Problematische Drogen

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TCM / AKUPUNKTUR
Dr. Uwe Gasser und Dr. Wenjun Zhong
Problematische Drogen
Pheretima [syn. Lumbricus] - Regenwurm
Der Regenwurm, zoologisch Pheretima genannt, gehört zur Familie Lumbricidae.
Dieses Bodentier ist bekannt wegen seiner hervorragenden landwirtschaftlichen
Leistung zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit, es findet aber auch Anwendung in
der Pharmazie. Im 14. Jahrhundert wurde die Wirkung von Regenwurmpulver, auf
Brot aufgestreut, gegen Gallenstein und Gelbsucht in europäischen Lexika beschrieben.
Die Geschichte der pharmazeutischen Anwendung in China geht mindestens 2.000
Jahre zurück und wird bereits im Werk
„Shen Long Ben Cao Jing“ beschrieben.
Hier wird der Regenwurm seit Jahrtausenden als eine häufige Droge in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eingesetzt. Sie wird verwendet bei Husten auf
Grund von calor im orbis pulmonalis, Gürtelrose, weiterhin bei hohem Fieber mit Bewusstseinstrübung, Konvulsionen, rheumatoiden Beschwerden des Gelenks, taubem Gefühl in Gliedermaßen, halbseitiger
Lähmung, Hypertonie, u. v. m.
Herkunft
Pheretima für pharmazeutische oder lebensmittelindustrielle Zwecke heißt auf
Chinesisch „Di Long“, übersetzt: „Drache
auf Erde“. Die zoologische Bezeichnung
lautet „Qiu Yin“. Die Droge stammt von
Pheretima aspergillum (E. Perrier), P. vulgaris Chen, P. guillelmi (Michaelsen) oder
P. pectinifera Michaelsen. Die erste Spezies
verbreitet sich in Südchina (Guangdong,
Guanxi und Fujian) und wird deshalb als
„Guang Di Long“ bezeichnet. Die letzten
drei sind vor allem in Ostchina zu finden
und werden als „Hu Di Long“ bezeichnet.
Außer diesen vier im Arzneibuch beschriebenen Spezies werden noch viele andere
Arten verwendet. Diese zusammen mit „Hu
Di Long“ werden als „Tu Di Long“ bezeichnet.
Eigenschaften und nicht-medizinische Anwendungen
Pheretima ist ein Bodentier. Lockere,
feuchte aber gut belüftete humusreiche
Erde gewährt dem Tier einen optimalen
Lebensraum, jedoch scheut es das Sonnenlicht, da vor allem das UV-Licht für den
Wurm tödlich sein kann.
Er besteht zu 50-70% i. T. aus Eiweiß,
wertvollen Aminosäuren, wie z. B. Leucin,
Arginin und Lysin. Pheretima ist auch reich
an Vitaminen A, B und E sowie Mineralien
und ist deshalb ein ausgezeichnetes Nahrungs- und Futtermittel. In Taiwan existieren mindestens 20 Kochrezepte mit Pheretima als Hauptzutat.
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DR. UWE GASSER
Durch die Aktivitäten des Regenwurms
werden die physikalischen Eigenschaften
des Bodens für Pflanzen positiv beeinflusst.
Die durch Pestizide und Schwermetalle
belasteten Böden können durch ihn biologisch saniert werden:
Das Tier kann die Verunreinigungen in sich
aufnehmen und diese im Körper akkumulieren. So wird berichtet, dass Organochlorverbindungen wie z. B. HCH, DDT und
PCB in einer zehnfach höheren Konzentration im Körper im Vergleich zum Boden
gefunden werden können. Schwermetalle
wie Blei, Cadmium und Quecksilber können ebenfalls ca. dreifach akkumuliert
werden.
Diese Eigenschaft ist zwar für die
Bodensanierung und Abfallwirtschaft
sehr nützlich, aber zur
Drogengewinnung stellt sie ein sehr
schwieriges Problem dar.
In Kalifornien behandelt ein Regenwurmzuchtbetrieb mit 0,5 Mrd. Regenwürmern
jeden Tag 2.000 Tonen industrielle Abfälle. Ein Regenwurm kann am Tag 0,3 g
schwer verschmutzte Abfälle der Papierherstellung reinigen. In Japan wird diese
Technik effektiv gegen Umweltverschmutzung eingesetzt. In den USA und Großbritannien werden die durch Schwermetalle
schwer belasteten Äcker durch Regenwürmer wieder dekontaminiert und fruchtbar
gemacht.
Zucht
Vor ca. 80 Jahren hat man mit der Regenwurmzucht begonnen. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Regenwurmzucht ein wichtiger landwirtschaftlicher Sektor geworden. Derzeit gibt
es ca. 300 große Zuchtbetriebe in USA und
200 in Japan. Die Farmer sind sogar in
internationalen Genossenschaften organisiert.
