«Da geht es ums Prinzip»

«Da geht es
ums Prinzip»
WETZIKON. Gemeinderat Remo Vogel
erläutert im Interview, wie
es zu den Fehlzahlungen an
Sozialhilfeempfänger kommen konnte –
und was er tut, damit sich solche Fälle nicht
wiederholen. MICHAEL VON LEDEBUR
RPK-Präsident Urs Bürgin spricht von
gesetzeswidrigen Ausgaben und unbekannten
finanziellen Risiken. Teilen Sie
diese Einschätzung?
Remo Vogel: Ich teile die
Einschätzung, dass Fehler gemacht
wurden. Diese liegen jedoch schon
einige Jahre zurück, und man muss
die Relationen sehen. Die
Schadenssumme liegt unter 200 000
Franken.
seit Februar dem Ressort Soziales vorstehe. Auffällig
ist aber, dass die Fälle in eine Zeit fallen, in der wir
an der Spitze und bei den Mitarbeitenden
des Sozialdiensts viele Vakanzen und Wechsel
hatten. Kontinuität in der Führung und in der
Fallbearbeitung ist im Sozialdienstumfeld immens
wichtig.
Wie weit sind Sie mit der
Aufarbeitung?
Dennoch ist es von aussen schwer
nachvollziehbar,
weshalb systematisch
zu viel ausbezahlt wurde.
Sämtliche Fälle wurden
aufgearbeitet
und Rückzahlungen mit den Klienten
angestrebt. In etwa einem Viertel
der Fälle strengten wir ein
Betreibungs oder gar Strafverfahren an, die übrigen
sind Inkassofälle. Die Rückzahlungsquote liegt
zurzeit jedoch nur gerade bei zehn Prozent.
Weshalb weigerten sich Behörde und
Verwaltung, die Fälle aufzuarbeiten?
Aus Sicht der Verwaltung ist dieser Entscheid
nachvollziehbar. Der Aufwand ist immens, die
Erfolgsaussichten sind gering, was sich ja auch
bestätigt hat. Es ist schwierig, von Sozialhilfeempfängern Geld einzufordern. Aus politischer Sicht
hingegen gehe ich mit Urs Bürgin einig: Da geht es
ums Prinzip.
Wie konnte es zu den Fehlzahlungen
kommen?
Es ist für mich schwierig, dies abschliessend zu
beurteilen, weil ich erst
Ich kann mit dem Vorwurf, es sei konsequent
schlampig gearbeitet worden, nicht viel anfangen –
und er stimmt so auch nicht. Man muss sehen, dass
die Sozialarbeiter einen schwierigen Job haben: Sie
müssen mit den Klienten umgehen können, aber
gleichzeitig administrative Fähigkeiten haben. Und
sie müssen die juristischen Vorgaben, die oft
kompliziert und in jedem Einzelfall anders aussehen,
kennen. Hinzu kommt, dass die Klienten immer
dreister werden. In diesem Umfeld können
Fehler passieren.
Das Sozialamt kämpft seit Jahren mit
personellen Fluktuationen. Wieso bekommt
man dieses Problem nicht in
den Griff?
Das geschilderte Anforderungsprofil führt dazu, dass
es sehr schwierig ist, gutes Personal zu finden. Die
Verwaltung bemüht sich stark um Leute, aber
der Markt ist ausgetrocknet.
Stattdessen setzen Sie Springer ein. Das
kann eine langfristige Lösung sein.
Natürlich nicht. Die personelle Fluktuation zu
verringern, ist der Erfolgsfaktor Nummer eins. Wir
müssen ein Team bilden, das zusammenbleibt. Der
Wetziker Sozialdienst hat aufgrund der vielen
Fluktuationen kein besonders gutes Image unter
dem geeigneten Personal. Daran müssen wir
arbeiten, und das geht nur, wenn sich die
Arbeitskultur und die Rahmenbedingungen
nachhaltig verbessern.
Was haben Sie deswegen unternommen,
seit Sie im Amt sind?
Wir brauchen klare Strukturen, ein besseres
Controlling und ein besseres Qualitätsmanagement.
Daran arbeite ich gemeinsam mit der Sozialbehörde
und der Verwaltung, aber auch mitangrenzenden
Organisationen wie beispielsweise den
Berufsbeiständen. Zudem haben wir bereits einige
administrative Massnahmen zur Entlastung der
Sozialberatenden eingeleitet.
Welche?
Wir haben neues Personal eingestellt, das die
fallführenden Sozialberatenden von administrativen
Arbeiten entlastet. Ein Sozialberater sollte
mindestens 50 Prozent seiner Arbeitszeit den
Klienten widmen können. Zudem haben wir neu zur
Bereichsleiterin Sozialdienst, der die
Sozialberatenden direkt unterstellt sind, eine
Leitung Administration, die das administrative
Personal führt. Das geht bereits in den ControllingBereich hinein.
