Wonterthurer Ereignisse

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Winterthurer Ereignisse
Der Landbote Christof Dejung WOZ Die Wochenzeitung
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Der Begriff Winterthurer Ereignisse bezeichnet eine Reihe von Farb-, Brand- und
Sprengstoffanschlägen sowie die nachfolgende Verhaftungswelle innerhalb der Jugendszene
in der Schweizer Stadt Winterthur im Jahr 1984.
Vorgeschichte und politisches Umfeld
Anfangs 1980 kam es in verschiedenen Städten der Schweiz, so auch in Zürich, zu
Jugendunruhen und in Zürich den damit verbundenen Opernhauskrawallen. Darauf bezogen
schrieben die Neuen Zürcher Nachrichten noch im Juli 1980, dass in Winterthur die Uhren
eben ein wenig anders gehen und die Jugendlichen nicht nackt zum Protest herum flitzen und
es Ferienveranstaltungen gäbe, «wo auch rebellierende Jugendliche sich für konstruktives
Mitmachen zu begeistern vermögen».[1]
Am 18. Oktober 1980 kam es in Winterthur zu Demonstrationen gegen die Lieferung von
Schwerwasseranlagen, die man auch für den Bau von Atombomben brauchen konnte, durch
die Sulzer an das damals von einer Militärdiktatur regierten Argentinien. Zweieinhalb
Wochen nach dieser Demonstration wurden zwei angebliche Teilnehmer in Einzelhaft gesetzt.
Als ein Zeuge dann aussagte, dass der eine mutmassliche Teilnehmer zu besagtem Zeitpunkt
gar nicht in Winterthur war, liess der Bezirksanwalt auch diesen wegen Falschaussage
verhaften. Erst als dann weitere Zeugen seine Aussage bestätigten, mussten beide Verhaftete
freigelassen werden. Der zweite verhaftete Teilnehmer war der Kunstmaler Aleks Weber,
später einer der Hauptakteure bei den Winterthurer Ereignisse ab 1984. Er wurde nach neun
Tagen in Einzelhaft zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er an der Demonstration
Sprayende vor Polizeispitzeln gewarnt hat. Dieses Urteil wurde bereits damals von der Presse
kritisiert, so meinte der damalige SVP-Nationalrat Erwin Akeret[1] im konservativen
Weinländer Tagblatt, dass solche unverhältnismässige Massnahmen bestens dafür geeignet
seien, das bisher ruhige Klima anzuheizen. Als Folge dieses Urteil schloss das Jugendhaus
Winterthur den Bezirksanwalt Eugen Thomann aus seinem Trägerverein aus.[2]
Kurz darauf kam es dann in eben diesem Jugendhaus zu einer Razzia, bei der zusammen mit
fünf weiteren Jugendlichen wiederum Weber verhaftet wurde. Die Verhafteten wurden in
Isolationshaft gesetzt und es wurde eine Kontaktsperre gegen die Anwälte verhängt. Gegen
diese Verhaftungen protestierten nun auch die Demokratischen Juristinnen und Juristen,
worauf dann der spätere Bundesrat Rudolf Friedrich das Vorgehen der Justiz verteidigte. Was
die Staatsanwaltschaft mit den Inhaftierungen genau erreichen wollte, ist unklar.[3]
Ein Jahr später wurde in Winterthur gegen die Waffenausstellung W81 in der Eulachhalle
protestiert. Der Menschenteppich, bei denen die Messebesucher symbolisch über Leichen
gehen mussten, wurde dabei von einer nie zur Rechenschaft gezogenen anonymen
«Bürgerwehr» mit Jauche abgespritzt. Innerhalb kürzester Zeit hat sich in Winterthur ein
Null-Toleranz-Klima gegen solche Proteste der Jugendbewegung aufgebaut, die den
Nährboden für die späteren Ereignisse bildeten.[1]
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Ablauf der Winterthurer Ereignisse
Anschläge in Winterthur
Zwischen 1981 und 1983 kam es dann auch in Winterthur zu insgesamt 16 verschiedentlichen
Anschlägen auf Baustellen, Ämter, Armeefahrzeuge und weitere Objekte. Aber die Anschläge
in Winterthur zu der Zeit stammten aber keineswegs alle von den später sogenannten
Inhaftierten «Wintis», so wurde auch einer 22-jährigen Hausangestellten bereits früher der 13fachen Brandstiftung überführt und auch weitere Vorfälle sind keineswegs alle den «Wintis»
zuzuordnen.[4] Dabei war am 18. März 1983 auch das Stadthaus Winterthur das Ziel eines
Molotow-Cocktails.
