Eduard von der Heydt - Von der Heydt

25. 10. 2015
Eduard von der Heydt – Bankier, Kunstsammler und Mäzen
Eine Arbeitstagung zur zeitgeschichtlichen und sammlungsgeschichtlichen Einordnung
23./24. Oktober 2015
Veranstalter: Von der Heydt-Museum und Historisches Zentrum Wuppertal
Schlusswort beim Symposium zu Eduard von der Heydt
Von Sven Felix Kellerhoff,
Leitender Redakteur Zeit- und Kulturgeschichte, Die Welt, Welt am Sonntag
Maßstäbe sollen etwas Festes, Unverrückbares sein. In den Naturwissenschaften gilt das wohl auch:
Ein Meter zum Beispiel bleibt ein Meter, ganz gleich, wie er definiert wird. Anfangs galt als Meter der
zehntausendste Teil der Entfernung vom Nordpol zum Äquator über Paris hinweg. Heute versteht
man als einen Meter den (ungefähr) 300-Millionsten Teil jener Strecke, die Licht im Vakuum
innerhalb einer Sekunde zurückliegt. Leider gilt die Verlässlichkeit von Maßstäben nur in den
Naturwissenschaften. Ganz sicher nicht verlässlich gleichbleibend über längere Zeit hinweg bleiben
Maßstäbe hingegen im politisch-moralischen Sinne. Im Gegenteil: Dort sind sie ziemlich volatil.
1950 baute Rudolf Augstein, gerade einmal 27 Jahre alt, die Redaktion seines kürzlich gegründeten
Magazins „Der Spiegel“ auf. Dazu bat er auch den früheren SS-Hauptsturmführer Georg Wolff zum
Vorstellungsgespräch. Dieser Mann verschwieg seine Zugehörigkeit zu Himmlers Schwarzem Orden
durchaus nicht. Nach Wolffs Darstellung fragte der „Spiegel“-Herausgeber den Bewerber nach einer
ganz speziellen Art von Berufserfahrung: „Und, haben Sie Juden erschossen?“ Der Bewerber
antwortete, offenbar wahrheitsgemäß, mit „Nein“. Daraufhin Augstein: „Dann sind Sie eingestellt.“i
Dieser Dialog ist nur aus den erst 2013 der Öffentlichkeit teilweise zugänglich gewordenen privaten
Lebenserinnerungen Wolffs bekannt. Doch was hat das mit Eduard von der Heydt zu tun? Auf den
ersten Blick nichts und auch auf den zweiten Blick vielleicht wenig. Doch wenn man von einer
Metaebene aus diese Anekdote betrachtet, dann lehren Augsteins Frage und seine Reaktion auf die
Antwort eben doch: Politisch-moralische Maßstäbe sind variabel.
Und damit wird dann die Verbindung zu Eduard von der Heydt klar. Vor gut einem Jahrzehnt ist in
Wuppertal heftigst gestritten worden. Liest man die damalige Auseinandersetzung nach, kann einem
noch heute Angst und Bange werden. Vom „NSDAP-Baron“ii war die Rede; von der Heydt sei „ein
wichtiger Förderer der Künste im NS-Regime“iii gewesen und ein „typischer NS-Opportunist“iv. Er sei
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„überzeugter Nationalsozialist, bekennender Antisemit und den Mächtigen des Dritten Reiches gern
zu Diensten“ gewesen.v Es wurde nicht nur die Umbenennung des 1957 so genannten Eduard von
der Heydt-Preises gefordert, sondern gleich noch die Umbenennung des Von der Heydt-Museums
1961, obwohl es ja gar nicht nach ihm, sondern nach seiner Familie benannt ist.
Nun kann man mit gewichtigen Gründen die Geschichtsvergessenheit und Verdrängung in der jungen
Bundesrepublik geißeln. Dabei sollte man sich aber vor vergangenheitspolitischer Überheblichkeit
hüten, wie sie etwa in der Studie „Das Amt“ über deutsche Diplomaten im Dritten Reich und nach
1945 begegnet. Pauschalurteile wie die Aussage des Kommissionsvorsitzenden Eckart Conze, das
Auswärtige Amt sei eine „verbrecherische Organisation“ gewesen, erregen Aufsehen, sind aber der
Sache mit Sicherheit nicht dienlich.vi Überschwang und heiliger Zorn sind schlechte Ratgeber, wenn
es darum geht, die Vergangenheit und ihre Akteure begreifen zu wollen.
