ERICH KÄSTNER DIE DOPPELGÄNGER Karl verriegelte

Vorschau - Klett-Cotta Verlag, J. G. Cotta'sche Buchhandlung
ERICH
KÄSTNER
DIE DOPPELGÄNGER
Das bisher unveröffentlichte Romanfragment entstand 1932. U n d es blieb bei
dem Bruchstück. Die Gründe hierfür hatten und waren Ursachen. Als einem „unzuverlässigen und politisch unerwünschten" Schriftsteller, der nicht emigrieren
wollte, wurde es mir 1933 untersagt, in Deutschland zu publizieren. U n d die
„Auslandserlaubnis", die jederzeit rückgängig gemacht werden konnte (und 1943,
als es in Europa kein Ausland mehr gab, rückgängig gemacht wurde), bedeutete
Kontrolle und, im Ernstfalle, Gegenmaßnahmen. Der R o m a n „Die Doppelgänger",
wie er geplant war, hätte, zu Ende geführt und im Ausland veröffentlicht, einen
solchen Ernstfall geschaffen. U m für die Schublade zu schreiben, fehlte es mir an
Lust, Muße und Geld.
Als sich, nach 1945, die Gelegenheit geboten hätte, die 1932 begonnene Arbeit
abzuschließen, zeigte sich, bei der „Nachhole-Lektüre", daß mittlerweile Engel
und verwandte Zauberwesen anderwärts außerordentlich in Mode gekommen waren.
J e t z t h a t t e ich zwar die „Erlaubnis fürs In- und Ausland", sogar etwas Zeit und
Geld, aber zum Weiterschreiben keine Lust mehr. W a s etwa 1935 (wieder einmal)
originell gewesen wäre, hätte, etwa 1947, als Nachahmimg wirken müssen. Diese
Vorstellung war mir fatal, u n d so ist es beim Bruchstück geblieben. Auch ungeschriebene Bücher haben, wie m a n sieht, ihre Schicksale.
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K
arl verriegelte die Tür seines Zimmers. Dann sah er sich um. Was
blieb zu tun? Draußen regnete es unaufhörlich, und die Scheiben
zitterten. Wer heute aus dem Fenster springen wollte, durfte den Schirm
nicht vergessen. Karl ergriff die Wasserkaraffe, trat zu seinen Topfblumen und begoß sie. Die weiße Azalee, die Dutzende schneeweißer
Blüten trug, schluckte das Wasser wie ein dürstender Mund. Nim war die
Karaffe leer. Karl stellte sie aufs Fensterbrett, nickte den Blumen zu
und setzte sich auf das dunkelrote Plüschsofa. Auf der gehäkelten Tischdecke lagen einige Briefe. Die Wirtin würde sie morgen in den Briefkasten
werfen.
In diesem Augenblick klopfte es. Es klopfte dreimal. „Wer ist da?"
fragte Karl.
„Maximilian Seidel", antwortete eine tiefe, schwerfällige Stimme.
„Ich bin Weinreisender und habe Ihnen ein Angebot zu machen."
„Kommen Sie ein ander Mal!"
„Ein ander Mal ist es zu spät", erwiderte die tiefe, schwerfällige
Stimme. „Ich muß Sie sprechen."
„Scheren Sie sich fort!"
„Nein", sagte die Stimme, und die verriegelte Tür öffnete sich. Ein
großer bauchiger Mann trat ins Zimmer. Er schaute sich suchend um,