Herzlich willkommen! „Umgang mit 'traumatisierten' Kindern im pädagogischen Alltag“ Referenten: Hildegard Stähler und Reinhard Geuecke 20. Mai 2015 Maslowsche Bedürfnispyramide 7 Grundbedürfnisse eines Kindes • • • • • • • nach beständigen liebevollen Beziehungen nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation nach Erfahrungen, die auf individuellen Unterschieden zugeschnitten sind nach entwicklungsgerechten Erfahrungen nach Grenzen und Strukturen nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und kultureller Kontinuität nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit (Brazelton, Greenspan) Konzept der Salutogenese/ Kohärenz • Das Gefühl der Verstehbarkeit • Das Gefühl der Handhabbarkeit • Das Gefühl der Sinnhaftigkeit (nach Antonovsky) Resilienz: psychische Widerstandskraft • Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände gut entwickeln zu können Gliederung 1. 2. 3. 4. 5. Fallbeispiele Trauma und Gehirn Traumapädagogische Haltung Traumapädagogik - Konzept des Guten Grundes - Pädagogik des Sicheren Ortes - Selbstbemächtigung und Selbstbildung - Bindungspädagogik - Übertragung und Gegenübertragung - Korrigierende Bindungs- und Beziehungserfahrungen Die Bedeutung des Pädagogen Fallbeispiel: Philipp Philipp kam im Alter von 13 Jahren in die Einrichtung. Damals war er ein schmaler Junge mit großen, traurigen Augen in einem Kindergesicht. Die Initiative für die Unterbringung ergriff sein Lehrer. Philipp war in der Schule nicht zu halten; Schulverweigerung und Aggressivität brachten ihn immer mehr ins Abseits. Als er einen achtjährigen Jungen in der Schule missbrauchte, informierte die Schule das Jugendamt. Seine Eltern kümmern sich kaum um Philipp. Philipp hat zwei ältere Brüder. Während seines Aufenthaltes im Heim besuchen sie ihn nicht. Philipp ist sehr kreativ, er kocht gerne. Auch in der Einrichtung missbraucht Philipp einen fünf Jahre jüngeren Mitbewohner. Manchmal trinkt er zu viel. Philipp hat oft Alpträume, manchmal sitzt er in der Ecke und zittert. Manchmal starrt er durch das Fenster, einmal fragt er Anja seine Bezugserzieherin: „Anja, wo ist mein Ich?“ (aus „Philipp sucht sein Ich“ v. Wilma Weiss) Fallbeispiel: Jana Jana kam im Alter von neun Jahren in eine stationäre Einrichtung. Als sie in das Heim kam, setzte sie sich unter einen Tisch und schlug rhythmisch mit einem Löffel auf den Boden: “Wer macht die Jana wieder ganz?“ wiederholte sie in monotonem Singsang. Als ihre Mutter starb, war Jana fünf Jahre alt. Kurz nach der Beerdigung zog die Freundin des Vaters in die elterliche Wohnung ein. Sie heirateten. Der Vater trank exzessiv, die Stiefmutter zu der Jana Mutter sagen musste, auch. Jana wurde in dieser Zeit – so vermutet die Sozialarbeiterin des Jugendamtes – viel geschlagen und sexuell missbraucht. Früh morgens wurde sie vor der Kindertagesstätte abgestellt, von der jeweiligen Erzieherin im Frühdienst bekam sie erst einmal ein Frühstück. In der Kita stellte sie alles Mögliche an, sie stahl, log, manchmal mischte sie die Kindergruppe auf. Jana sprang aus der Wohnung über den Balkon, wurde immer auffälliger. Schließlich wurde sie zur Klärung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Vater trank immer mehr, war immer weniger Herr seiner selbst. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie empfahl die Unterbringung in einer Wohngruppe, der Vater stimmte zu. Ein Jahr später – Jana ist nun neun Jahre alt – starb der Vater. Jana ist manchmal“ wie durch den Wind“, dann bringt sie alle Pädagoginnen und Pädagogen an ihre Grenzen. Jana fühlt sich schuldig, für alles und jeden, vor allem aber, wenn jemand stirbt. Sie reagiert panisch, wenn die Bezugspädagogin krank wird. (aus „Philipp sucht sein Ich“ v. Wilma Weiss) Trauma wird als überwältigendes Erlebnis definiert welches mit einer ernsthaften Bedrohung