„Ne bis in indem“ Übersetzung Referat Prof. Castaldo vom 03.07.2015: I. Regelung in § 649 der italienischen Strafprozessordnung 1. Der Angeklagte, der entweder mit einem Urteil oder einem gerichtlichen Dekret, das rechtskräftig geworden ist, freigesprochen oder verurteilt worden ist, kann wegen desselben Sachverhalts nicht einem neuen Verfahren unterstellt werden, auch dann nicht, wenn der Sachverhalt aufgrund der bezeichnung, wegen des Umstandes oder des Grades anders beurteilt wird, mit Ausnahme der regelung in Artikel 69 Absatz 2 und § 345 . 2. Wenn es dennoch zur Aufnahme eines neuen Strafverfahrens kommt, kann der Richter in jedem Verfahrensstadium ein das Verfahren auflösendes Urteil aussprechen, oder das Verfahren nicht fortführen, in dem er die Begründung in der Entscheidung ausführt. Art. 4 Protokoll Nr. 7 der europäischen Menschenrechtskonvention/ Grundrechte Das Prinzip, nach dem jemand mehrere Male für denselben Tatbestand verurteilt werden kann, hat zwei Aspekte: 1. Die Garantie für den Angeklagten ausgesetzt zu werden, bezüglich derselben Tat. 2. Die Garantie der Sicherheit der strafrechtlichen Verbindlichkeit von strafrichterlichen Entscheidungen. Rechtsprechung, dh die Im italienischen Strafrechtssystem ist das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 649 der Strafprozessordnung geregelt. Die wesentlichen Elemente des Doppelbestrafungsverbotes sind: Die Unwiderruflichkeit der Entscheidung, die einen bestimmten Sachverhalt festgestellt hat Die Identität zwischen dem festgestellten Sachverhalt und dem Sachverhalt der Gegenstand des neuen Strafverfahrens ist Die Unanfechtbarkeit ist eine Verfahrensvoraussetzung , die Entscheidung muss endgültig und unanfechtbar sein. Wenn man gleichwohl an die negativen Auswirkungen in persönlicher und sozialer Hinsicht denkt, die durch eine Einleitung eines Strafverfahrens ausgelöst werden, ist dies bereits als „Strafe“ für den Angeklagten anzusehen. Die Ratio des Doppelbestrafungsverbotes muss auch in widerruflichen Verfahrensabschnitten Anwendung finden, beispielsweise bei der Archivierung. Aber nach dem es sich nicht um endgültige Entscheidungen handelt, findet dort das Verbot „ne bis in idem“ keine Anwendung. Wie kann man also die Gefahr vermeiden, dass man in einem Strafverfahren für denselben Sachverhalt doppelt ausgesetzt wird? Es gibt andere Normen im Strafprozess, die diese negativen Wirkungen beschränken. So kann beispielsweise der Staatsanwalt, wenn die vorläufigen Untersuchungen wiederaufgenommen werden, nicht in eigener Autonomie handeln, sondern benötigt vielmehr die Ermächtigung des Richters, der die Erforderlichkeit von neuen Untersuchungshandlungen überprüfen muss. Im Bezug auf die Identität des Sachverhalts, setzt das Prinzip „ne bis in idem“ die Gleichheit zwischen den Tatsachenelementen voraus, d.h. das Verhalten, das Ereignis und den kausalen Zusammenhang, unter Berücksichtigung von Zeit, Ort und der Personvergl die Entscheidung des Kassationsgerichts grosser Senat 28.06.2005.Nummer 34655. Es gibt jedoch eine bedeutende Ausnahme: Wenn das Strafverfahren aufgrund des Todes des Angeklagten beendet wird und später festgestellt wird, dass der Tod des Angeklagten aufgrund eines Irrtums festgestellt wurde, kann das Strafverfahren, gegen den fälschlicherweise Totgeglaubten, wieder aufgenommen werden. Man hat sich sodann die Frage gestellt, was passiert, wenn es mehrere Täter einer Tat gibt aber das Verfahren nur gegen einen von ihnen durchgeführt und abgeschlossen wird. In diesem Fall findet das Verbot „ne bis in idem, im Bezug auf die anderen Täter, keine Anwendung, mit dem einzigen Ausnahmefall, wenn gegen den einzigen Angeklagten im Urteil festgestellt worden ist, dass diese Tat niemals von jemanden begangen wurde. Das Gesetz legt fest, dass das Verbot „ne bis in indem“ auch im folgenden Fall Anwendung findet: Der Sachverhalt der Tat wird später mit erschwerenden oder erleichternden Umständen festgestellt. In diesem Fall wird das Nomen Juris geändert, aber der Sachverhalt ist derselbe. Bezüglich der Voraussetzung „ derselbe Sachverhalt“ hat sich auch der europäische Gerichtshof geäußert. In der Sache Zolutkin gegen