Stasiopfer Gillwald – Falsche Vorwürfe und gefälschte Beweise Manuskript Stasiopfer Gillwald - Falsche Vorwürfe und gefälschte Beweise Bericht: Andreas Wolter Ein Vorfall, der sein Leben verändern sollte: Am Abend des 20. August 1977 gerät Lothar Gillwald an der heutigen B321 bei Schwerin scheinbar in eine Verkehrskontrolle der DDRVolkspolizei. Lothar Gillwald Habe ich also langsam angehalten, blieb stehen und ein Panzer kam hier aus dem Weg raus und fuhr auch quer zur Fahrbahn auf die Straße gefahren. Und ich sollte aussteigen. In dem Moment sprangen die Leute hier raus, Uniformierte, weil es ja dunkel war, konnte ich es nicht erkennen, schubsten mich in den Wolga rein. Drinnen saßen zwei Figuren, zogen und zerrten mich rein in diesen Wolga, stülpten mir eine Kappe über, so dass ich nichts mehr sehen konnte. An der nächsten Kurve geht es über einen Waldweg zu einem abgelegenen Haus: ein Objekt der Staatssicherheit. Heute hat sich hier vieles verändert. Doch Gillwald erinnert sich genau. Lothar Gillwald Ich habe hier unter dem Lampenschirm sitzen müssen. Hier war natürlich ein schwarzer, typischer DDR-Lampenschirm. Zwei Mitarbeiter der Staatssicherheit sitzen ihm gegenüber, wie bei einem Verhör. Gillwald soll als Agent im Westen gewonnen werden. Vorgeworfen wird ihm nichts. Noch nicht. Lothar Gillwald Hier war nur die Rede immer in diesem Haus vom Kundschafter im Auftrage des Sozialismus, weil ja der Sozialismus sowieso in absehbarer Zeit in Westdeutschland gewinnen würde. 1944 in Schwerin geboren und aufgewachsen, flüchtete Lothar Gillwald als 19jähriger über die gefrorene Ostsee. Im Westen machte er eine Lehre zum Elektromechaniker, wurde dann aber Polizist. Nach acht Jahren durfte er wieder zu seiner Familie in Schwerin reisen. Beim zehnten Besuch landet er in den Fängen der Staatssicherheit. Die habe sich für jeden interessiert, der eine wichtige Funktion innehatte, sagt Stasi-Experte Helmut Müller-Enbergs. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Stasiopfer Gillwald – Falsche Vorwürfe und gefälschte Beweise Manuskript Helmut Müller-Enbergs, Stasi-Experte Dieser Mann war interessant. Er war Polizist. Ein Polizist kann beliebige Knöpfe drücken, um Informationen zu erhalten. Polizisten sind eine wichtige, eine gute und eine schwer zu rekrutierende Quelle. Der republikflüchtige Gillwald musste damit rechnen, dass er nie mehr zu seiner Familie darf, wenn er eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit verweigert. Helmut Müller-Enbergs, Stasi-Experte Nach Aktenlage muss ich den Eindruck haben, die waren davon überzeugt: Wenn er klug ist, sagt er ja. Hat er aber nicht. Jetzt nimmt das Schicksal für Lothar Gillwald seinen Lauf. Er kommt ins Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Und wird beschuldigt, für den westdeutschen BND zu spionieren. Zwei Jahre Untersuchungshaft, in denen Gillwald die Vorwürfe immer wieder bestreitet. Trotzdem wird ihm der Prozess gemacht: vor dem DDR-Militärgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach sechs Verhandlungstagen das Urteil. Der Angeklagte wird wegen Spionage und in Tatmehrheit gemäß Paragraph 97 Absatz 2 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. 15 Jahre für Spionagevorwürfe, die Lothar Gillwald beharrlich abgestritten hat. Helmut Müller-Enbergs, Stasi-Experte Vermutlich in der Illusion: die haben nichts, die können mir nichts, wenn ich bloß schweige. Eine sehr subtile Überlebensstrategie, die beim Gericht schlecht angekommen ist. Und sehr hart serviert wurde. 15 Jahre ist keine Kleinigkeit, selbst in einer SED-Diktatur der 70er und 80er Jahre. Erst nach acht Jahren wird er vom Westen endlich freigekauft. Jetzt ist Lothar Gillwald erstmals in dem Saal, in dem damals das Urteil gesprochen wurde. Lothar Gillwald Also der Richter wedelte mit einem Couvert und behauptete, in diesem Couvert sei der Brief, mit dem ich den BND angeblich über meine Feststellungen als Spion unterrichtet hätte. Aber das Couvert war leer. Es war also kein Brief da. Es war… auch das war nur erfunden. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Stasiopfer Gillwald – Falsche Vorwürfe und gefälschte Beweise Manuskript Nach der Wende werden in der Stasi-Unterlagenbehörde die vermeintlichen Beweise von damals entdeckt: Fotos von militärischen Einrichtungen, die Gillwald heimlich gemacht haben soll. Diese Fotos sind allerdings entstanden, als er schon in Untersuchungshaft saß. Offenbar konstruierte Beweise, von Erich Mielke persönlich genehmigt. Die bundesdeutsche Staatsanwaltschaft ermittelt in den 1990er-Jahren wegen Rechtsbeugung. Aber es kommt nie zu einem Prozess - wegen Verhandlungsunfähigkeit der ehemaligen DDR-Richter und Staatsanwälte. Zusammen mit uns sucht Lothar Gillwald jetzt das Gespräch mit einem von damals, der heute noch lebt. Wir klingeln beim ehemaligen DDR-Militärstaatsanwalt, der die Anklage gegen ihn vertreten hat. Gegensprechanlage Gillwald: Gillwald, guten Tag. Könnte ich Sie mal bitte sprechen? Mann: Um was geht's denn? Reporter: Wolter mein Name, auch hier vom MDR. Sie hatten vor vielen Jahren mal einen Prozess mit Herrn Gillwald. Gillwald: Wenn Sie so großherzig sind und vielleicht mich anhören, würde ich Ihnen sehr dankbar sein. Mann: Na sagen wir mal um 17 Uhr. Gillwald: Okay. Dankeschön Zur vereinbarten Zeit um 17 Uhr klingelt Gillwald erneut. Doch: es öffnet niemand. Wir warten eine weitere Stunde. Dritter Versuch. Lothar Gillwald Ich glaube, wir geben es auf. Acht Jahre DDR-Haft in Berlin und Bautzen. Aufgrund falscher Vorwürfe und konstruierter Beweise. Lothar Gillwald Die Stasi hätte mich zwar biegen können, aber nie brechen. Denn dazu gehören immer zwei. Und ich ließ mich nicht brechen. Ich habe dafür auch sicherlich jahrelang gesessen. Aber ich schaue auch jeden Tag in den Spiegel und weiß: Die Lumpen haben mich nicht gedreht. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3
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