für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der Person oder einer nahe stehenden Person einhergeht in der intensive Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust, drohender, Vernichtung und Entsetzen empfunden werden die normalen Anpassungsstrategien des Menschen überfordern also Handeln keinen Sinn macht und unter Abspaltung von Gefühlen und Empfindungen innerpsychischer Mechanismen aktiviert werden um das unvorstellbare Erlebnis „überleben“ oder einigermaßen bewältigen zu können Was ist eine Traumatisierung? Die Frage, ob ein Ereignis traumatisierend ist oder nicht, ist abhängig von Persönlichkeitsstruktur spezieller traumatischer Situation posttraumatischer Situation protektiven Faktoren Art der Hilfestellung (Fischer, Riedesser 1998) Das dreifältige Gehirn Das dreifältige Gehirn Aktion – Reaktion anstatt Aktion – Reflektion - Reaktion Stressbewältigungssystem bei Traumatisierung Schwankung zwischen und • • • • • • • • Übererregung Gedächtnisverlust gereizter Impulsivität überwältigenden Gefühlen Erstarrung Flashbacks totaler Blockade absoluter Schmerz- und Gefühllosigkeit Entwicklungspsychologische Auswirkungen von traumatischen Belastungen im Kindheitsalter: Selbstkonzept Körperschema Beeinträchtigte Bindungsfähigkeit Ausbildung traumabezogener Erwartungen Beeinträchtigte Entwicklungskompetenzen Moralische Entwicklung Entwicklung traumaspezifischer Erinnerungen Gelungene Traumabewältigung beinhaltet: • Die Veränderung von dysfunktionalen Einstellungen und Überzeugungen • Die Möglichkeit das Geschehene in die eigene Lebensgeschichte einzuordnen • Im Leben, im Hier-Sein, einen Sinn zu finden Traumapädagogische Haltung Pädagogische Haltung • Annahme des guten Grunds – Alles was ein Mensch zeigt, macht einen Sinn in seiner Geschichte! • Wertschätzung - Es ist gut, so wie du bist! • Partizipation – Ich trau Dir was zu und überfordere dich nicht! • Transparenz – Jeder hat jederzeit ein Recht auf Klarheit! • Spaß und Freude – Viel Freude trägt viel Belastung!“ Traumapädagogik Durch die Verknüpfung von Integrität und Vertrauen in fürsorglichen Beziehungen wird nicht nur der Kreis der Generationen geschlossen, sondern es wird auch das Bewusstsein wiederhergestellt, Teil einer menschlichen Gemeinschaft zu sein, das durch das Trauma zerstört wurde. (Judith L. Herman) Traumapädagogik Anwendung der Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie auf den Menschen, mit dem Ziel: – korrigierende Beziehungs- und Bindungserfahrungen – die Förderung in bestimmten Fertigkeitsbereichen zu ermöglichen – aktive Stress-, Reiz- und Affektregulierung – Herstellen emotionaler Stabilität – Selbstwirksamkeit erhöhen – Resilienzförderung Konzept des guten Grundes „Du machst das, weil…?“ Konzept des Guten Grundes die sogenannte Weil-Frage als Methode der Selbstbildung/ Selbstverstehens das Wort „weil“ lädt zum Antworten ein „weil“ lädt ein über sich nachzudenken „Weil“ transportiert eine wertschätzende Haltung die „Weilrunde“ als Möglichkeit des fachlichen Austausches im Team/ Hypothesenbildung Verstehen ohne Einverstanden zu sein Pädagogik des sicheren Ortes Pädagogik des sicheren Ortes Helfende Rahmenbedingungen in der Arbeit mit traumatisierten Kindern: Nicht der junge Mensch ist für ein Hilfekonzept ungeeignet, sondern das Konzept ist offensichtlich dann für diesen jungen Menschen nicht geeignet, wenn es keine Erfolge zeigt. Pädagogik des Sicheren Ortes Der „emotional-orientierte“ Dialog Pädagogin Pädagogische Triade Kind Kind Der „sichere Ort“ Einrichtung Pädagogin Einrichtung Der „geschützte Handlungsraum“ Pädagogik des sicheren Ortes und die Aufgabe des Pädagogen • Kind - Einrichtung Gestaltung „sicherer Orte“ für die Betroffenen - der Pädagoge als Sicherheitsbeauftragter • Kind - Pädagoge Gestaltung „emotionaler Dialoge“ zwischen Kind und Pädagoge - der Pädagoge als Sprachforscher • Pädagoge - Einrichtung Gestaltung „geschützter Handlungsräume“ für die Pädagogen - der Pädagoge als Entwicklungshelfer Selbstbemächtigung und Selbstwirksamkeit … das Kernstück der Traumapädagogik Förderung des (kognitiven) Selbstverstehens Unterstützung der Selbstakzeptanz Förderung der Selbstregulation (Sensibilisierung der Körperempfindungen und Gefühle, Identifizierung von Triggern und Stimuli der Übererregung, Fähigkeit der Selbstberuhigung) Förderung der Körperwahrnehmung Förderung des Selbstausdrucks Selbstbemächtigung und Selbstbildung • • • • • • • • • • Stück für Stück das Gefühl für sich selbst wieder gewinnen Gefühle und Empfindungen wahrnehmen lernen Förderung in bestimmten Wahrnehmungsbereichen Balance der Wahrnehmungs- und Sinnesförderung Emotionsregulation Resilienzförderung Bewusster Umgang mit traumatischen Erinnerungen Veränderung/Korrektur der traumatischen Erwartung: kognitive Auseinandersetzung Biographiearbeit: Idealbild von Familie korrigieren Korrektur lebensfeindlicher Normen: bes. hinsichtlich Generationengrenzen, Sexualität und Geschlechterrollen Selbstbemächtigung Für Veränderung braucht man • 1. die Idee einer Veränderung • 2. ein höchstens mittleres Erregungsniveau Bindungspädagogik Pädagogik geht nicht ohne Bindung/ Beziehung. „Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet.“ (John Bowlby) Der „sichere emotionale Hafen“. Was ist eine sichere Bindung? Ein sicher gebundenes Kind weiß aus tiefer Erfahrung, dass es in jedweder Notsituation – immer wenn es sich bedroht fühlt, Angst hat oder einen Mangel empfindet – Schutz, Verständnis und Hilfe bei seiner Bezugsperson findet. Deshalb sucht es in solchen Situationen ihre Nähe auf, wogegen es sich sonst aktiv und autonom der Welt zuwendet. (Barbara Senckel) Grundannahmen • • • • • • Bei Angst, Hunger, Schmerz, Unsicherheit wird das Bindungssystem aktiviert. Das Bindungsverhalten äußert sich durch Weinen, Schreien, Wimmern, Anklammern … Bei der Bindungsperson wird das Pflegeverhalten aktiviert. Sie gibt Schutz, Sicherheit, Nahrung, Trost, emotionale Versorgung. Sie dient als sichere Basis. Fühlt sich das Kind sicher und geborgen, ist das Bindungssystem beruhigt. Ist das Bindungssystem beruhigt, wird das Explorationssystem aktiviert. Das Kind zeigt sich neugierig, es erforscht die Umwelt, es ist bereit neue Erfahrungen zu machen. Wichtige Aspekte: • • • • • • 3 Elemente: Wahrnehmen, Verstehen, Beantworten Bildet sich im ersten Lebensjahr, stabilisiert und differenziert sich während der gesamten Kindheit Durch das Interaktionsverhalten der primären Bezugsperson entsprechend dem emotionalen Entwicklungsstand des Kindes Emotionale Präsenz, Feinfühligkeit, Zuverlässigkeit und Differenzierungsfähigkeit im Kontakt Erstes und zweites Arbeitsmodell Grundbedürfnis und Voraussetzung für Entwicklung, Lernen Die Macht der Übertragung und Gegenübertragung Die Chance der Übertragung und Gegenübertragung Korrigierende Bindungs- und Beziehungserfahrungen Entwicklung kann gelingen • • • • • • • • • • • • Wenn wir emotional achtsam sind, Kindern Vertrauen schenken, Spielräume schaffen, Kinder anregen, Verschiedenartigkeit akzeptieren, Geduld zeigen, Regeln des Zusammenlebens erklären, Bei Konflikten helfen, Momente des Glücks ermöglichen, Unsere eigenen Gefühle beachten, Uns an der Entwicklung erfreuen und Immer wieder miteinander reden. (Dr. Karl Gebauer) Entwicklungsfördernde Beziehungserfahrungen • • • • • • „Man kann sich nicht, nicht binden!