Russland aus dem Jahr 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass bei der Feststellung der Gleichheit des Sachverhalts es nicht nötig ist, die tatsächlichen typischen Fakten zu beurteilen, wie sie im Gesetz festgelegt sind. Das was zählt, um den Grundsatz „ ne bis in idem für verletzt zu halten, ist die materiell und die naturalistische Gleichheit des Sachverhalts. Das Prinzip „ne bis in indem“ findet auch in Italien, in Bezug auf die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen, Anwendung. Eine ausländische Entscheidung kann tatsächlich nicht anerkannt werden, wenn es sich um denselben Sachverhalt, im Bezug auf dieselbe Person, handelt, bezüglich dessen in Italien bereits eine unwiderrufliche Entscheidung ausgesprochen wurde. Kürzlich hat der europäische Gerichtshof in dem Verfahren Grande Stevens u.a. ./. Italien 18640/10 und andere am 04.03.2014 folgendes Rechtsprinzip festgestellt: Nachdem unwiderrufliche verwaltungsrechtliche Sanktionen wegen der Verletzung des Wettbewerbsverbots durch die Wettbewerbsbehörde rechtskräftig verhängt wurden, verletzt die Einleitung eines Strafverfahrens bezüglich desselben Sachverhalts das Prinzip „ne bis in idem“. Der Fall, den der europäische Gerichtshof entschieden hat, hatte zum Gegenstand die Angelegenheit, dass Wettbewerber durch sehr schwerwiegende verwaltungsrechtliche Entscheidungen durch die Behörde zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb verurteilt (aren ( Verhängung des Verbotes, in Vertretungsgremien einer Gesellschaft mit dem Gesellschaftszweck Finanzinvestitionen berufen werden zu können , wegen marktmissbräuchlichen Verhaltens). Die Akten wurden der Staatsanwaltschaft übergeben, die ein Strafverfahren einleitete. Dieses doppelte Verfahren wegen derselben Verletzungshandlung hat die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs veranlasst. Näher dargelegt : der Gerichtshof hat festgestellt, dass eine Identität bezüglich der Tatbestandsmässigkeit, in Bezug auf das Rechtsgut -Transparenz des Marktes- und der verfolgten Verletzungshandlung ( Unterdrückung des Marktmissbrauchs) vorliegt. Bei dem Vergleich zwischen der öffentlich rechtlichen Regelung und dem strafrechtlichen Tatbestand wurde ein Verstoß gegen das Prinzip „ne bis in indem“ nach Art. 4 des Protokolls 7 der europäischen Menschensrechtscarta festgestellt. Darüber hinaus hat das Urteil in dem Verfahren Grande Stevens festgestellt, dass zwei Verfahren existieren, nämlich ein öffentlich- rechtliche und ein strafrechtliches Verfahren, die auf die Sanktionierung desselben Sachverhaltes gerichtet sind und daher diese Verfahrensweise im Widerspruch zu dem Prinzip „ne bis in indem“ steht. Die Anwendung des Prinzips „ne bis in idem“, im Bezug auf Verwaltungssanktionen, ist aber keine allgemeine Regelung. Der Gerichtshof hat präzisiert, dass das Prinzip nur dann Anwendung findet, wenn die Verwaltungsmaßnahmen besonders schwerwiegend ist und es sich um eine endgültige Entscheidung handelt. Um zu prüfen wie schwerwiegend eine Sanktion ist, hat der Gerichtshof ein besonders bedeutendes und nicht formales Kriterium entwickelt. Die Natur einer Sanktion, die in den nationalen Ordnungen festgelegt ist, muss in Bezug auf die negativen Auswirkungen im konkreten Fall beurteilt werden und darf nicht auf der Grundlage der rechtlichen Definition angewendet werden. Um die Natur der Sanktion festzustellen, sind die sogenannten Kriterien von Engels. Die Qualifikation der Verletzungshandlung , die Natur des verstosses und das Gewicht der angedrohten Sanktion… Am 8. Juli 2014 wurde die Entscheidung Grande Stevens rechtskräftig, im Hinblick auf das italienische Verfahren, da der Antrag auf Vorlage an den großen Senat, zurückgewiesen wurde. Hinsichtlich der Folgen, die diese Entscheidung in Italien hatte, sind zwei Entscheidungen zu erwähnen, die dieselbe Problematik betreffen : I: LG Bologna : 1. Das Landgericht Bologna (Entscheidung vom 21.04.2015, Richter Dr. Ceni) hat die Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit, im Bezug auf § 649 des italienischen Strafgesetzbuches, ne bis in idem - in einem Fall aufgeworfen,, in dem Steuerschulden nicht bezahlt wurden. In der Folge dieser Verfehlung wurden zwei Verfahren eingeleitet : ein Steuerverfahren und ein Strafverfahren . 