Gefahren für den Weltfrieden? Freihandelsabkommen als

Boniface Mabanza I Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika I Heidelberg I Juli 2015
Gefahren für den Weltfrieden?
Freihandelsabkommen als Instrumente der Geopolitik
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland hat in Hamburg von Februar bis Juni
eine facettenreiche Veranstaltungsreihe zum Thema „Wie der Freihandel die Welt prägt.
Einblicke in TiSA, TTIP, CETA und Co“ eingeleitet. Die KASA wurde zur 5. Konferenz dieser
Reihe eingeladen, um dort gemeinsam geostrategischen Fragen nachzugehen, die in der
öffentlichen Darstellung der Freihandelsabkommen oft nur eine marginale Rolle spielen, obwohl sie für den Weltfrieden von zentraler Bedeutung sind. Die folgenden Zeilen dokumentieren Boniface Mabanzas Impulsreferat.
Freihandel als Krieg
In Seinem neuen Buch „Trade is War. The War of the West Against the World“ nimmt Prof.
Yash Tandon die Freihandel-Ideologie genauer unter die Lupe. Seit Jahrzehnten wird Freihandel wie eine Art neue Religion propagiert. Seine Verfechter verspüren dabei keinerlei
Hemmungen, ihn mit menschlicher Freiheit per se gleichzusetzen. Der Grundsatz dieser
Propaganda geht von der Annahme aus, dass eine Ära von Gleichheit und Prosperität für
alle eingeleitet würde, sobald Unternehmen von den Ketten jeglicher Regulierungen befreit,
also sogenannten Handelshemmnissen wie Zöllen und Quoten nicht mehr unterzogen werden. Mit dieser Agenda des Abbaus von Handelshemmnissen wurde die WTO 1995 gegründet. Aber in Wirklichkeit hat die Liberalisierung des Handels die Reichen reicher, die Armen
ärmer gemacht und die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten gesprengt. Freihandel mag
nicht mit Bomben und Granaten operieren, so die Kernthese von Yash Tandons Argumentation, aber seine Auswirkungen auf die Gemeinschaften in vielen verarmten Ländern kommen
denen eines Krieges in nichts nach. Auch Freihandel hinterlässt Verwüstungen. Wie jeder
Krieg hat auch der Freihandel seine Vertriebenen und Flüchtlinge. Er ist ein Krieg der Reichen gegen die Armen, wobei die Reichen in der Lage sind, sich offizieller Instrumente zu
bedienen, die von Institutionen festgelegt werden, die dem Namen nach multilateral sind,
aber in Wirklichkeit stark von den westlichen Industrienationen dominiert werden. Zu diesen
Instrumenten gehören die Strukturanpassungsprogramme von Weltbank (WB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) und die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Insbesondere die WTO-Architektur avancierte zu einem Forum, mit dessen Hilfe IndustrieNationen alles durchsetzen wollten, was der Weiterentwicklung ihrer Handelsaktivitäten Tür
und Tore öffnen sollte, ohne dabei auch nur im geringsten die Bereitschaft zu zeigen, den
Befürchtungen der Anderen und deren Interessen mit ernstzunehmenden Konzessionen
entgegenzuwirken. Während sie keinerlei Energie darauf verwandten, die industrielle Ausrichtung der Landwirtschaft in ihrer Heimat – deren verheerende Folgen uns heute für viele
Entwicklungsländer bekannt sind - zu verändern, oder auch nur ansatzweise infragezustellen, verlangten sie von Entwicklungs- und Schwellenländern eine Liberalisierung des industriellen Sektors, des öffentlichen Beschaffungswesens und der Investitions- und Wettbewerbsregeln. Darüber hinaus wollten sie ihnen ihre eigenen Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums diktieren. An dieser egoistischen Haltung der führenden Industrienationen
sind die Verhandlungen auf WTO-Ebene letztendlich gescheitert. Und seit die WTOMaschinerie ins Stocken geraten ist, hat eine Verlagerung des Mittelpunktes der Verhandlungen stattgefunden. Endziel dieser Denkbewegung ist die Etablierung einer Handelsarchitektur, die sich durch die Wechselwirkungen zwischen bi- und multilateralen Ebenen zwangsläufig einleiten wird. In diesem Zusammenhang sind die Verhandlungen um TTIP, TPP,
Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika
KASA im WeltHaus Heidelberg
Willy-Brandt-Platz 5 | 69115 Heidelberg
06221-4333612 | www.kasa.woek.de | [email protected]
CETA, EPAs und Co zu verorten. Über die hier bereits erwähnten Wechselwirkungen zwischen bi- und multilateralen Ebenen, die sich die Protagonisten erhoffen, und die Notwendigkeit, die schwierigen Welthandelsrunden zu umgehen, gibt es andere Gründe für diese
Handelsoffensive der EU und der USA, auf die hier nur kurz und knapp eingegangen werden
kann. In der bilateral ausgerichteten Konstellation dieser neuen Handelsoffensive liegt eine
ernstzunehmende Sprengkraft für den Weltfrieden.
