Die Benchmarking-Falle

KW 15 / KW 16 2010
Die Benchmark-Falle
Wer sich immer nur an anderen orientiert und nichts Neues wagt, wird
niemals an die Spitze gelangen. Seien Sie lieber kreativ und originell!
Von Jens-Uwe Meyer
ric, ein zehnjähriger angehender Topmanager, wird
in der Schule beim Abschreiben erwischt. Entschuldigt er sich? Nein, denn: „Das
war kein Abschreiben", posaunt er heraus, „vielmehr ein
Heft übergreifendes Benchmarking, um die Wettbewerbsfähigkeit
meines
Deutsch-Aufsatzes zu erhöhen." Und ist es ihm
wenigstens peinlich?
Nein! Denn die Manager in den Unternehmen machen es genauso, wie Eric von
seinem Vater weiß.
Nur dass das Abschreiben bei ihnen
„Benchmarking"
heißt.
Ganze Heerscharen
von Managern haben
in
Business-Schulen
rund um die Welt die
Kunst des Abschreibens
gelernt. Mit fatalen Auswirkungen: Ganze Branchen stecken heute in der
Benchmark-Falle. Jeder schaut
auf die vermeintlich Besten und
kopiert sie. Ein Unternehmen
wagt etwas Neues, der Rest
schaut, ob es funktioniert. Und
kopiert es, wenn ja, hemmungslos. Die Folge: Produkte und Problemlösungen, die sich beinahe
wie ein Ei dem anderen gleichen.
E
Wenn jeder
nur noch beim
anderen abschaut,
bleiben Kreativität und
Innovation auf der Strecke
FOTO: GETTY/ JOHN LABBE
Benchmarking führt zu Einheitsbrei
Sie möchten Beispiele? Schalten
Sie Ihr Radio ein. Egal, welchen
privaten Sender Sie hören, ständig werden Ihnen die „Superhits
der 1980er und 1990er und das
Beste von heute" angepriesen.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Sie das annähernd
gleiche Programm von Garmisch bis Flensburg hören? Weil
alle Sender Benchmarking betreiben und auf die gleichen Erfolgsrezepte setzen.
Oder gehen Sie in den Supermarkt: Waschmittel Nummer
eins verspricht Ihnen die sauberste Sauberkeit, Waschmittel
Nummer zwei das weißeste
Weiß und Waschmittel Nummer
drei die farbigsten Farben. Dasselbe Phänomen in der Automobilbranche. Machen Sie einmal
folgenden Selbstversuch: Nehmen Sie einen Toyota Avensis,
kleben Sie ein Opel-Schild drauf
und fahren Sie durch die Stadt.
Wie lange dauert es, bis es jemandem auffällt, dass Sie keinen
Opel fahren? Wahrscheinlich eine Ewigkeit.
„Opel baut tolle Autos." Diesen Satz konnten Sie in den letzten Monaten immer wieder hören. Das stimmt auch. Genauso
tolle Autos wie die Konkurrenz.
Aber
welches
Opel-Modell
sticht aus der Masse heraus? Der
Corsa? Ist das nicht der Polo von
Opel? Der Insignia? Ist das nicht
ein Zwitter aus Audi und BMW?
Der Meriva? Ist das ...? Der Man-
ta und der Kapitän waren einzigartig. Doch dann kamen die
Benchmarker.
Sitzt Ihr Unternehmen in der
Benchmark-Falle? Haben Sie so
viel Benchmarking betrieben,
dass Ihnen die Kreativität und
Originalität abhanden ging?
Wenn Sie von den folgenden drei
Aussagen zwei bejahen, könnte
Ihr Betrieb tief in der Falle sitzen.
Wir schauen auf die Konkurrenz und reagieren auf das., was
dort passiert.
Wenn man die Feinheiten beiseite lässt, unterscheiden wir
uns kaum von unseren Mitbewerbern. Unsere Produkte werden häufig wie folgt beschrieben: „So wie das Produkt von ...,
nur
kleiner/größer/billiger/
schneller."
Ist Ihr Betrieb in der Falle?
Wenn ja: keine Panik! Denn das
Finden neuer Ideen kann ganz
einfach sein. Das zeigt das Beispiel von Thomas Edison, der
unter anderem die Glühbirne
und die Filmkamera erfand. All
seine Erfindungen waren Pionierleistungen - also das Gegenteil von Benchmarking.
Edison würde Ihnen als Unternehmensführer heute folgende
drei Empfehlungen geben:
Verhängen Sie ein Kopierverbot: Von Benchmarking-Fetischisten hört man oft Sätze wie:
„Selbst Thomas Edison hat von
anderen geklaut." Das stimmt!
Einer seiner berühmtesten Sätze
ist: „Die Idee muss nicht neu
sein. Sie muss nur neu in Bezug
auf das zu lösende Problem
sein." Edison saugte fremde Ideen wie ein Schwamm auf. Doch
er kopierte sie nicht einfach. So
stammte zum Beispiel zwar das
Konzept der Glühbirne vom
deutschen Auswanderer Heinrich Göbel. Doch Edison entwickelte daraus ein Gesamtsystem
- von der marktreifen Glühbirne
über die Leitungen bis hin zu den
Kraftwerken. Erlaubt ist: Ideen
aufsaugen und daraus einzigartige Lösungen entwickeln. Verboten ist: Ideen und Lösungen mit
marginalen Änderungen blind
kopieren.
Mut zum Ungewöhnlichen
Haben Sie den Mut zu Ungewöhnlichem: Wie erfindet man
Micky Maus? Walt Disney würde
antworten: mit Phantasie und visionärem Denken, mit Mut zum
Ungewöhnlichen und Pioniergeist. Und was würde ein Manager antworten? Durch einen exakt definierten Innovationsprozess. In vielen (Groß-)Unternehmen
kaschieren
heute
ausgefeilte Prozesse einen Mangel an Ideen. Und in ihrem Management herrscht vielfach das
Credo: Gute Ideen sind Zufall.
Dabei bewies Thomas Edison
schon vor über 100 Jahren: Neue
(Problemlösungs- und Produkt-)
Ideen kann man gezielt entwickeln - wenn man bereit ist, auch
mal ausgetretene (Denk-)Pfade
zu verlassen und mit ; System
sucht. Denn das Neue ist stets
ungewöhnlich und ungewohnt.
Erlauben Sie Fehler und ein
Scheitern: Lange und gründlich
analysieren, einmal probieren
und dann aufgeben. So kann man
die Innovationsstrategie vieler
Unternehmen beschreiben! Dass
das nicht funktioniert, war Edison klar. Er erhob das Fehler-Machen und Scheitern zum Prinzip.
Als ein Mitarbeiter nach dem
tausendsten
Versuch,
eine
marktreife Glühbirne zu entwickeln, sagte: „Wir sind gescheitert", erwiderte Edison: „Ich bin
nicht gescheitert. Ich kenne jetzt
1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut."
Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Ideeologen - Gesellschaftfür neue Ideen GmbH,
Baden-Baden. Der Autor des
Buchs „Das Edison-Prinzip:
Der genial einfach Weg zu
erfolgreichen Ideen" (www.edison-prinzip.de) hat an der
Handelshochschule Leipzig den
ersten Lehrauftrag in Deutschlandfür „Corporate Creativity":
www.ideeologen.de