2. Der Angeklagte hat während dem Strafprozess sich damit verteidigt, dass ihm bereits steuerliche Sanktionen auferlegt wurden und dass er diese auch bezahlt hätte. Aufgrund der Zahlung wurde die festgesetzte Steuersumme überschritten. II. LG Turin Die Entscheidung des Landgerichts Turin (4. Abteilung, Entscheidung vom 27.10.2014, Richter Dr. Pio) befasste sich mit der Frage zweier Arten von Rechtsverstössen und Sanktionen, bezüglich desselben Sachverhalts (im Bezug auf steuerrechtliche Probleme): Eine Auflage zur Geldzahlung für den verwaltungsrechtlichen Verstoß und eine Gefängnisstrafe in der Folge der Straftat (Gefängnisstrafe von 6 Monaten bis zu 2 Jahren). Das Landgericht Turin hat sich nicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung angeschlossen, die bis dahin der Auffassung war, dass im Steuerrecht das Prinzip „ne bis in idem“ keine Anwendung findet. Das Landgericht Turin hat vielmehr das Verfahren dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt und um Klärung der Fragen ersucht, ob das Prinzip „ne bis in idem“ nicht doch vorliegend Anwendung findet. Am 15. April 2015 hat der EUGH sich, in Bezug auf die Beantwortung dieser Frage, für unzuständig erklärt, mit der Begründung, dass es sich ausschließlich um die Beantwortung von der Auslegung von italienischen Vorschriften handelt und kein Bezug zum Unionsrecht vorliegen würde. Der einzig verbleibende Weg Verfassungsgericht einzuholen. ist daher eine Entscheidung durch das Es ist jedoch offensichtlich, dass das Urteil Grande Stevens einen bedeutenden Einfluss auf die Anwendung des italienischen Strafrechts, im Bezug auf das Prinzip „ne bis in idem“, hat. Insbesondere im Bezug auf das Steuerrecht stellt sich die Rechtsprechung immer häufiger die Frage, bezüglich der Erforderlichkeit der Beibehaltung einer doppelten Sanktionierung, nämlich der strafrechtlichen und der verwaltungsrechtlichen Sanktionierung. Um diese Frage zu beantworten, muss festgestellt werden, ob die verwaltungsrechtlichen Ahndungen und die strafrechtliche Ahndung denselben materiellen Gegenstand haben und ob die Sanktionen das gleiche Gewicht haben. Abschließend will ich noch zwei praktische Beispiele einer italienischen Entscheidung einbringen. 1. Kassationsgericht, Sektion 2, 01.03.2013 und vom 19.06.2013 In dem Bezugsfall wurde eine Person wegen Drogenverkauf endgültig verurteilt. Es wurde ein neues Strafverfahren, unter Anwendung des Straftatbestandes der kriminellen mafiösen Vereinigung, eingeleitet. Dieser Fall ist von besonderem Interesse, da der Beweis, im Bezug auf die Mitgliedschaft in der mafiösen Vereinigung, durch die Bezugnahme auf die wegen Drogenverkauf rechtskräftige Entscheidung hergestellt wird. Der Angeklagte verteidigte sich im zweiten Verfahren mit dem Argument, dass das Prinzip des Verbots „ne bis in idem“ Anwendung finden müsste, da er bereits wegen desselben Sachverhalts verurteilt worden sei. Das Kassationsgericht hat indessen folgendes Prinzip entwickelt: Die Existenz einer rechtkräftigen Entscheidung hat bestimmten Tatbestände festgestellt und hindert den Richter nicht, denselben Tatbestand als Beweis für die Existenz eines anderen Verbrechenstatbestandes heranzuziehen, der durch denselben Täter erfüllt wurde. 2. Kassationsgericht, Sektion IV, 08.05.1987, 23.01.1988 In dem Bezugsfall wurde der Angeklagte, im Bezug auf Körperverletzung, freigesprochen. In der Folge des Amnestieverfahrens verstarb die Verletzte Person an den Folgen der Verletzungen. Der Angeklagte wurde daher zu einem neuen Strafverfahren wegen Todschlags angeklagt. Der Angeklagte verteidigte sich auch hier mit der Anwendung des Prinzips „ ne bis in idem“. Das Kassationsgericht hat jedoch festgestellt, dass ein neues Verfahren eingeleitet werden kann, wenn die Tatsachen nicht identisch sind. Im Bezugsverfahren findet sich der Unterschied zwischen den Tatsachen, dass im ersten Verfahren der Tod des Opfers, im Bezug auf die schweren Verletzungshandlungen, nicht überprüft wurde. Andrea Castaldo
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