Bericht | Text: Juliane Büker | Fotos: Konstantin Gastmann/Pixelio.de, lichtkunst.73/Pixelio.de Männer, wie geht’s euch eigentlich? Über Geschlechterklischees und männliche Zufriedenheit gefragt bei dem überholten Frauen-Bild von heute. Frauen auf Münsters Straßen antworteten auf die Frage, was sie sich von Männern wünschen, häufig „Geborgenheit, Verantwortungsbewusstsein“ oder „jemanden, den ich mir als einen guten Vater vorstellen kann“. Fast nie war „finanziell gut aufgestellt“ und nur selten „körperliche Stärke“ ein ausdrücklicher Wunsch. Die Frauen haben es geschafft – oder sind zumindest auf einem ziemlich guten Weg. Weibliche Emanzipation ist allgegenwärtig. Gleichberechtigung, raus aus Klischees und Erwartungen, aus gefühlter oder realer Unterdrückung. Sie möchten sich befreien von der Reduktion auf Funktionen wie das Muttersein, die Unterhalterin oder die Betrachtung als Sexsymbol. Individuell wahrgenommen werden, in ihrer Persönlichkeit gesehen und geschätzt. Es gibt FrauensaunaTage, es gibt Frauen-Fitnessstudios, Frauen-Notruf-Zentralen, es gibt sogar Frauenbeauftragte in der Politik. Und was ist mit den Männern? ~-Redakteurin Juliane Büker denkt im Gespräch mit Männer-Trainer Henry Humburg mal darüber nach… Was ist typisch männlich, und was macht einen echten Mann aus? Eine persönliche Frage, auf die jeder eine persönliche Antwort hat. Geprägt durch die Kinderstube, Familie, Vorbilder, Freunde und sicher auch durch die Medien. Bei einer kleinen Umfrage auf Münsters Straßen gab es erstaunlich viele Schnittmengen zwischen den Antworten von Männern und Frauen auf diese Frage. Allerdings auch entscheidende Unterschiede. Das ursprüngliche Idealbild eines Mannes ist ein starker, kräftiger Kerl. Einer, der arbeiten geht, das Geld ranbringt, Verantwortung trägt, ein Versorger-Typ. Für weiche Eigenschaften, wie Gefühle zuzulassen und auszudrücken, Schwäche zu zeigen und Trost zu empfangen und auch für Empathie, ist auf diesem vergilbten schwarz-weiß Bild des perfekten Mannes nur wenig Platz. Was hat Männer dazu gebracht, sich auf diese harten Eigenschaften zu fokussieren? Um die Galerie zu vervollständigen, ist es vielleicht notwendig, ein ebenso vergilbtes schwarz-weiß Bild, das der 8 Frau, daneben zu hängen. Es könnte so aussehen, wie das der Oma in jungen Jahren, das bei einigen zuhause über der alten Holztruhe hängt. Eine junge Frau, hübsch gemacht, das kleine Kind auf dem Arm. Vielleicht stand sie zuvor noch in der Küche, aber bestimmt war sie vorher nicht auf der Arbeit. Die Aufgaben der Frau lagen früher wohl vor allem in der Kindererziehung, der Fürsorge für die Familie und vielleicht der Pflege sozialer Kontakte. Würde man eine Frau von heute auf diese Aufgaben, und vor allem diese Fähigkeiten reduzieren, wäre sie empört. Es ist selbstverständlich und normal geworden, dass Frauen Geld verdienen, und wenn sie möchten, auch Karriere machen. Sie sorgen für sich selbst, ihre Unabhängigkeit ist ihnen heilig. Eigentlich können Frauen alles alleine. Wozu brauchen sie eigentlich noch einen Mann? Der Versorger-Typ aus der AhnenGalerie ist schon lange nicht mehr so Trotzdem bleiben die alten Werte offensichtlich Ziele, denen viele Männer heute noch hinterhereifern. Wie weit hat sich das moderne Männer-Bild verändert? Man bekommt den Eindruck, als hingen die Männer ein wenig hinterher in der Entwicklung ihres Rollenbilds. Männer arbeiten nach wie vor deutlich mehr als Frauen. Besonders in der Zeit zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr verbringen sie bis zu 80% ihrer Zeit auf der Arbeit. Auch der Zulauf in Fitnessstudios reißt nicht ab – Muskelaufbau und Krafttraining sind so in, wie schon lange nicht mehr. Fehlt da ein Befreiungsschlag – oder verfolgen die meisten diese Ziele freiwillig? Geht es ihnen gut damit? Männer sind vielfältigsten Anforderungen der Gesellschaft ausgesetzt. In einer Beziehung sollen sie gefühlvoll sein, auf der Arbeit analytisch, für die alternden Eltern Verantwortung tragen, unter Kumpels ein locker-leichter Zeitgenosse. Das ist eine Menge unterschiedlichster Anforderungen gleichzeitig. Führt das nicht zu Überforderung? Männer-Trainer Henry Humburg, 62 Jahre alt, arbeitet seit über 10 Jahren mit Männergruppen gemeinsam in Seminaren und verfolgt insbesondere die Zufriedenheit und seelische Gesundheit der Männer mit Sorge. Er berichtet davon, dass sich viele, die zu ihm kommen im Alter zwischen 40 und 70, in Sinnkrisen befinden. „Diese Männer haben ihr ganzes Leben nur gearbeitet, geackert, eine Frau geheiratet, vielleicht eine Familie gegründet, sie versorgt und funktioniert. Dann sind sie in der Mitte ihres Lebens angekommen und fragen sich: „War das schon alles? Wo bin ich eigentlich geblieben? Wie geht’s mir eigentlich?