Prof. Dr. von Stosch

Gewalt- und Friedenspotenziale
in Islam und Christentum
Prof. Dr. Klaus von Stosch
Gewalt in der Bibel
• Die Bibel enthält „Texte des Terrors“ (Phylis Trible)
• „Der Gott des Alten Testaments ist die
unangenehmste Gestalt der gesamten Dichtung:
eifersüchtig und auch noch stolz drauf; ein
kleinlicher, ungerechter, nachtragender KontrollFreak; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer
Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober,
rassistischer, kinds- und völkermörderischer,
ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“ (Richard
Dawkins)
Problem auch des NT
• Johannesapokalypse 8,7: „Der erste Engel blies
seine Posaune. Da fielen Hagel und Feuer, die mit
Blut vermischt waren, auf das Land. Es
verbrannte ein Drittel des Landes, ein Drittel der
Bäume und alles grüne Gras. …“
• Engel töten dann nach dem Posaunenstoß des
sechsten Engels noch ein Drittel der Menschheit
(Offb 9,15)
• 2 Petr 2,12: „Diese Menschen aber sind wie
unvernünftige Tiere, die von Natur aus dazu
geboren sind, gefangen zu werden und umzukommen. … ein schmutziger Schandfleck sind sie“
Und Jesus?
Jesus der Pazifist?
• „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden
auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht
gekommen, um Frieden zu bringen, sondern
das Schwert.“ (Mt 10,34)
• „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu
werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon
brennen.“ (Lk 12,39)
• „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als
dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
(Mt 19,24)
Gliederung
1. Gewalt als unaufgebbarer Teil der
monotheistischen Religionen
2. Exemplarische Untersuchung an einem Text
der Tora
3. Exemplarische Untersuchung an zwei
Koranversen
4. Fazit
Zur Entstehung des biblischen
Monotheismus
• Die von der JHWH-allein-Bewegung zunächst
vertretene Monolatrie war nicht etwa
Herrschaftsideologie, sondern Anliegen oppositioneller
Gruppen mit dem Ideal gleicher Rechte für alle.
• Der alttestamentliche Monotheismus entsteht nicht im
Königshaus Davids oder Salomos (eben hier liegt der
Unterschied zu Echnaton), sondern in der
prophetischen Subkultur und unter den
Marginalisierten und sozial Benachteiligten am Rande
der Gesellschaft.
• Es geht nicht darum, dass die Erfolgreichen und
Mächtigen sich mit der Hilfe eines allmächtigen Gottes
schmücken, sondern dass die Schwachen und
Verzweifelten ihre Hoffnung in Gott suchen.
Kampf um den einen Gott
• Mindestens ebenso wichtig wie der Kampf gegen
die Götzen ist im alten Israel der Kampf um
diesen einen Gott. JHWH wird sowohl vom Nordals auch vom Südreich beansprucht; JHWH wird
aber auch – und das erscheint mir noch als viel
wichtiger – sowohl von den Mächtigen als auch
von den Unterdrückten beansprucht. Und gerade
die an den Rand Gedrängten sind es, die
exkludierende Interpretationen entwickeln.
• Wo keine Hierarchie der Götter ist, ist auch kein
Raum für eine Hierarchie unter den Menschen
Beispiel aus dem AT
Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land geführt hat, in das du jetzt
hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, wenn er dir viele Völker aus
dem Weg räumt – Hetiter, Girgaschiter und Amoriter, Kanaaniter und
Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die zahlreicher und
mächtiger sind als du –, 2 wenn der Herr, dein Gott, sie dir ausliefert
und du sie schlägst, dann sollst du sie unbedingt der Vernichtung
weihen. Du sollst keinen Vertrag mit ihnen schließen, sie nicht
verschonen 3 und dich nicht mit ihnen verschwägern. Deine Tochter gib
nicht seinem Sohn, und nimm seine Tochter nicht für deinen Sohn! 4
Wenn er deinen Sohn verleitet, mir nicht mehr nachzufolgen, und sie
dann anderen Göttern dienen, wird der Zorn des Herrn gegen euch
entbrennen und wird dich unverzüglich vernichten. 5 So sollt ihr gegen
sie vorgehen: Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale
zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im Feuer
verbrennen. 6 Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott,
heilig ist. Dich hat der Herr, dein Gott, ausgewählt, damit du unter
allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm
persönlich gehört. (Dtn 7, 1-6)
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Problematische Elemente von Dtn 7
• Direkte Aufforderung Gottes zum Krieg
• Befehl zum Genozid (einschl. Frauen und Kinder)
• Sanktionsdrohung, wenn Befehl nicht ausgeführt
wird; vgl. 1 Sam 15,3 Samuel an Saul:
• „Darum zieh jetzt in den Kampf, und schlag
Amalek! Weihe alles, was ihm gehört, dem
Untergang! Schone es nicht, sondern töte
Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge,
Rinder und Schafe, Kamele und Esel!“
Fiktionalität des Textes als Ausweg?
