ANNA UND DIE WUT

ANNA UND DIE WUT
Christine Nöstlinger, Illustrationen: Christiane Nöstlinger
© S. Fischer Verlag GmbH / Frankfurt am Main (erstmals erschienen im Sauerländer Verlag)
Anna ist ein temperamentvolles Mädchen. Immer explodiert sie gleich, wenn ihr etwas nicht passt.
Dann muss sie „kreischen, fluchen und heulen, mit dem Fuß aufstampfen und mit den Fäusten
trommeln“. Kein Wunder, dass andere Kinder nicht mit ihr spielen wollen. Aber Anna kann sich einfach
nicht gegen die riesengroße Wut wehren. Noch dazu kriegt so mancher, der in ihre Nähe kommt, was
davon ab. „So kann das nicht weiter gehen“ meinen die Eltern. Anna gibt sich große Mühe, die Wut los
zu werden. Sie trinkt literweise Wasser, um sie runter zu schlucken. Sie geht den anderen Kindern aus
dem Weg, damit sie keiner ärgern kann. Schließlich sitzt sie nur noch traurig in ihrem Zimmer in der
Hoffnung, dass sie die Wut da nicht findet. Als am Sonntag Annas Opa eine Trommel mitbringt und ihr
versichert, sie könne mit der Trommel die Wut wegjagen, glaubt sie ihm das zuerst gar nicht. Aber
dann versucht sie es doch…
Wütend werden ist nicht schwer, runter kommen aber sehr
Mit unverwechselbar trockenem Humor erzählt Christine Nöstlinger von den emotionalen
Zerreißproben, die ein „Giftzwerg“ wie die kleine Anna erlebt. Es sind Situationen die vermutlich viele
Kinder aus dem Alltag kennen: Die rasende Wut, die stille Verzweiflung angesichts der Übermacht der
Gefühle, aber auch das Erfolgserlebnis, mit der eigenen Wut klar zu kommen. Als modernes Märchen
hält Anna und die Wut mit comichafter Leichtigkeit die Balance zwischen Realismus und FantasieGeschichte. Der Lösungsvorschlag mit der Trommel steht symbolisch dafür, dass Anna eine Strategie
gefunden hat, mit ihrer Impulsivität zurechtzukommen und sich von der Wut nicht überwältigen zu
lassen. Nöstlinger spart auch die schmerzlichen Ausgrenzungs-Erfahrungen nicht aus, die Kinder
mitunter machen müssen, wenn sie sich nicht beherrschen können. Da heißt es schnell einmal: „Mit
der kann man ja nicht spielen!“ Und sie zeigt auch die Sackgasse auf, in die sich Anna in ihrer Angst
vor der Wut hineinmanövriert. Als letzte Chance, der unbezähmbaren Wut zu entgehen, wählt Anna
den totalen Rückzug („Wenn ich hier sitzen bleibe, findet mich die Wut nicht“) und versucht, alle
Wutauslöser zu vermeiden. Die Trommel, das Geschenk von Opa, weist Anna den Weg aus diesem
Teufelskreis. Fast ein bisschen auf magische Weise findet Anna im Trommeln eine Möglichkeit, ihre
unkontrollierbaren Wutausbrüche in den Griff zu kriegen. Außerdem erntet sie auch noch
Bewunderung von den anderen Kindern und fühlt sich nicht mehr ausgeschlossen.
Besonders eindringlich und nachvollziehbar wird die Geschichte durch die lebendige Sprache, die zu
den unverkennbaren Stärken von Christine Nöstlinger gehört: In Anlehnung an kindliche
Ausdrucksweisen und an die Umgangssprache bringt die Autorin komplizierte Gefühle plakativ und
unkompliziert auf den Punkt. Ebenso zeitlos unterstreichen die Illustrationen von Nöstlingers Tochter
Christiane die Bildhaftigkeit dieses immer wieder neu aufgelegten Klassikers aus dem Jahr 1990.
Christine Nöstlinger wurde 1936 in Wien geboren und wuchs im Arbeitermilieu der Wiener Vorstadt
auf, wo sie nach eigener Aussage allerdings als ›besseres Kind‹ galt, da ihre Mutter einen
Kindergarten leitete und ihr Großvater ein eigenes Geschäft besaß. Sie studierte Grafik, widmet sich
aber seit 1970 ganz dem Schreiben. Seither hat sie über hundert Bücher für Kinder und Jugendliche
veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und u. a. mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis und
dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis für Literatur gewürdigt wurden.
(http://www.fischerverlage.de/buch/anna_und_die_wut/9783737360678, 1.9.2015)
Medienstimmen
Nöstlinger setzt sich auf humorvolle Weise mit Problem-Themen auseinander, sie kombiniert
realistische Milieuschilderung, Sozialkritik und Fantastik in einer Sprache mit Dialektanklängen und
eigenwilligen Neuschöpfungen. „Ich muß mich nicht dauernd danach richten, was Erwachsene wollen!
Ich bin ein freies Kind und weiß selbst am besten, was für mich gut ist“, heißt es in „Hugo, das Kind in
den besten Jahren“ (1984). Eine solche Einstellung markierte in Nöstlingers Anfangsjahren eine Zäsur
innerhalb der Tradition der Zeigefinger-Kinderbuchliteratur und traf den liberalen Nerv der Generation
nach 1968. Ihre Einstellung hat sie nicht geändert: „Man muss nicht immer bei Kindern recherchieren.
Ich glaube, man muss viel eher die Türe zur eigenen Kindheit nicht zugemacht haben.“
(http://diestandard.at/1317019212230/75-Geburtstag-Ich-glaub-ich-bin-die-Noestlinger, 1.9. 2015)
Moralische Geschichten oder pädagogische Ideen sucht man bei Christine Nöstlinger erfolglos und
trotzdem ist eines klar, das sich vielleicht doch wie eine ganz grundsätzliche Nachricht durchzieht: Ihre
Figuren sind nicht gut. Und auch nicht böse. Vielmehr findet sich manchmal das Gute in Personen
auch, wenn sie negative Eigenschaften haben. Eltern können gute Eltern sein, auch wenn sie
manchmal Scheiße bauen. Und Kinder sind nicht von vornherein schlechte Kinder, nur weil sie ihren
eigenen Kopf haben oder frech sind. - Juliane Ehgartner
(http://derbuchfanatiker.org/2015/02/04/die-nostlinger-nicht-speziell-kinderlieb/, 1.9.2015)
Warum Christine Nöstlinger so stolz auf ihren Astrid-Lindgren-Preis ist, hat nicht nur inhaltliche
Aspekte. Lindgren hat die Sprache der Kinderbücher revolutioniert. Nichts Geringeres ist auch
Nöstlinger gelungen. Sie zeigt mit ihren Büchern, dass Ironie und Understatement auch im Kinderbuch
Platz haben. Dass Witz wichtig und Dialekt möglich ist. Sie hat den Kindern und Jugendlichen aufs
Maul geschaut und sie nicht in ein biederes Hochsprachenkorsett gesteckt. Anfangs stieß ihre
unverblümte Sprache, die immer ganz ohne ein Blatt vor dem Mund ausgekommen ist, noch auf Kritik,
mittlerweile ist ihr pointierter Kunstdialekt längst klassisch.
(http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Biographien/Nöstlinger,_Christine, 1.9. 2015)