Ohne Pilze geht auf unserem Planeten gar nichts. Sie leben in

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Pilze Natur
Ohne Pilze geht auf unserem Planeten gar nichts. Sie leben
in enger Symbiose mit fast allen Pflanzen. Ohne sie und
ihr weltweites Netz aus feinsten Wurzeln würde unser Ökosystem
zusammenbrechen, unzählige Arten wären vom Aussterben
bedroht – wir Menschen wohl auch. Text Andreas Krebs
Das Gehirn der Welt
Foto: waldhaeusl.com
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Pilze Natur
F
Pilzglossar
Fruchtkörper: Sie sind die Fortpflanzungsorgane mehrzelliger Pilze, und sie sind
äusserst potent. Der Echte Zunderschwamm zum Beispiel bildet in seiner
aktivsten Phase pro Quadratzentimeter
­Sporen bildender Schicht etwa 239 Millionen
Sporen. Und das stündlich!
Hyphen (griechisch für Gewebe):
Das Wort bezeichnet die unterirdischen,
fadenförmigen Zellen der Pilze, auch Pilzfädelchen genannt. Sie sind mit 2 bis
100 Mikrometer unvorstellbar dünn und
mitunter Hunderte Kilometer lang.
Zum Vergleich: Die dünnsten Pilzfäden sind
40 Mal dünner als ein Menschenhaar.
Myzel, Myzelien: die Gesamtheit aller
Hyphen. Sie machen Pilze zu den grössten
Lebewesen der Erde.
Mykorrhiza (altgriechisch für mýkēs‚
«Pilz» sowie rhiza‚ «Wurzel»): Die Symbiose von Pilzen und Pflanzen, bei der
ein Pilz mit dem Feinwurzelsystem einer
Pflanze in Kontakt ist.
ast alle Pflanzen dieser Welt leben
Ein Kubikzentimeter Erdboden kann
in enger Verbindung mit Pilzen. Es mehr als zehn Kilometer hauchdünne
ist diese symbiotische Verbindung, ­Pilzfäden enthalten. Es ist ein unvorstellwelche die Mykologin Martina Peter von bar komplexes Geflecht – ähnlich demjeder Eidgenössischen Forschungsanstalt nigen der Neuronen im menschlichen Gefür Wald, Schnee und Landschaft WSL be- hirn. Gemäss Ethnobotaniker Wolf-Dieter
sonders fasziniert. «Pilze haben eine sehr Storl regeln Pilze den Informationsfluss
wichtige Rolle im Nährstoffkreislauf eines zwischen den Pflanzen und dem ganzen
Ökosystems», erklärt sie. «Die Wurzeln Ökosystem. «In diesem Sinne bilden sie
fast aller Pflanzen der Erde stehen an ih- tatsächlich so etwas wie das Hirn der Veren feinsten Enden, den Feinwurzeln, mit getation», schreibt Storl in seinem Buch
Pilzen in engem Kontakt. Dieses ‹Organ› «Pflanzendevas». Aber auch Wurzeln an
nennt man Mykorrhiza. Dort findet der für sich seien Ausdruck einer vegetativen
beide lebenswichtige Nährstoffaustausch ­Intelligenz. «Mittels unzählbarer, ständig
zwischen Pflanze und Pilz statt.» Bei die- sich neu bildender Haarwurzeln durch­
ser innigen Verbindung zwischen Pilzen tasten Pflanzen wahrnehmend den Erd­
und Pflanzenwurzeln handelt es sich um boden», sagt Storl. «Sie spüren Spuren­
eine der am weitesten verbreiteten und elemente, Wassermoleküle und andere
wohl auch wichtigsten Symbiosen im physio-chemische Informationen auf.
Pflanzenreich. Die nur 2 bis 100 Mikrome- Diese Wurzelenergien wurden von Hell­
ter dicken Hyphen (siehe Pilzglossar) sehern als Heinzelmännchen und Gnodringen dabei in die Wurzelzellen der men wahrgenommen. In den Märchen
Pflanze ein oder umhüllen die Wurzeln werden diese Wichtel auch als entspreund schieben sich zwischen die Zellen.
chend klug, aufmerksam und weise dargestellt.»