• Signale der Fiktionalität (Siebenzahl der Völker
als Zeichen der Vollständigkeit)
• Völkernamen als pseudoethnische
Abgrenzungsbezeichnungen
• Archäologische Funde: Jericho, nach dem
Josuabuch die erste von den Israeliten im
Westjordanland eroberte und im Sinne einer
Vernichtungsweihe zerstörte Stadt, hat in der
fraglichen Spätbronze- bzw. Früheisenzeit als
befestigte Anlage gar nicht existiert.
Jos 6,20f.
20 Darauf
erhob das Volk das Kriegsgeschrei, und
die Widderhörner wurden geblasen. Als das Volk
den Hörnerschall hörte, brach es in lautes
Kriegsgeschrei aus. Die Stadtmauer stürzte in
sich zusammen, und das Volk stieg in die Stadt
hinein, jeder an der nächstbesten Stelle. So
eroberten sie die Stadt. 21 Mit scharfem Schwert
weihten sie alles, was in der Stadt war, dem
Untergang, Männer und Frauen, Kinder und
Greise, Rinder, Schafe und Esel.
Gewaltphantasien der Unterdrückten
• Entstehung vermutlich in der Zeit des
Babylonischen Exils, also mindestens ein
halbes Jahrtausend nach der Landnahme
• Nachwirkung der bereits untergehenden
assyrischen Leitkultur des 9.-7. Jhs. mit ihrer
brutal imperialistischen Militärpolitik und
ihrer zynischen Horror-Propaganda
• Eigene Gewaltphantasien werden auf die Figur
des Roman- oder Filmhelden übertragen und
damit entschärft (wie in Actionfilmen)
• Also Gewalt als reine Fiktion?
Mescha-Stele aus Moab (9. Jh.)
Ich bin Mōšic, Sohn des Kamōš[ijat], der König von Moab, der
Daybonit… Als Om[r]i König von Israel war, unterdrückte er Moab
lange Zeit; denn Kamōš zürnte seinem Lande. Da folgte ihm sein Sohn
nach und auch er sprach: „Ich will Moab unterdrücken!“ Zu meiner
Zeit sprach er so. Da triumphierte ich über ihn und sein Haus; Israel
aber ging für immer zugrunde. Da hatte Omri das ganze Land Mōdabāʼ
eingenommen und wohnte darin zu seiner Zeit und der Hälfte der Zeit
seines Sohnes/ seiner Söhne, vierzig Jahre; aber Kamōš brachte es zu
meiner Zeit zurück… Und die Leute von Gad hatten von jeher im Land
cAṭarōt gewohnt. Aber der König von Israel baute sich cAṭarōt aus. Da
kämpfte ich mit der Stadt, nahm sie ein und tötete alles Volk, [und] die
Stadt gehörte Kamōš und Moab… Da siedelte ich darin die Leute von
Šarōn und Leute von Mḥrt an. Da sprach Kamōš zu mir: „Auf! Nimm
Nabō von Israel weg!“ Da ging ich bei Nacht hin. Da kämpfte ich mit
ihm vom Anbruch der Morgenröte bis mittags, nahm es ein und
tötete alles (in) ihm, siebentausend Männer und Knaben und Frauen
und Mädchen und Sklavinnen; denn der cAštōr von Kamōš hatte ich es
geweiht.
Altoriental. Kriegsbegeisterung im AT?
• Jos, 1/2 Sam, 1/2 Kön als israelischer
Nationalepos mit JHWH als Vollstrecker
• Im Vordergrund steht nicht militärische Stärke,
sondern Gottvertrauen (Posaunen, Meer)
• Thema Vernichtungskrieg nach Exil erledigt
• utopische Friedenshoffnungen in den
prophetischen Texten
Noch einmal Dtn 7
Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land geführt hat, in das du jetzt
hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, wenn er dir viele Völker aus
dem Weg räumt – Hetiter, Girgaschiter und Amoriter, Kanaaniter und
Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die zahlreicher und
mächtiger sind als du –, 2 wenn der Herr, dein Gott, sie dir ausliefert
und du sie schlägst, dann sollst du sie unbedingt der Vernichtung
weihen. Du sollst keinen Vertrag mit ihnen schließen, sie nicht
verschonen 3 und dich nicht mit ihnen verschwägern. Deine Tochter
gib nicht seinem Sohn, und nimm seine Tochter nicht für deinen
Sohn! 4 Wenn er deinen Sohn verleitet, mir nicht mehr nachzufolgen,
und sie dann anderen Göttern dienen, wird der Zorn des Herrn gegen
euch entbrennen und wird dich unverzüglich vernichten. 5 So sollt ihr
gegen sie vorgehen: Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale
zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im Feuer
verbrennen. 6 Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott,
heilig ist. Dich hat der Herr, dein Gott, ausgewählt, damit du unter
allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm
persönlich gehört. (Dtn 7, 1-6)
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Kampf um die rechte Verehrung JHWHs
• Konflikt zwischen Rückkehrern aus Babylon
und den daheimgebliebenen Judäern in der
Zeit nach 538
• interne Konflikte beim Streit um die eigene
Identität werden nach außen projiziert
• Gewalt des Textes also nicht nach außen
gerichtet, sondern nach innen
Performative Gewalt im NT
• Römische Gesellschaft als Kultur der Gewalt
• Erhoffte endzeitliche Gegengewalt Gottes, die
sich in grausamen apokalyptischen Bildern
Bahn bricht (vgl. Offb 2,26; Jud 4,14-6; 2 Pt
2,4ff; 1 Thess 2,14-16: „Sie [die Juden]
missfallen Gott und sind Feinde aller
Menschen; … Aber der ganze Zorn ist schon
über sie gekommen.“)
• Sensibilität für den Anderen entwickeln
• Aber sind nicht auch diese Texte primär nach
innen gerichtet?
