April 2016 Wir wollen die Ausbildung zur Altenpflege erhalten, weil wir den Beruf der Altenpflege erhalten wollen. Unsere Position in der aktuellen Diskussion des Pflegeberufegesetzes 2 Termine Editorial Interne Termine im April 2016 06.04. Tagung der Pflegedienstleitungen Westsachsen und Thüringen in der NL Borna, Brauhausstraße 1 12.04. Tagung der Pflegedienstleitungen ambulante Pflege Ostsachsen/ Berlin und Sachsen-Anhalt in Berlin ** 13.04. Tagung der Praxisanleiter aller Niederlassungen in Leipzig * 18.04. Tagung der Qualitätsbeauftragten in Berlin ** 21.04. Tagung der Niederlassungsleitungen in Berlin ** 26.04. Tagung der verantwortlichen Pflegefachkräfte der Intensiv pflege in Leipzig * Impressum Herausgeber advita Pflegedienst GmbH Kantstraße 151 10623 Berlin Tel 030 4372730 Fax 030 437273114 [email protected] Redaktion Dr. Matthias Faensen Milada Tupová-Faensen Peter Fischer Uli Schuppach [email protected] Fotos advita Pflegedienst GmbH Gestaltung Petra Bott, Hanady Gamgoum V. i. S. d. P. Dr. Matthias Faensen Seminare und Fortbildungen der advita Akademie 04.04. »Kinästhetik Schnuppertag« in Leipzig * 04./05.04. »Deeskalation in schwierigen Pflegesituationen« in Berlin ** 06.04. »Beschäftigungsangebote bei schwerer Demenz« in Berlin ** 06.04. »Sterbebegleitung bei Demenz« im advita Haus Neumarktschule, Neumarkt 51, Meißen 07./08.04. »Deeskalation in schwierigen Pflegesituationen« in Leipzig * 11./12.04. Grundkurs »Führung und Verantwortung« (Gruppe 2) in Berlin ** 11./12.04. »advita Basiskurs« (2016-01 Block 2) in Leipzig * 14.04. »Entbürokratisierung der Pflegedokumentation« in Leipzig * 14.04. »Atmen und Bewegen für Rücken, Schultern und Nacken« in Weinböhla *** 14./15.04. »Aufbaukurs Führung und Verantwortung bei advita« (Gruppe 3) in Berlin ** 18./19.04. »Kinästhetik Grundkurs« (2016-01 Block 1) in Leipzig * 25.04. »Pflegerische Besonderheiten im Umgang mit Schmerzpatienten« in Leipzig * 27.04. »Prophylaxen – theoretischer Hintergrund« in Weinböhla *** 28.04. »Portkatheterversorgung« in Leipzig * * advita Haus Klangwerk, Leipzig-Stötteritz, Melscher Straße 7 ** advita Zentrale in Berlin, Kantstraße 151 *** advita Haus Weinböhla, Dresdner Straße 93 Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aus steuerrechtlichen Gründen mussten wir die Modalitäten zur Aufladung der Bonuskarte umstellen und den Start der Einführung verschieben. Diese Verzögerung bitten wir zu entschuldigen. Mit der Umstellung wird die Bonuskarte seit Februar jeweils für den laufenden Monat aufgeladen. Wir wünschen weiterhin viel Spaß mit Ihrer advita-Bonuskarte! Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ausgabe unseres advita Journals widmet sich der sogenannten »generalistischen Ausbildung«. Damit ist die Zusammenlegung der Ausbildungen in der Altenpflege, der Krankenpflege und der Kinderkrankenpflege zu einem einheitlichen Ausbildungsgang gemeint. Auf den folgenden Seiten finden Sie viele Informationen und auch die Meinungen der einschlägigen Verbände in der Altenpflege. Seit vielen Jahren wurde über dieses Thema diskutiert, zweimal stand das Vorhaben in einer Koalitionsvereinbarung der Regierungskoalitionen, jetzt soll der Gesetzgeber es umsetzen. Wir meinen: Der Tag, an dem das geschieht, wird ein schwarzer Tag für die Altenpflege sein. Warum wir das meinen? Weil die Argumente der Befürworter nicht zutreffen und weil die Altenpflege sich sehr gut entwickelt hat; auch die Ausbildung zur Altenpflege. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist in den letzten Jahren stark angewachsen, das Interesse an dem Beruf ist deutlich gestiegen – ebenso das Ansehen des Berufes in der Öffentlichkeit. Wohl müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, wohl müssen die Personalrelationen in den Heimen erhöht werden, wohl muss die Vergütung der Leistungen durch die Pflege- und Krankenkassen verbessert werden, damit wir höhere Löhne zahlen können. Das alles ist richtig. Wer sich aber den Beruf der Altenpflege anschaut, wird gar keinen Grund sehen, etwas am Beruf und an der Ausbildung zu ändern oder gar beides abzuschaffen. Das Hauptargument für die generalistische Ausbildung ist die Hoffnung, dass bisherige Krankenschwestern und Altenpflegerinnen, wenn sie die gleiche Berufsbezeichnung haben, auch das gleiche Gehalt beziehen werden. Was für eine naive Illusion! Schon heute zahlen wir in der ambulanten Pflege Krankenschwestern und Altenpflegerinnen das gleiche Gehalt. Denn die Höhe des Gehaltes hängt nicht von deren Beruf ab, sondern von den Verträgen, die wir mit den Pflege- und Krankenkassen und den Sozialämtern schließen. Nicht Krankenschwestern und Altenpflegerinnen erhalten unterschiedliche Gehälter, sondern Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben unterschiedliche Verträge, die ihnen die unterschiedlichen Gehaltszahlungen aufzwingen. Eine Folge der Zusammenlegung der Ausbildungen wird sein, dass eine Auszubildende nur noch wenige Wochen im Jahr im Ausbildungsbetrieb arbeiten wird. Stattdessen wird sie über diverse Stationen rotieren müssen. Und nirgends wird sie sich richtig einleben, die Arbeitsabläufe wirklich kennenlernen und Vertrauensbeziehungen zu erfahrenen Kolleginnen aufbauen können. Bei uns hat etwa die Hälfte der Auszubildenden vorher als sogenannte »Pflegehilfskräfte« gearbeitet. Wir schätzen diese Auszubildenden sehr. Sie kennen ihre Berufspraxis bereits, ihre Entscheidung zur weiteren Qualifizierung ist eine überlegte, auf Erfahrung fußende Zukunftsentscheidung. Sie nehmen die Ausbildung ernst und sind später engagierte Fachkräfte in unseren Einrichtungen. Werden sie die Ausbildung beginnen, wenn sie davon ausgehen müssen, dass sie die meiste Zeit gar nicht in ihrem Betrieb sein werden, in dem sie schließlich all die Jahre zufrieden waren und sich zu Hause fühlen? Kleinere Pflegeeinrichtungen werden sich den organisatorischen Aufwand, der zukünftig mit der Ausbildung und den vielen Stationen für die Praxiseinsätze verbunden sein wird, nicht leisten können und schlichtweg aufhören, auszubilden. Das wird die Ausbildungskapazitäten in den Einrichtungen, insbesondere in der ambulanten Altenpflege, reduzieren. Wir fürchten, dass nicht nur die Ausbildung, sondern mit ihr auch der Beruf der Altenpflege verschwinden wird. Und damit all die Besonderheiten, Qualifikationen und Einstellungen, die für die Altenpflege, und das heißt, für die Menschen, die auf die Altenpflege angewiesen sind, so wichtig, so unentbehrlich sind. Wir hoffen, dass die Argumente der Vielen, die sich für den Erhalt der Altenpflege einsetzen, die politischen Entscheidungsträger am Ende doch noch überzeugen werden. Ihr Dr. Matthias Faensen im Namen der Geschäftsführung 3 4 Ausbildungsreform 5 Die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen! Durch die Einführung der sozialen Pflegeversicherung kam es ab 1995 zu einem Anstieg des Bedarfs an qualifiziertem Pflegepersonal. Einhergehend mit der Zunahme älterer und pflegebedürftiger Menschen und demenziellen Erkrankungen veränderten sich auch die Anforderungen an die Altenpflege. Am 1. August 2003 trat das Altenpflegegesetz (AltPflG) in Kraft. Dadurch wurde die Altenpflegeausbildung für alle Bundesländer einheitlich geregelt. Ziel war es, dem Beruf ein klareres Profil zu geben, ein einheitliches Ausbildungsniveau zu