Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Domprediger Thomas C. Müller 21. Sonntag nach Trinitatis, 25. Oktober 2015, 10 Uhr Predigt über 1. Mose 13,1-18 Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde, derzeit wird in der Evangelischen Kirche eine Neuordnung der Predigttexte erprobt. Dazu gehört, dass auch unbekanntere Texte der Bibel gepredigt werden sollen. So bei unserem Predigttext aus dem 1. Buch Mose, 13. Kapitel. „1So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot auch mit ihm ins Südland. 2Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. 3Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, 4eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des HERRN an. 5Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. 6Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. 7Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande. 8Da sprach Abram zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. 9Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. 10Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan. Denn ehe der HERR Sodom und Gomorra vernichtete, war sie wasserreich, bis man nach Zoar kommt, wie der Garten des HERRN, gleichwie Ägyptenland. 11Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, 12sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten am unteren Jordan. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom. 13Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den HERRN. 14Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der HERR zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du wohnst, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen. 15Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit 16und will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen. 17Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und Breite, denn dir will ich's geben. 18Und Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem HERRN einen Altar.“ Liebe Gemeinde, die Welt von Kleinviehnomaden ist nicht unsere Welt. 3000 Jahre liegen zwischen uns und der alttestamentlichen Erzählung von Abraham und Lot. Ein unüberbrückbarer Graben der Zeit, des Wissens, der Weltbilder und der Technologie. Selbst Menschen, die erst vor 100 Jahren geboren wurden, können kaum nachvollziehen, wenn wir unser Smartphone zücken und mit aller Welt Enden kommunizieren. Wir können in Sekundenschnelle wissen, was am anderen Ende der Welt passiert durch live-Berichterstattung in Bild und Ton. Freilich – würde Abram, oder Abraham, wie er später genannt wird, in einem gewaltigen Zeitsprung doch die Gelegenheit haben, die Fernsehbilder dieser Tage zu betrachten, so würde er wohl denken, dass sich trotz allem, trotz moderner Technik und vielen Zivilisationssprüngen, soviel nicht geändert hat. Noch immer fliehen Menschen vor Kriegen, noch immer suchen sie Plätze, wo ein wirkliches Leben möglich ist. Schon Abrahams Vater war aus Ur in Chaldäa ins 1.100 Kilometer entfernte Haran gezogen. Abraham und sein Neffe Lot zogen weiter ins noch einmal 1000 Kilometer entfernte gelobte Land, in die Gegend um das spätere Bethel. Aber auch dort ereilte sie eine Hungersnot und so müssen sie weiter nach Ägypten, um zu überleben. Abram und Lot würde man wohl heute als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Die Bibel ist von Anfang an das Buch der großen und kleine Fluchten, der Vertreibungen, des Auszugs, der Suche nach einem Land, in dem man endlich bleiben kann. Immerzu geht es um das Verlassens des 1 Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Alten und das neue Beginnen in der Fremde. Wer oder was Gott ist, lässt sich nach der Grunderfahrung der Bibel nicht in gepflegten Überlegung in der Geborgenheit fester, warmer Häuser erkennen, sondern im Dickicht der Ängste, Hoffnungen, Wünsche, die Menschen haben, wenn sie unterwegs sind. Und wenn die Bibel eines über Gott weiß, dann das: Gott ist ein Gott, der sich mit auf den Weg macht. All die Grundworte des Glaubens, auf die wir heute auch in der Kirche so selbstverständlich zurückgreifen, wurden also nicht in den sicheren Verhältnissen geboren, sondern auf den schwierigen Wegen, auf denen man heute nicht wusste, was morgen sein wird. Wir sprechen heute etwa vom Segen und haben oft eine wolkige Vorstellung vom Wohlergehen im Kopf. Aber der Segen, von dem das Alte Testament