Pastoralreferent Rolf Müller, Frankfurt „Übrigens“ in hr 4 am Mittwoch, 13. April 2016 In Würde alt werden In meiner Gemeinde kenne ich eine Frau, die satte einhundertundeins Jahre alt ist. Ein Gespräch mit ihr ist immer ein Erlebnis für mich. Denn diese Frau ist sowohl körperlich als auch geistig noch sehr rüstig. Sie kann mir über Zeiten erzählen, von denen ich nur aus Geschichtsbüchern und Fernsehdokumentationen weiß. Wenn ich wie meistens mit einem Lächeln von ihr wieder weg gehe, wird mir wieder klar: Es ist so schön, alte Menschen zu kennen und mit ihnen zu reden. „Alte Menschen sind ein Schatz für uns“, so hat es mir vor kurzem noch ein guter Freund gesagt. Wie recht er damit hat! Ich weiß: Auf ihre Erfahrungen und auf ihre Lebensweisheit möchte ich nicht verzichten. Aber natürlich merke ich auch: Alt sein ist nicht einfach in unserer Gesellschaft. „Alt werden will jeder, alt sein will keiner“, so höre ich viele Menschen klagen. Ich spüre ganz oft: In unserer auf Leistung gepolten Gesellschaft zählen nur noch die, die gesund und zu einhundert Prozent fit sind. Wie schön ist es da für mich, in der Bibel von alten Menschen zu lesen: Der Stammvater Abraham soll 175 Jahre alt geworden sein, Mose 120 Jahre, Jakob 147 Jahre. Wahrhaft biblische Alter! Die Geschichten von diesen großen Menschen zeigen mir: Für Gott sind gerade die alten Menschen besonders wertvoll. Ihnen traut er etwas zu, sie haben eine ganz besondere Würde. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, als letzten Samstag in Mainz die evangelische und katholische Kirche die „Woche für das Leben“ eröffnet haben. Sie haben sie unter das Motto gestellt: „Alter in Würde“. In dieser Woche geht es darum zu zeigen, dass ein würdevolles Altern in unserer Gesellschaft möglich sein muss. Viele wichtige Fragen stehen da im Raum. Zum Beispiel: Wie kann in einer Gesellschaft, in der das familiäre Umfeld immer mehr weg bricht, der Einsamkeit von alten Menschen, begegnet werden? Wie kann es gelingen, dass alte Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft ihren Platz haben und nicht an deren Rand? Das sind wichtige Fragen für mich, und ich glaube, sie gehen jeden Menschen an. Denn: Wenn jeder alt werden will, muss es auch möglich sein, in Würde als alter Mensch zu leben! Zum Nachhören als Podcast: http://www.hr-online.de/website/radio/hr4/index.jsp?rubrik=29232
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