Mindestens die Hälfte der Menschen ist psychisch

Traumatisierte Flüchtlinge „Mindestens die Hälfte der
Menschen ist psychisch krank“
Besonders Flüchtlinge aus Syrien suchen nicht nur eine bessere wirtschaftliche Zukunft.
Die meisten von ihnen fliehen vor Krieg und Gewalt, davon zeugen ihre psychischen
Verletzungen. Psychotherapeuten fordern deshalb eine bessere Betreuung.
16.09.2015
© dpa Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, beantwortet nach
der Pressekonferenz über psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen Fragen von
Journalisten.
Die Zahlen sind hoch: 70 Prozent der hier lebenden erwachsenen Flüchtlinge und 41
Prozent der Kinder und Jugendlichen wurden Zeugen von Gewalt. Über die Hälfte der
Erwachsenen hat selber Gewalt erfahren, bei den Kindern sind es 15 Prozent. Ein Großteil
der Erwachsenen mussten Folterqualen über sich ergehen lassen. Auch sexueller
Missbrauch ist keine Seltenheit.
Es sind also viele zehntausend Menschen betroffen. Ein alarmierender Zustand, findet
auch die Bundestherapeutenkammer: „Mindestens die Hälfte der Flüchtlinge ist psychisch
krank“, sagt Kammerpräsident Dietrich Munz. Die Opfer werden noch lange nach den
einschneidenden Erlebnissen von posttraumatischen Belastungsstörungen und
Depressionen geplagt. Nach Einschätzungen der Kammer sind es 40.000 bis 80.000
betroffene Flüchtlinge, die eine Therapie benötigen. In den gut 20 speziellen Zentren für
Folteropfer bekämen aber nur 3500 bis 4000 Menschen pro Jahr eine Behandlung.
Hauptsächlich verbaut das Asylbewerbergesetz die nötigen Behandlungen. Noch nach
einem Jahr nach Einreise werden nur augenscheinliche Akutfälle behandelt. „Psychische
Erkrankungen werden von den Sozialbehörden in der Regel nicht dazugezählt“, sagt
Psychotherapeut Munz. Aber auch danach bekämen Flüchtlinge kaum Plätze auf
Rechnung der Krankenkassen in den Therapiepraxen.
Die Therapeutenkammer fordert nun stärkere Maßnahmen: Kassenärztliche
Vereinigungen und die Krankenkassen sollten nun neben Medizinern auch
Psychotherapeuten Behandlungen auf ihre Kosten abrechnen lassen. Ebenso sei es nötig,
Dolmetscher mitzufinanzieren.
Auch in der Politik erklingen die ersten Rufe nach zeitigen Therapien. GrünenGesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink forderte Gesundheitsminister Hermann Gröhe
auf, „schwer traumatisierten und psychisch kranken Menschen zeitnah eine angemessene
Behandlung zu ermöglichen“.
Unter den Flüchtlingen sind auch viele Jugendliche, zumeist Jungs, die alleine ihre Flucht
nach Europa unternommen haben. Sie werden von Behörden und Hilfsorganisationen als
„unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (UMF) geführt. Die Jugendämter in Deutschland
nahmen 2014 rund 48.000 Kinder und Jugendliche in Obhut.
Quelle: tios/dpa/KNA