Vom Wünschen Predigt mit Texten von Andrea Schwarz (Matthäus 7

Vom Wünschen
Predigt mit Texten von Andrea Schwarz
(Matthäus 7, 7-11)
Heute ist nun also der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag, ein
staatlich angeordneter und überkonfessioneller Feiertag, der von allen
christlichen Kirchen und der isrealitischen Kultusgemeinde gefeiert wird.
Buss-und Bettage haben in der Schweiz seit dem Spätmittelalter
Tradition. In Notzeiten wurden öffentliche Fastenwochen oder
Fastenmonate von den Behörden vorgeschrieben. 1572 wurde in Zürich
nach der Bartholomäusnacht für die verfolgten Hugenotten gebetet. 1639,
nach mehreren Seucheepidemien während des Dreissigjährigen Krieges
wurde in St-Gallen zum ersten Mal ein Buss-und Bettag durchgeführt.
Was damals offensichtlich schien : an einem besonderen Tag im Jahr zu
danken, zu beten und zu fasten, erscheint heute merkwürdig, um nicht zu
sagen ganz einfach veraltet.
Wer sagt heute noch : Ich gehe mal schnell in den Gottesdienst um Busse
zu tun und zu danken ? Selbst regelmässige Gottesdienstbesucher sagen
das eher selten !
Busse tun, fasten, danken – ich glaube das hat grundsätzlich damit zu tun,
zu wissen, wo man genau in seinem Leben steht.
Wie sieht mein Leben heute, am 20. September 2015 aus ? Fühlt sich mein
Leben gut an ? Habe ich den Eindruck auf dem richtigen Weg zu sein ?
Und « gut anfühlen » und « richtiger Weg » will nicht unbedingt heissen
« angenehm ». Ist das so stimmig momentan ?
Wie sieht unsere Gesellschaft aus ? Unsere Welt ? Verändert mein Leben
etwas in meinem Umfeld ?
Busse tun, fasten, danken - das hat auch mit Veränderungen zu tun. Ich
stelle mich heute an diesem Bettag vor Gott, so wie ich bin. Wir sind alle
grossartig, weil wir Geschöpfe Gottes sind. Wir sind aber auch begrenzt.
Und wir wissen das auch. Aber erst wenn wir uns das auch eingestehen,
kann unser Innerstes sich verändern.
Wenn wir an dieser Stelle angelangt sind – nach dem Innehalten und dem
Bewusstwerden unserer Situation – dann kommt die dritte Phase des
Bussetun, Fasten und Dankens : Das Wünschen.
In seinem Buch « Gelassen älter werden » unterstreicht Anselm Grün die
Notwendigkeit, das Wünschen nicht zu verlernen. Aeltere Menschen wagen
es oft nicht mehr, Neues zu versuchen. Wenn man den Hunger nach den
Wünschen verlernt hat, dann gilt nur noch das, was ist. Aber auch mit dem
Gewohnten ist man oft nicht zufrieden. Man richtet sich lieber in dem
Alten ein, mit dem man unzufrieden ist, als sich auf Neues einzulassen. Es
könnte ja noch schlimmer kommen.
Andrea Schwarz, eine christliche Schriftstellerin, hat, wie ich finde,
wunderschöne Gedanken zu dem Thema « Von der Kraft des Wünschens »
geschrieben, die einen Grossteil meiner heutigen Predigt ausmachen sollen.
Meine Predigt schliesse ich dann mit einigen offenen Fragen, damit wir
auch alle Lust auf’s Wünschen bekommen.
Andrea Schwarz schreibt :
« Wenn Menschen vom Dunkel umfangen sind, scheinen sie oft kraft-und
antriebslos zu sein. Meist aber täuscht dieser Eindruck. Selbst im
grössten Unglück, in tiefster Dunkelheit, haben Menschen in aller Regel
noch ein Bild, eine Ahnung davon, wie es denn sein könnte, wenn es all diese
Leid nicht mehr gäbe. Wenn sich ein solches Ahnen auch vielleicht nur in
der resignativen Aussage « Wenn doch nur erst alles vorbei wäre ! »
zeigen mag – trotzdem. Es gibt noch eine Vorstellung davon, wie es denn
über den jetzigen Zustand hinaus noch sein könnte. Wirklich resigniert hat
erst der, der keine Wünsche mehr hat.