Am 17. Juni 1984 wurde beim Rossberg eine Fahrleitung der Bahnstrecke Winterthur–Zürich
medienwirksam kurzgeschlossen, wodurch sich die Heimreise von Besuchern des
Eidgenössischen Turnfests verzögerte (Im Vorfeld des Turnfests liess die Stadt für 73'000 Fr.
Sprayereien auf Stadtgebiet entfernen, auch ungefragt bei Privatgrundbesitzern, um einen
möglichst sauberen Eindruck zu hinterlassen). In der darauf folgenden Nacht kam es zu einem
versuchten Brandanschlag auf die Altersbeihilfe Winterthur. Als auch in der Nacht darauf
nochmals ein versuchter Anschlag, diesmal auf einen Bauwagen, fehlschlug, wurde am 21.
Juni die Bundesstaatsanwaltschaft eingeschaltet. Diese nahm Ermittlungen wegen Gefährdung
durch Sprengstoffe auf und führte im Rahmen dieser Telefonüberwachungen, Observationen
und Kehrichtanalysen durch. Der leitende Ermittler war Hans Vogt. Bereits zu dieser Zeit
drang die Polizei auch immer wieder ohne Durchsuchungsbeschluss in Wohngemeinschaften
ein.[5]
Einen Monat nach der Aufnahme der Ermittlungen kam es zu einem Anschlag mit
Schwarzpulver auf das Gebäude der Hypothekar- und Handelsbank an der Stadthausstrasse
14. Dabei entstand ein Sachschaden von 11'500 Franken.
Am 7. August 1984 erreichte die Anschlagsserie mit dem Sprengstoffanschlag auf das Haus
von Bundesrat Rudolf Friedrich ihren Höhepunkt, Personen wurden jedoch auch hier keine
verletzt, wie auch bei den restlichen Anschlägen der letzten Jahre. Gemäss Anklageschrift
entstand ein Sachschaden von ca. 20'000 Franken, hauptsächlich durch ein zerborstenes
Wohnzimmerfenster. Der Anschlag löste ein breites Medienecho auf und zwang auch die
Behörden zum Handeln. Die NZZ berichtete dabei von einem Vandalenakt mit
«terroristischen und anarchistischen Zügen».[1] Bundesrat Friedrich, der den Anschlag zuerst
lediglich für einen Blitzeinschlag hielt, sprach von einem Anschlag auf die «freiheitliche
Gesellschaftsordnung».[6] Auch im Nachgang zu diesem Anschlag kam es noch zu zwei
weiteren Anschlägen auf eine Bürobaracke der Firma Rieter am 20. August (Sachschaden: ca.
14'000 Franken) sowie auf das Technikum am 21. September (Sachschaden: ca. 4'000
Franken).