Was bedeutet Controlling konkret?
Entscheidend ist im Sozialdienstumfeld, dass der
einzelne Sozialdienstmitarbeiter seine Kompetenzen
genau kennt. Wir überarbeiten deshalb die
Kompetenzordnung von Grund auf. Wenn ein
Mitarbeiter zum Beispiel wissen will, ob ein
Sozialhilfebezüger Anspruch auf Ferien hat – er hat
übrigens keinen –, kann er das mit einer
Volltextsuche in der Kompetenzordnung nach dem
Begriff «Ferien» sofort in Erfahrung bringen. Die
Mitarbeiter sollen zudem vermehrt mit
standardisierten Verfügungen arbeiten. Es geht auch
um Dinge wie doppelte Unterschrift unter
Verfügungen oder generell um das konsequente
Umsetzen des Vier-Augen-Prinzips.
Der Gemeinderathat im Frühling einen Kredit von
470 000 Franken für zusätzliche Springer
gesprochen. Weshalb war dies notwendig?
Die temporären Springer und Springerinnen
ersetzen noch fehlendes Personal im Volumen von
300 Stellenprozenten. Die Springer sind erfahrene
Fachkräfte, die uns entlasten und gleichzeitig zu
einem Know-how-Transferbeitragen. Zudem helfen
sie uns, viele alte Fälle, die administrativ noch
immer nicht abgeschlossen sind, zu erledigen.
Da sind wir nun auf gutem Weg.
Was ist unter «Qualitätsmanagement»
zu verstehen?
Unter anderem, dass wir uns konsequent mit
anderen Gemeinden vergleichen wollen. Ein klares
Benchmarking ist entscheidend.
Beim Vergleich geht es ja vor allem um
die Kosten. Wo steht Wetzikon im Vergleich
mit anderen Gemeinden?
Das ist eine äusserst schwierige Frage, die wir für
uns noch nicht beantwortet haben. Wir arbeiten
aber daran. Zusammen mit dem Statistischen Amt in
Zürich wollen wir ein fundiertes Benchmarking
aufbauen. Wir wollen wissen, wo wir stehen.
Was macht den Vergleich denn so
schwierig?
Wenn man wissen will, wie effizient der Sozialdienst
einer Gemeinde arbeitet, muss man die Struktur der
Gemeinde oder der Stadt in den Vergleich
einbeziehen. Ein Vergleich mit einer kleinen
Landgemeinde ist sinnlos. In einer Stadt wie
Wetzikon sind Sozialhilfebezüger viel anonymer, der
Schritt zum Sozialamt wird eher gemacht. Zudem
hat Wetzikon eine andere Sozialstruktur – einen
höheren Ausländeranteil, eine höhere
Arbeitslosenquote beispielsweise – als Gemeinden
im Umland. Sinnvoll ist ein Vergleich mit
anderen Städten wie Uster oder Winterthur.
Und wie schneidet Wetzikon im Vergleich
mit Uster ab?
Nicht so schlecht, wie man oft hört. Wenn wir die
Ausgaben pro Sozialhilfefall nehmen, arbeiten wir
sogar leicht günstiger als Uster. Die
Sozialhilfeausgaben pro Einwohner beziehungsweise
die Sozialhilfequote ist hingegen in Wetzikon
deutlich höher.
Wetzikon hat also schlicht mehr Sozialfälle.
Ich möchte daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Aber daran sieht man, dass auch Vergleiche mit
Städten schwierig sind. Beispielsweise muss man die
Qualität der Siedlungen berücksichtigen oder die
Altersstruktur der Bevölkerung.
Sie haben viel von Massnahmen gesprochen.
Gibt es auch Erfolge?
Das braucht seine Zeit. Es bringt auch nichts, wenn
die Behörde auf dem Papier etwas verordnet,
sondern es braucht den Informationsaustausch
und punktuelle Schulungen mit dem Personal. Bis im
Herbst sollten die Massnahmen aber greifen.
Wie lange werden Sie den Prozess begleiten
können? Über die Wahlen im
nächsten Frühling hinaus?
Ich kann noch nicht kommunizieren, ob ich mich für
eine Wiederwahl zur Verfügung stelle und ob mich
die Partei aufstellt. Dann gälte es, den Wahlausgang
abzuwarten. Und schliesslich stünde die
Neuverteilung der Ressorts an. Deshalb möchte ich
meinen Beitrag zur Neuordnung leisten und diese
bis zum Jahresende abschliessen. Ich bin überzeugt,
dass das, was wir nun eingeleitet haben,
erfolgversprechend ist.