Predigt über Jesaja 38, 7-20, 16. Sonntag n.Trin. 20.09.2015 Pfr. i. R. Ekkehard Heicke, Heidelberg Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war: Ich sprach: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben. Ich sprach: Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen, nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen mit denen, die auf der Welt sind. Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis; bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis. Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein! Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele. Herr, laß mich wieder genesen und leben! Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund. Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN! Liebe Gemeinde! Vom starken Trost redet unser Sonntag alsThema. Und dieser starke Trost bezieht sich auf die größte Verletzung, die uns Menschen zugefügt werden kann: das Sterben. Gott schickt den Pro-pheten Jesaja zum König Hiskia, der schwer erkrankt ist: „So spricht der HERR: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.“ Darauf dreht der König sein Gesicht zur Wand. Er will allein sein, allein mit seinem Gott. Seine ganze Verzweiflung schreit er ihm entgegen: „Nun muß ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben.“ Wir gerne würde er noch bei denen bleiben, von denen er sich jetzt wegdreht! Das darf doch nicht wahr sein! Das Leben ist ja längst noch nicht ausgekostet! Weviel Pläne, Wünsche, Träume sind noch zu verwirklichen! Wieviele Aufgaben warten noch! Nun muss ich sterben - in der Mitte meines Lebens, und ich dachte doch, dass es noch längst nicht zuende sei! Ja, so schreien wir auf, wenn’s ernst wird. Ich nenne hier nur kurz zwei Namen, bei denen es zumindest für ihre Umgebung so war: Gottfried Wagner und Christof Schorling. Wer vom Alter, von Krankheit und Schmerzen nicht schon völlig zermürbt und todmüde gemacht ist, für den kommt das Sterben immer viel zu früh, der fühlt sich immer erst in der Mitte des Le-bens. Nicht nur mit 40 oder 50 schreien wir so, sondern auch mit 70 oder mit 80. Und doch kommt der Tod. Er macht kurzen Prozess. Er fragt nicht lange. „Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt.“ Vorzeitig muss der Hirt sein Zelt abbrechen. Das Land umher ist noch längst nicht abgeweidet. Er könnte noch eine gute Wiele bleiben. Aber – er muss fort. Die Zeltstangen sind schon her-ausgezogen, und bald wird hier eine leere Steppe gähnen, nichts wird mehr daran erinnern, dass hier Leben herrschte, Kinderlachen, Menschenglück. Bald wird hier Stille einkehren, Friedhofs-Stille. „Wir haben hier keine bleibende Stadt ...“ „Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden.“ Noch ist das gewebte Stück nicht vollendet. Was für eine herrli-che Arbeit könnte noch daraus werden. Bis jetzt ist es ja nur ein Torso, ein sinnloses Stück Tuch. Mein Gott, lass mich doch mein Leben richtig zuende bringen!! Aber nein, der Meister hat den Faden schon abgeschnitten. Das Werk ist nicht vollendet. „Tag und Nacht gibst du mich preis; bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis.“ Bitterer, härter kann man es nicht sagen. Der Tod zerfleischt, zermalmt, zerreisst den Menschen. Da hilft kein Betteln und kein Schreien. Gott selbst gibt ihn dem Tode preis. „Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein! Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele. Herr, laß mich wieder genesen und leben!“ Wie viele von uns haben nicht schon so oder ähnlich gebetet. Etwa als es hieß: „Wir müssen schnell operieren. Vielleicht ist es gutartig. Wir werden sehen ...“ „Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!“ Das sieht so aus, als meine er, mit dem Tod sei alles aus. Aus und vorbei. Genauso redet er. Mit dem Tod ist alles vorbei. Wer gestorben ist, der hat keine Verbindung mehr zu Gott, der kann nicht mehr aus der Quelle des Lebens trinken. Der ist verstossen, weggeworfen, preisgegeben. „Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen. Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue.“ Wir wissen, das Neue Testament sagt es anders. Aber mal ganz ehrlich: Wenn wir in die Lage des Hiskia kommen – und wie bald kann das sein! -, dann ist uns seine Angst, sein Schreien nach Hilfe, sein Betteln ums Leben ganz nah, ganz hautnah! Und Gott weiß darum. Das Alte Testament hat eine herbe Nüchternheit gegenüber dem Tod. Wir sollten davon lernen. Dass wir nicht zu oberflächlich, zu pausbäckig dem Tod ins Gesicht lachen. Wenn er wirklich kommt, dieser reißende Löwe, dann vergeht uns das Lachen von selbst und wir tasten voller Angst nach der Hand des Vaters: Mein Gott, mein Jesus, wo bist du? Lass mich nicht allein! Nein, verabschieden wir uns nicht zu schnell vom Alten Testament! So hat das der Professor Notger Slenczka aus Berlin wohl auch gar nicht gemeint. Aber das nur nebenbei. Zweierlei ist wichtig und bleibt festzuhalten: Das eine: „Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du wieder werden.“ Wir Menschen träumen ja von jeher davon, dass es in uns etwas gibt, was einfach nicht sterben kann: unser Geist, unsere Seele oder wie man es immer nennen mag. Das Alte Testament sagt uns: wir sind „Erdlinge“ und müssen wie-der zur Erde werden. Nur Gott ist unsterblich, einzig und allein nur Gott. Der Mensch aber, der ganze Mensch ist wie eine Blume, wie Gras, wie ein Schatten: Er bleibt nicht! Wenn es Hoffnung geben soll, dann kann sie sich nur auf den richten, der allein Unsterblichkeit hat: Dass er uns im Tod nicht vergisst, dass wir in ihm leben, weil er unser Gott sein und blei-ben will, und – dass er uns einmal einen neuen Leib schenkt und damit eine neue Existenz. Wenn GOTT sich nicht unserer Seele annimmt, dann verdirbt sie. Und das andere: Aber eben dieser ewige Gott, auf den alles an-kommt, der schickt uns den Tod, der gibt uns preis, der schneidet den Faden ab, dessen Diener ist jener Löwe, der uns zer-reißt. Und warum? „Das macht dein Zorn, dass wir so verge- hen ... Denn unsre Missetaten stellst du vor dich...“ Das ist die letzte Wahrheit über den Tod. Nicht das ganz natürliche Ende eines erfüllten Lebens ist er, nein: Gott selbst stößt uns in die Verwesung hinein. Gott selbst verbannt uns von seinem Ange-sicht, vom Leben, vom Glück, von der Freude: „unsre Missetaten stellst du vor dich...“ Was nützt es dir, wenn du denkst: „Ach, ich bin ja noch so jung!“ Einmal kommt der Tod doch. Und glaub es mir: Es geht schneller, viel schneller, als du denkst! Was nützt es dir, wenn du sagst: „Die letzte schwere Krankheit hab ich ja gut überstanden!“ Eine Krankheit wird kommen, die du nicht überstehst! Der König Hiskia bekommt auch nur einen Aufschub. 15 Jahre werden ihm noch zugelegt. Natürlich ist er dankbar. Natürlich ist er überglücklich. Aber dieser Aufschub, diese geschenkten 15 Jahre sind nicht der eigentliche Grund seiner Freude. Dieser Aufschub ist – er weiß es! – nur die Folge einer unend-lich viel wichtigeren Sache. Wenn Gott ihm diese 15 Jahre schenkt, dann kann das nur daher kommen, dass er nichts mehr gegen ihn hat! Dass seine Sünde nicht mehr vor Gottes Augen steht. Dass sie nicht mehr zählt. Das ist das Große, das ist das Leben! Du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. Der König Hiskia bekam als Zeichen für die Vergebung der Sün-den die 15 Jahre Lebensverlängerung. Ein schönes Zeichen, ganz gewiss, aber auch ein unsicheres. Wir haben es viel, viel besser! Auch wenn wir vielleicht nicht solche Heilung von schwerer Krankheit erfahren. Sicher müssen wir noch sterben. Sicher müssen wir noch durch Schmerz und Tränen. Sicher müssen wir noch jenem Löwen begegnen. Aber wir wissen um den einen, zu dem wir nicht nur rufen dürfen: „Herr, tritt du für uns ein!“, sondern der für uns eingetreten ist, der uns Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit schenkt. Da hat der starke Trost Wurzel, Halt und Ziel. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund. Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN! Und der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus zum ewigen Leben. Amen.
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