redet, ist ein Überlebensbegriff. Ohne Segen kein Weg aus Irrwegen heraus und durch karge Landschaften hindurch. Ebenso ist es mit dem Glauben - auch ein Überlebensbegriff. Ohne Glauben keine Kraft, um nicht mitten auf der Strecke aufzugeben. Die Flüchtlinge dieser Tage können diese Überlebensdimension des biblischen Glaubens leichter verstehen als wir Behausten. Segen und Glauben – diese beiden Grundworte verbinden sich mit der Gestalt Abraham. „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“, so sagt Gott zu Abraham. Und als es auf der Kippe stand, ob Gott diese Verheißung auch wirklich wahr machen würde, hieß es: „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit an.“ Deshalb ist er der Urvater aller drei abrahamitischer Religionen. Die Geschichte aus dem 13. Kapitel des Buches Genesis, der wir als Predigttext nun folgen, erzählt davon, wie der Segen, den Abraham bekommen hat, bewahrt wurde auch durch Gefährdung und Konflikte hindurch. Der geschenkte Segen ist von Anfang an bedroht vom destruktiven Gedanken, die im menschlichen Herzen geboren werden. Abraham und Lot waren in Ägypten recht wohlhabend geworden. Nun waren sie wieder zurückgekehrt in die Gegend um Bethel, wo sie vorher schon Station gemacht hatten, etwas nördlich von Jerusalem. Die Bibel erzählt sehr realistisch von dem Konflikt zwischen Abram und Lot. Wie auch heute noch in dieser Region ging es auch damals um Wasser. Für die großen Herden von Abraham und Lot gab es nur wenige Quellen und Brunnen. „Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; (…) Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh.“ Das Böse in der Welt nimmt seinen Ausgangspunkt oft in ganz banalen Interessenkonflikten. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien war zunächst einfach nur ein Interessenkonflikt der reicheren Teilrepubliken gegenüber den ärmeren. Der banale Interessenkonflikt weitete sich zu einem Bürgerkrieg aus, bei dem sich schnell zeigte, welche Bestialität im Menschen schlummert. Seitdem ist die Zahl der Interessenkonflikte nicht geringer geworden. Der Kampf um Ressourcen ist längst Realität. Es geht um Wasser, um wirtschaftlichen Vorteil. Und die Bereitschaft dafür auch Kriege zu führen, wächst. Religion ist dabei leicht zu missbrauchen. Sie ist oft nur ein Vorwand und Treibmittel. Die Gläubigen sollten sich mit allen Kräften dagegen stellen, wenn ihre Religion in dieser Weise benutzt wird. Auch in der christlichen Welt müssen wir auf der Hut bleiben. Natürlich: Die Welt der modernen globalisierten Ökonomie ist nicht die Welt der Kleinviehhirten. Aber Abram gibt ein Beispiel für die Verhinderung des Bösen durch Gutes, und das heißt in diesem Fall ganz unidealistisch durch Konfliktmanagement. Da sprach Abram zu Lot: „Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechen, so will ich zur Linken.“ Als mit Idealvorstellungen über Harmonie und Zusammenleben erfüllte Christen dürfen wir erstaunt sein über so viel Realismus. Kein quälendes Beieinanderbleiben-Müssen, obwohl es doch nicht geht, weil die Interessen einfach zu weit auseinanderliegen. Jeder von uns kennt genügend Beispiele aus seinem Berufs- und Alltagsleben, wo der Zwang, miteinander zurechtkommen zu müssen, eher die Quelle von bösen Gedanken und verdeckten Aggression ist, als deren Überwindung. Wochen,-Monate-, manchmal Jahrelange Schwelbrände im Herzen von Menschen, die für sich genommen nette und freundliche Menschen sind, aber zusammen sich Gift und Galle an den Hals wünschen, auch wenn sie es niemals zugeben würden. „Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten.“ Sicher kein 2 Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Patentrezept, kein Aufruf bei Schwierigkeiten schnell hinzuwerfen, aber manchmal eine erlösende Erlaubnis. Wenn aus verschiedenen Nationen zusammengesetzte Staaten sich auflösen, stimmt das immer traurig und von außen betrachtete fragt man sich, warum das nötig ist. Aber die prinzipielle Erlaubnis, eigene Wege zu gehen, ist nach wie vor der stärkste Schutz gegen das Wüten eines Krieges. Der Wunsch, beieinander zu bleiben ist eine Frucht des Guten. Aber der Zwang, bleiben zu müssen, ist eine Quelle des Bösen. Das gilt für Staaten wie auch für Menschen. Die Freiheit, sich aus dem Weg gehen zu dürfen, schafft den Spielraum, der uns zur Besinnung kommen lässt. Und manchmal entstehen