erzielen und das Berufsbild attraktiver zu gestalten. In dieser Ausgabe unseres advita Journals beschäftigen wir uns mit dem Thema Ausbildung und insbesondere mit der durch die Bundesregierung geplanten generalistischen Ausbildung. Zunächst werfen wir mal einen Blick zurück. In den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren waren Altenpflegeheime knapp, die Zahl alter und behinderter Menschen stieg. Frühere Strukturen in Familien, die bisher ihre Familienangehörigen pflegten, existierten nicht mehr. Krankenpflegepersonal stand auch nicht genügend zur Verfügung. Entsprechend suchte man jetzt vor allem weibliche Arbeitskräfte für die Pflege alter Menschen. Es herrschte damals die Vorstellung, dass Frauen eine Naturbegabung zur Pflege hätten, folglich hielt man eine spezielle Ausbildung nicht für notwendig. Obgleich bereits Florence Nightingale 1860 eine Pflegeschule gründete und deutlich machte, dass Pflege neben handwerklichen Fähigkeiten auch theoretisches Wissen erfordert. Noch heute wird ihr Geburtstag, der 12. Mai, als internationaler Tag der Pflegenden zelebriert. Erste Voraussetzungen für den Altenpflegeberuf wurden in Deutschland erst Ende der 50er Jahre geschaffen. Einige konfessionelle Einrichtungen begannen damit, für ihre Altenpflegerinnen betriebsinterne Schulungen durchzuführen. Die Lehrgangsdauer betrug seinerzeit wenige Wochen bis maximal sechs Monate. Die Ausbildung zum Altenpfleger und zum Altenpflegehelfer wurde erstmals 1969 durch Allgemeine Prüfungsordnungen (APO) auf Landesebene geregelt. Die Schaffung eines Berufsbildes für diesen sozialpflegerisch orientierten Beruf wurde damit vorangebracht. Nach Gründung des Deutschen Verbandes für Altenpflege (DBVA) in den 70er Jahren wurde der Ausbildungsgang in fast allen Bundesländern auf zwei Jahre erweitert. In den 80er Jahren formulierte der DBVA das Berufsbild für staatlich anerkannte Altenpfleger/-innen. Hierbei floss das Berufsverständnis der Altenpflege – eine Mischung aus Lebensbegleitung, medizinischer Betreuung, Hauswirtschaft, Hotelservice und individueller Kundenbetreuung – mit ein. Ende der 90er Jahre kam es bundesweit zur Durchsetzung der dreijährigen Altenpflegeausbildung und dazu, dass Altenpflegekräfte wie Gesundheits- und Krankenpflegekräfte medizinische Behandlungspflege im Arztauftrag durchführen. Der Ausbildungsberuf zum Altenpfleger heute Die Ausbildung in der Altenpflege ist bundesweit einheitlich durch das genannte Gesetz geregelt und zielt darauf ab, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Pflege einschließlich Beratung, Begleitung und Betreuung der älteren Menschen erforderlich sind. Die Ziele sind im Altenpflegegesetz aufgezählt. Die Ausbildung dauert danach drei Jahre. Sie kann jedoch auch in Teilzeitform durchgeführt werden und dauert in diesem Fall vier Jahre. Die Ausbildung umfasst theoretischen und praktischen Unterricht in einer Altenpflegeschule sowie die praktische Ausbildung in einem Heim, einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer ambulanten Pflegeeinrichtung (ambulanter Pflegedienst). Unterricht und praktische Ausbildung wechseln sich meist in mehrwöchigen Blöcken ab, wobei der Anteil an der praktischen Ausbildung überwiegt. Kenntnisse und Fähigkeiten aus einer anderen abgeschlossenen Ausbildung, insbesondere in der Pflege, können angerechnet werden. Auf Antrag kann die Dauer der Ausbildung in der Altenpflege verkürzt werden. Es gibt außerdem die Möglichkeit, eine Berufsfachausbildung als Altenpfleger/-in mit einem Hochschulstudium zu kombinieren. Zahlen und Fakten Die Zahl der Auszubildenden in der Altenpflege ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Auch die Zahl der Beschäftigten insgesamt ist seit 2000 weiter angestiegen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob wir den Bedarf an Fachkräften für unsere Branche in Zukunft, auch in Hinblick auf die generalistische Ausbildung, decken können. Laut Arbeitsmarktbericht (Dez. 2015) der Bundesagentur für Arbeit registrierte die Branche Pflege und Soziales im Oktober 2015 ein Plus von 93.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen. Im Vergleich zu anderen Branchen der absolut größte Wert im Vergleich zum Vorjahr. »Jede siebte neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist im letzten Jahr im Bereich Pflege und Soziales entstanden. Damit ist diese Branche Jobmotor Nummer eins in Deutschland«, erklärte Rainer Brüderle, Präsident des bpa Arbeitgeberverbandes in einer Pressemitteilung des Verbandes vom 11. Januar 2016. Und weiter: »In der Pflege entstehen die sichersten Arbeitsplätze der nächsten Jahrzehnte. Es steht also besser um die Berufsaussichten im Pflege- und Sozialbereich als es von vielen Seiten oft suggeriert wird, wenn hier einerseits immer mehr Jobs entstehen und sich andererseits immer mehr Menschen für genau diesen Beruf entscheiden.« Reform der Pflegeberufe Trotz der eigentlich positiven Zahlen seit einigen Jahren wird weiterhin über die Reform der Pflegeberufe diskutiert. Hierbei haben sich verschiedene Gruppen herauskristallisiert: Die Befürworter der generalistischen Ausbildung, die eine Zusammenlegung der drei Ausbildungsberufe präferieren (Altenpfleger/-in, Gesundheitsund Krankenpfleger/-in und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in). Die Gruppe derer, die einer integrierten Pflegeausbildung – gemeinsame Grundausbildung von (1,5–2 Jahren) und anschließender Spezialisierung mit entsprechendem Abschluss – den Vorzug geben. 6 Ausbildungsreform Und diejenigen, die den enormen Kosten- und Reformaufwand für verfehlt halten und lieber direkt in die Gewinnung von Fachkräften investieren und die Durchlässigkeit erhöhen würden, indem mehr Altenpflegekräfte auch in Krankenhäusern und Krankenpflegekräfte in Pflegeheimen eingesetzt werden. Einig sind sich dabei alle: Es sind gemeinsame Anstrengungen notwendig, damit der Pflegeberuf an Attraktivität gewinnt und somit der Fachkräftemangel in der Pflege abgebaut wird. Die Reform hin zu einer generalistischen Ausbildung in der Pflege hat derzeit die Nase vorn. Was ist die generalistische Pflegeausbildung? Blicken wir noch mal auf das Ziel, das mit dem am 1. August 2003 in Kraft getretenen Altenpflegegesetz (AltPflG) avisiert war, zurück: Ziel war es, dem Beruf ein klareres Profil zu geben, ein einheitliches Ausbildungsniveau zu erzielen und das Berufsbild attraktiver zu gestalten. Wenn man sich nur die Zuwächse der Altenpflegeberufe ansieht, ohne die steigende Zahl der Pflegebedürftigen und den damit verbunden Fachkräftebedarf dagegen zu rechnen, könnte man sagen, das Ziel, das man sich damals gesetzt hat, wurde durchaus erreicht. Das Kabinett hat am 13. Januar 2016 ein Pflegeberufsreformgesetz verabschiedet, das eine einheitliche Ausbildung für alle Pflegebereiche vorsieht. Warum eine Reform? Die Bundesregierung hält aufgrund der demografischen Entwicklungen (Frachkräftemangel, sinkende Schulabgängerzahlen) sowie der sich verändernden pflegerischen Anforderungen und den damit verbundenen steigenden Anforderungen an die Ausbildung eine Anpassung bzw. Reform der Ausbildung in den Pflegeberufen für notwendig. Sie definiert dabei drei Reform-Ziele: 1. Steigern der Attraktivität der Ausbildung 2. Steigern der Einsatzflexibilität und Mobilität 3. Erhöhen der Ausbildungsqualität 