Patientenrecht auf Schmerz- therapie: Gesundheitspolitik in der

15. ÖSTERREICHISCHE SCHMERZWOCHEN 2016
Das gesetzlich verankerte Patientenrecht auf bestmögliche Schmerzbehandlung dürfe nicht totes Recht bleiben, mahnten Experten der Österreichischen Schmerzgesellschaft anlässlich der 15. Österreichischen Schmerzwochen ein. Gefragt
sei der politische Wille für zu einer geplanten, abgestuften Versorgung. Eine wichtige Rolle spielen dabei Zentren, die
kompetent und leitliniengerecht multimodale Therapien durchführen können.
Jürgen Hammerschmid
I
n den zweieinhalb Jahrzehnten, seit
es die Österreichische Schmerzgesellschaft gibt, haben sich die Möglichkeiten der Schmerzmedizin enorm weiterentwickelt, und wir haben heute mehr therapeutische Möglichkeiten denn je, akute
wie chronische Schmerzen angemessen zu
behandeln“, betonte
OA Dr. Wolfgang
Jaksch, Präsident
der Österreichischen
Schmerzgesellschaft
(Wilhelminenspital,
Wien) anlässlich der
15. Österreichischen
Schmerzwochen.
OA Dr.
„Das Patientenrecht
Wolfgang Jaksch
auf bestmögliche
Schmerztherapie, wie es seit vielen Jahren in der Patientencharta gesetzlich verankert ist, bleibt aber dennoch für viele
chronische Schmerzpatienten totes Recht,
und der medizinische Fortschritt kommt
ihnen nicht zugute. Denn eine fehlende
strukturelle Verankerung der Schmerztherapie in unserem Gesundheitssystem und
einschneidende Einsparungen gerade in
diesem Bereich führen zu massiven Versorgungsdefiziten.“
„VOLKSLEIDEN“
CHRONISCHE SCHMERZEN
Und dies, obwohl Schmerzen enorm verbreitet sind, wie einmal mehr die kürzlich
veröffentlichte Gesundheitsbefragung
der Statistik Austria zeigt. Unter den
„Top Ten“ der chronischen Erkrankungen
in Österreich finden sich gleich mehrere schmerzhafte Erkrankungen: An der
Spitze liegen chronische Kreuz- und andere Rückenschmerzen mit 1,8 Millionen
Betroffenen bzw. einer Prävalenz von 23
Prozent bei Frauen und 26 Prozent bei
Männern. Gelenkschmerzen zählen zu den
20 SCHMERZ NACHRICHTEN
häufigsten gesundheitlichen Beschwerden überhaupt und sind ein führender
Grund für Behinderung. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung über 50 Jahren
leidet darunter. „Das Thema des Europäischen Jahrs gegen Gelenkschmerz ist
schon angesichts dieser Dimensionen gut
gewählt, und die ÖSG unterstützt diese
Initiative der Europäischen Schmerzföderation EFIC“, so Dr. Jaksch.
Die weite Verbreitung des Problems hat
nicht nur dramatische Folgen für jeden
einzelnen Betroffenen, sondern auch für
das Gesundheits- und Sozialsystem, wie
einmal mehr eine große europäische Studie belegt hat, die auf dem EFIC-Kongress
in Wien präsentiert wurde. Die Untersuchung konnte bei Schmerzpatienten einen deutlichen negativen Zusammenhang
zwischen Schmerzstärke und mentalem
und physischem Befinden nachweisen.
Ebenso zeigte sich, so Dr. Jaksch: „Je
stärker die Schmerzen sind, umso stärker ausgeprägt sind auch der Verlust an
Lebensqualität, der Aktivitätsverlust und
Krankenstände, und umso mehr werden
Leistungen des Gesundheitssystems in
Anspruch genommen.“
Unterstützt werden die 15. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG von:
Gefragt sei der politische Wille zur „geplanten, abgestuften Versorgung, in
der jede Schmerzpatientin und jeder
Schmerzpatient genau auf der Versorgungsstufe behandelt wird, die für ihre
und seine Probleme am besten geeignet
ist“, betont Dr. Jaksch.
MULTIMODALES THERAPIEKONZEPT
HILFT BEI CHRONISCHEN SCHMERZEN
Eine wichtige Rolle bei der optimalen Betreuung von Patienten mit chronischen
Schmerzen spielen Zentren, die kompetent und leitliniengerecht multimodale
Fotodienst / Oskar Höher
Patientenrecht auf Schmerztherapie: Gesundheitspolitik
in der Verantwortung
Therapien durchführen können. „Dieses
Konzept, wie es am Klinikum Klagenfurt
angeboten wird, ist eine moderne, wissenschaftlich fundierte, individuell geplante
und ambulant durchgeführte Spezialbehandlung. Es ist zeit- und kostenintensiv
und nicht für alle Schmerzpatienten notwendig und sinnvoll“, erklärte ÖSG-Generalsekretär Prim.