Darum aber geht es, wie Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher
Widerstand in Berlin, im Eröffnungsvortrag zum Symposium mit Bezug auf Marc Bloch ausführte: Der
Historiker wolle verstehen, nicht verurteilen. Man könne ein Leben nicht ausschließlich ex post
interpretieren, sondern müsse aus dessen Mitte heraus versuchen, es zu verstehen. Sonst bestehe
die Gefahr selbstgerechter Bewertung. Damit ist tatsächlich niemandem gedient: Das Urteil von
Nachgeborenen über historische Persönlichkeiten verrät mindestens genauso viel über diese
Nachgeborenen wie über die historische Person selbst. Zwar muss keinesfalls immer ein solches
Urteil ex post falsch sein; im Gegenteil kann man sich viele Fälle denken, in denen es gewiss
angemessen ausfällt. Aber es gibt mindestens ebenso viele, vermutlich deutlich mehr Beispiele, in
denen es eben doch in die Irre führt.
Dieses wissenschaftliche Symposium hat die Chance der relativen Beruhigung der Diskussion um
Eduard von der Heydt nach einem halben Jahrzehnt intensiven Streits 2002 bis 2007 und einem
weiteren knappen Jahrzehnt seither wahrgenommen – und gleichzeitig doch dokumentiert, dass die
Nerven auf beiden Seiten noch immer blankliegen. Offensichtlich gibt es noch keine Basis eines
gesellschaftlichen Konsenses zu diesem wichtiger Wuppertaler Bürger und Mäzen.
Das Symposium hat verschiedene Facetten der vielschichtigen Person Eduard von der Heydts
aufgegriffen und gezeigt, dass Pauschalurteile – „NSDAP-Baron“ oder „NS-Opportunist“ – in seinem
Fall an der Sache vorbeigehen. Sie sind das Gegenteil von „verstehen“ im Sinne Marc Blochs. Je
genauer man hinschaut, desto komplexer wird das Bild. Das ist eine Banalität, dennoch kann man es
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gar nicht oft genug wiederholen: Die Welt ist kein Holzschnitt. Reines Weiß und reines Schwarz sind
höchst selten, es gibt fast nur grau – das aber in unendlichen vielen Abstufungen.
Eduard von der Heydt war ein nobilitierter Großbürger und in vielem geprägt von seiner Zeit, des
ausgehenden Kaiserreichs. Man muss diesen Hintergrund einbeziehen, um seine Handlungen zu
verstehen. Das hat der Kulturhistoriker der Humboldt-Universität zu Berlin, Wolfgang Hardtwig,
getan. Netzwerke von Menschen haben höchste Bedeutung; Eduard von der Heydt gehörte schon
qua Herkunft zu bestimmten Netzwerken oder stand ihnen zumindest nahe. Selbst Menschen, die
wie er nicht im eigentlichen Sinne politisch waren, hatten auf diese Weise in den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts gesellschaftlichen und damit politischen Einfluss. Diese Art von persönlich und
familiär geprägten Netzwerken gibt es heute zwar nicht mehr; nach mehr als sechs Jahrzehnten
Demokratie sind jedoch andere Strukturen von Lobby- und Pressure-Groups entstanden.
Netzwerke wie diese werden dann besonders wichtig, wenn und sobald die verfassungsrechtlich
vorgesehene Art der Regierung nicht mehr funktioniert. Das trat in der ausgehenden Weimarer
Republik ohne Zweifel ein. Es ist kein Zufall, dass die erste evident politische Äußerung Eduard von
der Heydts zu den Nationalsozialisten, die im Tagebuch seines gesellschaftlich ähnlich umfassend
vernetzten Bekannten Harry Graf Kessler dokumentiert ist, aus dem Oktober 1930 stammt. Wenige
Wochen zuvor hatte die NSDAP einen Erdrutschsieg bei den vorgezogenen Reichstagswahlen
errungen. Von der Splitterpartei wurde die Hitler-Bewegung, mit fast einem Fünftel der abgegebenen
Stimmen, zur zweitstärksten Fraktion im Parlament. Wenige Wochen später notierte Kessler, von der
Heydt habe „ohne Umschweife“ die finanzielle Unterstützung der NSDAP durch Industriekreise
zugegeben, besonders durch Fritz Thyssen.vii
Dazu passt, dass der einzige Eintrag zu Eduard von der Heydt im Goebbels-Tagebuch vom 22.
