Tod eines Angehörigen

5 Tod eine s A nge hörige n
Margit Franz
Wenn Angehörige von Schülerinnen und Schülern ster-
Hilfreiches Zusatzmaterial im Ordner
ben, fehlt in vielen Fällen eine nahestehende Unterstützung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Wenn
Abschiedsritual mit Stein
möglich, sollte es/er selbst mitentscheiden, wie seine
Trauer in der Klasse angesprochen wird. Persönliche
Gespräche mit vertrauten Lehrerinnen und Lehrern,
5.1 Die Mutter
sollten zumindest angeboten werden und Folgendes im
Blick haben:
Die Mutter ist erfahrungsgemäß der gefühlsmäßige wie
auch lebenspraktische Mittelpunkt einer Familie – sie
Mutter und Vater sind die wichtigsten Menschen im Le-
hält die Familie beieinander. Ihr Tod reißt eine große
ben eines Kindes und so zählt ihr Tod zu den tiefgrei-
Lücke in das Familiensystem. Das Mädchen verliert das
fendsten Verlusterfahrungen. Neben der Trauer um den
gleichgeschlechtliche Identifikationsobjekt, der Junge
Tod von Vater oder Mutter müssen Kinder meist weitere
das „ödipale Liebesobjekt“. Jungen neigen dazu, den
Verlusterfahrungen verarbeiten, beispielsweise den Ver-
Tod der Mutter passiv und lang anhaltend zu betrauern.
lust des gewohnten familiären Lebens, wirtschaftliche
Mädchen verarbeiten ihre Trauer vorzugsweise aktiv,
Einschränkungen (als Folge beispielsweise die Wieder-
indem sie tatkräftig im Haushalt anpacken, für jüngere
aufnahme der Berufstätigkeit der Mutter), Wohnort-,
Geschwister in die Mutterrolle schlüpfen und manchmal
Kindergarten- und Schulwechsel, Verlust von Freunden.
zum Partnerersatz des Vaters werden. In solchen Fäl-
Das Familiengefüge verändert sich durch die entstan-
len ist es Töchtern nicht möglich, den Verlust der Mut-
dene Lücke grundlegend. Gehen Vater oder Mutter
ter angemessen zu betrauern. Es kommt zur massiven
neue Beziehungen ein, so entwickeln sich neue, teil-
Überforderung und dem Verlust der Kindheit. Beides
weise auch komplexere Familiensysteme, beispielswei-
jedoch wird in der akuten Trauersituation weder von den
se Patchwork-Familien mit „Stiefvater“, „Stiefmutter“,
betroffenen Kindern noch vom Vater bewusst wahrge-
„Stiefgeschwistern“. Immer besteht die Gefahr, dass
nommen.
verstorbene Eltern oder Kinder von den Angehörigen
aufgrund einer überhöhten Idealisierung unbewusst
„heilig“ gesprochen werden. Diese emotionale Fixierung
5.2 Der Vater
erschwert Kindern wie Erwachsenen einen gesunden
Trauerprozess und die spätere Bereitschaft, neue Be-
Der Vater verkörpert traditionell die Rolle des Familien-
ziehungen und Bindungen einzugehen.
oberhauptes und Hauptversorgers in der Familie. Sein
Tod führt meist zu ökonomischen Problemen. Verwitwete Frauen übernehmen oft den Part ihres verstorbenen
Gut zu wissen
Mannes, organisieren und bewältigen Haushalt, Erziehung und Beruf. Das führt zu massiver Überforderung. Im
Manchmal sind Kinder zum Zeitpunkt des Todes ihres
Vergleich zu Witwern bleiben Frauen meist längere Zeit
Vaters oder ihrer Mutter im Unfrieden mit dem verstor-
allein. Dadurch wachsen Kinder ohne männliches Vor-
benen Elternteil. Dann kann es vorkommen, dass sich
bild auf, was sich in Institutionen wie Kindergarten und
ein Aufbegehren oder ein Gefühl der Verachtung mit
Volksschule, in denen vorzugsweise Frauen arbeiten,
den Trauergefühlen mischt und den Abschied stört oder
zusätzlich verstärkt. Mit dem Tod des Vaters verliert das
gar verunmöglicht. Es ist jedoch möglich, mit Hilfe einer
Mädchen das gegengeschlechtliche, bewundernswerte
Symbolhandlung diese negativen Gefühle wahrzuneh-
Liebesobjekt und der Junge das männliche Identifika-
men, zu bündeln, wegzulegen, um erst danach mit dem
tionsobjekt. Erfahrungsgemäß haben es Jungen unter
Verstorbenen Frieden zu schließen.
vielen weiblichen Bezugspersonen schwer, in ihre Rolle
als Mann hineinzuwachsen. Zudem besteht die Gefahr,
18
To d
dass sich der Junge nun als Oberhaupt für die Familie
das Kind sucht eventuell nach einer Vertrauensperson,
verantwortlich fühlt, seiner Mutter zur Seite stehen und
nach emotionaler Zuwendung und/oder einem neuen
zum Ersatzpartner werden möchte. Ist dies der Fall, so
kann der Vaterverlust nicht angemessen verarbeitet und
betrauert werden.