7 Die im AltPflG und im KrPflG geregelten Ausbildungen werden zusammengeführt. Dadurch soll ein transparentes und durchlässiges Aus- und Weiterbildungssystem geschaffen werden. Bestehende Ausbildungsstrukturen dienen als Basis für den neuen Ausbildungsberuf »Pflegefachfrau/Pflegefachmann«. Mit Einführung einer gemeinsamen und einheitlichen Finanzierung wird die Ausbildung für Auszubildende kostenfrei. Schulgeld würde dann in keinem Bundesland mehr erhoben. Wie sieht die praktische Umsetzung aus? Die neue Pflegeausbildung ist eine dreijährige Fachkraftausbildung mit Unterricht an Pflegeschulen sowie praktischer Ausbildung. Bei der praktischen Ausbildung können die Auszubildenden einen Schwerpunkt wie beispielsweise Altenpflege wählen, der auch auf dem Abschlusszeugnis als »Vertiefungseinsatz« ausgewiesen wird. Die Ausbildung ist, wie bisher auch, in Teilzeit möglich und dauert dann vier Jahre. Grundsätzlich ist der Ausbildungsbetrieb (Träger der Ausbildung) für die gesamte praktische Ausbildung inkl. Praxisanleitung verantwortlich. Wobei der Mindestumfang der Praxisanleitung mit 10 % der Ausbildungszeit des jeweiligen praktischen Einsatzes erstmals verbindlich vorgegeben ist. Für die neue Ausbildung benötigt man einen mittleren Schulabschluss oder eine zehnjährige allgemeine Schulbildung. Möglich ist die Ausbildung auch für diejenigen, die einen Hauptschulabschluss haben, wenn sie über weitere Qualifikationen verfügen (z. B. erfolgreich abgeschlossene einjährige Ausbildung in der Pflegeassistenz). Am 1. Januar 2019 könnte der erste Jahrgang des neuen Ausbildungsberufs frühestens starten. Denn nach der Verabschiedung des Pflegeberufsreformgesetzes brauchen Pflegeschulen und Ausbildungsbetriebe hinreichend Zeit, um sich auf die neue Ausbildung einzustellen. Auch Musterrahmenausbildungs- und -lehrpläne müssen noch erarbeitet werden. Stefan Brümmer, Bereichsleiter Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt Gerrit Buchhorn, Leiter Personal Marie-Luise Mangelsdorf, Leiterin advita Akademie Positionen von Berufsverbänden – Was für und gegen die Generalistik spricht Bewerberzahl wird einbrechen DBVA Deutscher Berufsverband für Altenpflege e. V. Der DBVA argumentiert auf der Ebene der Qualität und Attraktivität der Ausbildung. Drei hochqualifizierte Fachberufe in gleicher Zeit zu einem Beruf auszubilden, ist ohne Kompetenzverlust nicht möglich, sagt der DBVA. Es werden nach drei Jahren nicht nur schlechter Ausgebildete, sondern wahrscheinlich auch weniger Berufsanfänger, insbesondere in der Altenpflege, zur Verfügung stehen. Die Konsequenzen für die ohnehin schon schwierige Personalsituation sind abzusehen, argumentiert der DBVA. Ziel muss sein, die Pflegeausbildung weiterzuentwickeln DBfK Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Positiver Impuls zur Weiterentwicklung und Modernisierung der Pflegeausbildung. Die Ausbildung regelhaft auch an Hochschulen als zweiten Berufszugang zu eröffnen, ist eine wichtige Weichenstellung angesichts der gestiegenen Anforderungen an die pflegerische Versorgung und ein Schritt hin zur Normalität in den anderen EU-Staaten. Ziel der Gesetzesreform muss sein, die Pflegeausbildung weiterzuentwickeln, damit die Absolventen auf die qualitativen Anforderungen des Berufes gut vorbereitet werden und den Beruf möglichst lange ausüben können und wollen, so die Argumentationslinie des DBfK. Schlimmste Befürchtungen werden wahr VDAB Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e. V. Das Ziel der generalistischen Pflegeausbildung sei eine höhere Attraktivität und ein moderneres Berufsbild – aufgegeben werden jahrzehntelang gewachsene und hochspezialisierte Berufe. Die Opfer sind die Pflegebedürftigen, die Spezialkenntnisse für eine individuelle Versorgung in Zukunft mehr denn je brauchen, und die Pflegeeinrichtungen, denen ein zusätzlicher Engpass bei den Fachkräften gepaart mit erhöhter Bürokratie zugemutet wird, so die Sicht des VDAB. Gesamtkompetenz der Pflegenden dringend nötig DPV Deutscher Pflegeverband e. V. Der Deutsche Pflegeverband begrüßt den Entwurf zur Ausbildungsreform. Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Multimorbidität älterer Menschen in Altenpflegeheimen und Patienten mit eingeschränkter Alltagskompetenz in Krankenhäusern ist eine Gesamtkompetenz der Pflegenden dringend erforderlich. Krankenpfleger müssen immer mehr Kenntnisse im Umgang mit Demenzkranken mitbringen, Altenpfleger dagegen benötigen mehr medizinisch-pflegerisches Know-how. 8 Interview generalistische Pflegeausbildung Die Position unseres Verbandes, dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) Interview mit dem Bundesgeschäftsführer Bernd Tews zur geplanten generalistischen Pflegeausbildung Ein wesentliches Argument der Befürworter der generalistischen Ausbildung sind die Gehaltsunterschiede zwischen Kranken- und Altenpflege. Sehen Sie eine Chance, dass sich die Gehälter der Altenpflege an die der Krankenpflege angleichen werden, wenn es eine einheitliche Ausbildung gibt? Bernd Tews, Bundesgeschäftsführer des bpa Seit vielen Jahren wird über eine neue Ausrichtung der Pflegeberufe gesprochen. Nun berät der Gesetzgeber über eine generalistische Ausbildung der Pflegeberufe. Was ist die Position des bpa zur generalistischen Pflegeausbildung? Die Generalistik als Zusammenführung dreier Pflegeberufe zu einem – bei gleicher Ausbildungsdauer – ist der Anfang von fehlender Spezialisierung und gleichzeitig das Ende der Altenpflege. Fachwissen und -kompetenzen werden flachem Breitenwissen geopfert – das gilt natürlich auch für die Kranken- und besonders für die Kinderkrankenpflege. Leidtragende werden schließlich die Pflegebedürftigen, die Einrichtungen und die Pflegekräfte sein. Wer sich zukünftig für die Altenpflege entscheidet, soll die Inhalte der zwei anderen Berufe miterlernen und ist am Ende obendrein für seinen Wunschberuf nicht ausreichend qualifiziert. Den zukünftigen Fachkräften fehlt das notwendige Fachwissen und die Praxiserfahrung. Sie sind auf ihre Aufgaben nach der Ausbildung nicht annährend so gut wie heute vorbereitet. Im Gegenteil: Sie sind überfordert und müssen sich auf eigene Kosten nachqualifizieren. Die Vertreter dieser Hypothese tun so, als wäre die Berufsbezeichnung für die Gehaltsunterschiede verantwortlich. Richtig ist, dass in der Altenpflege Krankenpflegekräfte und Altenpflegekräfte gleichwertig entlohnt werden. Richtig ist auch, dass es ein Gehaltsgefälle zwischen den Krankenhäusern, die besser zahlen, und der Altenpflege gibt. Das liegt an den Kostenträgern in der Altenhilfe, den Pflegekassen und an den Sozialhilfeträgern. Insbesondere die am Verhandlungstisch sitzenden Sozialhilfeträger, die Kommunen, Städte und Länder sehen sich regelmäßig außerstande, höhere Pflegesätze zu vereinbaren, denn die Pflegeversicherung übernimmt, anders als die Krankenversicherung, nur einen Teil der Pflegekosten. Folglich werden die Pflegebedürftigen und die Sozialhilfeträger den Löwenanteil tragen müssen. In der Krankenversicherung zahlt alles die Krankenversicherung. Dort gibt es kaum Widerstände bei der Berücksichtigung besserer Gehälter. Wenn hier eine Angleichung gewünscht ist, ist der Gesetzgeber in der Pflicht. Er muss die Kostenträger per Gesetz zur Gleichbehandlung zwingen. Mit der Ausbildung hat das überhaupt