Gigantisch und mächtig
Ein einziger Baum kann mit bis zu hun- Auf Leben und Tod
dert verschiedenen Mykorrhizapilzarten Myzelien durchdringen alle Landschaften.
vergesellschaftet sein und innerhalb der- Sie erzeugen Humus und schützen die
selben Art mit verschiedenen Individuen. ­Böden vor Erosion. Die Pilze versorgen
Die Pflanze bildet dann keine eigenen Pflanzen direkt mit Wasser, Phosphat,
Wurzelhaare mehr aus, weil deren Funk- Stickstoff und anderen Mineralien wie
tion komplett und wesentlich effizienter Mangan, Kupfer und Zink. Und sie ver­
von den Pilzhyphen übernommen wird. hindern das Eindringen schädlicher Pilze
Die Hyphen sind viel dünner als die feins- und Fadenwürmer in die mit ihnen ver­
ten Wurzelspitzen und -haare der Pflanzen gesellschafteten Pflanzen. Das macht letzund erreichen so Nährstoffe und Wasser tere robuster und auch resistenter gegen
aus kleinsten Poren im Boden; zudem Trockenheit. Im Gegenzug liefert die
durchwächst das Myzel des Pilzes ein viel Pflanze dem Pilz Kohlenhydrate, die er
grösseres Bodenvolumen als die Wurzeln ­selber nicht bilden kann.
des Baumes. So bedeckt, wie Biologen der
Erste fossile Belege für die Mykorrhiza
WSL festgestellt haben, ein im Schweizer finden sich bereits aus dem Devon vor
Nationalpark lebendes Exemplar der Pilz- rund 400 Millionen Jahren. Derzeit wissen
sorte Dunkler Hallimasch eine Fläche von Biologen von etwa 90 Prozent der Pflanrund 35 Hektaren. Der in der Nähe des zen und etwa 6000 Pilzarten, dass sie zur
Ofenpasses entdeckte Pilz ist mehr als Mykorrhizabildung fähig sind. Manche
1000 Jahre alt und vermutlich der grösste Pilzgattungen wie zum Beispiel Trüffel,
Europas. In den USA indes gibt es noch Täublinge, Röhrlinge und Milchlinge lemächtigere Exemplare. In den Wäldern ben ausschliesslich symbiotisch und bilden
von Oregon etwa lebt ein Dunkler Halli- nur bei der Vergesellschaftung mit «ihrer»
masch, der sich über eine Fläche von neun Pflanze Fruchtkörper.
Auch viele Pflanzen sind dringend auf
Quadratkilometern ausbreitet und schätzungsweise 600 Tonnen wiegt. Damit sind einen bestimmten Pilz angewiesen. Ein
Pilze die mit Abstand grössten Lebewesen klassisches Beispiel dafür sind mykoheterotrophe Orchideen, die kein oder nur weauf Erden.
nig Blattgrün ausbilden und deshalb – wie
Pilze – keine Foto­synthese machen
­können. Zu ihnen gehören die Nestwurz,
Das grösste Lebewesen der Welt:
der dunkle Hallimasch.
der Widerbart oder die Korallenwurz.
Foto: blickwinkel/D. u. M. Sheldon
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mit Bakterien zersetzen sie nahezu alles:
Zellulose und Lignin, Lebensmittel, Haut,
Mauerwerk, Treibstoff, Horn, Wolle und
Leder. Sogar die Isolation von Kabeln und
auch CDs werden unter geeigneten Bedingungen von Pilzen abgebaut.
Der amerikanische Mykologe Paul
­Stamets untersucht seit Jahrzehnten, welDie Apotheke des Waldes
che Rolle Pilze bei der Wiederherstellung
Die Fähigkeit zur Symbiose ist also von der Umwelt spielen. Auch er hält Myzegrösster Wichtigkeit für das Ökosystem. lien für so etwas wie das neurologische
Doch Pilze haben noch mehr wichtige Netzwerk des Planeten. «Sie stehen in
­Eigenschaften. Als sogenannte Destruen- ständiger biomolekularer Kommunikaten spielen sie eine zentrale Rolle beim tion mit ihrem Ökosystem. Bei GiftvorAbbau von organischem Material, der kommen erzeugt das Myzelium eine Art
Stoffumwandlung und der Aufrechterhal- Antibiotikum und überträgt dieses auf das
tung des Nährstoffkreislaufs. Zusammen gesamte Netzwerk», schreibt Stamets
«Diese Orchideen leben nur, weil sie einen
Mykorrhizapilz an den Wurzeln haben»,
erläutert die Pilzforscherin Martina Peter.
«Der Pilz nimmt neben Nährstoffen aus
dem Boden auch Zucker einer nebenstehenden Grünpflanze auf und gibt ihn an
die Orchideen weiter.»
Gaia und das Nervensystem des Menschen – eine Analogie
D
ie Erdkugel ist kein gigantischer toter
Felsbrocken, der von lebenden Organismen bevölkert wird. Der ganze Planet
selbst ist vielmehr ein riesiger lebender
Organismus.» Das ist die zentrale Botschaft
der Gaia-Hypothese, entwickelt Mitte der
1960er-Jahre von der Mikrobio­login Lynn
Margulis und dem Chemiker, Biophysiker
und Mediziner James Lovelock.