“ „Bindung an andere menschliche Wesen sind der Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen dreht“ (Bowlby) Bindungserfahrungen sind zentral für die seelische Gesundheit. Bindungssicherheit ist eine Voraussetzung für kognitive und emotionale Lernprozesse (Brisch) Pädagogik ist immer auch Beziehung Den Kindern immer wieder Beziehungsangebote machen, ohne eigene Beziehungserwartungen zu haben bzw. diesen dann professionell begegnen Vor der Erziehung kommt die Beziehung Ziele im Umgang mit „störenden“ Verhaltensweisen Das Begreifen der Symptome im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte Verständnis und Wertschätzung der Verhaltensweisen als Grundlage für Verhaltensänderung Überprüfen, ob das Verhalten weiterhin notwendig ist Erarbeiten von alternativen Verhaltensweisen und Vergrößerung des Verhaltensspielraums Die Kinder werden zum Subjekt ihres Tuns Überlebensleistung und Überlebensstrategie, Selbstverstehen, Selbstwirksamkeit und Selbstregulation unterstützen Integrationsleistung ermöglichen Die Bedeutung des Pädagogen • Professionelles Bauchgefühl • Hartnäckige Gutmütigkeit • Pädagogisches Kaugummi am Schuh des Klienten Die Bedeutung des Pädagogen • Als Pädagoge ist man Sprachforscher, Sicherheitsbeauftragter und Entwicklungshelfer • 3 Maxime: Transparenz, Sicherheit und Übernahme von Verantwortung • Die 3 S : Sachkompetenz, Selbstreflexion und Selbstfürsorge • Reflektieren und aus eigener Sicherheit heraus handeln • Je unsicherer ein Team ist, desto größer deren Regelkatalog • Viel Freud trägt viel Leid Prinzipien der Arbeit mit Kindern • Transparenz • Einschätzbarkeit • Partizipation • Individualisierung • Wertschätzung der Individualität Beratung mit Fokus auf: • Übertragung • Versorgung von Gefühlen • Herstellen des Gefühls von Sicherheit • Erhalt oder Wiederherstellung von Selbstwirksamkeit Ziele im Umgang mit „störenden“ Verhaltensweisen Das Begreifen der Symptome im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte Verständnis und Wertschätzung der Verhaltensweisen als Grundlage für Verhaltensänderung Überprüfen, ob das Verhalten weiterhin notwendig ist Erarbeiten von alternativen Verhaltensweisen und Vergrößerung des Verhaltensspielraums Die Kinder werden zum Subjekt ihres Tuns Überlebensleistung und Überlebensstrategie, Selbstverstehen, Selbstwirksamkeit und Selbstregulation unterstützen Integrationsleistung ermöglichen Versorgung • Es ist im Alltag schwer, wenn man ständig mit starken Gefühlen zu tun hat und deshalb ist die Psychohygiene sehr wichtig! • 3 Dinge muss man beherzigen: 1. GUT ESSEN 2. VIEL FEIERN und 3. WÜTEND PUTZEN! (V. Engel) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Literaturtipps • • • • • • • • • • Traumapädagogische Standards in der stationären Kinder- und Jugendhilfe – Eine Praxis- und Orientierungshilfe der BAG Traumapädagogik (2013) von B. Lang, C. Schirmer, T. Lang, I. Andreae de Hair, T. Wahle, J. Bausum, W. Weiß, M. Schmid (Hrsg.) Traumapädagogik – Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die päd. Praxis (2009) von J. Bausum, L. Besser, M. Kühn, W. Weiß (Hrsg.) Traumapädagogik in psychosozialen Handlungsfeldern – Ein Handbuch für Jugendhilfe, Schule und Klinik (2014) von S. B. Gahleitner, T. Hensel, M. Baierl, M. Kühn, M. Schmid (Hrsg.) Kinder stärken an einem sicheren Ort – Erklärungen, Übungen und Hilfestellung für Kinder (2014) von C.Schirmer, C. Otterbach, Stiftung Ev. Jugendhilfe Menden (Hrsg.) Traumatisierte Kinder und Jugendliche – Hilfe und Stabilisierung durch die Jugendhilfe (2012) von W. Weiß, J. Bausum, S. B. Gahleitner, U. Reddemann, H. Gies, C. Schirmer, D. Wiesinger, T. Bongard, J-W. Strauß, M. Kühn, T. Hensel, S. Reibold, M. Guder, M. Heller, J. Wolf, Die Kinderschutz-Zentren (Hrsg.) Soziale und pädagogische Arbeit bei Traumatisierung (2012) von C. Scherwath, S. Friedrich Philipp sucht sein Ich – Zum pä. Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen (7. Auflage 2013) von W. Weiß Familienalltag mit psychisch auffälligen Jugendlichen – Ein Elternratgeber (2009) von M. Baier Gefühle besser verstehen (2011) von C. Dehner Rau, L.Reddemann Gehirnforschung für Kinder – Felix und Feline entdecken das Gehirn (2. Auflage 2010) von G. Hüther, I. Michels
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