Die Verhaftungen im November 1984
Am 20. November 1984 wurde in der grössten je im Kanton Zürich durchgeführten
Polizeiaktion mit dem Namen «Engpass» 32 Jugendliche in drei Wohngemeinschaften
verhaftet. Der Landbote berichtete nach dieser Verhaftungswelle unter anderem mit einer
spürbaren Erleichterung in Winterthur und lobte die Polizei.[7] Die grossangelegte
Polizeiaktion stiess aber auch auf Kritik innerhalb der Presse. Beispielsweise wurden oberhalb
des Alternativrestaurants Widder auch Wohnungen durchsucht, für die gar kein
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Durchsuchungsbefehl vorlag.[8] Eugen Thomann, Leiter der Aktion «Engpass» und damaliger
Polizeikommandant der Stadtpolizei, wertete die Massenverhaftungen später als Erfolg, da es
nach den Massenverhaftungen ruhig in Winterthur geworden ist und dies der Beweis dafür
sei, dass die Polizei die Richtigen verhaftet habe.[9] Auch hat die Polizei auf Haftbefehle der
Bundesanwaltschaft reagiert und es hat sich bis zur Aktion «Engpass» eine Schadenssumme
von einer halben Million Schweizer Franken aus 30 verschiedenen Delikten aufsummiert.[10]
Eine Woche nach der Engpass, am 27. November, erschoss sich Hans Vogt, leitender
Ermittler der Bundespolizei, mit seiner Dienstpistole. Zum Grund seines Suizid gibt es zwei
Versionen: Einerseits hatte sich Vogt zum Scherz in einem Winterthurer Hotel mit Reiseziel
«Beirut» angemeldet und dies hätte die Kantonspolizei Zürich, bei der er nicht allzu beliebt
war, nach Bern gemeldet. Anderseits sprach die Bundesanwaltschaft einfach von einem
Krankheitsfall, der nichts mit den Winterthurer Ereignissen zu tun habe.[11] Auch hatte Vogt
wegen schleppenden Ermittlungen unprotokollierte Verhöre geführt und gilt als Verfasser des
anonymen Briefes, den Gabi erhalten hatte und der sich vulgär gegen ihren Freund und einen
der verhafteten Hauptverdächtigen, Aleks Weber, richtete.[12] Im Abschiedsbrief Vogts nannte
er Probleme mit der Kantonspolizei als Grund für seinen Suizid und verbot mehreren
namentlich genannten Beamten der Kantonspolizei, an seinem Begräbnis teilzunehmen.[13]
Der Tod von Gabi S.
Die 23-jährige Gabi S. wurde bereits ein Tag vor der Polizeiaktion «Engpass» verhaftet und
ist die Freundin des Hauptverdächtigen Aleks Weber, sie selbst gehört jedoch nicht zu den
Hauptverdächtigen und ihr konnte die Polizei einzig die Beteiligung an einem Anschlag mit
zwei Jogurtgläsern gefüllt mit roter Farbe gegen die frisch renovierte Kirche St. Peter und
Paul nachweisen, den sie auch gestand. Sie wurde von Beginn an, wie andere Verhaftete auch,
in Isolationshaft gehalten und in ihren Rechten eingeschränkt. Ihre Anwältin Cornelia Kranich
konnte Gabi S. erstmals und auch das einzige Mal nach zweieinhalb Wochen in Haft am 6.
Dezember sehen und dies auch nur unter Beobachtung eines Kantonspolizisten.[14] Gegen ihre
Haftbedingungen protestierten ihre Eltern am 12. Dezember beim zuständigen Staatsanwalt
Jörg Rösler und verwiesen auf die Folgen von Einzelhaft und der ungewöhnlichen
Einschränkungen von Besuchen und Anwaltsrechten. Auch wurde in verschiedenen
Flugblättern und anderen auf die Haftbedingungen der sogenannten «Wintis» aufmerksam
gemacht. Am 15. Dezember 1984 kam es in Winterthur zu einer Demonstration gegen die
unmenschlichen Haftbedingungen in den Gefängnissen.