Qur‘an 2:190-195
Und bekämpft auf dem Weg Gottes die, die euch bekämpften! Handelt
aber nicht widerrechtlich! Siehe, Gott liebt die nicht, die widerrechtlich
handeln. Tötet sie, wo ihr sie trefft und vertreibt sie, von wo sie euch
vertrieben haben! Denn der Aufruhr ist schlimmer als das Töten.
Kämpft jedoch nicht gegen sie bei der unantastbaren
Anbetungsstätte, bis sie auch dort gegen euch kämpfen; und wenn
sie gegen euch kämpfen, dann tötet sie! Genauso ist der Lohn der
Verleugner. Hören sie hingegen auf, siehe, Gott ist bereit zu vergeben,
barmherzig. Kämpft gegen sie, bis kein Aufruhr mehr besteht und die
Verehrung Gott gilt! Hören sie aber auf, hört auch das
Kampfgeschehen auf, außer gegen die Frevler. Der unantastbare
Monat für einen unantastbaren Monat! Bei den unantastbaren Dingen
gilt die Wiedervergeltung. Wer sich an euch vergeht, an dem vergeht
euch genauso, wie er sich an euch vergangen hat! Habt Ehrfurcht vor
Gott und wisst: Gott ist mit denen, die Ehrfurcht vor Ihm haben.
Spendet für den Weg Gottes! Stürzt euch nicht mit eigenen Händen ins
Verderben! Tut das Gute! Siehe, Gott liebt die, die das Gute tun.
Offenbarungsanlass
• Datierung in spätmedinensische Periode (628630 n.Chr.), Friedensvertrag von Hudaibiyya
• Erlaubnis zur Pilgerfahrt nach Mekka
• „Sei geduldig dem gegenüber, was sie sagen und
meide sie in schöner Weise! Lass mich [Gott]
allein mit den Verleugnern, die ein angenehmes
Leben pflegen, und gib ihnen noch ein wenig
Aufschub!“ (Q 73:10f.)
• Sprich: „O ihr Verleugner! Ich verehre nicht, was
ihr verehrt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre,
und nicht verehre ich, was ihr verehrt habt, und
ihr verehrt nicht, was ich verehre. Euch eure
Religion und mir die meine!“ (Q 109)
Eingeschränkte Gewaltlegitimation
• Nur „auf dem Weg Gottes“ (Pilgerfahrt)
• Warnung vor widerrechtlichem Handeln, d.h.
Kampf muss ausschließlich gegen den
Aggressor gerichtet sein
• Bekämpfung von geschehenem Unrecht
• angemessene Vergeltung statt exzessiver
Blutrache
• Einstellung von Gewalt, sobald Feind damit
aufhört
Schwertvers
Und wenn die heiligen Monate vorbei sind, tötet
jene, die etwas anderes neben Gott Göttlichkeit
zuschreiben, wo immer ihr auf sie stoßt, und
nehmt sie gefangen und belagert sie und lauert
ihnen an jedem vorstellbaren Ort auf. Doch
wenn sie bereuen und sich an das Gebet
machen und die reinigenden Abgaben errichten,
lasst sie ihres Weges ziehen: denn siehe, Gott ist
vielvergebend, ein Gnadenspender. (Q 9:5)
Kontext beachten
• Beigeseller als pagane Araber in Mekka, die
schon von Anfang an Muhammad bekämpften
• Grund für Schwertvers in V.9f: „Sie verkauften
die Zeichen Gottes um geringen Preis und
hielten von seinem Wege ab. … Sie achten
einem Gläubigen gegenüber weder Vertrag
noch Schutzverhältnis.“
• V.12 sagt ausdrücklich, dass man nur angreifen
darf, wenn sie ihre Eide brechen und die
Religion angreifen.
Historischer Hintergrund
• Ereignis von Tabūk 631 (=Festung an der
nördlichen Grenze zum heutigen Syrien, das
damals zum byzantinischen Reich gehörte).
• Gefahr durch gewaltige byzantinische Armee
• Menschen in Medina haben gerade ihre
Dattelernte eingebracht, die aufgrund der
Witterung in diesem Jahr sehr gering war
• Weg nach Tabūk weit und beschwerlich
• Großer Erfolg ohne Kampf, Einung der
Stämme
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Weitere Informationen:
www.upb.de/zekk