieses Außergewöhnliche wird als neu oder wertvoll erlebt. Die Bewertung – neu oder wertvoll – erfolgt durch den Vergleich zu etwas Bekanntem, Gewohntem und durch das Erkennen und Verstehen des in diesem Kontext Neuen, bis dahin vielleicht Unverständlichen. Van Gogh hat seine Bilder sicher als neu und wertvoll erlebt. Die Menschen seiner Zeit jedoch nicht. Das Verstehen des damals Neuen erfolgte erst sehr viel später durch die Betrachter einer anderen Zeit. Das heißt, es gibt auch keine absolut objektivierbaren Kriterien für die Qualität einer kreativen Lösung. Keiner kann sagen, das ist kreativ, und das nicht. Es gibt kein richtig oder falsch. Die Bewertung von kreativen Leistungen ist abhängig von Ort, Zeit, Umfeld, Vorwissen, Erwartungen und Einstellungen... Dr. Bärbel Kühne • Impulsvortrag „Der kreative Mensch” • 27. Juni 2015 [email protected] • re-found, GbR www.re-found.de Institut für Kreativitätserforschung in der Arbeits- und Bildungskultur Dabei ist für jeden Menschen in erster Linie das Erleben von Kreativität das Besondere. Das hat damit zu tun, dass Kreativität sowohl eine Außenperspektive als auch eine Innenperspektive mitbringt: Kreativität ist nicht nur im Ergebnis – in der gefundenen Nadel – sichtbar, sondern vollzieht sich auch im kreativen Erleben, als Erfahrung von erlebter Bedeutung. Als Flow wird das Gefühl der völligen Vertiefung und des Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet. Damit geht manchmal eine Selbstvergessenheit und Zeitvergessenheit einher, ein Zustand, der in der Literatur als harmonische Einheit von Körper und Geist beschrieben wird. Und das ist das wahrhaft Besondere kreativen Schaffens. Einen Flow erlebt man in den eigenen täglichen Arbeitsprozessen eher selten, was schade ist. Nach dem Kreativitätsforscher Mihály Csíkszentmihályi sollte es aber gar nicht so schwer sein, denn folgende Merkmale gelten u.a. als Voraussetzungen für die Freude an der eigenen Arbeit: • klare Zielsetzungen ohne Widersprüchlichkeiten und unklare Forderungen, aber mit großer innerer Akzeptanz gesetzte eigene (oder akzeptierte) Ziele, man weiß, was als Nächstes zu tun ist • eine volle Konzentration auf das eigene Tun (ohne Ablenkung) denn Handeln und Bewusstheit bilden eine Einheit • das Gefühl der vollständigen Beherrschung der Tätigkeit (ohne Versagensängste) man ist einfach zu beschäftigt, um über ein mögliches Scheitern nachzudenken • das Gleichgewicht von Anforderungen und Fähigkeiten Csíkszentmihályi nennt das die feine Balance zwischen Angst und Langeweile die eigenen Fähigkeiten und die zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander Das sollte doch eigentlich zu schaffen sein... In diesem Sinne komme ich zurück auf die Arbeit. Was macht gute Arbeit aus? Das habe ich euch gestern und heute in unserem workshop „Die Gedanken sind frei” gefragt. Und wir haben viel dazu diskutiert. Dabei ging es immer wieder um Wertschätzung, Respekt und Toleranz miteinander... Es ging um Glaubwürdigkeit und Transparenz, um gelebte Maßnahmen statt verordneter Maßnahmen... Ein offener zielgerichteter Umgang mit Mobbing wurde gefordert und mehr Fehlerakzeptanz, denn „wer keine Fehler macht, arbeitet nicht”... Es ging um das Gelingen von Kommunikation, zuhören können, echte Gespräche statt ‘Schein-Kommunikation’ Dr. Bärbel Kühne • Impulsvortrag „Der kreative Mensch” • 27. Juni 2015 [email protected] • re-found, GbR www.re-found.de Institut für Kreativitätserforschung in der Arbeits- und Bildungskultur um die Balance zwischen Überforderung und Unterforderung... und um die Sinnhaftigkeit im Tun. Man kann sich zur Kreativität entscheiden. Ein wichtiger Satz in der Psychologie – und in unserer Arbeitskultur. Ich möchte diesen Satz im Hinblick auf unsere Fragestellung gern ergänzen: Wir sollten uns zur Kreativität entscheiden, indem wir • uns selbst ein gewisses Maß an Kreativität erlauben • und uns ein Umfeld schaffen, das Kreativität zulässt. Denn es geht nicht nur darum, in unserer Arbeit gut zu sein sondern auch darum, gut zu sein. Abschließend zitiere ich nochmals Csíkszentmihályi: Kreative Menschen sind sehr unterschiedlich und kaum miteinander zu vergleichen. Aber eines ist ihnen allen gemein: Sie lieben ihre Arbeit. Und das wünsche ich euch auch... es braucht nur einen Funken... Dr. Bärbel Kühne • Impulsvortrag „Der kreative Mensch” • 27. Juni 2015 [email protected] • re-found, GbR www.re-found.de
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