nichts zu tun. Die aktuellen Ausbildungs- und Beschäftigungszahlen für die Pflegeberufe (Altenpflege) liegen uns vor. Sie zeigen einen ständigen Anstieg, auch der Zahl der Auszubildenden. Welche Auswirkungen könnte Ihrer Meinung nach die generalistische Ausbildung darauf haben? In den letzten Jahren sind die Ausbildungsplatzzahlen in der Altenpflege stetig zweistellig angestie- gen. Nicht zuletzt durch die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive konnte die Zahl der Ausbildungseintritte in die Altenpflegeausbildung allein in den Jahren 2012/2013 von 23.418 auf 26.740 Eintritte in den Jahren 2013/2014 angehoben werden. Diese positiven Entwicklungen werden durch die generalistische Ausbildung aufs Spiel gesetzt: Nach einer Expertise der Hans-Weinberger-Akademie werden über 50.000 Ausbildungsplätze verloren gehen. Weder die Kranken- noch die Kinderkrankenpflege ist in der Lage, ausreichend Ausbildungskapazitäten für die zukünftigen Praxiseinsätze der Auszubildenden aus der bisherigen Altenpflege zur Verfügung zu stellen. Die Altenpflegeeinrichtungen sollen die volle Verantwortung und die komplizierte Koordination für eine Ausbildung mit diversen Praxisorten übernehmen. Gleichzeitig wird die Praxisdauer im Ausbildungsbetrieb bis auf die Hälfte reduziert. Umlageverfahren und Ausbildungssystem werden für kleinere Einrichtungen und Dienste eine kaum überwindbare Hürde darstellen. Eindeutig ist daher, dass die Zahl der Ausbildungsplätze und der Ausbildungsbetriebe deutlich zurückgehen wird. Aus dem/der Altenpfleger/-in, der/dem Krankenschwester/-pfleger und der/dem Kinderkrankenschwester/-pfleger soll ein Beruf werden. Aus drei mach einen Beruf. Was wird Ihrer Meinung nach die Folge für die Versorgungsqualität sein? Das hohe Niveau der Versorgungsqualität wird deutlich sinken. Die Inhalte aller drei Ausbildungsberufe unterscheiden sich, und die Altenpflege wird zum Anhängsel der Krankenpflege. Die erforderlichen Kenntnisse über die Gerontologie, Geriatrie und Gerontopsychiatrie treten ebenso in den Hintergrund wie die Erfahrungen im Umgang mit Demenzkranken, Leistungen und Konzepte oder Versorgungsformen der Pflegeversicherung. Die Altenpflege und die Kinderkrankenpflege werden der EU-Richtlinie, welche die internationale Anerkennung der Krankenpflege sichert, unterworfen. Krankenschwestern wiederum sind besonders für die Akutpflege, die Behandlungspflege und die Unterstützung der Ärzte qualifiziert. Wird die Ausbildung wie geplant an deren Ausbildungsinhalten ausgerichtet, können Schwerpunkte der Altenpflege wie die Betreuung, die Pflegeplanung, die Betreuung demenziell Erkrankter oder die sozialpflegerischen Aufgaben nicht mehr gesetzt werden. Zukünftige Pflegefachkräfte sind weder theoretisch noch praktisch auf die Altenpflege und die Versorgung dieser wachsenden Gruppe richtig vorbereitet. Um Fachkräfte zu gewinnen, muss der Beruf attraktiv sein. Trauen Sie der Generalistik eine Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufes zu? Wird die Tätigkeit in der Altenpflege nun attraktiver? Die Zusammenlegung der Berufe soll die Pflegeausbildung attraktiver machen. Belege für diese These gibt es nicht. Im Gegenteil: Zwei internationale Studien bestätigen den Mangel an Fachkräften in der der Altenpflege in Ländern mit Generalistik. Zudem belegen Umfragen, dass insbesondere Auszubildende in der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege sich zu nahezu 90 Prozent gezielt für diesen Beruf entscheiden und über ein Drittel die Ausbildung bei Generalistik nicht mehr antreten würde. Wenn die Auszubildenden sich die fehlende Spezialisierung erst nach der Ausbildung und auf eigene Kosten aneignen können, ist das kontraproduktiv und hemmt die Attraktivität der neuen Ausbildung. Zudem ändert eine Ausbildungsreform allein nichts daran, dass unter anderem zu wenig Personal für zu viele pflegebedürftige Menschen zuständig ist, dass kaum Zeit für zwischenmenschliche Kontakte zwischen Pflegekraft und zu Pflegenden bleibt oder dass die Pflegevergütung unangemessen ist. Hier liegen die eigentlichen Herausforderungen. In der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive, an der neben den Ministerien und den Kranken- sowie Pflegekassen alle wesentlichen Akteure beteiligt waren, bestand darüber auch Einigkeit. Herr Tews, wir danken Ihnen für das Gespräch. 9 10 Intensivpflege 15 Wachkoma Teil 3 Die Facio-Orale Trakt-Therapie nach Coombes Die Facio-Orale Trakt-Therapie (F.O.T.T.) nach Coombes basiert auf der Basis des Bobath-Konzeptes. Probleme des Patienten Unsere Wachkoma-Patienten sind in ihren willkürlichen Bewegungen stark eingeschränkt. Dadurch sind die Voraussetzungen für normales Spüren und Bewegen nicht gegeben. Es treten häufig Probleme bei der Atmung, beim mimischen Ausdruck sowie bei der Kiefer- und Mundöffnung auf. Daraus folgt eine starke Beeinträchtigung beim Schlucken, eine willkürliche Stimmbildung; Sprechen, Essen und Trinken sind nicht oder sehr erschwert möglich. Die anhaltenden Probleme verändern den Tonus und die Bewegungsfähigkeit. Dadurch wird die Schulter-, Nacken- und Kopfposition beeinträchtigt, was wiederum Auswirkungen auf die Kiefer- und Zungenbeweglichkeit hat. Daraus ergeben sich Zahnveränderungen, die den Mundschluss verhindern kann. Die Folge daraus ist eine Mundatmung und das Austrocknen der Mundschleimhaut. Pflegerische Therapie Die Anwendung findet zwei- bis fünfmal wöchentlich statt. Es wird hier versucht, einen physiologischen Reiz zu setzen und eine Verbesserung der Funktionen zu erreichen. Bereiche, in denen wir tätig werden können und erwünschte Ziele: >Nahrungsaufnahme >nonverbale Kommunikation >Mundhygiene >Vertiefen der Atmung >Verbesserung des Speichelschluckens >gute Spürerfahrungen und taktile Reize im Facio-Oralen Trakt geben >Erarbeitung von Hilfen zur Durchführung einer strukturierten Mundhygiene Es ist während der Therapie vom normalen Zustand auszugehen. Normale Bewegungsabläufe sind zu beobachten und Abweichungen sind wahrzunehmen. Alle Pflegekräfte, die an der Versorgung beteiligt sind, sollten Selbsterfahrungen sammeln, um für sich herauszufinden, was unangenehm und angenehm ist. So kann das eigene Handeln beurteilt und eingeschätzt werden. »Mache nichts am Patienten, was Dir selber unangenehm ist!« Fragen in der Selbsterfahrung: >Wie möchte ich selbst im Gesicht, Mund und Hals berührt werden? >Gibt es hilfreiche Lagerungspositionen? >Wie möchte ich selbst gelagert werden? >Was empfinde ich als hilfreich, wenn mir die Möglichkeit genommen wird, mein Gesicht selbstständig zu berühren? >Welche taktile Unterstützung hilft mir beim Schlucken? >Welche Hilfen möchte ich, wenn mein Mund voll mit Speichel ist und ich diesen nicht schlucken kann? >Wie soll der Speichel aus meinem Mund entfernt werden? >Welche Unterstützung möchte ich bei einem Hustenanfall? >Wie möchte ich, dass meine Zähne geputzt werden und meine Mundpflege durchgeführt wird? Trachealkanülenmanagement in der F.O.T.T. Der Vorteil des Vorhandenseins der Trachealkanüle ist der, dass das Sekret und Speisen im Fall der Aspiration abgesaugt werden können und die Folge einer Aspirationspneumonie verhindert bzw. die Gefahr minimiert wird. Grundsätzlich ist die Trachealkanüle Segen und Fluch zur gleichen Zeit. Mit der richtigen Kanüle für den Patienten ist eine gute Anwendung der Facio-Oralen Trakt Therapie möglich. Folglich sollte der Hals-Nasen-Ohrenarzt in Absprache mit dem versorgenden Home CareUnternehmen bzw. dem vor Ort tätigen Medizinprodukteberater die Kanüle an den Patienten und die Maßnahmen in der Therapie anpassen. Durchaus ist es auch möglich, mehrere Kanülen zu nutzen und diese je nach Anforderungen der Therapie oder des Alltags zu wechseln. 