Aber so einfach ist das manchmal mit dem Wünschen gar nicht. Davon
weiss schon ein altes Märchen zu erzählen : Da kommt überraschend eine
Fee zu einem älteren Ehepaar und eröffnet ihnen, dass sie drei Wünsche
frei hätten. Sehr spontan sagt die Frau den Gedanken, den sie gerade im
Kopf hatte, bevor die Fee kam : « Ach, ich hätte so gerne eine Bratwurst
mit Kartoffelstock! », und, kaum hast du dich versehen, steht auch schon
ein Teller mit der Wurst und dem Kartoffelstock vor ihr.
Der Mann, wütend darüber, wie die Frau den ersten Wunsch regelrecht
verschleudert hat, sagt zornig und wohl etwas unüberlegt : « Ach, würde
doch die Wurst an deiner Nase hängen ! » - und kaum ausgesprochen,
hängt die Wurst auch schon tatsächlich an der Nase seiner Frau. Den
beiden bleibt nichts anderes übrg, als den dritten Wunsch dafür
einzusetzen, die Wurst von der Nase wieder wegzuzaubern – und so haben
sie ihre drei Wünsche leichtfertig vertan.
Dies ist eine Botschaft dieser und vieler anderer Märchen : Da kommt
jemand, mitten in den Alltag hinein, und sagt : Du hast drei Wünsche frei.
Gelegentlich brauche ich einen Anstoss, den « Kick » von aussen, um mich
überhaupt erst wieder auf die Kraft des Wünschens zurückzubesinnen.
Richtig wünschen zu können aber ist eine Kunst, die wir Erwachsenen oft
verlernt haben. Und es würde sich lohnen, hier wieder einmal bei den
Kindern in die Lehre zu gehen. Die können das noch : kraftvoll wünschen
und sehnsüchtig hoffen, dass der Wunsch in Erfüllung geht. Wir Grossen
haben uns manchmal schon so mit dem Alltag und seinen Gegebenheiten
arrangiert, dass wir gar nicht mehr auf die Idee kommen, uns noch etwas
zu wünschen.
Man darf sich etwas wünschen – das ist zutiefst christlich und menschlich.
Aber, und auch dies ist eine Botschaft dieses Märchens : Es gibt solche
und solche Wünsche. Natürlich kann ich mir das Feuerzeug, das Buch, den
Pullover wünschen, und möglicherweise liegt das dann auch auf dem
Gabentisch – aber brauche ich das wirklich ? Oder bleibt nicht doch trotz
vieler Geschenke und erfüllter Wünsche manchmal eine seltsame Leere
zurück ? Stillt das Gewünschte meine Sehnsucht ? Die Frau und der Mann
in dem Märchen geben ihren spontanen Bedürfnissen nach, als die Fee sie
nach ihren Wünschen fragt – sehr zufrieden dürften sie selbst mit der
Erfüllung dieser Wünsche im Nachhiniein nicht gewesen sein.
Sich etwas zu wünschen, das ist mehr als nur etwas zu benennen, was ich
geschenkt bekommen möchte, das ist mehr als ein momentanes Bedürfnis
zu stillen. Kraftvolle Wünsche kommen aus der Tiefe und entspringen
einer Sehnsucht, die zugleich das Bild einer anderen Wirklichkeit zeigt.
Wenn ich solche Wünsche bei mir entdecken will, dann muss ich zunächst
einmal auf mein Leben genauer hinschauen. Da gibt es Dunkelheiten, da
sind Träume und Leere, da ist Gebrochenheit, nicht gelebtes Leben. Indem
ich mich diesen Dunkelheiten stelle, kann mir bewusst werden, unter
welchem Mangel ich eigentlich wirklich leide : ein Mangel an Beziehung und
Freundschaft, ein Mangel an Sinnerfüllung, ein Mangel an Möglichkeiten,
mir selbst zu begegnen, ein Mangel an Gott, ein Mangel an Lebendigkeit.
