Das Navi für drinnen

MITTWOCH, 27. JANUAR 2016, NR. 18
Navvis-Gründer Robert Huitl,
Sebastian Hilsenbeck, Georg
Schroth, Felix Reinshagen
(v.l.): „Mit unserem Trolley ist
Scannen von Räumen einfach
wie Staubsaugen.“
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Navvis
Jede Woche stellt das
Handelsblatt
junge, aufstrebende
Unternehmer vor. Wir
werfen einen Blick
auf die Persönlichkeit,
das Geschäftsmodell
und die Finanzierung.
Das Navi für drinnen
Ein Start-up leitet Kunden durch Einkaufszentren und Museen.
Katrin Terpitz
München
Navvis (2)
W
er kennt das nicht: im
Einkaufszentrum oder
Flughafen verzweifelt
die Toilette gesucht, im
Möbelhaus die Betten
nicht gefunden, im Museum am besten
Exponat vorbeigelaufen. Unter freiem
Himmel kommen wir dank Navi und Google Street View in fremden Städten bequem ans Ziel. In Innenräumen jedoch
müssen wir uns mit Schildern und Karten
behelfen – wie schon in der Antike. Das
Problem: GPS funktioniert in Gebäuden
nicht, die Signale der Satelliten kommen
weder durch Beton noch durch Holz.
Georg Schroth wollte das nicht hinnehmen: „In Industrien unter freiem Himmel
– auf dem Acker bis zum Paketdienst – ist
digitales Navigieren der Standard, nur
nicht in Gebäuden. Dabei findet dort der
größte Teil der globalen Wertschöpfung
statt.“ Bei seinen Forschungen am GPSLab in Stanford suchte der Doktorand der
TU München nach einer Lösung: eine Indoor-Navigation, die – anders als die Technik von Google oder Apple – ohne störanfällige und wartungsintensive Sender wie
Wi-Fi oder Bluetooth auskommt.
Schroth erzählte einem Segelfreund,
der bei McKinsey arbeitete, von seiner
Idee. Felix Reinshagen erinnert sich noch
gut: „Ich riet Georg dringend von dem
Promotionsthema ab – viel zu schwierig.“
Schroth hörte nicht auf den Berater und
bastelte mit den Forscherkollegen Robert
Huitl und Sebastian Hilsenbeck an einem
Trolley, der Gebäude mit Lasern und Kameras scannt. „So etwas wie ein GoogleStreet-View-Auto – nur zum Schieben.“
Der Trolley zeichnet 3D-Bilder in Rundumsicht zentimetergenau auf. Darüber
lässt sich eine vierte Dimension mit Informationen legen.
Der Prototyp war mit zwei Lkw-Batterien mehr als 100 Kilo schwer. Dennoch
wollte ein Unternehmer aus Dubai das Gerät unbedingt kaufen, um neue Stadtviertel von innen zu kartieren. „Das zeigte
3D-Navigation durch Möbelmaxx (o.) und die ESA:
Zielgenaue Führung per Handy samt Zusatzinfos.
INDOOR NAVIGATION
NEUE WELTEN
Der Markt Marketsandmarkets schätzen
die Umsätze mit Indoor
und Real Time Location
2020 auf rund 55 Milliarden Dollar. Mit Services für Handel und
Industrie könnte der
Markt dreistellige Milliardenhöhen erreichen.
Die Konkurrenz Anders als Navvis nutzen
Wettbewerber wie
Google, Apple, Trimble
oder deutsche Anbieter wie Leica, Infsoft
und awiloc (Fraunhofer) meist Minisender
wie WLAN oder iBeacons zur Innennavigation. Das ist recht teuer
und wartungsintensiv.
Google Business View
bietet 360-Grad-Fotos
von Innenräumen. Lenovo und Google arbeiten an einem System, das Handys mit
Tiefensensor nutzt.
uns: Es gibt eine echte Nachfrage“, erzählt
Reinshagen. Er kündigte seinen gut dotierten Beraterjob, und zu viert gründeten
sie 2013 Navvis unter dem Dach der TU
München. Heute residiert die Firma mit
60 Leuten im Münchener Start-up-Viertel
rund um die Nymphenburger Straße,
Egym, Stylight und Flixbus liegen visà-vis. Bald schon hagelte es Gründerpreise, zuletzt auf der Digital-Konferenz DLD.