Weitere Gründe für die Handelsoffensive der EU und der USA
Als ersten Grund gilt zu erwähnen, dass der eher links ausgerichtete Präsidentschaftskandidat Obama davon träumte, die Kriege der USA an allen Fronten zu beenden. Als Präsident
wurde er dann aber mit den sogenannten „Sachzwängen“ seines Amts konfrontiert. Während
seiner Amtszeit waren die USA an einem Krieg gegen Libyen beteiligt und der Krieg gegen
den ominösen Islamischen Staat dauert noch an. Auch die Drohnenkriege seines Vorgängers in Pakistan und Afghanistan sind noch aktuell. Nichtsdestotrotz hat das Scheitern im
Irak und in Afghanistan dem Land die Grenzen militärischer Macht vor Augen geführt. Eine
der Konsequenzen, die daraus gezogen wurden, und die Obama im Wahlkampf immer wieder thematisierte, ist eine neue Ausrichtung der Interessenpolitik der USA. Die klassische
Geopolitik soll durch eine Geoökonomie ersetzt werden. Handel, genauer Handelsabkommen, sollen zum Schlüsselinstrument werden, wenn es um die Lenkung des Internationalen
Systems zugunsten der USA geht. Die Strategie besteht darin, räumliche Kontrollmechanismen zu etablieren, ohne dabei eine direkte territoriale Kontrolle auszuüben. Diese Strategie
schafft das Drohpotential militärischer Schlagkraft nicht ab. Diese wird immer existieren, aber
nicht als primäres Element, sondern als unterstützendes Instrument der Ordnungspolitik. In
jenem erwähnten Wahlkampf wies Obama immer wieder darauf hin, dass auf Militärgewalt
nur noch so wenig zurückgegriffen werden solle, wie notwendig. Wirtschafts- und Finanzbeziehungen dagegen sollen so ausgebaut werden, dass die USA die regelsetzende Macht in
den internationalen Beziehungen bleiben können.
Der zweite Grund für die aktuelle Handelsoffensive hängt mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zusammen, die sich 2008 zugespitzt hatte. Während die USA und die EU aus dieser
Krise geschwächt hervorgingen, boomten die Ökonomien der Schwellen- und Entwicklungsländer weiterhin. Viele EU-Offizielle machten keinen Hehl daraus, dass es für die zukünftigen
Strategien der EU selbstverständlich sein sollte, einen fairen Anteil am Wachstum der anderen zu bekommen, gerade so, als ob dies von den anderen genauso beansprucht worden
wäre, als die Tendenzen noch anders aussahen. Um dieses Ziel zu erreichen und die Vormachtstellung von Europa zu verteidigen, ist es für die EU von zentraler Bedeutung, die
Handelspolitik neu auszurichten, die Energie- und Rohstoffsicherung zu gewährleisten und
neue Märkte für europäische Unternehmen zu erschließen. Wie für die USA ist Handelspolitik für die EU zum Instrument der Machtbildung avanciert. Nur unter Berücksichtigung dieser
Logik sind die vielen Verhandlungen der letzten Jahre zu verstehen - auch diejenigen, die
wie die EPA-Verhandlungen lange vor 2008 begannen, aber nach der Wirtschaftskrise an
neuer Intensität gewannen. Dabei sei zu beachten, dass die europäische Seite bei den EPAVerhandlungen von Anfang an die Absicht verfolgte, sich auf dem afrikanischen Kontinent
als Gegenmacht zu Chinas wachsender Einflusssphäre zu positionieren. Da die EU und die
USA die gleiche Vision von Handelspolitik teilen – insofern sie diese als strategisches Instrument zur geopolitischen Kontrolle verstehen -, haben sie mit TTIP ein geeignetes Mittel
gefunden, um ihre gemeinsamen Bestrebungen besser voranbringen zu können als mithilfe
der bilateralen Freihandelsabkommen, die sie jeweils mit verschiedenen anderen Regionen
der Welt abschließen wollen.
