Drogen, Angst und leere Läden - 24 Stunden Riebeckplatz Bericht

Drogen, Angst und leere Läden – 24 Stunden Riebeckplatz | Manuskript
Drogen, Angst und leere Läden - 24 Stunden Riebeckplatz
Bericht: Thomas Kasper
Sonnenaufgang am Riebeckplatz. Noch bevor die ersten Geschäfte öffnen, kann man hier
einkaufen: Haschisch und Marihuana. Wir filmen mit einer versteckten Kamera.
Afrikaner: „How much do you need? 5 Gramm?”
„Here no problem.“
Kein Problem, schon gar nicht mit der Polizei. Erfahrungen dieses afrikanischen
Drogenhändlers.
Direkt angrenzend, keine 50 Meter weit entfernt, ein Plattenbau der HWG. Hier wohnt
Christel Donart. Wenn die 75-Jährige etwas erleben will, bleibt der Fernseher aus, dann geht
die alte Dame ans Fenster.
Christel Donart:
„Ich seh, ich seh, gucken Sie mal, wenn die hier unten stehen, wenn sie unten stehen, sehe
ich das.“
Christel Donart wohnt seit vier Jahren hier. In ihrem Block leben auch Flüchtlinge. Mit denen
ist sie befreundet. Nur diese Drogendealer, das nervt.
Christel Donart:
„Ich sehe jeden Tag, sehe ich Schwarze, doch, jeden Tag seh ich die hier. Die kommen hier
hochgelaufen. Wenn jemand kommt, gehen sie hinterher, mit den Drogen. Habe auch
schon gesehene, dass die Polizei hier war, haben alles rausgeholt, aus den Gebüschen. Ist
jeden Tag.“
Ein anderer „Kenner“ des Platzes ist Dimitri aus Estland. Er ist in Halle gestrandet, jeden Tag
sammelt er Flaschen. Am Riebeckplatz kennt er nicht nur die Abfalleimer, sondern auch die
Zeichensprache der Drogenhändler ganz genau.
Dimitri: „Einfach so, zeigen so, komm her, willst du etwas rauchen? Ich hab das gemerkt.“
Sollte es tatsächlich so einfach sein, Drogen am Riebeckplatz zu kaufen? Ein Test am
Vormittag um 11 Uhr. Gleich der erste Versuch, ein Volltreffer. Dieser junge Afrikaner bietet
Marihuana und Haschisch an. Auf der Rückseite der alten Kaufhalle will er uns den Stoff
verkaufen. Die Geschäftsanbahnung filmen wir mit versteckter Kamera.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Drogen, Angst und leere Läden – 24 Stunden Riebeckplatz | Manuskript
Reporter: „Wie viel kosten fünf Gramm?“
Drogendealer: „Ein Gramm kostet 10 Euro.“
Wir brechen das Gespräch schließlich ab und kaufen nicht. Nächster Versuch. Diesmal auf
der anderen Seite des riesigen Platzes. Wieder fällt es nicht schwer, mit den Drogenhändlern
ins Geschäft zu kommen.
Reporter: Wie teuer ist es?
Wie viel willst du?
Reporter: Wo kommen Sie her?
Aus dem Senegal.
Die afrikanischen Dealer stehen in Hierarchie des Drogenbusiness ganz unten. Das große
Geld verdienen andere, möglicherweise deutsche Hintermänner. Und es sind überwiegend
deutsche Kunden, die die Drogen kaufen.
Halle ist die größte Stadt in Sachsen-Anhalt. Kann man es sich hier leisten, diesen wichtigen
und zentralen Platz Kriminellen zu überlassen? Im Rathaus treffen wir den
Oberbürgermeister von Halle. Der OB möchte zwei neue Geschäftshäuser am Riebeckplatz
bauen lassen. Alles soll etwas schicker und Platz so aufgewertet werden.
Dr. Bernd Wiegand, OB von Halle, parteilos:
„Naja, jeder Platz am Bahnhof ist natürlich immer wieder auch ein Sammelbecken, auch in
anderen Städten ist das so, ob Sie in Magdeburg, Hannover oder Braunschweig sind. Also
ein Bahnhof zieht letztendlich immer an und das ist auch hier der Fall. Die Polizei
überwacht den Platz recht aktiv und in den letzten sechs Monaten ist dort auch die
Bewegung, also wenn Sie besonders von Drogen sprechen auch merklich zurückgegangen.