11 Durchführung Das Berühren und die Versorgung unserer Patienten im Gesicht wird mit zwei Händen durchgeführt. Die erste Hand gibt Kontakt und die zweite Hand führt die Bewegungen aus. Es ist wichtig, alle Bewegungen ruhig, langsam und gleichmäßig durchzuführen. Der Kieferkontrollgriff Durch die fehlende Rumpf- und Kopfkontrolle hat der Patient keinen stabilen Unterkiefer. Der Kieferkontrollgriff wirkt stabilisierend. Kontrollgriff bei korrekter Kopfhaltung (Hemiplegie rechts) Kontrollgriff bei unkontrollierter Kopfhaltung (Hemiplegie rechts) Quelle: http://www.alter-nativ.net/wDeutsch/images/referate/ presbyphagie-01.gif Die Mundstimulation Der Mund wird in vier Quadranten eingeteilt, welche nacheinander stimuliert werden. Während der Behandlung wird der Kiefer durch den Kieferkontrollgriff stabilisiert und ein Mundschluss, wenn er nicht selbständig durch den Patienten ausgeführt werden kann, passiv ausgeübt. Das Vorgehen 1. Kontaktaufnahme mit Einbeziehung der Hände und der Initialberührung 2. Der Patient soll beide Hände spüren, damit ihm Sicherheit durch das Umschließen der Hände vermittelt wird. 3. Beginnend an der Stirn und Augenbrauen wird langsam zur Wange des Patienten getastet. 4. Beide Seiten des Gesichtes werden bearbeitet. 5. Der Zeigefinger des Patienten wird in das bereit stehende Wasser oder die Flüssigkeit getaucht. Somit spürt der Patient, was ihn erwartet. Temperatur und Beschaffenheit der Flüssigkeit werden vermittelt. 6. Der eigene befeuchtete kleine Finger wird Richtung Mund geführt. 7.Langsam wird damit über die Lippen gestrichen und dadurch Vertrauen aufgebaut. 8. Wenn die Bereitschaft des Patienten vorhanden ist und dieser die Berührung im Mund zulässt, massieren wir dreimal die Wangentasche. Diesen Vorgang wiederholen wir auf beiden Seiten des Mundes mehrfach. 9. Der Mund wird geschlossen und die Reaktion des Patienten abgewartet. Der Schluckvorgang wird beobachtet, ob ggf. ein Absaugen notwen dig wird. Anschließend ist die Durchführung der Anwendung beendet. 10.Der Mund wird wieder geöffnet und durch lang- sames Bewegen wird sich zur Zunge des Patienten vorgearbeitet, um dort die Stimulation fort- und eine Mundpflege durchzuführen. 11.Zum Schluss wird der Gaumen fest berührt und der Mund wieder geschlossen. Der Patient bestimmt die Länge der Anwendung. Es ist ihm erlaubt, die Anwendung jederzeit zu unterbrechen. Aus diesem Grund ist eine genaue Patientenbeobachtung zwingend notwendig. Jegliche äußere Störfaktoren sind für die Zeit der Anwendung zu vermeiden oder zu minimieren. Die Mundhygiene sollte in gleicher Reihenfolge stattfinden. Zusätzlich wird die Zahnbürste unter Einsatz eines leichten Druckes von hinten nach vorne geführt, vom Zahnfleisch zum Zahn und über die äußeren Flächen. Jeder Quadrant des Mundes nacheinander. Danach wird der Mund mit der Stabilisation des Kieferkontrollgriffes langsam unter festem Druck abgetupft. André Kaps, Fachbereich Intensivpflege 12 DEMENZ 13 Menschen mit Demenz auf Augenhöhe begegnen – Umgang mit aggresivem Verhalten »Das is’ ne alte Sau, rotz nich’ so rum!« »Die dort kann nich’ alleene fressen, guck wie faul die is’.« »Bleibe sitz’n, hörste, setz dich endlich off dein’ Arsch!« Aggressive Gefühle und aggressives Verhalten zeigen sich oft bei dementen Menschen. Neben der kognitiven Desorientierung verändern sich auch das Erleben, das Befinden, die Stimmung und die Gefühle. Wir müssen die Person in ihrer Ganzheit wahr- und ernstnehmen. Ich möchte an den letzten Bericht anschließen, der da endete: »Können Sie sich einfühlen?« Was machen wir, wenn Menschen mit Demenz ihre Mitmenschen derart beschimpfen? Können wir uns auch in diesen Situationen einfühlen, sie verstehen, wenn sie ein Verhalten zeigen, welches nicht den Normen entspricht? Zugegeben, dieses »auffällige« Verhalten ist manchmal schwer nachzuvollziehen. Hier gelangen wir oft schnell an unsere Grenzen. Aggressivität bei Demenz kann viele Ursachen haben. Eine der möglichen Ursachen ist die Krankheit selbst. Diese Menschen spüren, dass sie viele ihrer Fähigkeiten verlieren, ihnen viel genommen wird. In der ersten Phase der Demenz hadern sie mit ihrem Schicksal. Der Sinn des Lebens, der rote Faden geht langsam verloren. Zukunftspläne müssen verabschiedet werden. Träume können nicht mehr erfüllt werden. Das Leben verändert sich. Ein Umzug in eine Einrichtung hat hierauf auch immense Auswirkungen. Das macht Angst, hilflos, wütend und aggressiv. Hilflosigkeit macht sich breit, wenn das soziale Netz reißt, altbekannte Rituale nicht mehr gelebt werden können, Fähigkeiten abhandenkommen, selbst wenn Toiletten nicht mehr gefunden werden oder das eigene Zimmer, weil alles neu und fremd ist oder der Weg dahin einfach in Vergessenheit geraten ist oder auch nur die Orientierung fehlt, selbst wenn man wie gewohnt nicht mehr die Ruhe findet, die sonst immer so wichtig war. Ist es dann verwunderlich, wenn Menschen mit Demenz aus Zorn und Hilflosigkeit über ihr eigenes Schicksal anderen gegenüber aggressiv werden, sprichwörtlich »aus der Haut fahren« oder um sich schlagen? Jeder, der ihnen in den Weg kommt, wird für die Situation verantwortlich gemacht. Hier ist es wichtig zu wissen, dass wir nicht persönlich für deren Wut und Aggressivität verantwortlich gemacht werden. In diesem Fall müssen wir uns diese »Gewalttätigkeiten« von ihnen verbitten. Klare Regeln benennen, Grenzen aufzeigen, Respekt verlangen. Natürlich ist eine kongruente Sprache für diese Menschen sehr wichtig. Pflegende, die hier Angst zeigen, haben in ihrer Arbeit keinen Erfolg. Hilfe können wir in diesem Fall anbieten, indem wir diese Person liebevoll begleiten und ihr Zeit geben. Es ist aber auch hier genauso wichtig, die Gefühle hinter dem Zorn zu benennen und zu thematisieren. Eine weitere Ursache für aggressives Verhalten kann in dem Wesen des Menschen selbst liegen. Wenn ein Mensch ein Leben lang seine Umwelt als schlecht empfand und diese beschimpfte, wird er dies auch mit Wahrscheinlichkeit in seiner Demenz beibehalten. Hier gilt es ebenfalls, klare Regeln einzuführen, Grenzen aufzuzeigen, Respekt zu verlangen. Frau M. reagiert auf jeden, der sie anschaut: »Was guckst’n so?« Dabei legt sie ihre Stirn in Falten, ihre Augen werden kleiner, ihre Stimme wird härter. Ihre Mitmenschen reagieren oft nicht auf ihre Worte, dann setzt sie noch folgende Worte nach: »Guck nicht so blöd!