4.9 Wer das Prinzip verstanden hat, kann viele Unternehmen gründen

4.9 Wer das Prinzip verstanden hat
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bestimmung, als künstlerische Tätigkeit des Neuentwurfs,
des Überwindens von Konventionen, als kreative Zerstörung.25
4.9 Wer das Prinzip verstanden hat,
kann viele Unternehmen gründen
Serial Entrepreneurs, also Menschen, die gleich eine ganze
Reihe von Unternehmen gegründet haben, sind der beste Beweis dafür, dass man Entrepreneurship ganz praktisch und
erfolgreich von Business Administration trennen kann. Während die Unternehmer = Manager mit einem einzigen Unternehmen völlig ausgelastet und oft überlastet sind, gelingt es
der Spezies der Mehrfachgründer, die hohe Belastung durch
Delegation von sich abzuleiten.
Holger Johnson ist ein solcher Mehrfachgründer. Neben
der Ebuero AG hat er rund 20 Firmen gegründet, mitgegründet oder ist Business Angel bei aktiver Mitarbeit am Aufbau
der Unternehmen. Wie schafft er das? Er konzentriert sich
auf das Entrepreneurial Design, formuliert daraus Ziele und
Aufträge und kontrolliert die Durchführung. Damit setzt er
seinen Kopf und seine Zeit dort ein, wo er am besten ist. Er
weiß auch sehr genau, dass er bei der Arbeit am Entrepreneurial Design darauf achten muss, nicht zu viel Komplexität
entstehen zu lassen. Hohe Komplexität würde die Fehleranfälligkeit vergrößern, häufiger Chefentscheidungen verlangen,
sprich mehr Energie und Aufmerksamkeit von dem abziehen,
wo seine besten Talente liegen und was ihm großen Spaß
macht.
Wenn man Richard Branson beobachtet, ebenfalls ein
Serial Entrepreneur, hat man nicht den Eindruck von Überlastung. Er ist einfallsreich in seinem Auftreten, es scheint
ihm großen Spaß zu machen, er betreibt extravagante, aufwendige Hobbys. Ist er ein Universalgenie, einer, dem ohnehin alles glücken würde, egal, was er anfasst, man also nicht
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4 Stiefkind Konzept – Es lohnt, an der Idee zu arbeiten
vorschnell allgemeine Schlüsse ziehen sollte? Wer seine Autobiografie gelesen hat, vor allem die Anfangszeit, bekommt
ein ganz anderes Bild: Die Anfangszeit ist schwierig. Lange
wird nichts verdient. Er trickst mit dem Zoll, wird verhaftet,
sitzt eine Nacht im Gefängnis. Eine hohe Geldstrafe folgt.
Was den Ausschlag gab, war die Ausdauer, mit der er an
seinen Ideen schmiedete. In die kleine Welt des Selbständigen,
des Allesmachers, des Alleskönners hat er sich nicht einfangen
lassen. Der Titel Business ist wie Rock ’n’ Roll klingt nicht
nach Buchhaltung, Rechnungswesen und Monotonie. Einen
wie Branson bräuchten wir dringend in Deutschland „to
branson the German gründungslandschaft“.
Muhammad Yunus ist ein Serial Entrepreneur im sozialen
Bereich. Die Grameen Bank mit ihren Kleinstkrediten ist nur
ein Teil einer Vielzahl von inzwischen gegründeten Unternehmen. Darunter sind die Solarfirma Grameen Shakti, Grameen Phone, beinahe schon ein Telekommunikationsriese, oder
Grameen Danone, ein Joint Venture zur Herstellung von Joghurt, das Ernährungsdefizite der Landbevölkerung ausgleichen soll. Auch eine Firma für Investmentfonds ist darunter.
Yunus nutzt die Instrumente des Kapitalismus, weil er als
Ökonomie-Professor der Überzeugung ist, dass man unser
ökonomisches System besser nutzen kann, als dies heute geschieht. Wer mit ihm zu tun hat, erlebt ihn als entspannt,
liebenswürdig, völlig präsent und eben nicht überarbeitet,
auch wenn das die Vielzahl der Projekte und Aufgaben erwarten ließe.