2
TTIP und die Gefahren für den Weltfrieden
Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt voraussagen, wie TTIP am Ende der Verhandlungen
aussehen wird. Dafür sind die Diskussionen noch zu dynamisch und die Mobilisierung auf
beiden Seiten des Atlantiks noch lebendig genug, um kleine oder große Verschiebungen
bewirken zu können. Dennoch: ausgehend von dem, was bis zum jetzigen Zeitpunkt über die
Diskussionen bekannt wurde, ist es nicht gewagt, anzunehmen, dass hinter TTIP eine strategische Absicht steht, goldene Standards für die internationalen Handelsbeziehungen zu
etablieren, die auf WTO-Ebene nicht erreicht werden konnten. EU-Offizielle werden nicht
müde zu betonen, dass es das Ziel von TTIP sei, die rechtstaatlich eingebettete und regelbasierte Marktwirtschaft gegen die Gefahren der Herabsetzung von Standards, die etwa von
China ausgehen, zu verteidigen. In Wirklichkeit dienen solche Formulierungen nur dazu, die
kritische europäische Öffentlichkeit zu besänftigen. Diese täte gut daran, sich nicht einlullen
zu lassen, denn TTIP als Versprechen für die Verteidigung bestehender und die Durchsetzung noch besserer Standards klingt angesichts der bisher bekannten Auseinandersetzungen rund um diese Regelwerke schlicht und einfach unglaubwürdig. Auch aus einem anderen Grund sollte die europäische Öffentlichkeit sich TTIP gegenüber durchaus kritisch positionieren: der möglichen Gefährdung des Weltfriedens wegen. Viele Analysten halten es für
möglich, dass TTIP eine Verschiebung von Handels- und Kapitalströmen bewirken könnte,
die sich noch stärker innerhalb der EU-USA-Handelszone konzentrieren könnten und Länder
außerhalb abhängen. Was zwischen den beiden Vertragspartnern als Abbau von Handelsschranken ausgewiesen wird, könnte gegenüber Drittstaaten als Handelshemmnis wirken.
Somit wäre TTIP nichts anderes als ein Instrument zur Ausschaltung von Konkurrenz. Angesichts der Gefahr, auf diese Weise ein enormes Ausmaß an Märkten zu verlieren, hätten
Schwellen- und Entwicklungsländerländer keine andere Wahl, als sich notgedrungen Regeln
und Standards zu unterziehen, die sie gar nicht mitbestimmt haben. Diese Tatsache allein
enthält ein nicht zu unterschätzendes Frustrationspotential. Es verwundert daher kaum, dass
sich in China bereits Stimmen hervortun, die TTIP und weitere wirtschaftliche Verhandlungen
zwischen den USA und der EU als Angriff auf chinesische Interessen bewerten und vor einem ausbrechenden Handelskrieg warnen. Offiziell ist der chinesische Gegenzug in Form
von Verhandlungen mit den ASEAN-Staaten, mit den Nachbarn Südkorea und Japan und
vor allem mit den BRICS schon in Gang. China hat zum Beispiel ganz genau registriert, wie
die EU im Rahmen der EPA-Verhandlungen auf eine Meistbegünstigungsklausel beharrt hat,
um in den Genuss aller Handelsprivilegien zu kommen, die die AKP-Länder Drittländern gewähren, womit vor allem privilegierte Kooperationen afrikanischer Länder mit der Volksrepublik China verhindert würden. Als Antwort fährt das Land seine Charme-Offensive gegenüber den AKP-Ländern fort. Die Gefahr besteht nun vor allem darin, dass es zu Blockbildungen der Weltmächte kommen könnte, die um Alliierte kämpfen und sich langfristig gegenseitig blockieren, indem sie Handelshürden gegeneinander aufbauen. Konflikte wären somit
vorprogrammiert, die über den rein ökonomischen Sektor hinaus Konsequenzen mit sich
bringen würden, unter denen vor allem die armen Länder zu leiden hätten, wie das schon in
Zeiten des Kalten Krieges der Fall war. Yash Tandon ist sich dieser Gefahr bewusst und
appelliert in seinem Buch an die gewaltlose Guerilla-Taktik, die verhindern soll, dass arme
Länder zur Spielwiese der Weltmächte1 werden. Will man Konflikte mit großem Eskalationspotential in einigen Regionen der Welt vermeiden, kommt die Weltgemeinschaft nicht umher,
als ernsthafte multilaterale Verhandlungen zu führen, allerdings unter einem alternativen
Mandat. Ein „Weiter so“ mit der Liberalisierungsagenda der WTO hat keine Zukunft und die
Verlagerung dieser Agenda auf bilaterale Ebene ist keine Alternative, sondern eine Sackgasse.
1
Würden sich China und die zwei anderen Weltmächte versöhnen, würde dies für die ärmeren Länder noch bitterere Konsequenzen haben. „Wenn sich zwei Elefanten bekämpfen, leiden die Bäume drum herum. Wenn sie sich lieben, leiden sie noch
mehr“, sagt ein Sprichwort aus Ostafrika. Genau gegen dieses Szenario wendet sich die von Tandon beschriebene GuerillaTaktik. (siehe: Yash Tandon, Trade is War. The West’s War Against the World.)
3