In China werden Regenwürmer vorwiegend zur Drogengewinnung gezüchtet.
Vor allem in den letzten Jahren wurden
zahlreiche Zuchtbetriebe in den Provinzen
Jiangsu, Hebei und Tianjin aufgebaut.
ist promovierter Lebensmittelchemiker
mit Qualifikation nach §15 Arzneimittelgesetz. Er leitet das Labor für Rückstands- und Spurenanalytik in der Sebastian Kneipp-Forschung in Bad Wörishofen und beschäftigt sich seit mehreren
Jahren mit der Untersuchung und Beurteilung von Chinesischen Heilpflanzen
mit folgenden Schwerpunkten: Untersuchungen auf Mykotoxine, Schwermetalle, Pflanzenbehandlungsmittel und andere unerwünschte Verunreinigungen
sowie Untersuchungen zur Identität und
Reinheit nach dem Chinesischen Arzneibuch.
Zur Drogengewinnung werden die Würmer in warmem Wasser gewaschen und
anschließend in Heuasche erstickt. Nach
der Befreiung von der Asche wird der
Wurmkörper aufgeschnitten, von inneren
Organen und Erde befreit und gewaschen,
dann auf Bambus- oder Holzbretter aufgeklebt und an der Sonne getrocknet.
Umweltbelastungen
Wie bereits beschrieben, können Regenwürmer Rückstände an Pflanzenschutzmitteln sowie Schwermetalle aus dem Boden aufnehmen und in sehr hohen Konzentrationen akkumulieren. Diese Aussagen waren Anlass, die Umweltbelastung
von Pheretima näher zu untersuchen.
Über die Belastung mit Pflanzenbehandlungsmittel liegen zurzeit noch zu wenige
eigene Daten vor, erste Ergebnisse zeigen
jedoch, dass die Belastung mit Organochlorpestiziden eher im Spurenbereich zu
suchen ist. Dies ist sicher ein Erfolg der
durchgeführten Regerwurmzucht.
Demgegenüber zeigen die bisher durchgeführten Bestimmungen der Schwermetalle Blei, Cadmium und Quecksilber, wie
hoch der heute auf dem europäischen
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DR. RER. NAT.
WENJUN ZHONG
seit 09.98 Forschung und Entwicklung, Herbasin Hilsdorf
GmbH Schwabach studierte
Arzneipflanzenbau an der
CSFU (Centralsouth Forestry
University) in China und
Agrarökologie in Bayreuth,
Deutschland. Hier promovierte er über ein pflanzenphysiologisches Thema. Seit 1998
gehört er der Abteilung Forschung und Entwicklung
1996 wurde Herbasin von
dem Apotheker Eberhard
Hilsdorf und dem Botaniker
Dr. Wenjun Zhong gegründet, mit dem Ziel hochwertige chinesische Heilkräuter
aus China zu importieren und
der immer größeren Nachfrage nach qualifizierter TCM Rezeptur in Deutschland zu
entsprechen. Um den höchstmöglichen Standard in Qualität und Leistung bis zum
Verbraucher zu garantieren,
sieht sich Herbasin dem exklusiven Vertrieb über die
Apotheke verpflichtet
Markt befindende Pheretima
belastet ist (siehe Tab. 1).
So wurden teilweise Werte bis
zu 78 mg/kg Cadmium gefunden, was eine 780-fache Überschreitung des Richtwertes bedeutet. Der Spitzenwert für
Blei liegt bei 18,5 mg/kg, für
Quecksilber bei 0,48 mg/kg.
Auch die in der letzten Zeit sehr
in Mode gekommenen Arzneidrogengranulate weisen noch
erhebliche Mengen an Schwermetallen auf (siehe Tab. 2). Hier
spielt das so genannte DrogeExtrakt-Verhältnis eine wichtige Rolle sowie das Extraktionsmittel, mit dem das Granulat
hergestellt wurde. Leider sind
diese Angaben nicht auf jeder
Packung enthalten, daher wird
auch die Dosierung der Extrakte und somit die Anwendung
am Patienten erschwert.
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Die Deutsche Kontaminantenempfehlung Schwermetalle
(BMG 355-5135 vom 17. Oktober 2004) lässt die in Tabelle 3
gezeigten Schwermetallgehalte in arzneilich verwendeten
Erzeugnissen (Arzneidrogen)
zu.
Das Chinesische Arzneibuch
lässt für Pheretima einen
Grenzwert von 30 mg/kg zu,
doch dies hat nur orientierender Charakter, da nach Chinesischem Arzneibuch eine so genannte „Grenzwertprüfung“
vorgeschrieben ist, die mit den
heute den Stand der Technik
darstellenden Analysenmethoden nicht vergleichbar ist.