November 1930 datiert. Der Berliner NS-Chef notierte: „Lange Unterredung mit Baron v.d. Heydt.
Auch er ist ganz unser. Man wundert sich, wie klar einige Wirtschaftler im Gegensatz zum
Reichsverband die Lage sehen.“viii Es ist aber in dem enormen Konvolut der Goebbels-Tagebücher
tatsächlich die einzige Erwähnung Eduard von der Heydts, während wir Fritz Thyssen, Emil Kirdorf
und anderen wesentlich öfter begegnen.
Auch wenn Eduard von der Heydt gelegentlich munter politisierte, dann zeigen doch Berichte
darüber, dass er nicht eigentlich ein politischer Mensch war. Am 9. Dezember 1931 frühstückte er
mit Harry Graf Kessler im Berliner Luxushotel Esplanade und kam „vom Geschäftlichen, das der
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eigentliche Zweck des Frühstücks war“, bald zur Politik. Laut Kesslers Tagebuch sagte er, zwar sei er
„selber kein Nazi, huldige eher einer liberalen Anschauung, und ganz gewiss kein Antisemit, dazu
habe er viel zu viele jüdische Freunde; aber er sehe jetzt nur noch die Alternative zwischen einer
Beteiligung der Nazis an der Regierung und einer Diktatur der Reichswehr, und da seien ihm die Nazis
schon lieber“. Von der Heydt glaubte, im Gegensatz zu den Generälen, „die alles besser wissen
würden“, sei der NSDAP klar, dass sie ohne Sachverständige nicht regieren könnten.ix
Um diese Äußerung zu verstehen, muss man wissen, dass „Diktatur“ in der Weimarer Republik einen
anderen Klang hatte als heute. Auch das hat Wolfgang Hardtwig angesprochen: Angesichts des
offensichtlichen Versagens der parlamentarischen Regierungsform in der ersten deutschen
Demokratie hatten Forderungen nach einer starken, also im Zweifel undemokratischen Staatsmacht
und sogar nach einer Diktatur Konjunktur. Man muss vor Augen halten, dass Hitlers
Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 keineswegs das erste so genannte Gesetz war. Zwischen
1924 und 1927 gab es vier ausdrücklich so genannte Gesetze; außerdem finden sich für die gesamte
Zeit der Weimarer Republik rund ein halbes Dutzend weitere Parlamentsbeschlüsse, die faktisch die
Reichsregierung ermächtigten, unabhängig vom Parlament bestimmte Sachfragen zu lösen. Hinzu
kommt, dass die Diskussionen über eine Diktatur zur Behebung der politischen Probleme
Deutschlands fast Legion waren – auf dem Höhepunkt der Inflationskrise 1923/24 hatte ReichswehrChef Hans von Seeckt ja eine solche Diktatur auch ausgeübt. Ende 1931, nach der Bankenkrise, war
der Gedanke einer Diktatur keineswegs so fernliegend, wie uns das heute erscheint. Bemerkenswert
ist angesichts der gesellschaftlichen Position Eduard von der Heydts, dass er nicht die seinerzeit
allgegenwärtige Forderung nach einer erneuten Diktatur der vermeintlich unpolitischen Reichswehr
unterstützte, sondern nach Alternativen suchte – wenn er dabei auch dem Irrtum aufsaß, NSDAPFunktionäre wären weniger beratungsresistent als Berufsoffiziere.
Historiker sind keine Ankläger, sondern Ermittler, die ohne vorab festgefügte Meinung recherchieren
und Vorgänge aufzudecken trachten. Sie müssen sowohl be- wie entlastende Tatsachen feststellen.