Während ihrer Haftzeit wurde Gabi S. mehrmals der später dem leitenden Bundebeamten
Hans Vogt zugeordnete anonyme Brief vorgehalten, den sie bereits vor ihrer Verhaftung
erhalten hatte und ihren Freund diffamierte. Man versuchte sie hiermit gegen ihren Freund
auszuspielen, der sie angeblich für den «letzten Dreck» halten würde. Über dieses Verhalten
der Polizisten beklagte sie sich fast die ganzen 45 Minuten beim ersten Besuch ihrer Anwälte
am 6. Dezember.[15] Auch verbreitete man bei der Verhaftung ihres Freundes Aleks Weber die
Lüge, dass man diesen mit einer anderen Frau im Bett vorgefunden habe.[16]
Am 17. und 18. Dezember wurde Gabi S. nach vier Wochen in Isolationshaft von zwei eigens
aus Bern angereisten Bundespolizisten acht bis neun Stunden ununterbrochen verhört, sie
erhofften sich von ihr neue Erkenntnisse über mögliche Taten von ihrem Freund Aleks Weber
– denn auch Wochen nach den Festnahmen konnte man dem Verhafteten kaum etwas
nachweisen. Sie hatte während des Verhörs, bei dem ihr unter anderem jegliches Essen
verweigert wurde, ausgesagt, dass Res S. möglicherweise einen Bekennerbrief zum Anschlag
auf Friedrichs Haus geschrieben hatte – der Brief tauchte übrigens nie auf.[17] Nach dem
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Verhör teilte man Gabi mit, dass der Bezirksanwalt nun alle anderen Gefangenen darüber
informieren werde, dass sie ein Geständnis abgelegt und ihre Freunde verraten habe. Gemäss
einem offenen Brief von fünf Mitgefangenen habe man nach dem letzten Verhör aus Gabis
Zelle noch lange Zeit Schluchzen und Schreie gehört.[18][19] Am darauf folgenden Tag wurde
Gabi S. mit einem Tauchsieder erhängt in ihrer Zelle im Bezirksgefängnis Winterthur
aufgefunden. Bei einer Pressekonferenz einen Tag nach Gabis Suizid warfen die Anwälte der
neun verbliebenen Inhaftierten den Behörden vor, dass sie die Verhafteten «um jeden Preis,
auch den von Leichen, weichkochen wollen». Eigentlich hätten an der Pressekonferenz auch
die Eltern der Inhaftierten teilnehmen sollen, aufgrund eines Flugblatts einer Bürgerwehr
liessen dieses das jedoch aus Furcht vor Vergeltungsaktionen bleiben.[20][21] Die Behörden
verteidigten ihr Vorgehen und verwiesen auf einen enormen Druck von aussen, der auf Gabi
gelastet hätte – auch durch ihre Anwälte. Auch behauptete Ueli Arbenz von der
Bezirksanwaltschaft Winterthur an der Pressekonferenz, dass Gabi in ihrem Abschiedsbrief
ein angebliches Geständnis über eine «äusserst massive Sachbeschädigung» nochmals
bestätigt habe.[22] Jedoch stand im wirklichen Abschiedsbrief, der später Gabis Mutter
ausgehändigt wurde, lediglich, dass sie weder Feuer gelegt noch Bomben gebastelt habe, von
einem bestätigten Geständnis war keine Rede.[23] Bereits kurz vor dem Verhör hatte
Bezirksanwalt Arbenz in einem Interview zugegeben, dass die Behörde einige Personen
festgenommen hatte, obwohl sie wusste, dass diese unschuldig waren.[24]
Diese Beugehaft genannte Praxis ist in der Schweiz verboten. Auch von Seiten der Anwälte
der Inhaftierten wurden verschiedene Vorwürfe laut, die unter anderem die unzulässigen
Haftbedingungen, mangelnde Beweislage für die Verhaftungen und die Einschränkungen des
Besuchsrecht beklagten. So durften diese ihre Mandanten erstmals nach 23 Tagen
Untersuchungshaft gesehen und das Überbringen der Selbstmordnachricht von Gabi S. an
dessen Freund wurde von zwei Beamten überwacht und protokolliert. Der Vorwurf, dass der
Selbstmord vorhersehbar war, wurde von Staatsanwalt Rösler abgewiesen und auch nach
diesem Vorfall erachtete er eine erhöhte Aufmerksamkeit diesbezüglich als «nicht
notwendig».[25]
Reagiert auf den Selbstmord Gabis wurde aber trotzdem: Kurz nach dem Tod von Gabi
wurden die meisten anderen Verhafteten aus der Untersuchungshaft entlassen. Sie installierten
eine Mahnwache in der Winterthurer Marktgasse beim Justitiabrunnen. Am 27. Dezember
1984 erfolgte ein Jaucheanschlag von drei Unbekannten auf die mit etwa 20 Leuten besetzte
Mahnwache[26], die wenig später nach einer weiteren Drohung abgebrochen wurde. Im
Februar 1985 waren schliesslich nur noch Aleks Weber und der auf der Flucht in Genf
verhaftete zweite Hauptverdächtige Res S. inhaftiert, die restlichen Verhafteten musste die
Polizei entlassen.