Die Parallelen zum Menschen sind
frappant. Auch wir sind ein Organismus,
kleiner als die Erde zwar, beherbergen
aber gigantische Mengen unsichtbarer
Geschöpfe. Auf jede einzelne Menschenzelle kommen zehn Fremdlinge, Bakterien,
Einzeller, Pilze.
Pilze durchziehen weitflächig die Erde,
ähnlich wie das Nervensystem den menschlichen Körper. Sie bilden ein Kommunikationsnetzwerk, ein hochkomplexes
Informationssystem.
Pilze und der Mensch
Doch das ist noch lange nicht alles. Auch
der Mensch ist von Pilzen umgeben, durchdrungen und von ihnen abhängig. Wir
schlafen mit Pilzen, die auf unseren Hautschüppchen wachsen und Hausstaub­
milben als Nahrung dienen. Andere Pilze
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Foto: J.Mallwitz/Wildlife
wiederum bauen die Hornhaut an unseren
Füssen ab. Pilze sind unsere ständigen
Begleiter, von der Wiege bis ins Grab.
Bäcker, Bierbrauer und Winzer sind auf
Hefen der Gattung Saccharomyces angewiesen. Auch die Produktion von Käse,
Kefir oder Sojasauce wäre ohne Pilze undenkbar. Die Enzyme des Schimmelpilzes
Trichoderma reesei werden industriell in
der Papier- und Textilindustrie sowie zur
Herstellung von Bioethanol verwendet. Zwei
weitere Schimmelpilz-Spezies, Trichoderma
atroviridis und Trichoderma virens, sind aus
dem Pflanzenschutz bekannt. Aber, und das
ist höchst erstaunlich: Die drei Arten sind
evolutionsbiologisch voneinander weiter ­entfernt als wir von Fischen und Vögeln.
Nicht alle Pilze, die der Mensch in und
auf seinem Körper beherbergt, leben in
symbiotischem Frieden mit uns. Pilzinfek­
tionen reichen vom lästigen, aber relativ
harmlosen Fusspilz (Tinea pedis) bis hin zur
tödlichen Lungenentzündung durch
Pneumocystis jirovecii. Den Pilzen verdanken wir aber auch das Penicilin und andere
Antibiotika. Und natürlich PsychedelicRock Bands wie Grateful Dead, Guru Guru,
Jefferson Airplane und die berühmtesten
Pilzköpfe der Rockgeschichte, die Beatles.
«Pilze verkörpern
das Nervensystem des
Erdorganismus.»
Rudolf Steiner
in seinem Buch «Mycelium Running».
­Stamets bezeichnet das Myzel auch als
«natürliches Internet der Erde».
Pilze können zur Sanierung von Böden
und Sedimenten dienen, die mit Erdölprodukten, Pestiziden, Alkaloiden, Quecksilber, polychlorierten Biphenylen (PCBs)
und sogar Kolibakterien verseucht sind.
Stamets hat dafür den Begriff Mykoremediation geprägt. Die Myzelien sind laut
Stamets imstande, die Umweltgifte zu absorbieren und in nichttoxische Bestandteile aufzuspalten. Pilze wurden deshalb
auch bei der Ölkatastrophe im Golf von
Mexiko erfolgreich eingesetzt.
Die Verhinderung von Krankheiten sei
eine der Hauptaufgaben von Pilzen,
schreibt Stamets: «Die riesigen unterirdischen Pilzgeflechte produzieren antibakterielle und antivirale Verbindungen, welche die Pflanzen und Tiere im Ökosystem
gesund erhalten.» Auch der Mensch profitiert von den Pilzen. Viele Medikamente
basieren auf Pilzen, etwa Antibiotika, darunter das Penicillin. Für Stamets ist denn
auch klar: «Wenn wir die alten Wälder und
damit die heimischen Pilze verlieren, verlieren wir die Medizin der Zukunft.» u
Buchtipps
_ Heinrich Holzer: «Fadenwesen – Fabelhafte Pilzwelt», Edition Lichtland 2011, Fr. 40.90
_ Paul Stamets: «Mycelium Running
– How Mushrooms Can Help Save the
World», Ten Speed Press 2005, Fr. 40.–
_ Wolf-Dieter Storl: «Pflanzendevas –
Die geistig-seelischen Dimensionen der
Pflanzen», AT Verlag 2007, Fr. 39.90
_ Christian Rätsch: «Pilze und Menschen
– Gebrauch, Wirkung und Bedeutung der Pilze in der Kultur», AT Verlag 2011, Fr. 46.90