Aus einem solchen Ahnen oder Wissen um das Dunkel in mir wird dann die
Sehnsucht wachsen, eine tiefe Sehnsucht, die mich unruhig macht und
umhertreibt. Ich habe Sehnsucht, ja ich bin Sehnsucht – das ist
Wünschen.
Meine Sehnsucht malt Bilder einer anderen Wirklichkeit. Ich stelle mir
vor, wie es denn besser, schöner, lebendiger sein könnte – und bringe dies
durch meinen Wunsch in Worte. Jeder Wunsch erzählt damit gleichzeitig
vom Dunkel in mir, von der daraus erwachenden Sehnsucht und von einer
anderen Wirklichkeit – und in dieser Spannung zwischen Realität und
Vision kann das Leben wachsen.
Solche Wünsche sind kraftvoll, sie erzeugen in mir selbst Energie, weil sie
sozusagen mit « Sehnsucht aufgeladen » sind. Sie wirken auf mich selbst
zurück, weil ich mich meinem Dunkel stelle, micht mit der Realität allein
nicht abfinden kann. Bereits das verändert mich.
In mir selbst ensteht ein neues Bild einer anderen Wirklichkeit. Ein
solches Bild kann mir dabei helfen, die eigenen Schritte an diesem Ziel
auszurichten – ich ahne, wo ich hin möchte, und deshalb lässt sich
beurteilen, ob ein bestimmter Schritt, eine Handlung, eine Entscheidung
zielfördernd oder zielhemmend ist.
Wünsche, die einer tiefen Sehnsucht entspringen, tragen Kraft in sich –
und vielleicht ist gerade deshalb in vielen Märchen die Zahl der Wünsche
auf drei begrenzt : Es gilt, die Kräfte zu zentrieren, sich nicht zu
verzetteln, Ordnung in meine Wünsche zu bringen.
Diese Kraft, die in mir liegt, kann ich leichtsinnig vertun. Indem ich meinen
spontanen Bedürfnissen nachgebe, ohne dabei auf meine Situation und das,
was ich wirklich brauche, hinzuschauen. Ich kann diese Energie aber auch
kraftvoll einsetzen, indem ich das Dunkel in mir annehme, die Sehnsucht
wachsen lasse und mit ganzem Herzen und voller Leidenschaft meinen
Wünschen einen Namen gebe – und meine Schritte, mein Handel genau
daran ausrichte ».
So die Gedanken von Andrea Schwarz.
« Bittet, so wird euch gegeben ».
Wenn Sie heute drei Wünsche hätten, was würden Sie sich wünschen ?
Für Sie ganz persönlich ? Aber auch für unsere Kirchgemeinde ?
Der Synodalrat unserer Kirche hat sich auch etwas gewünscht in diesen
Tagen. Freitag vor einer Woche hat der Synodalrat der EERV geschrieben,
dass die leerstehenden Pfarrhäuser den Migranten, die Terrorismus und
Krieg fliehen, provisorisch zur Verfügung gestellt werden sollten. Jede
Kirchgemeinde sollte sich auch überlegen, was sie konkret tun könne, um
den Exilierten das Einfinden und die Eingliederung in unsere Gesellschaft
zu erleichtern. Asylfragen sollten ausserdem regelmässig in Predigt und
Erwachsenenbildung angesprochen werden.
Wir haben es gehört. Es gibt kurzfristige Wünsche nach Bratwurst und
Kartoffelstock. Es gibt längerfristige Wünsche, die mit Sehnsucht und
Lebendigkeit zu tun haben.
Was hätten wir gerne schöner, besser, lebendiger ?
Wir wollen darüber nachdenken während des Orgelspiels und die Worte
von Christa Spilling-Nöker in uns nachwirken lassen :
« Könnte ja sein,
dass noch nicht alle Hoffnungen ausgeträumt sind,
und der Frühling doch wieder das brachliegende Land durchbricht ;
könnte ja sein,
dass die Zukunft doch noch
dann und wann eine Ueberraschung für dich bereithält,
und das Leben nach der langen Nacht
dich dir selbst verwandelt zurückgibt.
Könnte ja sein ! ».
Amen.