Die Gerichtsprozesse gegen Aleks Weber
Über ein Jahr nach der Entlassung der restlichen Verhafteten erhob Staatsanwalt Pius Weber
am 3. April 1986 Anklage gegen Aleks Weber und lastete ihm in einem Indizienprozess sechs
Brand- und Sprengstoffanschläge an. In der Anklageschrift war dabei von «blankem Terror
mit Sachschaden in Millionenhöhe» die Rede, gleichzeitig konnte er Weber konkret nur eine
Schadenssumme von 36'000 Fr. anrechnen.[27] Der Rest der Anklage beruhte auf eine in
Webers Wohngemeinschaft gefundenen Bombenbauanleitung und Treibladungspartikel in
seinem Atelier, die mit denen der Bomben übereinstimmten.[24] Kurz vor der
Urteilsverkündung veröffentlicht der Journalist Erich Schmid eine erste Ausgabe seines
Buches «Verhör und Tod in Winterthur» und findet mit seinen Recherchen eine breite
Beachtung in den Medien.
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Der Kunstmaler Aleks Weber wurde am 16. September 1986 vom Zürcher Obergericht zu
acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Dieses als übertrieben empfundene Urteil stiess erneut auf
massive Kritik, so bezeichnete die Weltwoche das Urteil als «politisch motiviert»[24] und der
Landbote berichtete von einem «frevelhaften Urteil»[7]. Das Zürcher Kassationsgericht hob
dieses Urteil jedoch später wegen willkürlicher Beweisführung wieder auf, so dass Weber am
23. Juli 1987 nach drei Jahren Einzelhaft entlassen wurde. In einer neuen Hauptverhandlung
vor dem Obergericht wurde Weber für drei Sprengstoffanschläge verantwortlich gemacht, der
Anschlag auf das Haus von Bundesrat Friedrich konnte ihm hingegen nicht nachgewiesen
werden, und Weber wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.
Am 15. Januar 1988 wurde die «Winterthurer Erklärung» von einem Zusammenschluss aus
Eltern, Anwälten und Betroffenen veröffentlicht. Darin wurde die ganze Vorgehensweise von
Polizei und Staatsanwalt nochmals kritisiert und Bilanz gezogen: Von den 32 eröffneten
Strafverfahren führten lediglich drei zu Verurteilungen im Bezug auf die
Sprengstoffanschläge. Bei den weiteren Verfahren kam es zu neun Verurteilungen wegen
Sprayereien, vier Freisprüchen und zwölf Sistierungen. Um die Anklagen wegen Sprayereien
überhaupt möglich zu machen musste das Strasseninspektoriat Winterthur zuvor auf
Aufforderung der Kantonspolizei für jede einzelne Sprayerei eine Strafanzeige einreichen und
diese fotografisch dokumentieren, obwohl solche Straftaten eigentlich in die Zuständigkeit der
Stadtpolizei fielen. Hierbei sammelten sich im Jahr 1975 die Summe von 450 bis 500
Sachbeschädigungen an, wobei zum Beispiel drei verschiedenen Farben auf einer kleinen
Fläche in einer Wülflinger Unterführung auf Geheiss der Kantonspolizei als drei verschiedene
Straftaten zu erfassen waren.[28]
Am 19. August 1989 wurde Aleks Weber am Rande einer gewalttätigen Demonstration in
Zürich erneut verhaftet und wegen Aufruf zur Gewalt zu vierzehn Tagen unbedingt verurteilt.
Belastet hatten ihn zwei Polizisten, während ihn zwei Zeugen vor Gericht entlasteten. In den
Medienberichten wurde dieses Urteil als Niederlage der Zürcher Justiz angesehen, die sich an
Weber rächen wollte. Weber starb am 14. April 1994 in Winterthur an den Folgen seiner
AIDS-Erkrankung.
Die Gerichtsprozesse gegen Res S.