Navvis-Trolleys haben viele Hektar Innenraum kartiert, wie im Deutschen Museum. Per Smartphonekamera werden
Besucher durch die Ausstellung geführt,
per Klick können Zusatzinfos wie Filme
eingeblendet werden. Möglich ist auch
ein virtueller Rundgang am Computer zu
Hause – dadurch ist etwa die Luftfahrtschau, die bis 2019 saniert wird, weiter zu
begehen. Auch die Alte Pinakothek hat
Navvis mit vielen 100 Millionen Messpunkten kartiert – in nur zwei Stunden.
„Das Scannen ist so einfach und schnell
wie Staubsaugen“, sagt Reinshagen.
Auch im Handel eröffnen sich neue
Welten. Wenn die Kunden durch die Möbelhäuser von XXXL Lutz bummeln, können sie ihr Handy mit Kamera vor ein Sofa halten und alles über Farben, Preis und
Lieferzeit erfahren. Per Klick lässt sich
das Sofa in den Warenkorb schieben – wie
auch der passende Teppich davor.
Den größten Markt für Indoor-Navigation sehen die Navvis-Gründer bislang in
der Industrie. Die Konzerne wollen Wartung, Planung und Abläufe optimieren.
Siemens und BMW gehören zu den Kunden. So hat Navvis die komplette Fertigung von BMW in München gescannt – an
einem Wochenende, 150 000 Quadratmeter mit endlosen Bändern, an denen
am Tag rund 1 000 Autos entstehen.
„Bisher werden weltweit Unsummen
verschwendet, weil der Monteur einen
defekten Saugstutzen im Werkslabyrinth
lange sucht oder die falschen Ersatzteile
dabei hat“, sagt Reinshagen. Jetzt checken Experten alles von Ferne vorab und
werden dann direkt hingeleitet. Auch der
Industrieversicherer der Allianz, AGCS,
testet Navvis, um Firmengelände aus der
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Ferne zu beobachten und Risikoreports
zu erstellen. Maarten van der Zwaag, Leiter technische Risikoprüfung für Sachversicherungen: „Normalerweise dokumentieren unsere Risikoingenieure vor Ort Sicherheitsstandards mit Fotos, die
natürlich nicht an 3D-Welten heranreichen können. Unsere ersten Erfahrungen
mit Navvis sind vielversprechend.“
Überaus wichtig ist den Unternehmen
der Schutz ihrer hochsensiblen Daten.
Schließlich soll kein Industriespion virtuell durch ihre Werke laufen. „Kaum ein
Konzern würde von Google seine Fabriken scannen lassen, selbst wenn das gratis wäre“, meint Reinshagen. Meist wollten Unternehmen ihre Hallen selbst scannen und so die Datenhoheit behalten.
Die Gründer sind selbst überrascht von
ihrem Erfolg: „Wir sind erst seit einem
Jahr am Markt, aber haben schon Zugang
zu so vielen Konzernen. Offenbar haben
wir den Nerv der Zeit getroffen.“ Geld verdient Navvis mit dem Verkauf der Trolleys
sowie mit einem kombinierbaren Angebot aus Hardware, Software und Service.