Identifikationsobjekt (Vorbild).
UÊ >Li˜Ê-ˆiÊ}Àœ~iÃÊ6iÀÃÌB˜`˜ˆÃÊvØÀÊ6iÀ…>Ìi˜ÃÃV…Ü>˜kungen des Kindes (Rückzug, Teilnahmslosigkeit,
Aggression, Wut).
UÊ i…i˜Ê-ˆiÊ`>ۜ˜Ê>ÕÃ]Ê`>ÃÃÊ`ˆiÊÃV…ՏˆÃV…i˜ÊiˆÃÌ՘}i˜Ê
5.3 Ein Geschwister
des Kindes oder Jugendlichen vorübergehend stagnieren oder abfallen können. Das Kind braucht und
Der plötzliche Verlust oder der Tod durch eine lebensbedrohliche Erkrankung (oder Unfall) eines Kindes ist
für Eltern der schwerwiegendste Verlust überhaupt. Den
Tod von Bruder oder Schwester erleben Geschwister
meist wie einen dreifachen Verlust:
UÊ 6iÀÕÃÌÊ`iÃÊiÃV…܈ÃÌiÀÃÊ՘`Ê`>“ˆÌÊiˆ˜iÀÊiˆ˜âˆ}>À̈}i˜Ê
Beziehung und Bindung
UÊ 6iÀÕÃÌÊ`iÀʏÌiÀ˜]ÊÜi˜˜Ê`ˆiÃiʈ˜Êˆ…ÀiÀÊ/À>ÕiÀÊՓÊ`>ÃÊ
bündelt seine Energien zur Verarbeitung des schweren
Verlustes.
UÊ *ÃÞV…œÃœ“>̈ÃV…iÊÕvvBˆ}ŽiˆÌi˜Êœ`iÀÊÀŽÀ>˜ŽÕ˜}i˜]Ê
zum Beispiel Hautausschläge, Essstörungen, können
Hinweise für einen gestörten Trauerprozess sein.
UÊ ˜Ìi˜ÃˆÛˆiÀi˜Ê-ˆiÊ`i˜Êœ˜Ì>ŽÌÊ՘`Ê`ˆiÊiëÀBV…iʓˆÌÊ
den Eltern. Vermitteln Sie Eltern emotionale Entlastung,
indem Sie ihnen mitteilen, dass Sie deren Kind gut im
verstorbene Kind für die lebenden Kinder unerreichbar
„Blick haben“ und im Rahmen der bestehenden Mög-
sind
lichkeiten gut für es sorgen werden.
UÊ 6iÀÕÃÌÊiˆ˜iÃÊ>“ˆˆi˜iLi˜Ã\Ê ˆV…ÌÃʈÃÌʓi…ÀÊÜ]Ê܈iÊ
es einmal war
UÊ iLi˜Ê-ˆiÊ`i˜ÊÌiÀ˜ÊÀi}i“B~ˆ}Ê,ØVŽ“i`՘}ÊØLiÀÊ
das Verhalten des Kindes in der Klassengemeinschaft.
Fragen Sie nach: Wie verhält sich das Kind zuhause?
Geschwister sind die einsamste Gruppe. Sie werden am
meisten vernachlässigt und bleiben auf sich alleine ge-
Was besorgt die Eltern? Wo ist Bedarf an Hilfe und
Unterstützung?
stellt. Oftmals verstecken sie ihre Trauer, um ihre Eltern
UÊ -ˆ˜`Ê-ˆiÊՓÊ`>ÃÊ7œ…Ê`iÃʈ˜`iÃʈ˜ÊiÀ˜Ã̅>vÌiÀÊ-œÀ}i]Ê
nicht noch trauriger zu machen. Unbewusst schlüpfen
so wenden Sie sich an kompetente Fachkräfte (schul-
manche in die Rolle des verstorbenen Geschwisters.
psychologischer Dienst, psychologische Beratungsstel-
Beim Geschwistertod plagen Kinder nicht selten Schuld-
le, Arzt), mit denen Sie Ihre Beobachtungen und
gefühle (zum Beispiel wegen eines Streites mit dem ver-
Bedenken, auch weitere Schritte (zum Beispiel Informa-
storbenen Geschwister) oder die so genannte „Überle-
tion an das Jugendamt) besprechen können.
bensschuld“ (zum Beispiel „Mein Bruder musste sterben
UÊ iˆ“Ê/œ`Êۜ˜ÊÕÌÌiÀ]Ê6>ÌiÀʜ`iÀÊiÃV…܈ÃÌiÀÊLi˜ŸÌˆ-
und ich lebe!“). Fühlen sich Kinder von ihren Eltern oder
gen Familien (Kinder und Eltern) eine intensive Unter-
der Familie in ihrem Schmerz unbeachtet und in ihrer
stützung (zum Beispiel Trauerbegleitung, Familienhilfe),
Trauer unverstanden, fühlen sie sich vernachlässigt und
möglicherweise auch therapeutische Begleitung.
einsam, so hegen sie manchmal Suizidgedanken. Bestehen hierzu Verdachtsmomente, müssen diese ernst
genommen und professionelle Hilfe muss eingeschaltet
5.4 Verwandte
werden.