Ein drittes Zitat aus dem Kessler-Tagebuch illustriert diese Verpflichtung, Äußerungen nicht aus
ihrem Zusammenhang zu reißen. Eduard von der Heydt suchte Harry Graf Kessler auf und sprach mit
ihm über aktuelle Überlegungen, an denen er in seinem Netzwerk beteiligt war. Eine monarchische
Restitution in Deutschland sei ausgeschlossen. Daher überlege man, ob man den früheren
Kronprinzen Wilhelm von Hohenzollern im Falle des Todes Paul von Hindenburgs als Kandidaten für
die Reichspräsidentenwahl aufstellen solle, um im zweiten Wahlgang einen Sieg Hitlers mit einfacher
Mehrheit zu verhindern. Man rechne damit, dass Wilhelm bessere Chancen auf sozialdemokratische
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Stimmen habe als „irgendein obscurer bürgerlicher Kandidat“.x Offenbar hatte sich von der Heydt
also im Herbst 1932 – auf dem absoluten Höhepunkt der Wählerzustimmung zu Hitler, nach dem
Aufstieg der NSDAP zur mit Abstand stärksten Partei in Deutschland bei der Reichstagswahl im Juli
und vor ihrem relativen Einbruch bei der erneuten Wahl im November 1932 – von seiner vorher
geäußerten vorsichtigen Hoffnung auf den Nationalsozialismus distanziert.
Was die Rolle von Personen während des Nationalsozialismus angeht, die später wieder zu Einfluss
kamen, hat sich eingebürgert, von „Verstrickungen“ zu sprechen. Das ist jedoch eine Leerformel,
denn was bedeutet schon „Verstrickung“? Es ist ein mediales oder passives Verb: Man „verstrickt
sich“ oder „wird verstrickt“. Damit kann man zwar nichts falsch machen, kann aber auch nur wenig
erklären. Genau das aber ist das Ziel, wenn man sich mit historischen Personen befasst, also auch mit
Eduard von der Heydt: erklären und eben verstehen.
Peter Steinbach hat dargelegt, wie differenziert man das Verhalten von Menschen in einer echten,
einer massiv lebensgefährlichen Diktatur betrachten sollte. Mit dem Wort „verstricken“ verdeckt
man sowohl negatives, also kritikwürdiges Verhalten als auch positive Aspekte. Zu Recht hat
Steinbach dargelegt, dass die Rigidität des Urteils zunimmt, je weiter man sich von 1933 entfernt.
Viel spannender als nachträgliche Urteile ist jedoch, die Handlungsspielräume der Menschen
anzuschauen – und dann zu ergründen, was sie damit gemacht haben. In den vergangenen Jahren
hat die Widerstandsforschung zum Beispiel den sehr sinnvollen Begriff des Rettungswiderstandes
etabliert, also die Hilfe, die Soldaten, Zivilisten, ganz normale Menschen den aus vermeintlich
rassischen Gründen Verfolgten zukommen ließen. Doch nicht jeder hatte die gleichen Möglichkeiten
zu helfen. Das ist es, was der Begriff Handlungsspielräume beschreibt. Um also dem Verhalten einer
Person gerecht werden zu können, muss man immer zuerst die ihm (oder ihr) zur Verfügung
stehenden Spielräume ergründen und sich dann anschauen, wie und aus welchen Motiven er (oder
sie) diese genutzt hat. Auf Eduard von der Heydt bezogen bedeutet dass, dass man sehr gut mit den
Kategorien des Mitlaufens und des Ausweichens agieren kann, möglicherweise sogar mit der des
systemgebundenen Widerstehens.
Ganz sicher war Eduard von der Heydt ein Mitläufer. Er ist am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten,
wobei man nicht sagen sollte: schon am 1. Mai 1933, sondern vielmehr: erst am 1. Mai 1933. Es ist
nicht bekannt, wann genau er die Aufnahme in die NSDAP beantragt hat. Erfahrungsgemäß kann
man jedoch davon ausgehen, dass dies nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 getan hat,
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wahrscheinlich sogar erst im April 1933. Andernfalls wäre er nämlich wohl zum 20. April
aufgenommen worden. Die formale Aufnahme in die NSDAP erfolgte meist zu bestimmten, für die
Partei wichtigen Stichdaten – Hitlers Geburtstag, dem Tag der Arbeit oder dem 9. November zur
Erinnerung an den gescheiterten Putsch etwa.
Der Beitritt nach der Reichstagswahl 1933 weist Eduard von der Heydt als „Märzgefallenen“ aus, wie
die selbsternannten „alten Kämpfer“ der NSDAP polemisierten. Die Parteistatistik der NSDAP von
1935 wies stets drei Kategorien aus: Beitritt vor Ende 1930 („alte Kämpfer“), in den Jahren 1931/32
(auf sie wurde später die Auszeichnung als „alten Kämpfer“ ausgeweitet, und ab 1933. In der
Entnazifizierung verwendeten die drei westlichen Besatzungsmächte 1945/46 eine etwas andere
Stichtagsregelung: Demnach war als „aktiver und überzeugter Nazi“ aus seinem öffentlichen Amt
oder seiner Stellung zu entlassen, wer vor dem 1. April 1933 in die NSDAP eingetreten war.xi Also:
War Eduard von der Heydt, Parteibeitritt am 1. Mai 1933, ein Mitläufer? Ja, gewiss. War er ein
„überzeugter und aktiver Nationalsozialist“? Nein, gewiss nicht.