« und streckt ihre Zunge raus. Es kann sein, dass sich in dieser Situation ein altes Gefühl (DDR- Vergangenheit, »sich beobachtet fühlen«) mit der aktuellen Situation vermischt. Das macht durchaus unsicher und auch wütend. Nicht zu wissen, was der andere über mich denkt, an mir sieht und entdeckt. Vielleicht meine möglichen Fehler oder Unzulänglichkeiten? Eine hohe Körperspannung oder Erregung können ebenfalls Ursachen für Aggressionen sein. Herr R. sitzt gemeinsam mit allen Tagesgästen am Tisch und will sein Mittagessen einnehmen. Im Raum sitzen alle Tagesgäste, die Mitarbeiter sorgen für das leibliche Wohl der Gäste. Es ist ein reges Treiben zu sehen. Neben Gesprächen und dem Klappern des Geschirrs betreten immer wieder neue Menschen den Raum. Herr R. nimmt jedoch das Besteck nicht zur Hand, sondern starrt auf seinen Teller und spricht stattdessen ununterbrochen leise vor sich hin. Er wird zunehmend unruhig, rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Ab und zu hört man ihn ganz leise sagen: »Ich muss weg, ich muss gehen, ich will was essen, das hier ist kalt.« Es ist deutlich zu sehen, dass die Anspannung in Herrn R. steigt. Herr R. wird angehalten, sein Besteck zu nehmen und zu essen. Daraufhin steht er ruckartig und energisch auf. Der Stuhl wird nach hinten geschleudert. Er gibt seinem Teller einen Stoß, so dass dieser über den Tisch schleudert. Herr R. will den Raum verlassen. Herr R. ist nach dieser Situation nicht mehr bereit, seine Mahlzeit einzunehmen. Was Herr R. dringend braucht, ist absolute Ruhe beim Essen und viel Zeit. Wir müssen Menschen mit Demenz, die ein erhöhtes Ruhebedürfnis haben, dieses auch gewähren. Viele können eine Überflutung an Reizen nicht mehr verarbeiten. Entweder stumpfen diese Menschen irgendwann ab oder sie ziehen sich zurück in ihre »eigene Welt«. Natürlich müssen wir uns in diese Person, die so heftig reagiert, einfühlen. Eine Chance, die möglichen Gründe für diese Reaktionen herauszufinden, finden wir, wenn wir auf unsere eigene Resonanz hören. In der Resonanz schwingt etwas zwischen den beteiligten Menschen hin und her. Spiegelneuronen im Gehirn befähigen uns, uns in andere Menschen einzufühlen und hineinzuversetzen, mit ihnen mitzuschwingen. Wir nennen es auch »empathisches Einfühlen«. Wir empfinden Freude und auch Schmerz der Anderen mit, bekommen so eine Ahnung von dem, was in unserem Gegenüber vorgeht. Diese Resonanzen geben uns wertvolle Hinweise auf mögliche Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse. Wir gehen ständig in Resonanz, nehmen dies aber nicht immer bewusst wahr. Wir kennen alle die Situation, wenn ein Kind mit seinem Händchen das Bügeleisen berührt. Wir sagen sofort »Au« und empfinden seinen Schmerz. In unserem Beruf handeln wir oft intuitiv. Wir betreten einen Raum und geben spontan eine Umarmung, oder wir setzen uns kurz zu einem dementen Menschen, um Kontakt aufzunehmen, oder bieten ein Glas Wasser an oder auch eine Decke, um ein kleines Stück Wärme und Geborgenheit zu vermitteln. Dies alles und noch viel mehr passiert oft automatisch und ohne viele Worte. 14 DEMENZ Veranstaltungen Volles Haus in Radeberg – Tag der offenen Tür im bunten Riegel Wir nehmen etwas wahr und unsere Resonanz und Intuition lässt uns handeln, ohne dass wir viel überlegen und nachdenken müssen. Wenden wir uns noch einmal den oben beschriebenen Äußerungen zu. Wie gehen wir vor, was können wir erkennen? Wir spüren während des Geschehens in uns hinein, welche Gefühle, Stimmungen oder auch körperliche Regungen in uns aufkommen. Wir könnten uns fragen: Was spüre ich, wenn ich diese Worte höre? Wie klingt dieser Satz in mir nach? Kommt bei mir Wut oder vielleicht auch Ekel an? Welches innere Bild entsteht in mir? Das, was wir dann fühlen, ist unsere Resonanz. Die Bewohner sitzen gemeinsam am Tisch und essen zu Abend, so wie jeden Abend. Frau S. muss niesen. Sie niest, ohne die Hand vor den Mund zu halten, quer über den Tisch. Frau B.: »Das is’ ne alte Sau, rotz nich’ so rum!« Eine Pflegerin reicht Frau S. ein Taschentuch, diese wischt damit den Tisch sauber. Ihren Mund reinigte sie bereits mit ihrem Handrücken. Frau B. schimpfte weiter. Wenn wir uns jetzt in Frau B. einfühlen, empfinden wir vielleicht Ekel und auch eine Wut. Dann kann es durchaus sein, dass sich Frau B. ekelt. Die Wut könnte daher rühren, dass das Niesverhalten von Frau B. sich dem der Frau S. ähnelt. Es ist durchaus möglich, dass die Wut gar nicht auf Frau S. gerichtet ist, sondern auf sich selbst. Frau B. nimmt dieses eigene Verhalten nur unbewusst wahr. Das Reaktionsvermögen von Frau B., ihre Hand vor den Mund zu nehmen, wenn sie niesen muss, ist verlangsamt. Sie niest also auch, ohne die Hand vor den Mund zu halten. Diese Situation ist es ihr immer sehr peinlich. Passiert dies aber einer anderen Person, projiziert sie ihr »Fehlverhalten« auf diese Person und lenkt somit von sich ab. Mir passiert das nicht. Ich weiß, was sich gehört. Angst und Wut kommt bei den Betroffenen auf, wenn sie miterleben, dass einer Person das Essen gereicht werden muss oder andere mit den Fingern essen. Die Menschen spüren, dass ihnen Fertigkeiten und Fähigkeiten entgleiten und das macht wütend auf sich selbst. Jeder einzelne demente Mensch erlebt sich und seine Umwelt anders und reagiert auch dementsprechend. Demzufolge müssen wir auf jeden Menschen mit Demenz individuell eingehen und ihn unterstützen. Es gibt keine Handlungsrezepte. Viele Mitarbeiter wünschen sich welche, weil sie sich hilflos und überfordert fühlen. Was passiert, wenn wir nach »Schema F« agieren? Das persönliche Erleben und die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen nehmen wir dann nicht mehr wahr. Die Menschen mit Demenz ziehen sich zurück in ihre Innenwelt. Wir bekommen kaum noch Zugang zu ihnen und deren Fähigkeiten, bis sie den Kontakt zur Außenwelt verlieren. Um dem vorzugreifen, müssen wir also unsere Fähigkeiten, unsere Empathie und Intuition nutzen, um uns einzufühlen und nachzuspüren. Bei einer fortschreitenden Demenz, wenn die Worte gänzlich versiegt sind, müssen wir vielmehr ausprobieren. Manchmal gestaltet sich dieses Ausprobieren schwierig. Sollten wir mit unseren Impulsen falsch liegen, zeigen es uns die Betroffen auf ihre eigene Art und Weise, manchmal auch unverblümt. In so einem Fall geht man aus der Situation heraus, holt tief Luft und nimmt seinen Gegenüber auf ein Neues wahr. Vertrauen Sie auf Ihre Intuition, auf Ihre Fähigkeit, sich einzufühlen und gehen Sie in Resonanz mit sich und Ihren Anvertrauten. Denn wer in der Arbeit mit dementen Menschen auf seine Intuition hört, arbeitet mit dem Herzen, spürt, was in diesem Moment wichtig und angebracht ist. Es gibt nichts Schöneres in unserem Beruf, als in Augen zu schauen, die wir durch eine kleine Geste zum Leuchten und Strahlen bringen. Gabriela Prömmel, Leiterin der sozialen Betreuung im Haus Klangwerk in Leipzig, Demenzbeauftragte Am Samstag, den 12. März 2016, um 10 Uhr öffneten sich die Tore des advita Hauses Radeberg, um einen bunten, informativen und unterhaltsamen Tag mit interessierten Radebergern zu verbringen. Trotz des nasskalten Wetters fanden sich bereits ab 9.45 Uhr zahlreiche Interessierte am advita Haus Radeberg ein, um die Wohneinheiten, die Tagespflege und das Haus in seiner ganzen Pracht zu bestaunen. Viele zeigten großes Interesse und ließen sich noch vor Ort von Frau Winter zu allen Möglichkeiten beraten. Die Besichtigungen der Musterwohnungen wurden von begeistertem Staunen und vielerlei Komplimenten begleitet. Das Team um Niederlassungsleiter Herrn Friedrichs zeigte sich als perfekter Gastgeber, hieß jedermann und -frau willkommen, beantwortete geduldig Fragen und führte die Interessenten durchs Haus und über das Gelände. Die Kollegen hatten eine große Auswahl an Kuchen, Grillspezialitäten und anderen Leckereien