Der Tod von Großeltern, Tanten, Onkeln und weiteren
Verwandten der Familie kann unterschiedliche Gefühle
Bitte beachten
in Kindern auslösen. Die Qualität der Beziehung zum
Verstorbenen bestimmt die Intensität der Trauer. Lebten
UÊ iœL>V…Ìi˜Ê-ˆiÊ>Õv“iÀŽÃ>“]Ê܈iÊ`>ÃÊLiÌÀœvvi˜iʈ˜`Ê
die Großeltern mit im Haushalt des Kindes, so gehörten
den Tod des Familienangehörigen bewältigt: Welche
sie zum engsten Familienkreis. Das Kind wird den Verlust
Strategien zur Verlustbewältigung entwickelt es?
intensiv betrauern und möglicherweise erstmals erleben,
In welche Rolle schlüpft das Kind beziehungsweise
wie sehr Vater und/oder Mutter den Tod ihrer Eltern be-
in welche Rollen wird es gedrängt?
klagen. Die Erfahrung, dass die eigenen Eltern auch nur
UÊ >Li˜Ê-ˆiʈ“ʏˆVŽ]Ê܈iÊ`ˆiʏÌiÀ˜ÊÌÀ>ÕiÀ˜Ê՘`ʈ˜Üˆi-
Menschen und somit verletzlich und auch sterblich sind,
weit sie in ihrer momentanen Situation emotional wie
mag für manche Kinder überraschend wie erschütternd
alltags-praktisch für das Kind da sein können: Nehmen
sein. Die Erfahrung, dass die Eltern von Mama und Papa
die Eltern ihr Kind noch wahr? Können die Eltern ihr
gestorben sind, führt zu der Erkenntnis: Auch meine
Kind trösten und den Familienalltag aufrechterhalten?
Eltern könnten sterben! Diese bei kleinen Kindern wach-
UÊ -Ìii˜Ê-ˆiÊÈV…Ê`>À>ÕvÊiˆ˜]Ê`>ÃÃÊ-ˆiÊvØÀÊ`>Ãʈ˜`ʓŸ}-
sende Erkenntnis kann Verlust- und Verlassensängste
licherweise an Bedeutung und Wichtigkeit gewinnen –
auslösen: „Wenn meine Mama, mein Papa tot ist, bin
19
ich dann ganz alleine auf der Welt? Wer sorgt für mich?
Aktive Links auf www.edyoucare.net
Werde ich dann ins Kinderheim gesteckt?“ Es empfiehlt
zu diesem Thema:
sich, die Ängste der Kinder offen anzusprechen und zu
erklären, wer für das Kind da wäre (zum Beispiel Paten,
www.schulpsychologie.at/gesundheitsfoerde-
Onkel und Tante, gute Freunde), wenn eine derart schlim-
rung/krisen-aengste
me Situation in der Familie eintreten würde.
www.trauerhilfe.info/thanatologie/
kinder-tod.php
5.5 Das Lieblingstier
http://schulpastoral.drs.de/pastoralepraxis/
Der Tod eines Haustieres kann für Kinder äußerst
krisenseelsorge.htm
schmerzlich sein. Je kleiner Kinder sind, umso weniger
differenzieren sie zwischen Menschen und Tierfreund.
www.kindertrauer.de
Letzten Endes entscheidet immer die enge Bindung
Informationen für betroffene Kinder, Erwachsene,
und Beziehung über das Ausmaß und die Intensität
für Helfer und Fachleute
der Trauer. Ein Kind kann den Verlust seines geliebten
Hundes deshalb weitaus intensiver betrauern als den
www.trau-dich-trauern.de
Verlust eines Menschen, der ihm weniger nahestand.
Angebot für trauernde Kinder und Jugendliche
Für ein verstorbenes Haustier darf es keinen schnellen
Ersatz geben – die Trauergefühle des Kindes müssen
www.trauernde-geschwister.de
unbedingt respektiert werden. Je älter ein Kind wird,
umso mehr realisiert es, dass nicht nur geliebte Tiere,
www.veid.de
sondern auch geliebte Menschen, einschließlich es
Bundesverband Verwaiste Eltern in Deutschland e. V.
selbst, sterblich sind. Diese zunehmende Erkenntnis
kann große Verlust- und Zukunftsängste auslösen und
sollte zum Anlass einfühlsamer Gespräche genommen
werden.
Literatur
UÊ À>˜â]Ê>À}ˆÌ\Ê/>LÕ̅i“>Ê/À>ÕiÀ>ÀLiˆÌ]ʈ˜`iÀÊ
begleiten bei Abschied, Verlust und Tod, 4. Auflage,
Don Bosco, München 2002
20
To d
21