Außerdem ist keine Differenzierung der einzelnen Schwermetalle möglich, da die Prüfung einen Summenparameter
darstellt.
Obwohl Arzneidrogengranulate für Patienten einfacher zu
handhaben sind (Dosierung,
Teeherstellung, etc.), sind sie
hinsichtlich des Gehaltes an
Schwermetallen kritischer zu
beurteilen als die Droge selbst.
Während das Granulat nach
dem Auflösen in Wasser als solches direkt und vollständig
vom Patienten eingenommen
wird, wird bei Arzneidrogen ein
so genannter Dekokt, eine Abkochung hergestellt, bei der
nur ein Bruchteil der in Pheretima enthaltenen Schwermetalle in Lösung geht (je nach
Dekoktbedingungen etwa 530% Übergangsrate).
Analysenzertifikate
Bei der Verwendung von Pheretima ist - wie bei allen anderen chinesischen Drogen auch grundsätzlich darauf zu achten, ob der Droge ein Analysenzertifikat nach §6 und 11
der Apothekenbetriebsordnung beiliegt, da chinesische
Drogen in der Bundesrepublik
Deutschland von den Überwachungsbehörden als Arzneimittel eingestuft werden.
Weiterhin muss dieses Zertifikat von einem Sachverständigen nach §65 Arzneimittelgesetz (AMG) unterzeichnet und
die Untersuchungen sollten
nach pharmazeutischen Regeln
sowie vollständig durchgeführt
worden sein.
Diese „Vollständigkeit“ wird
dadurch erkannt, dass neben
den eigentlich durchgeführten
Blei
Anzahl untersuchter 12
Chargen
Minimaler Wert
Maximaler Wert
Mittelwert
90% Percentil
Cadmium
12
2,20
18,5
0,50
78,0
7,34
11,0
Quecksilber
12
0,01
0,48
8,77
0,27
3,49
0,47
Tab. 1: Pheretima (alle Werte in mg/kg Droge)
Cadmium
Quecksilber
Anzahl untersuchter
Chargen
Blei
4
4
4
Minimaler Wert
0,41
0,14
0,02
0,89
0,09
0,58
0,05
0,88
0,09
Maximaler Wert
Mittelwert
90% Percentil
16,7
7,37
14,8
Tab. 2: Pheretima – Arzneidrogengranulate
(alle Werte in mg/kg Granulat)
Blei
Cadmium
Quecksilber
pflanzliche
Erzeugnisse
5,0
0,2*
0,1
tierische
Erzeugnisse
0,25
0,1
0,05*
Tab. 3: Zugelassene Schwermetallgehalte in Arzneidrogen lt.
Deutscher Konatminantenempfehlung Schwermetalle (alle Werte in mg/kg)
Untersuchungsparameter auch
diese aufgeführt sind, welche
nicht durchgeführt wurden
oder konnten. Eine kurze Begründung für die Nichtdurchführung sollte angegeben sein.
Selbstverständlich sollte im
Zertifikat eine Beurteilung der
ermittelten Analysenergebnisse nach den gesetzlichen
Vorgaben hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit angegeben sein.
Ideal wäre bei Überschreitungen eines oder mehrere
Schwermetall-Richtwerte eine
Untersuchung zusätzlich aus
dem Dekokt, um die Unbedenklichkeit der Anwendung
zu dokumentieren.
Trotz der genannten Umweltbelastungen bleibt Pheretima bei Beachtung der genannten
Gesichtspunkte - ein wichtiger
Bestandteil in der Arzneimitteltherapie der Traditionellen
Chinesischen Medizin, da neben den im chinesischen Arzneibuch beschriebenen Indikationen (siehe oben) noch viele
weitere Anwendungen bekannt sind, wie z. B. gegen
Asthma, Mittelohrentzündungen, Parotitis. Diese Droge ist
deshalb in der TCM nicht wegzudenken. Umso wichtiger ist
die Qualitätssicherung in Hinsicht auf die Umweltbelastungen dieser Droge, da bei langfristiger Einnahme gesundheitsschädigende Einflüsse auf
den Patienten nicht auszuschließen sind.
Der Beitrag wird in CO’MED
fortgesetzt.
C
Anschrift der Autoren:
Dr. Uwe Gassner
Sebastian Kneipp Forschung
Labor für Rückstands- und
Spurenanalytik
D-86825 Bad Wörishofen
Dr. Wenjun Zhong
Forschung und Entwicklung
Herbasin Hilsdorf GmbH
Penzendorfer Str. 12
D-91126 Rednitzhembach
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