038-050.qxd 06.10.2004 13:35 Seite 38 TCM / AKUPUNKTUR Dr. Uwe Gasser und Dr. Wenjun Zhong Problematische Drogen Pheretima [syn. Lumbricus] - Regenwurm Der Regenwurm, zoologisch Pheretima genannt, gehört zur Familie Lumbricidae. Dieses Bodentier ist bekannt wegen seiner hervorragenden landwirtschaftlichen Leistung zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit, es findet aber auch Anwendung in der Pharmazie. Im 14. Jahrhundert wurde die Wirkung von Regenwurmpulver, auf Brot aufgestreut, gegen Gallenstein und Gelbsucht in europäischen Lexika beschrieben. Die Geschichte der pharmazeutischen Anwendung in China geht mindestens 2.000 Jahre zurück und wird bereits im Werk „Shen Long Ben Cao Jing“ beschrieben. Hier wird der Regenwurm seit Jahrtausenden als eine häufige Droge in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eingesetzt. Sie wird verwendet bei Husten auf Grund von calor im orbis pulmonalis, Gürtelrose, weiterhin bei hohem Fieber mit Bewusstseinstrübung, Konvulsionen, rheumatoiden Beschwerden des Gelenks, taubem Gefühl in Gliedermaßen, halbseitiger Lähmung, Hypertonie, u. v. m. Herkunft Pheretima für pharmazeutische oder lebensmittelindustrielle Zwecke heißt auf Chinesisch „Di Long“, übersetzt: „Drache auf Erde“. Die zoologische Bezeichnung lautet „Qiu Yin“. Die Droge stammt von Pheretima aspergillum (E. Perrier), P. vulgaris Chen, P. guillelmi (Michaelsen) oder P. pectinifera Michaelsen. Die erste Spezies verbreitet sich in Südchina (Guangdong, Guanxi und Fujian) und wird deshalb als „Guang Di Long“ bezeichnet. Die letzten drei sind vor allem in Ostchina zu finden und werden als „Hu Di Long“ bezeichnet. Außer diesen vier im Arzneibuch beschriebenen Spezies werden noch viele andere Arten verwendet. Diese zusammen mit „Hu Di Long“ werden als „Tu Di Long“ bezeichnet. Eigenschaften und nicht-medizinische Anwendungen Pheretima ist ein Bodentier. Lockere, feuchte aber gut belüftete humusreiche Erde gewährt dem Tier einen optimalen Lebensraum, jedoch scheut es das Sonnenlicht, da vor allem das UV-Licht für den Wurm tödlich sein kann. Er besteht zu 50-70% i. T. aus Eiweiß, wertvollen Aminosäuren, wie z. B. Leucin, Arginin und Lysin. Pheretima ist auch reich an Vitaminen A, B und E sowie Mineralien und ist deshalb ein ausgezeichnetes Nahrungs- und Futtermittel. In Taiwan existieren mindestens 20 Kochrezepte mit Pheretima als Hauptzutat. 38 DR. UWE GASSER Durch die Aktivitäten des Regenwurms werden die physikalischen Eigenschaften des Bodens für Pflanzen positiv beeinflusst. Die durch Pestizide und Schwermetalle belasteten Böden können durch ihn biologisch saniert werden: Das Tier kann die Verunreinigungen in sich aufnehmen und diese im Körper akkumulieren. So wird berichtet, dass Organochlorverbindungen wie z. B. HCH, DDT und PCB in einer zehnfach höheren Konzentration im Körper im Vergleich zum Boden gefunden werden können. Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Quecksilber können ebenfalls ca. dreifach akkumuliert werden. Diese Eigenschaft ist zwar für die Bodensanierung und Abfallwirtschaft sehr nützlich, aber zur Drogengewinnung stellt sie ein sehr schwieriges Problem dar. In Kalifornien behandelt ein Regenwurmzuchtbetrieb mit 0,5 Mrd. Regenwürmern jeden Tag 2.000 Tonen industrielle Abfälle. Ein Regenwurm kann am Tag 0,3 g schwer verschmutzte Abfälle der Papierherstellung reinigen. In Japan wird diese Technik effektiv gegen Umweltverschmutzung eingesetzt. In den USA und Großbritannien werden die durch Schwermetalle schwer belasteten Äcker durch Regenwürmer wieder dekontaminiert und fruchtbar gemacht. Zucht Vor ca. 80 Jahren hat man mit der Regenwurmzucht begonnen. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Regenwurmzucht ein wichtiger landwirtschaftlicher Sektor geworden. Derzeit gibt es ca. 300 große Zuchtbetriebe in USA und 200 in Japan. Die Farmer sind sogar in internationalen Genossenschaften organisiert. In China werden Regenwürmer vorwiegend zur Drogengewinnung gezüchtet. Vor allem in den letzten Jahren wurden zahlreiche Zuchtbetriebe in den Provinzen Jiangsu, Hebei und Tianjin aufgebaut. ist promovierter Lebensmittelchemiker mit Qualifikation nach §15 Arzneimittelgesetz. Er leitet das Labor für Rückstands- und Spurenanalytik in der Sebastian Kneipp-Forschung in Bad Wörishofen und beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Untersuchung und Beurteilung von Chinesischen Heilpflanzen mit folgenden Schwerpunkten: Untersuchungen auf Mykotoxine, Schwermetalle, Pflanzenbehandlungsmittel und andere unerwünschte Verunreinigungen sowie Untersuchungen zur Identität und Reinheit nach dem Chinesischen Arzneibuch. Zur Drogengewinnung werden die Würmer in warmem Wasser gewaschen und anschließend in Heuasche erstickt. Nach der Befreiung von der Asche wird der Wurmkörper aufgeschnitten, von inneren Organen und Erde befreit und gewaschen, dann auf Bambus- oder Holzbretter aufgeklebt und an der Sonne getrocknet. Umweltbelastungen Wie bereits beschrieben, können Regenwürmer Rückstände an Pflanzenschutzmitteln sowie Schwermetalle aus dem Boden aufnehmen und in sehr hohen Konzentrationen akkumulieren. Diese Aussagen waren Anlass, die Umweltbelastung von Pheretima näher zu untersuchen. Über die Belastung mit Pflanzenbehandlungsmittel liegen zurzeit noch zu wenige eigene Daten vor, erste Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Belastung mit Organochlorpestiziden eher im Spurenbereich zu suchen ist. Dies ist sicher ein Erfolg der durchgeführten Regerwurmzucht. Demgegenüber zeigen die bisher durchgeführten Bestimmungen der Schwermetalle Blei, Cadmium und Quecksilber, wie hoch der heute auf dem europäischen CO`MED 09/04 038-050.qxd 06.10.2004 13:35 Seite 39 TCM / AKUPUNKTUR DR. RER. NAT. WENJUN ZHONG seit 09.98 Forschung und Entwicklung, Herbasin Hilsdorf GmbH Schwabach studierte Arzneipflanzenbau an der CSFU (Centralsouth Forestry University) in China und Agrarökologie in Bayreuth, Deutschland. Hier promovierte er über ein pflanzenphysiologisches Thema. Seit 1998 gehört er der Abteilung Forschung und Entwicklung 1996 wurde Herbasin von dem Apotheker Eberhard Hilsdorf und dem Botaniker Dr. Wenjun Zhong gegründet, mit dem Ziel hochwertige chinesische Heilkräuter aus China zu importieren und der immer größeren Nachfrage nach qualifizierter TCM Rezeptur in Deutschland zu entsprechen. Um den höchstmöglichen Standard in Qualität und Leistung bis zum Verbraucher zu garantieren, sieht sich Herbasin dem exklusiven Vertrieb über die Apotheke verpflichtet Markt befindende Pheretima belastet ist (siehe Tab. 1). So wurden teilweise Werte bis zu 78 mg/kg Cadmium gefunden, was eine 780-fache Überschreitung des Richtwertes bedeutet. Der Spitzenwert für Blei liegt bei 18,5 mg/kg, für Quecksilber bei 0,48 mg/kg. Auch die in der letzten Zeit sehr in Mode gekommenen Arzneidrogengranulate weisen noch erhebliche Mengen an Schwermetallen auf (siehe Tab. 2). Hier spielt das so genannte DrogeExtrakt-Verhältnis eine wichtige Rolle sowie das Extraktionsmittel, mit dem das Granulat hergestellt wurde. Leider sind diese Angaben nicht auf jeder Packung enthalten, daher wird auch die Dosierung der Extrakte und somit die Anwendung am Patienten erschwert. CO`MED 09/04 Die Deutsche Kontaminantenempfehlung Schwermetalle (BMG 355-5135 vom 17. Oktober 2004) lässt die in Tabelle 3 gezeigten Schwermetallgehalte in arzneilich verwendeten Erzeugnissen (Arzneidrogen) zu. Das Chinesische Arzneibuch lässt für Pheretima einen Grenzwert