Res S. wurde auch kurz nach Webers Entlassung auf Anordnung des Obergerichts
freigelassen, nachdem ein Gutachten festgestellt hatte, dass er nicht eindeutig als der
Verfasser der ihm angelasteten Bekennerbriefe zugeordnet werden konnte.[29] S. wurde am 11.
Dezember 1989 vom Obergericht Zürich in einem weiteren Indizienprozess zu sieben Jahren
Zuchthaus verurteilt. Auch dieses Urteil wurde unter anderem vom Landboten hinterfragt, da
es bloss auf einer Indizienkette basierte. Sein Urteil bestätigte das Obergericht in einem
zweiten Prozess am 8. Februar 1990 nochmals. Das Urteil des Obergerichts gegen S. wurde
im Juli 1992 wie bereits das Urteil gegen Aleks Weber vom Kassationsgericht Zürich
aufgehoben, weil das Obergericht Verteidigerrechte nicht beachtet und den Argumenten der
Verteidigung zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Das Obergericht verurteilte ihn dann in
einem dritten Prozess zu einer Gefängnisstrafe 3 Jahren und 9 Monaten. Auch dieses Urteil
wurde vom Kassationsgericht wieder aufgehoben, da dass Obergericht ein weiteres Mal die
entlastenden Beweise für S. zu wenig beachtet hat. Im vierten und letzten Prozess
Revisionsprozess vor dem Obergericht wurde Res S. am 19. Mai 1995 zu schliesslich 18
Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt.[30]
Wegen unzulässiger Haftbedingungen während der Untersuchungshaft im Winterthurer
Bezirksgefängnis zog Res S. mit seinem Anwalt vor den Europäischen
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Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg. Dieser gab ihm in einem Urteil im Juni 1991 Recht,
und Res S. erhielt eine Genugtuung in der Höhe von 2'500 Franken sowie eine
Prozessentschädigung von 12'500 Franken zugesprochen.
Res S. konnte sich psychisch nie von der Untersuchungshaft erholen und war auch Jahre
später noch in psychiatrischer Behandlung und arbeitsunfähig. Für seine überlange Haftzeit
von 1291 Tagen erhielt er nie eine Entschädigung vom Staat zugesprochen.[30]
Bewertung
Die Heftigkeit der Polizeimassnahmen war unter anderem dadurch begründet, dass die
Behörden ähnliche Jugendunruhen wie in den frühen 1980er Jahren in der Stadt Zürich
(Opernhauskrawalle) befürchteten. Die Verhaftungswelle war insofern erfolgreich, als
dadurch die radikale Jugendszene in Winterthur praktisch zerschlagen wurde. Juristisch
gesehen erhärteten sich die Verdachtsmomente gegen die meisten Verhafteten jedoch nicht.
Während meist rechte Kreise das harte Durchgreifen der Behörden begrüssten, kritisierten
tendenziell linke Kreise die Verhaftungen als unverhältnismässig oder gar ungesetzlich
(Vorwurf der Beugehaft), insbesondere nach dem Selbstmord von Gabi S. in der
Untersuchungshaft. Fragen warf insbesondere der anonyme Brief an Gabi S. auf, dessen
Urheber wohl ein leitender Kriminalbeamter war, der während der Ermittlungen Suizid
beging. Die Urteile des Zürcher Obergerichts wurden mehrfach vom Kassationsgericht wegen
unzulässiger Beweisführung aufgehoben und die unzulässigen Haftbedingungen vom
Europäischen Menschengerichtshof verurteilt.
Aufarbeitung
Die kritische Aufarbeitung der Winterthurer Ereignisse erfolgte insbesondere durch den
Journalisten Erich Schmid, seit 1980 Reporter und Gerichtsberichterstatter des TagesAnzeigers. Schmid publizierte 1986 das Buch Verhör und Tod in Winterthur. Das Buch
lieferte die Vorlage für den gleichnamigen Dokumentarfilm von Richard Dindo (2001).
Rudolf Gerber, der damalige Chefredakteur des zu dieser Zeit «vor allem die Behördenlinie
vertretenden» Landboten, gestand 2007 ein, dass der Landbote dazumals «nicht allzugenau»
hinschaute.[7]