Weil natürlich eine aktiv Überwachung jetzt auch stattfindet.“
Zurück auf dem Riebeckplatz. Überwachungskameras ja, von Polizei keine Spur. Auf
Nachfrage erklärt die zuständige Direktion, dass eine Vielzahl „verdeckter Maßnahmen“
durchgeführt würde, weshalb Polizeikräfte nicht erkennbar sind. Im Rondell im Zentrum des
Platzes stehen die meisten Läden inzwischen leer. Das Steuerbüro Karin Tesch ist eines der
wenigen Geschäfte, das noch am Platz ausharrt. Die Angestellten schließen sich aus Angst
ein.
Anja Bobbe: „Wenn wir in der Gemeinschaft sind, also alle Angestellten da sind, fühlen wir
uns schon sicher, aber sobald eine Kollegin alleine ist, schließen wir unsere Büros ab.“
Reporter: „Warum?“
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„Weil wir Angst haben, dass ungebetene Gäste das Büro betreten und uns vielleicht auch
überfallen und wir dann hilflos sind, wenn wir allein sind.“
Reporter: „Ist so etwas schon mal vorgekommen?“
Am Nachmittag, ein Wiedertreffen mit Dimitri aus Estland. Die Armut treibt den 30-Jährigen
immer wieder über den weitläufigen Platz, auf der Suche nach Zigarettenkippen und
Flaschen.
Reporter: „Was ist das?“
Dimitri: „Das ist Wein, kostet einen Euro. Aber ich muss Kippen sammeln und Leerflaschen.
Siehst du selber.“
An diesem Nachmittag hat er Leergut im Wert von 60 Cent gesammelt.
Dimitri: „Für mich herrlich 60 Cent, für mich herrlich, das ist gut.“
Dimitri ist von Beruf Tischler. Nicht mehr Flaschen sammeln, sondern eines Tages mal wieder
an der Hobelbank stehen, das ist sein Traum. Flaschensammler wie Dimitri oder
Drogenhändler – vielen Hallensern ist der Riebeckplatz unheimlich.
Frau: „Man wäre vielleicht sicherer, wenn hier ab und an eine Polizei oder irgendwas mal
rumlaufen würde. Aber so hat man abends manchmal ein bisschen Angst.“
Mann: „Ich wohne in Neustadt. Ich bin ganz selten hier. Nur wenn es sein muss.“
Global gesehen ist der Riebeckplatz sicher, meinen dagegen diese beiden Passanten.
Mann: „Da kenn ich schlimmere Orte.“
Reporter: „Zum Beispiel, welche?“
Frau: “Es könnte eine lange Liste werden.“
Mann: „Wo fangen wir an? In Syrien, in Damaskus, im Iran, im Irak?“
Und genau aus diesen Bürgerkriegsgebieten kommen Hasan und Kada’rabi - aus Syrien und
dem Irak. Der Frisiersalon von Hasan hat hier vor einem Jahr eröffnet. Hasan, der Chef, ist
Iraker, seine Angestellten sind Flüchtlinge aus Syrien. Der Laden ist gerade einmal 35
Quadratmeter groß. Für diese Fläche zahlt Hasan einen stolzen Preis.
Hasan: „Fast 800 Euro für die kleine Fläche.“
Der Riebeckplatz sei immer noch besser, als die Plätze zu Hause in seiner Heimat.
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Hassan: „Ich denke, ist ein guter Standort. Langs, langsam geht das besser. Nicht schlecht,
aber es geht besser, Monat für Monat, ich fühle mich besser.“
Feierabendstimmung am Riebeckplatz. Wenn dann nachts alle Geschäfte geschlossen haben,
gibt es nur noch die berüchtigten Sonderangebote
Das ist gutes Zeug. How much do you need?
Übrigens: Die Beamten der zuständigen Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd standen trotz
mehrerer Anfragen für ein Interview nicht zur Verfügung. Aber sie teilte uns mit, dass hier im
vergangenen Jahr 19 Drogenhändler festgenommen wurden. Nur zwei von ihnen kamen in
Haft.
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