gerade durch diesen Spielraum wieder ganz neue Möglichkeiten, miteinander in Verbindung zu bleiben. Der alttestamentliche Realismus kann uns am Harmonieideal orientierte Christen entkrampfen. Freilich wird diese Deeskalation, die Abraham hier in die Wege leitet, nur möglich durch ein Angebot, das dem anderen seine Lebensmöglichkeit auch gönnt. Das ist die Grundentscheidung tief im menschlichen Herzen, die jedem Frieden und Ausgleich vorausgeht. Wo sie fehlt, ist jeder Lösungsversuch vergeblich. Das Angebot des Abram beruht sogar auf einem Verzicht. Abram lässt Lot die Wahl, welche Gegend er aussuchen will. Lot wählt sich das fruchtbare, grüne Land am Jordan. Er wählt also ohne zu zögern das bessere, ertragreichere Land, nahe gelegen an prosperierenden wohlhabenden Städten wie Sodom und Gomorrha. Aber es erweist sich im Laufe der weiteren Geschichte auch als das Land auf dem kein Segen liegt. Sodom und Gomorrha werden zerstört. Es ist eine der Feinheiten des Textes, dass Lot sich sein Land selbst wählt, während Abram das übrig gebliebene Land von Gott zugesprochen bekommt. Abram empfängt das schlechtere Gebietsstück, aber er empfängt es aus Gottes Hand. Es ist ein Unterschied die Dinge an sich zu reißen oder sie zu empfangen. „Der Herr sprach zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du wohnst, nach Norden, nach Süden, nach Osten und Westen. Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit.“ Es ist, wie gesagt, nicht das beste, schönste, fruchtbarste Land, aber es ist das Feld, auf dem sich nun das Leben Abrams und seiner Nachkommen abspielt. Und auch wenn es nicht das ideale Stück Land ist, es ist das Land, in dem sich der Segen entfalten und bewahrheiten wird, es ist Segensraum. Manchmal ist unser Stück Leben zu eng, zu begrenzt und karg. Nicht wenige wünschen sich ein anderes Leben und einen anderen Lebensraum. Das ist ein legitimer Wunsch, wenn das Leben drückend wird. Die Wanderungen und Fluchten sind davon motiviert. Aber es gibt nicht selten auch den unruhigen Blick auf die anderen, der immer unruhig und neidvoll bleibt und niemals zur Ruhe kommt, weil er sich niemals mit dem ihm zugemessenen LebensRaum begnügen kann. Abram verzichtet auf das beste Stück. Aber es wir ihm letztlich zum Segen. In einem Zeitalter, in dem die Suche nach immer mehr zum Kennzeichen vieler Lebensentwürfe geworden ist, ist es heilsam zu sehen, dass die Annahme unseres Lebens und Lebensortes, so wie er ist, zum Empfang des Segens führen kann. „Darum mach dich auf und durchzieh das Land in der Länge und Breite, denn dir will ich´s geben, “ sagt Gott zu Abram. Innerhalb der uns von unseren äußeren Bedingungen gesteckten Grenze, gibt es oft genug noch viel Weite und Raum zu erkunden. „Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem Herrn einen Altar.“ Immer wieder taucht diese oder eine ähnlich Formulierung in der Geschichte der Erzväter, in den Geschichten von Abraham, Isaak und Jakob auf. „Baute dem Herrn einen Altar.“ Im ganzen Land werden so Orte geschaffen, die an Gott erinnern. So wird das Land nach und nach zum Heiligen Land, zu dem Land, das als Ganzes an den Gott erinnert, der Segen gibt und zum Vertrauen auf ihn ermutigt. Die Religionen haben unterschiedliche Weisen ihre Altäre zu errichten. Wo sie aber dazu dienen, sich daran zu erinnern, dass wir uns mit allem, was wir haben, Gott verdanken und nicht uns selbst, da können wir uns –trotz der Unterschiede –darin verbunden fühlen. Es gab in der Geschichte immer wieder Zeiten, wo man die Altäre niedergerissen hat, manchmal im Namen der Humanität gegen die Gewalt, die von Religionen ausging. Wo aber der Mensch versucht, die Erinnerung an Gott auszulöschen wird er sich des Lebens als Ganzem bemächtigen. So wird man das Stück Land und Leben, das einem geschenkt ist, als sein Eigentum ansehen, mit dem man verfahren kann, wie man will. Darin wird nur Platz für uns selbst sein. Die Altäre in unserem Land erinnern, dass es eine große Verpflichtung gegenüber allen Geschöpfen Gottes gibt. Ein Land, in dem keine Altäre mehr stehen, wird niemals menschlich sein können, weil es den Gott vergisst und verdrängt, der – wie die Geschichte von Abraham und Lot zeigt – allen seinen Menschen Raum zu Leben schenken will. 3 Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 4
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