vorbereitet. Selbst in Freital wurden extra Torten für die Veranstaltung gebacken, auf die sich die Besucher nach absolviertem Rundgang durchs Haus mit Freude und großem Appetit stürzten. Viele kamen mit der ganzen Familie, auch der speziell für die kleinen Gäste des Tages eingerichtete Beschäftigungsraum in der Tagespflege wurde rund um die Uhr genutzt: Hier wurde gemalt und gebastelt – Langeweile kam bei niemandem auf! Ein herzliches Dankeschön an alle Kollegen, die dazu beigetragen haben, das Event erfolgreich und unterhaltsam zu gestalten! Alina Broddack, Marketing Managerin 15 16 Qualitätsmanagement Messe Qualitätsprüfungen Am 2. und 3. März wurde die Tagespflege im advita Haus Klangwerk in Leipzig erstmals nach der Eröffnung im Mai vergangenen Jahres durch den Medizinischen Dienst überprüft. Im Rahmen der Qualitätsprüfung wurden neun Gäste in die Prüfung einbezogen. Die Tagespflege dokumentiert aus- schließlich nach dem Strukturmodell (soDoku). Im Rahmen der Qualitätsprüfung wurden seitens der Gutachter keine Empfehlungen ausgesprochen. Das Team der Tagespflege absolviert somit die erste Prüfung mit Bravour. Revisionen der (Pflege-) Dokumente – Aktualisierung der Expertenstandards Die bisher veröffentlichten national gültigen Expertenstandards werden spätestens nach fünf Jahren durch das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung (DNQP) aktualisiert. Hierbei fließen die aktuell am besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Überarbeitung mit ein. Zuletzt wurde der Expertenstandard »Pflege von Menschen mit chronischen Wunden« aktualisiert. Jeder Träger in der Pflege ist per Gesetz verpflichtet, nach den gültigen Expertenstandards zu arbeiten und diese auf eigene Standards herunterzubrechen. Somit haben auch wir den advita Expertenstandard chronische Wunden aktualisiert. Auch im Expertenstandard zur Dekubitusprophylaxe gibt es eine Änderung hinsichtlich der Stadien eines Dekubitus. Kannte man bisher vier Stadien, unterscheidet die Aktualisierung nun sechs verschiedene Stadien eines Dekubitus. Über die inhaltlichen Änderungen der beiden Expertenstandards werden wir Sie in den kommenden Tagungen und internen Fortbildung in den Einrichtungen informieren. Zeitgleich mit der inhaltlichen Änderung der Expertenstandards haben wir die unten aufgeführten Expertenstandards an das Strukturmodell (soDoku) angepasst. Da Assessmentinstrumente nicht mehr zwingend erforderlich sind, mussten wir den Abschnitt der Dokumentation und Risikoerfassung in allen Standards überarbeiten. Der Expertenstandard Ernährungsmanagement wird im Herbst diesen Jahres ebenfalls durch das DNQP aktualisiert. Im Anschluss werden wir auch diesen advita Expertenstandard zusammen mit Frau Wonschik anpassen und Ihnen dann zur Verfügung stellen. Zeitgleich rechnen wir mit der Veröffentlichung des Expertenstandards zur Förderung der Mobilität. Dieser Expertenstandard wird erstmalig nicht aus Osnabrück vom DNQP kommen. Dokument Revision/Datum Expertenstandard Dekubitusprophylaxe 04/01.04.16 Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz 04/01.04.16 Expertenstandard Sturzprophylaxe 05/01.04.16 Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen 01/01.04.16 Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen 05/01.04.16 Expertenstandard chronische Wunden 02/01.04.16 Auch im Bereich des Fachbereichs Ernährung wurde ein Dokument revidiert. Neu ist hierbei die Quellenangabe bei glutenhaltigem Getreide sowie bei Schalenfrüchten: Kennzeichnung von Zusatzstoffen und Allergenen auf Speiseplänen 01/02.03.16 Quelle advita Hauptverzeichnis\ QM\2. Qualitätsmanagement\2. Pflegestandards\ 2.1.Expertenstandards advita Hauptverzeichnis/QM/ 2. Qualitätsmanagement/ 6. Verpflegungshandbuch/ 2.HACCP-Konzept/2.2 Richtlinien und Arbeitshilfen Die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen Wer das aktuelle advita Pflegeleitbild oder auch die Pflegekonzepte aufmerksam liest, dem fällt auf, dass dort die »Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen« als Grundlage des pflegerischen Handelns bestimmt ist. Doch was ist die Charta eigentlich? Wo früher die fördernde Prozesspflege nach Monika Krohwinkel mit ihren AEDLs stand, bilden nun die acht Artikel der Pflege-Charta die Basis unseres Verständnisses von individueller und ganzheitlicher Pflege und Betreuung. Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf haben die gleichen Rechte, wie alle anderen Menschen auch. Obgleich Krankheiten oder Behinderungen den Alltag der Menschen beeinflussen, ist das oberste Ziel der Pflege und Betreuung den Menschen in seiner Selbstbestimmung und seiner Lebensqualität zu unterstützen. Die Pflege-Charta bekräftigt diese Maxime und formuliert diese und weitere Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. Die acht Artikel beschreiben zum Beispiel ganz konkret das Recht auf Selbstbestimmung, auf Privatheit, auf Teilhabe am sozialen Leben und auf ein Sterben in Würde. Die Charta ist von rund 200 Vertreterinnen und Vertretern aus allen Bereichen der Pflege und der Selbsthilfe erarbeitet worden. Die Charta geht zurück auf die Arbeiten des »Runden Tisches Pflege«. Dieser wurde von 2003–2005 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung einberufen, um die Lebenssituation hilfe- und pflegebedürftiger Menschen in Deutschland zu verbessern. Die Pflege-Charta finden Sie zum Nachlesen oder Ausdrucken auf dem Hauptverzeichnis: QM\1. Organisation und Führung\1. Unternehmens- und Pflegeleitbild\1.2. Pflegeleitbild. Die Pflege-Charta soll den Mitarbeitern der advita Pflegedienst GmbH eine pflegerische und betreuerische Richtschnur im Umgang mit den zu versorgenden Menschen bieten. Die formulierten Rechte sollen aber auch in der täglichen Pflegeroutine zur Diskussion anregen und eine Kultur der Achtsamkeit vor dem Anderen fördern. Marie-Luise Mangelsdorf, Leiterin advita Qualitätsmanagement 17 10. Thüringer Pflegetag in Jena Am 2. März 2016 waren wir mit unserem Messestand auf dem 10. Thüringer Pflegetag und 1. Hebammentag im historischen Volkshaus in Jena vertreten. Der diesjährige Pflegetag stellte die Interaktion zwischen den Gesundheitsfachberufen in den Mittelpunkt. Neben den fachlichen Sessions fanden auch praktische Workshops in den Bereichen Pflege und Geburtshilfe statt. Geburtshilfe deswegen, da die FH Jena seit dem WS 2015 erstmalig Geburtshilfe und Hebammenkunde als Bachelorstudiengang anbietet. Ebenso wurden aktuelle Entwicklungen in der Hospizarbeit und Palliative Care vorgestellt und diskutiert. Hierbei ging es um das am 8. Dezember 2015 in Kraft getretene Hospiz und Palliativgesetz (HPG), das u. a. regelt, dass Palliativversorgung Bestandteil der Regelversorgung in der GKV wird und auch den weiteren Ausbau der SAPV (spezialisierten ambulanten Palliativversorgung) in ländlichen Gebieten. An unserem advita Stand fanden rege Beratungen rund um das Thema Pflege, sowie das Leistungsangebot von advita in und um Jena bzw. Thüringen statt. Neben der Vorstellung des allgemeinen Angebotes wurde auch das Konzept der Wohngemeinschaft interessiert hinterfragt. Franziska Mann, Bereichsleitung Thüringen 18 Guten Appetit! Freude am gesunden Essen Nationalsozialismus bis Nachkriegs zeit und Wirtschaftswunder (1933–1959) Die Geschichte der Ernährung – Teil 2 1933 1940 Willkommen zum