Die Preise starten bei wenigen Tausend
Euro – etwa bei einem reinen Miet- oder
Subskriptionsmodell – und erreichen
mehrere Hunderttausend Euro, wenn ein
Kunde eigene Trolleys an mehreren
Standorten einsetzt. 2015 wurden 15 Wagen gebaut, in diesem Jahr sollen mindestens 50 in Serie gehen. Der Kauf lohne
sich für Firmen sowie für Vermessungsbüros. Reinshagen: „Einen Quadratmeter
mit dem Navvis-Trolley zu scannen kostet
nur ein Prozent von dem, was Einmessen
mit traditionellen Laserscannern kostet.“
Viele Trolleys hat Navvis nach Asien verkauft. „Natürlich steht zu befürchten,
dass jemand unseren Trolley nachbauen
will“, sagen die Gründer. „Aber wir halten
Patente an den Schlüsselstellen.“
Der Markt für Indoor-Navigation ist riesig. Navvis schätzt, dass in zehn Jahren
ein Drittel der umbauten Fläche weltweit
digitalisiert ist. Namhafte Konkurrenten
wie Google oder Apple fürchtet das Startup nicht, die Gründer fühlen sich mit ihrer senderfreien Technik und ihrem nutzerfreundlichen Geschäftsmodell im Vorteil. Umsätze will Navvis nicht nennen:
„Wir wachsen rasant. In wenigen Jahren
können wir zu einem Global Player werden. Der Break-even ist in zwei bis drei
Jahren erreichbar, dann wollen wir aber
eher noch eine Kapitalspritze nehmen.“
Im Dezember hat Navvis 7,5 Millionen
Euro von Investoren wie Target Partners
eingesammelt. Damit will Navvis Trolleys
vorfinanzieren, Vertrieb und Service international aufbauen. Business-Angel der
ersten Stunde ist Ex-McKinsey-Mann Lothar Stein. 2014 folgten die MIG AG und
die Bayerische Beteiligungsgesellschaft.
Die MIG AG war froh, ihr Investment auf
15 Prozent und damit rund vier Millionen
Euro aufzustocken. „Das Start-up hat ein
neues Ökosystem geschaffen, auf dem viele innovative Geschäftsmodelle wachsen
können“, glaubt Partner Axel Thierauf.
Navvis hat auch einen prominenten Investor aus dem Silicon Valley: Innovationsguru Don Dodge von Google. „Navvis
ist wie Google Street View in 3D für Gebäude. Es wird unzählige neue Geschäftsfelder generieren. Ich bin überzeugt, dass die Technologie in ihrer Bedeutung Maps und GPS noch
übertreffen wird“, meint Dodge. Sorge,
dass der Google-Mann Betriebsgeheimnisse von Navvis nutzen könnte, haben
die Gründer nicht: „Don ist als Privatmann investiert und ein wichtiger Multiplikator für uns im Silicon Valley.“
UNTERNEHMEN & MÄRKTE 23
MITTWOCH, 27. JANUAR 2016, NR. 18
Kaesers
Etappensieg
Den guten Zahlen zum Trotz: Aktionäre
erwarten mehr Erfolge vom Siemens-Chef.
Axel Höpner
München
M
it den Umsätzen und Gewinnen ist auch das Selbstbewusstsein von Joe Kaeser
gewachsen. Gut gelaunt steht er in
der Münchener Olympiahalle, gerade hat er die Gewinnprognose für
das laufende Jahr angehoben. „Es
wird nicht viele Nachahmer geben“,
frohlockt der Siemens-Chef, „vor allem nicht in unserer Branche.“
In der Tat schnitt Siemens zuletzt
besser ab als so mancher Konkurrent. Während sich Kaeser auf die
Hauptversammlung vorbereitete,
legte Philips Zahlen vor. Zwar gibt
es nicht mehr so viele Schnittstellen
wie früher, aber beide Konzerne
sind zum Beispiel in der Medizintechnik aktiv. Philips meldete einen
Quartalsverlust. Auch der große
Erzrivale General Electric hatte zu
kämpfen, der operative Gewinn im
Industriegeschäft sank zuletzt. Bei
Siemens dagegen stieg er im ersten
Quartal 2015/16 um zehn Prozent
auf zwei Milliarden Euro.
Der Siemens-Umbau also zeigt
Wirkung. Die Aktie sprang am Tag
der Hauptversammlung dank Kaesers Prognoseanhebung zwischenzeitlich um acht Prozent auf 90 Euro. Die Aktionäre freute das. Man
sei ja auch „durch ein Tal der Tränen“ gegangen, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Man
wolle endlich wieder stolz darauf
sein, Siemens-Aktionär zu sein.
Damit es so kommt, forderten
Bergdolt und andere Anleger weitere Verbesserungen ein.
