Eine Szene aus dem mittelhochdeutschen Heldenepos «König Laurins Rosengarten», gezeichnet vom zwölfjährigen Friedrich Dürrenmatt. Centre Dürrenmatt. Dürrenmatt wollte als Jugendlicher nicht Schrif tsteller, sondern Maler werden. Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel (CDN) gibt einen Einblick ins bildnerische Schaf fen des Künstlers und zeigt den Zusammenhang zwischen Schauen, Zeichnen und Schreiben. Für Friedrich Dürrenmatt (1921–1990), den gewichtigen Mann mit der dicken, schwarzen Brille, war das Schauen zentral. Als reformierter Pfarrerssohn hätte für ihn das Wort vor dem Bild stehen sollen, denn Bilder hatten in den reformierten Kirchen lange nichts zu suchen. Doch Fritz wandte sich früh dem Zeichnen zu. Das Zeichnen stand für ihn Zeit seines Lebens gleichwertig neben dem Schreiben: «Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer und Niederlagen abspielen.» Ein Haus – viele Assoziationen Das CDN liegt im idyllischen Vallon de l’Ermitage hoch über Neuchâtel. Hier lebte Dürrenmatt fast vierzig Jahre lang. Sein Wohnhaus und seine Bibliothek sind in das neue, von Mario Botta entworfene Gebäude integriert. Dürrenmatt selber hat das CDN nie gesehen. Es wurde erst nach seinem Tod von seiner zweiten Frau, Charlotte Kerr, in Auftrag gegeben. Der Bau erinnert an ein Raumschiff, eine römische Arena, den Bauch eines Walfisches, eine Sternwarte oder auch an eine Burg mit Schiessscharten. Von der halbrunden Terrasse aus hat man einen wunderbaren Blick auf Neuchâtel und den See. Wiederum ein Hinweis, wie wichtig das Schauen für Dürrenmatt war. Heldengeschichten Als Kind hat Dürrenmatt leidenschaftlich gerne mittelalterliche Kriegsszenen und Heldengeschichten gezeichnet. Eine dieser Zeichnungen, eine Szene aus der Sage «König Laurins Rosengarten», ist im CDN zu sehen (vgl. Abb. oben) König Laurin ist ein Zwergenkönig, der im Kampf von Dietrich von Bern besiegt wird. Eine weitere, im CDN ausgestellte Zeichnung, zeigt eine Karte der Berner Gemeinde Konolfingen, wo Dürrenmatt seine Kindheit verbrachte (vgl. Abb. S. 18). Der Schriftsteller zeichnete die Karte 1964, im Alter von 43 Jahren. Darin sind prägende Kindheitserlebnisse und -orte eingetragen, beispielsweise das Haus des Künstlers, bei dem er den Zeichenunterricht besuchen durfte. Die sorgfältig beschriftete Karte ist voller Bezüge zu Dürrenmatts schriftstellerischem Werk. Dürrenmatts Kindheit In seinen Aufzeichnungen im Buch «Labyrinth» (S. 28–44, Diogenes 1990) erzählt Dürrenmatt von seiner Kindheit und auch von der Schule: «Das Kindergefängnis, das wir Schule nennen, angeblich eingerichtet, um den Kindern jene Bildung beizubringen, die sie nach der Einbildung der Erwachsenen haben sollten, um durch das Schulblatt AG/SO · 5/2013 Dürrenmatt über seine Bilder kennenlernen 17 o grosse Künstler einmal Kinder waren. Zeichnen blieb für Dürrenmatt zentral. So schrieb er: «Doch kehre ich, wenn ich male, stets in meine Kindheit zurück, die einzige Rückkehr, die möglich ist – jene zur Schöpferkraft des Kindes. Und immer noch scheint es mir bisweilen, ich hätte der Versuchung des Schreibens widerstehen und bei der Malerei bleiben sollen.» Cornelia Thürlemann Literaturweg in Konolfingen Das CDN bietet Führungen für Schulen an (Schwerpunkte können auch individuell gewählt werden). Im Herbst erscheint eine neue Dokumentation für Schulklassen. Weitere Informationen: www.cdn.ch. Konolfingen, wo Friedrich Dürrenmatt die ersten vierzehn Jahre seines Lebens verbrachte, hat einen Literatur-Rundweg über Friedrich Dürrenmatt eingerichtet, der Bezüge zwischen Konolfingen und dem Werk Dürrenmatts herstellt. Zeit: mindestens 2,5 Stunden. www.kiesental.ch. Schulblatt AG/SO · 5/2013 Leben zu kommen, ...». Diese Seiten eigenen sich hervorragend als Vorbereitung für den Besuch des CDN. Schwerpunkte der Führungen am CDN sind, wie schwer Dürrenmatt der Entscheid zwischen dem Leben als Schriftsteller und Maler fiel, wie Dürrenmatt nach Neuchâtel kam und natürlich die Architektur des Baus von Mario Botta. Im CDN begegnet man dem Menschen Friedrich Dürrenmatt auf Schritt und Tritt, sei es in Kurzfilmen, in denen der erwachsene Dürrenmatt prägende Persönlichkeiten aus seiner Kindheit besucht oder auf Fotografien. Das CDN zeigt, dass auch Thema Schulreisen 18 1964 zeichnete Friedrich Dürrenmatt einen Plan vom Konolfingen seiner Kindheit. Abbildungen: ©Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Schweizerische Eidgenossenschaft.
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