“ Humburg berichtet aus seinen Erfahrungen, es fehle Männern oft an tiefgehenden Freundschaften und Gesprächen. „Bildlich betrachtet stehen Männer eher nebeneinander, Schulter an Schulter, wenn sie sich unterhalten. Sie reden über Autos, Frauen, Politik. Sie reden ÜBER etwas. Frauen würden sich bei diesem Bild eher gegenüberstehen, sie reden zueinander. Würde man die Situation herbeiführen, in der zwei Männer sich gegenüberstehen mit Augenkontakt und der ernsthaften Frage nach dem Wohlbefinden, wäre eine Großzahl der Kandidaten wohl überfordert, mutmaßt der Männertrainer. Tatsächlich handelt es sich bei dem starken, harten, empathielosen Mann wohl nicht nur um ein Klischee. Mit Pfeilen, wie sie Frauen gelegentlich abschießen, mit Fragen wie: „Sag doch mal, was du fühlst!“ oder „Was denkst du gerade?“, treffen sie oft wunde Punkte bei ihren Partnern oder Freunden. Eine Dynamik, die wohl sehr vielen vertraut ist, kommt in Gang: Der Mann reagiert auf die Forderung, Auskunft über seine Gefühle zu geben, mit Abwehr oder Wut oder Schweigen. Für die Frau, die ernsthaftes Interesse an diesem Mann, seinen Bedürfnissen und Gefühlen hat, ist das unverständlich! Für sie ist es in den meisten Fällen ja auch kein Problem, zu sagen, was in ihr los ist. So wird das männliche Verhalten von Frauen viel zu oft als persönliche Ablehnung erlebt, und das Ganze endet in Beziehungsstress. Die wahre Antwort auf die Ausgangsfrage wäre gewesen: Viele Männer wissen nicht, was sie fühlen, denken oder wollen. Ihnen fehlt häufig der Kontakt zu sich selbst. Dass die Selbstmordrate bei Männern dreimal höher liegt als die der Frauen, alarmiert Henry Humburg, wundern tut es ihn aber nicht. Männer sind in erster Linie doch nur Menschen, und wie jeder Mensch sind sie neben ihren Stärken auch bedürftig und schwach oder verletzt und traurig. Manche Frau sehnt sich danach, diese weiche Seite an einem Mann endlich erleben zu dürfen. Unter Männern gibt es jedoch auch eine große Furcht vor Ablehnung, vor ironischen Aussagen und blöden Scherzen beim Männerabend. Kommt man beim Kumpel mit einem wirklich emotionalen Thema um die Ecke und der einem begegnet mit: „Was ist mit dir denn los, wirst du jetzt zum Softie?“, ist das entmutigend. Eine gute Antwort könnte lauten: „Nee, ich werde jetzt zu einem ganzen Mann“. Frauen haben in ihrer weiblichen Emanzipation die Grenzen der Geschlechterrollen aufgebrochen. Sie mischen mit in Männderdomänen, sind in Chefetagen unterwegs und stehen aufrecht dazu, wenn sie nicht kochen können oder sich gegen Kinder entschieden haben. Neben Empathie, Fürsorge und Gefühlsbetontheit haben viele auch ihre (männlichen) Stärken entdeckt und leben sie. Wenn man als Ziel der Emanzipation Ganzheitlichkeit versteht, erschließt sich die Antwort des vermeintlichen Softies, der sagt, er würde jetzt ein ganzer Mann, wenn er beginnt, über Gefühle zu sprechen. Männer-Trainer Henry Humburg wünscht den Männern, ihre „empfängliche Seite mehr zu fördern“. Bewusst wahrzunehmen, zuzuhören, liebevoll zu sein, die eigene innere Schönheit fühlen zu können und ein Selbstwertgefühl aus sich selbst zu schöpfen, unabhängig von Frau und Beruf. Er hofft auf mehr tiefgehende Kommunikation zwischen Männern, in der es nicht darum geht darzustellen, was für ein toller Hengst man ist. Mut zu mehr Gefühl für mehr Zufriedenheit. „Es gibt viele Männer zwischen 20 und 30, die jetzt eifrig beschäftigt sind mit Karriereplänen, Auslandssemestern und Familienplanung, alles mitnehmen – weil man das so macht! Was auf der Strecke bleibt ist: ‚Wer bin ich eigentlich und was will ich eigentlich‘.“ Vielleicht gar keine schlechte Idee, sich diese Frage immer mal wieder zu stellen, egal ob Mann oder Frau. Übrigens: Münster wurde bezüglich der Kriterien Sport, Gesundheit, Lebensqualität, Partnerschaft und Karriere 2011 zur männerfreundlichsten Stadt gekürt und ließ dabei die 29 anderen geprüften Großstädte hinter sich. # Für Interessierte: Das nächste Männer-Seminar findet am 12. September 2015 statt. Mehr Infos unter : www.integralis-muenster.de 9
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