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc (Klinikum Klagenfurt
am Wörthersee).
„Besonders geeignet ist es für spezielle Konstellationen
von chronischem
Prim Univ.-Prof. Dr.
Schmerz, insbesonRudolf Likar, MSc
dere für Patienten
im erwerbsfähigen Alter mit langwierigen viszeralen Schmerzen oder anderen
häufigen Schmerzformen wie Kopf- oder
Rückenschmerzen, bei denen die üblichen
Therapien mit NSAR, einer mittleren Opiatdosierung, Blockaden oder Infiltrationen keine oder zu wenig Wirkung gezeigt
haben oder deren Leiden auch durch einen operativen Eingriff nicht gelindert
werden können.“
Trotz des relativ hohen Aufwands ist
dieses Behandlungskonzept wirtschaftlich sinnvoll. „Wir konnten nachweisen,
wie positiv sich das Projekt sowohl auf
physische und psychische Parameter bei
chronischen Schmerzpatienten als auch
auf die Kostenstruktur auswirkt“, berichtete Prof. Likar. „Angesichts solcher Ergebnisse wäre es wünschenswert, dass in
Österreich im Rahmen eines abgestuften
Versorgungskonzeptes auch ein adäquates Angebot an multimodalen Settings für
chronische Schmerzpatienten geschaffen
wird, um die schmerztherapeutische Versorgung zu optimieren. Dazu wäre in Österreich etwa ein multimodales Angebot
pro Bundesland notwendig, derzeit gibt
es dies aber nur in Klagenfurt.“
Dr. Friederike Hörandl
SERVICE:
Ein Patienten-Informationsfolder zu den
Österreichischen Schmerzwochen steht
zum Download zur Verfügung unter:
www.oesg.at sowie www.bkkommunikation.com/de/journalistenservice/aktuell/
Potenzial für Cannabinoide auch
bei neuropathischen Schmerzen –
Medikamenten-Nutzen nicht mit
Legalisierungsdiskussion vermengen
E
ine italienische Studie zeigt, dass
das Cannabinoid Dronabinol die
nozizeptive Übertragung von
Schmerzreizen beim Menschen hemmen
kann. Nozizeptiver Schmerz entsteht
durch Stimulation der Schmerzrezeptoren
(Nozizeptoren). „Damit könnte ein weiterer Hinweis erbracht sein, dass CannabisMedikamente künftig auch in der Behandlung von neuropathischen Schmerzen eine
wichtigere Rolle spielen könnten“, so Prim.
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc., Generalsekretär ÖSG und Leiter der Abteilung für
Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt, anlässlich der 15. ÖSGSchmerzwochen. Bisher wurde der Einsatz von Cannabinoiden bei neuropathischen (durch Schädigungen von Nerven
bedingten) Schmerzen widersprüchlich
diskutiert, weil die Evidenz für diese Behandlung des neuropathischen Schmerzes
noch gering ist.
Die klinische Wirksamkeit von Cannabinoiden konnte inzwischen in verschiedenen Indikationen wissenschaftlich belegt werden. „Gut belegt sind vor allem
brechreizhemmende, appetitsteigernde
und krampflösende Effekte. Cannabinoide lindern Schmerz, Spastik und Angst,
stimulieren den Appetit, unterdrücken
Übelkeit und Erbrechen, verbessern die
Lebensqualität und können in multimo-
dale Behandlungskonzepte gut integriert werden“, so Prof. Likar. „Besonders synergetisch ist die Kombination des
Hanfpflanzen-Bestandteils THC mit einer
Opioid-Therapie. Anders als Opioide führen Cannabinoide auch bei Überdosierung
zu keiner potenziell lebensgefährlichen
Atemdepression und auch zu keiner Unterdrückung der wichtigen Abwehrfunktion gegen infektiöse Keime.“
Die in Gesellschaft und Politik oft sehr
emotional geführte Diskussion über eine
Cannabis-Legalisierung sollte jedenfalls
keine ungünstigen Auswirkungen auf den
Einsatz von Cannabinoid-Medikamenten
in der Schmerz- und Palliativmedizin haben, wünscht sich Prof. Likar: „Der Einsatz
von Cannabinoiden in der Therapie darf
nicht mit einer Legalisierung des Cannabis-Konsums verwechselt werden. Damit
dafür geeignete Patienten von den gut
dokumentierten, positiven medizinischen
Eigenschaften von Cannabinoiden profitieren können, brauchen wir keine Legalisierung von Marihuana, aber auch keinen
kontrollierten Verkauf von Blüten in der
Apotheke. Es stehen uns dafür bereits
jetzt wirksame, standardisierte Medikamente zur Verfügung.“
Quelle: Di Stefano et al., Dronabinol inhibits nociceptive transmission in humans. A double blind randomized
controlled study. Abstract PO39 EFIC Congress 2015
SCHMERZ NACHRICHTEN
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