von 30 mg/kg zu, doch dies hat nur orientierender Charakter, da nach Chinesischem Arzneibuch eine so genannte „Grenzwertprüfung“ vorgeschrieben ist, die mit den heute den Stand der Technik darstellenden Analysenmethoden nicht vergleichbar ist. Außerdem ist keine Differenzierung der einzelnen Schwermetalle möglich, da die Prüfung einen Summenparameter darstellt. Obwohl Arzneidrogengranulate für Patienten einfacher zu handhaben sind (Dosierung, Teeherstellung, etc.), sind sie hinsichtlich des Gehaltes an Schwermetallen kritischer zu beurteilen als die Droge selbst. Während das Granulat nach dem Auflösen in Wasser als solches direkt und vollständig vom Patienten eingenommen wird, wird bei Arzneidrogen ein so genannter Dekokt, eine Abkochung hergestellt, bei der nur ein Bruchteil der in Pheretima enthaltenen Schwermetalle in Lösung geht (je nach Dekoktbedingungen etwa 530% Übergangsrate). Analysenzertifikate Bei der Verwendung von Pheretima ist - wie bei allen anderen chinesischen Drogen auch grundsätzlich darauf zu achten, ob der Droge ein Analysenzertifikat nach §6 und 11 der Apothekenbetriebsordnung beiliegt, da chinesische Drogen in der Bundesrepublik Deutschland von den Überwachungsbehörden als Arzneimittel eingestuft werden. Weiterhin muss dieses Zertifikat von einem Sachverständigen nach §65 Arzneimittelgesetz (AMG) unterzeichnet und die Untersuchungen sollten nach pharmazeutischen Regeln sowie vollständig durchgeführt worden sein. Diese „Vollständigkeit“ wird dadurch erkannt, dass neben den eigentlich durchgeführten Blei Anzahl untersuchter 12 Chargen Minimaler Wert Maximaler Wert Mittelwert 90% Percentil Cadmium 12 2,20 18,5 0,50 78,0 7,34 11,0 Quecksilber 12 0,01 0,48 8,77 0,27 3,49 0,47 Tab. 1: Pheretima (alle Werte in mg/kg Droge) Cadmium Quecksilber Anzahl untersuchter Chargen Blei 4 4 4 Minimaler Wert 0,41 0,14 0,02 0,89 0,09 0,58 0,05 0,88 0,09 Maximaler Wert Mittelwert 90% Percentil 16,7 7,37 14,8 Tab. 2: Pheretima – Arzneidrogengranulate (alle Werte in mg/kg Granulat) Blei Cadmium Quecksilber pflanzliche Erzeugnisse 5,0 0,2* 0,1 tierische Erzeugnisse 0,25 0,1 0,05* Tab. 3: Zugelassene Schwermetallgehalte in Arzneidrogen lt. Deutscher Konatminantenempfehlung Schwermetalle (alle Werte in mg/kg) Untersuchungsparameter auch diese aufgeführt sind, welche nicht durchgeführt wurden oder konnten. Eine kurze Begründung für die Nichtdurchführung sollte angegeben sein. Selbstverständlich sollte im Zertifikat eine Beurteilung der ermittelten Analysenergebnisse nach den gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit angegeben sein. Ideal wäre bei Überschreitungen eines oder mehrere Schwermetall-Richtwerte eine Untersuchung zusätzlich aus dem Dekokt, um die Unbedenklichkeit der Anwendung zu dokumentieren. Trotz der genannten Umweltbelastungen bleibt Pheretima bei Beachtung der genannten Gesichtspunkte - ein wichtiger Bestandteil in der Arzneimitteltherapie der Traditionellen Chinesischen Medizin, da neben den im chinesischen Arzneibuch beschriebenen Indikationen (siehe oben) noch viele weitere Anwendungen bekannt sind, wie z. B. gegen Asthma, Mittelohrentzündungen, Parotitis. Diese Droge ist deshalb in der TCM nicht wegzudenken. Umso wichtiger ist die Qualitätssicherung in Hinsicht auf die Umweltbelastungen dieser Droge, da bei langfristiger Einnahme gesundheitsschädigende Einflüsse auf den Patienten nicht auszuschließen sind. Der Beitrag wird in CO’MED fortgesetzt. C Anschrift der Autoren: Dr. Uwe Gassner Sebastian Kneipp Forschung Labor für Rückstands- und Spurenanalytik D-86825 Bad Wörishofen Dr. Wenjun Zhong Forschung und Entwicklung Herbasin Hilsdorf GmbH Penzendorfer Str. 12 D-91126 Rednitzhembach 39
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