„Die kommenden zwölf Monate
sind für die Investoren der große
Lackmustest, ob die neue Strategie
wirklich funktioniert“, sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment. Siemens habe zuletzt von
der „Substanz vergangener Größe“
gezehrt. „Zusätzliche Wachstumsinitiativen sind nötig, um Siemens
für die Herausforderungen der
nächsten Dekade fit zu machen.“
Speich bezweifelte zudem, ob das
Öl- und Gasgeschäft, das Siemens
durch die teure Übernahme von
Dresser-Rand ausgebaut hat, noch
zeitgemäß ist. „Siemens darf nicht
zum Dinosaurier werden!“
7,6 Milliarden Dollar hatte Kaeser
vor anderthalb Jahren inklusive
Schuldenübernahme gezahlt. Seither ist der Ölpreis drastisch eingebrochen, die Förderer halten sich
mit Investitionen zurück. Die meisten Ausgaben seien aufgeschoben,
nur wenige aufgehoben, vertröstete
Kaeser die Investoren. Das Ölgeschäft sei „strukturell intakt“. Der
Verbrauch steige kontinuierlich.
Und beim Service der installierten
Basis, wo Dresser-Rand stark ist,
spiele der Preis des Öls, der durch
die Pipeline fließe, keine Rolle.
Aktuell aber liegen die Auftragseingänge in der Sparte weiter unter
dem Umsatz. Die Trendwende ist
also nicht in Sicht. Wenn Kaesers
„Vision 2020“ ein Erfolg werden
soll, wäre es allerdings hilfreich,
REUTERS
22 UNTERNEHMEN & MÄRKTE
Siemens-Chef Kaeser: Der Umbau des Konzerns zeigt Wirkung, doch
nach Ansicht der Investoren ist es zum Jubeln noch zu früh.
Siemens
1. Quartal
Aktienkurs in Euro
Umsatz
in Mrd. Euro
100
+14,6 %
17,4
2015
2016*
Nettoergebnis
in Mrd. Euro
18,9
+41 %
95
90
1,1
85
Analystenempfehlungen
Letzte 12 Monate
80
75
1.10.2015
26.1.2016
Handelsblatt | Quellen:
Bloomberg, Thomson Reuters, Unternehmen
1,5
KGV
09/2016
14 kaufen
13,6
15 halten
Börsenwert
in Mrd. Euro
2 verkaufen
*1.10. bis 31.12.2015
78,78
wenn sich seine größte Investition
nicht als Fehlgriff erweist. Von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme gab
es für Kaeser in Sachen DresserRand aber die Absolution: „Die
strategische Entscheidung hat sich
als richtig herausgestellt, selbst
wenn der Rückgang des Ölpreises
das Geschäft derzeit erschwert.“
Kaeser feilt währenddessen weiter am Portfolio. Am Montagabend
gab der Aufsichtsrat grünes Licht
für den Kauf der US-Softwarefirma
CD-Adapco für knapp eine Milliarde
Dollar. Am Dienstag dann gab er
den Verkauf der Restbeteiligung an
der ehemaligen Hörgerätesparte Sivantos für 300 Millionen Euro an
den Finanzinvestor EQT bekannt.
Kaeser hat den Konzern ganz
nach seinen Vorstellungen umgebaut. Ziel ist es, schneller zu wachsen als die Konkurrenz. „Im aktuell
schwierigen Umfeld kein leicht zu
erreichendes Ziel“, sagte Marcus
Poppe von der Deutschen Asset Management. „Der Wettbewerbsdruck
wird eher zunehmen.“
Kaeser aber erwartet eine Beschleunigung des Wachstums. Im
Gesamtjahr werde das vergleichbare Umsatzwachstum höher ausfallen als im ersten Quartal, sagte er.
Von Oktober bis Dezember waren
die Erlöse bereinigt um ein Prozent
gestiegen. Einschließlich Währungseffekten und Zukäufen wuchsen die Erlöse sogar um acht Prozent auf 18,9 Milliarden Euro.
Damit es weiter aufwärtsgeht, wäre es am besten, wenn Kaeser seine
„Vision 2020“ selbst vollendet,
meinte Fondsmanager Speich. Der
Siemens-Chef, dessen Vertrag bis
2018 läuft, solle mindestens bis
2020 weitermachen. „Vorzeitig von
Bord zu gehen wäre verantwortungslos.“
Was Kaeser dazu sagt? Er lacht,
das Selbstbewusstsein ist derzeit
groß. Das sei doch besser, meint er,
als gäbe es Forderungen nach einem vorzeitigen Abschied.
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