zweiten Teil unserer Trilogie! In dieser Ausgabe des advita Journals begeben wir uns auf eine Reise durch eine der wohl bestürzendsten Zeiten der europäischen Geschichte, der Zeit des Nationalsozialismus sowie der daraus resultierenden Konsequenzen. Nach Einbruch der Wirtschaft im Jahr 1929 war die deutsche Bevölkerung vor allem eines: Überdrüssig. Genug Arbeitslosigkeit, genug Hunger, genug Elend. Die zunächst vielversprechend klingenden Gelöbnisse der NSDAP trafen genau den Nerv der Zeit. Diese und andere komplexe Geschehnisse führten zu einer Machtergreifung im Jahre 1933. Viele Wähler sahen sich bestätigt, als sie die Effekte der neuen Regierung wahrnahmen: Mehr Arbeit, mehr Unterstützung, Einrichtung von Wohlfahrtsorganisationen, viel weniger Hunger. Die empfundene Sympathie entwickelte sich schnell zu einer verherrlichten Ideologie, die vom Regime ausgerufenen propagandistischen Aussagen wurden vom Großteil der Bevölkerung nicht hinterfragt und oftmals noch bejubelt. Die von langer Hand geplanten kriegerischen Aktivitäten verhinderten eine massive Nahrungsmittelknappheit, wie sie im Ersten Weltkrieg erlebt wurde. Ein sehr hoher Selbstversorgungsgrad, aufgefüllte Lebensmittellager und eine frühzeitige Rationierung führten dazu, dass es an Grundnahrungsmitteln lange Zeit nicht fehlte. »Luxusgüter« wie Fleisch, Milch und Butter waren als erste nur noch über die berühmt-berüchtigten Lebensmittel- karten erhältlich. Bei der Einteilung bevorzugt wurden immer schwer arbeitende Personen sowie Frauen und Kinder. Kartoffeln, Getreide und Hülsenfrüchte waren über Jahre hinweg die Hauptnahrungsmittel der Deutschen. Dies geschah auch unter bewusster Ausbeutung der besetzten Gebiete, dort nahm man der Bevölkerung alles weg, was dem deutschen Volk nützlich sein konnte. Mit Initiativen wie »Kampf dem Verderb« oder »Eintopfsonntag« wurde unter Beibehaltung des Zusammengehörigkeitsgefühls eine Schonung der Ressourcen erreicht. Ein berühmtes Beispiel für den regionalen Ersatz durch Alternativprodukte ist der sogenannte »Muckefuck«. Da Bohnenkaffee in Deutschland nicht anbaubar war oder ist, hat man seiner Kreativität freien Lauf gelassen und einen meist dünnen Ersatzkaffee aus Getreide oder Eicheln gezaubert. Bis heute ist das inzwischen als Kinder-, Malz- oder Landkaffee bekannte Getränk erhältlich. Leider reichten die Nahrungsmittel trotz aller Bemühungen nicht aus. Man musste sogar so weit gehen, Gänseblümchen zum »wichtigen Gemüse« zu erklären. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges bis ca. 1949 in der Nachkriegszeit litten die Deutschen zunächst, wie ein Vierteljahrhundert zuvor, an Hunger und Elend. Die wenigen regionalen Güter, die es gab, reichten bei Weitem nicht aus, um die Bevölkerung zu ernähren. So kostete im Jahr 1947 ein Kilo Kartoffeln sogar bis zu umgerechnet 50 €. Also waren die Besatzungsmächte gefragt! Ohne die bekannten CARE-Pakete hätte die Versorgung in 1950 1960 1900 Deutschland sich erst viel später normalisiert. Viele Uneinigkeiten und politische Hintergründe führten im Jahr 1949 zur Teilung Deutschlands in Ost und West. Diese Entzweiung sollte 40 Jahre andauern, eine sowohl politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich als auch kulinarisch sehr prägende Zeit. Den Höhepunkt des Ost-West-Konflikts stellt der später erfolgte Mauerbau dar. Die Ernährung in Ost- und Westdeutschland von ca. 1950–1960: Ostdeutschland Die Küche der DDR unterlag vor allem pommerschen, schlesischen und sowjetischen Einflüssen, ein sehr bekanntes Beispiel ist die Soljanka. Die vor allem regionalen oder aus den Partnergemeinschaften importierten Lebensmittel werden abwechslungsreich zu verschiedenen DDR-Klassikern verarbeitet. Insgesamt ist der Obst- und Gemüsekonsum eher gering und beschränkt sich vor allem auf regionale und saisonale Sorten wie Äpfel, exotische Früchte sind eher selten erhältlich. Westdeutschland Die Küche der BRD unterlag zum einen dem schnellen wirtschaftlichen Wandel sowie zum anderen den Einflüssen des (amerikanischen) Fast-Foods. Nach Jahren der Entbehrungen werden die wiedergewonnenen Möglichkeiten vollkommen ausge- nutzt. Hier gilt: Mehr ist Mehr! Der Obstkonsum steigt innerhalb von 5 Jahren beträchtlich, allgemein werden Südfrüchte wie Bananen und Orangen bevorzugt. Die Banane wird sogar zum inoffiziellen Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders und der Handelsfreiheit. Der Bierkonsum hat sich in beiden Teilen Deutschlands innerhalb von ca. zehn Jahren beinahe verdreifacht. Die um 1960 konsumierten ca. 100 Liter pro Person und Jahr werden auch heute noch in etwa diesem Maße verzehrt. Doch es gab nicht nur Unterschiede zwischen Ost und West. Teilweise waren nur die Bezeichnungen anders und die Rezepturen an die Möglichkeiten angepasst, im Prinzip hat sich trotz der Teilung aber eine relativ einheitliche Küche durchgesetzt: Ketwurst (Ost) = Hot-Dog (West) Grilletta (Ost) = Hamburger (West) Krusta (Ost) = Pizza (West) Broiler (Ost) = Brathähnchen (West) Karlsbader Schnitten (Ost) = Toast Hawaii (West) In der nächsten Ausgabe des advita Journals wird die Zeit der Wohlstandsgesellschaft bis zur Gegenwart (1960–2016) behandelt. Allen Lesern einen schönen und aprilwetterfreien April! Ihre Juliane Wonschik, Fachbereich Ernährung 19 Coming Soon – Demnächst bei advita 20 Wernigerode –Mietvertrag für das advita Haus Wernigerode unterschrieben Das ehemalige Finanzamt an der Gustav-Petri-Straße in Wernigerode wird zu einer altersgerechten Wohnanlage, zu einem advita Haus umgebaut. Das Finanzamt wurde in den Jahren 1994 und 1995 erbaut, steht seit einiger Zeit leer und verfügt über rund 5500 m² Nutzfläche. Dieselbe private Investorengruppe aus Meißen, die bereits das advita Schloss Gröba in Riesa und das advita Haus Am Speicher in Großenhain aus Bestandsgebäuden errichtet hat, wird auch in Wernigerode unser Partner. Den Umbau plant das Architekturbüro Dr. Fürll & Dr. Hannemann, die neben den bereits genannten advita Häusern auch für den Umbau der advita Neumarktschule in Meißen verantwortlich waren. Rund 120 Menschen werden ab Anfang 2017 in dem ehemalige Finanzamt in zentraler Lage in der Wernigeröder Innenstadt in den Ein- und Zwei-Raumwohnungen und zwei Wohngemeinschaften wohnen und bei Bedarf die Tagespflege mit der Speisenversorgung für das ganze Haus besuchen. Zschopau Noch ist das advita Haus Zschopau eine große Baustelle, aber die Niederlassung ist mit ihren Büros bereits Ende März eingezogen. Einige Büroräume sind rechtzeitig fertiggeworden und zusätzlich wurden zwei von den 20 Wohnungen, die in der früheren Sporthalle sehr schön eingerichtet wurden, von den Mitarbeitern »besetzt«. Frau Simone Mach, die Niederlassungsleiterin, kann aufatmen: Alles hat geklappt und alle haben mit angepackt. Am 30. April/1. Mai 2016 findet jetzt ein Tag der Offenen Tür statt, zu dem die vielen Interessenten eingeladen werden, die sich bereits als potentielle Mieter haben vormerken lassen. Und natürlich auch unsere Kooperationspartner, die Presse und jeder andere Neugierige, der einen Blick in die umgebaute und von Grund auf sanierte ehemalige Gewerbeschule werfen will. Wenn alles so gelingt wie geplant, können Anfang Juni die ersten Bewohner einziehen und wir die Tagespflege eröffnen.
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