Im Gegenteil, auch das hat dieses Symposium deutlich gemacht, war Eduard von der Heydt ein
Ausweicher. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass er es sich leisten konnte auszuweichen.
Schon seit dem Ersten Weltkrieg hatte er neben Wohnsitzen in Deutschland ausländische
Lebensmittelpunkte gehabt. Schon 1926 war er nach Ascona gegangen, hatte sich dort die
Infrastruktur geschaffen, die ihn – äußerst komfortabel übrigens – auffing. Er war allerdings kein
Emigrant, sondern zog sich zurück und vermied es, Verantwortung im angeblich „Neuen
Deutschland“ zu übernehmen.
Natürlich stand Eduard von der Heydt aufgrund seiner Herkunft nicht vor so existenziellen
Entscheidungen wie andere NS-Skeptiker oder Gegner. Man denke etwa Reinhold Schneider, der sich
mit Hilfstätigkeiten durchschlagen musste. Oder an den späteren ersten Chefredakteur der WELT,
Hans Zehrer. Ohne Zweifel war er als jungkonservativer Publizist ein NS-Gegner, der aber nicht
einfach Deutschland verlassen konnte, sich aus dem Journalismus zurückzog und Geschäftsführer
eines unbedeutenden Verlages wurde. Er hielt zu seiner rassisch diskriminierten Frau, fand für sie
einen Weg nach England – und ließ sich erst nach ihrer Ausreise scheiden. Oder man denke an
Konrad Adenauer, das Musterbeispiel für die innere Emigration. Er zog sich nach seinem Sturz nach
Rhöndorf zurück, als Rosenzüchter – aber kämpfte durchaus noch um seine Pension als langjähriger
Kölner Oberbürgermeister.
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Schließlich: systemgebundenes Widerstehen. Es ginge sicher zu weit, Eduard von der Heydt als
Widerständler zu charakterisieren. Aber er war eben auch nicht den NS-Machthabern „zu Diensten“.
Was genau die August-Thyssen-Bank für die Abwehr getan hat, bleibt bislang und möglicherweise
auch für immer im Dunkeln. Dennoch kann man nicht einfach unterstellen, es habe ausschließlich
oder mindestens überwiegend verwerflichen Zwecken gedient. Denn die Abwehr, der militärische
Nachrichtendienst des Oberkommandos der Wehrmacht, war gleichzeitig eine geheime Institution
des Dritten Reiches und ein Hort des Widerstandes.
Die ersten drei Vorträge des Symposiums handelten von den zeitgeschichtlichen Facetten Eduard von
der Heydts. Um aber den Mann wirklich zu verstehen, genügt dieser politisch-biografische Zugang
keineswegs. Man kann Eduard von der Heydt nicht getrennt von seinem Beruf sehen, dem
Finanzgeschäft, und ebenso wenig von seinem privaten Lebensthema, der Kunst.
Der Bankenhistoriker Harald Wixforth hat die Parallelität seines Lebens mit jenem von Heinrich
Thyssen-Bornemisza herausgestellt. Er hat gezeigt, dass hier noch viel Forschungsarbeit nötig sein
wird, wobei unklar bleibt, wie viel schließlich wirklich festgestellt werden kann, da die Quellenlage
schwierig ist. Es gibt aber eine sehr enge, strategische Partnerschaft von Eduard von der Heydt und
Heinrich Thyssen-Bornemisza. Wixforth hat auch geschildert, dass Devisengeschäfte ein beliebtes
Druckmittel im Dritten Reich waren. Mit genau diesem Mittel wurde Eduard von der Heydt Ende der
1930er-Jahre in die Enge getrieben. Auch das ist ein Punkt, den man in seine Bewertung unbedingt
einbeziehen muss.
Wie geschickt und mit welchem Aufwand Eduard von der Heydt seine Finanzinstrumente nutzte, um
seine Sammlung zu stützen, zu erweitern und zu sichern hat der Finanz- und Kunst-Experte Michael
Wilde vorgeführt. Als erfahrener und polyglotter Bankier mit internationalen Beziehungen nutzte er
dabei alle Möglichkeiten internationalen Vertragsrechtes und der Steueroptimierung aus – wie man
das bewertet, ist eine andere Frage.
Essentiell ist das Weltkunst-Konzept Eduard von der Heydts, wie Antje Birthälmer vom Von der
Heydt-Museum erläutert hat. Wichtig für die vergangenheitspolitische Auseinandersetzung dürfte
unter anderem sein, ob man ihm eine Nähe zu nationalsozialistischer Ideologie nachweisen kann, ob
er also „ein wichtiger Förderer der Künste im NS-Regime“ war. Das Symposium wie die Ausstellung
haben gezeigt: Eine solche Nähe kann wirklich nicht festgestellt werden. Das illustriert allein schon
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der Glasgang in seinem Strandhaus in Zandvoort mit der brillanten Kombination herausragender
Skulpturen gleichermaßen aus vermeintlichen primitiven Kulturen wie aus dem europäischen
Mittelalter und aus der Moderne – Georg Kolbe etwa.
Am Beispiel seiner Leihgaben zeigte Ester Tisa Francini vom Rietberg-Museum in Zürich, wie Eduard
von der Heydt auf die ab 1933 regierungsamtliche Diffamierung vermeintlich „undeutscher“ Kunst
reagierte: Er zog Exponate aus deutschen Museen ab; Teile davon gab er in die Schweiz.
Was heißt das nun insgesamt? War Eduard von der Heydt ein „NS-Opportunist“? Ist er umgekehrt
von den immer wieder erhobenen Vorwürfen entlastet? Je genauer man hinschaut, desto komplexer
wird das Bild. Die einfachen Wahrheiten erweisen sich fast immer als falsch. Natürlich ist das kein
gangbarer Weg für die öffentliche Diskussion in einer Mediendemokratie, die ohne Verkürzung und
Zuspitzung nicht denkbar ist.
Die umstrittene Umbenennung des Eduard von der Heydt-Preises der Stadt Wuppertal in Von der
Heydt-Kulturpreis war nicht Gegenstand des Symposiums. Wichtiger war, gesicherte
Forschungsergebnisse zu seiner Biografie und seinen Geschäften zu erarbeiten. Das ist geschehen.
Gegebenenfalls Schlussfolgerungen daraus zu ziehen ist die Aufgabe der kommunalen Kulturpolitik.
© Sven Felix Kellerhoff
i
Vgl. Sven Felix Kellerhoff: Haben Sie Juden erschossen?, fragte Augstein. Zum 50. Jahrestag der
Spiegel-Affäre erforscht das Magazin auf einer Konferenz seine Vergangenheit
(http://www.welt.de/kultur/history/article109405743/Haben-Sie-Juden-erschossen-fragteAugstein.html).
ii
Karl Schem: NSDAP-Baron ein moderner Till Eulenspiegel? Wuppertal untersuchte NaziVerquickungen seines Ehrenbürgers (http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10889).
iii
Tom Binger: Strafe für die Protestierer gegen das Wuppertaler von-der-Heydt-Museum. Doch auch
die Direktorin des Kunstmuseums wird nun belastet. In: Die Tageszeitung (Ruhrausgabe) v.
31.3.2004, S 4.
iv
Von Eduard zu Else. In: Der Spiegel v. 13.2.2006, S. 111.
v
Helmut Böger: Der Preis der Nazis. In: Bild am Sonntag v. 5.11.2006, S. 40f.
vi
Jan Friedmann / Klaus Wiegrefe: Verbrecherische Organisation. Der Marburger Historiker Eckart
Conze über den Beitrag des Auswärtigen Amtes zum Holocaust. In: Der Spiegel v. 25.10.2010, S. 4050.
vii
Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880 bis 1937, Bd. 9: 1926–1937. Stuttgart 2010, S. 383.
viii
Elke Fröhlich (Hrsg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Bd. 2/I, S. 288..
ix
Kessler-TB, Bd. 9, S. 397.
x
Kessler-TB, Bd. 9, S. 514.
xi
Clemens Vollnhans (Hrsg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier
Besatzungszonen 1945 bis 1949. München 1991, S. 102-105.
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