Die Tatsache, dass Gründer sich im Entwickeln von erfolgreichen Entrepreneurial Designs trainieren können und
das zweite Unternehmen leichter zu konzipieren ist als das
erste, unterstreichen auch empirische Untersuchungen zu den
Serial Entrepreneurs.26 Nach der ersten Gründung hat man
verstanden, wie es geht, oder anders ausgedrückt: Es ist eigentlich ganz einfach, ein Unternehmen zu gründen. Wenn
man den Dreh heraushat, kann man viele Unternehmen gründen. Holger Johnson macht es mit jedem Mal besser, schneller und mit weniger finanziellem Aufwand. So wie man lernen
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kann, ein Puzzle immer schneller und besser zusammenzulegen, verhält es sich auch mit Unternehmensgründungen: Fehler und teure Experimente, die man in einer ersten Gründung
gemacht hat, werden im Normalfall beim zweiten oder dritten Mal nicht mehr passieren.
Das Prinzip heißt, mittels seiner Kreativität ökonomisch
intelligentere Lösungen zu entwickeln, die am Markt profitabel sind und kommerziellen Wohlstand schaffen – für den
Entrepreneur und seine Kunden. Entrepreneurship besteht
also im Kern aus dem Entwickeln geeigneter Konzepte. Genau dieser Aufgabe müssen sich Unternehmensgründer bewusst sein. Sie ist enorm komplex und erfordert Zeit und
Wissen. Die benötigten Fähigkeiten sind auch nicht rein theoretisch zu erlangen.
Wer neu auf den Markt kommt, sollte doppelt so gut und
halb so teuer sein wie die Konkurrenz, also Faktor vier,
lautet Holger Johnsons Devise. Sein Ebuero arbeitet mit
90 Prozent Kostenersparnis für den Nutzer, also Faktor zehn.
Ein solcher Prozess erfordert das extreme Durchdenken einer
Idee. Auch auf diesem Weg – nicht nur durch Hightech – kann
man Gründungen mit hohem Potenzial in Gang bringen.
Deshalb sollte man solchen Formen von Entrepreneurship,
um die es in diesem Buch geht, durchaus auch High-Potential-Charakter zuschreiben. Nach meiner Erfahrung haben sie sogar höhere Erfolgswahrscheinlichkeit als nur auf
Hightech basierende Gründungen. Und auch der Aufwand
(und Verlust) an öffentlichen Mitteln ist deutlich geringer.
Je klarer und einfacher das Ergebnis, desto mehr Arbeit
war im Vorfeld nötig: Meist sind Tausende von Informationsbausteinen notwendig, bevor eine Idee Konzeptreife erlangt. Das Nachdenken über Möglichkeiten zur Komplexitätsreduktion erfordert eine enorme geistige und kreative
Leistung. Erfolgreiche Gründer sind oft Jahre mit einer Idee
„schwanger gegangen“ oder haben enorm viel Zeit und Energie investiert.27
Es ist wichtig, die Erfolgsfaktoren zutreffend herauszuarbeiten, weil statistisch eine große Zahl der Unterneh-
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mensgründungen scheitert. Je nachdem, welchen Studien
Sie Glauben schenken, liegt die Scheiternsquote zwischen
30 und 80 (!) Prozent.28 Es ist also für Gründer keineswegs
einfach, unter Marktbedingungen Profite zu erzielen; Kapital
und Business Administration allein reichen heute nicht
mehr.
Wer keinen Wettbewerbsvorteil hat, wird gegenüber den
Unternehmen, die schon im Markt sind, nur schwer bestehen
können. Die Konkurrenten haben bereits einen Kundenstamm, sie kennen die Besonderheiten des Marktes und der
Produkte, sie verfügen über Erfahrungen, Rücklagen, und
können auch Risiken besser einschätzen als der Newcomer.
Kurz gesagt, auf allen wichtigen Gebieten haben die etablierten Konkurrenten Vorteile und der Gründer entsprechende
Nachteile. Man muss sich daher schon etwas Besonderes einfallen lassen, um im Markt zu bestehen. Daher können wir
ganz allgemein sagen, dass das innovative Element des eigenen Konzepts ein wichtiger Faktor für das Überleben ist. Es
ist – für uns Normalmenschen – meist der einzige und entscheidende Trumpf der Neugründung.
4.10 Erfolgreiche Unternehmen
entstehen im Kopf
Ein gutes unternehmerisches Konzept zu entwickeln ist eine
Herausforderung. Ob es harte Arbeit darstellt oder durch
vergnügtes Nachdenken29 geschieht, sei dahingestellt. Viele
Wege geht man besser im Kopf als zu Fuß. „Sometimes one
needs as much as ten years and 50 000 pieces of information
before an entrepreneurial concept is born“, sagt Professor
Simon von der Carnegie Mellon University. Simons Erfahrungen sollen nicht abschrecken, sondern belegen, dass eine
gut durchdachte Idee eben nichts Belangloses und Flüchtiges
ist, das erst durch „betriebswirtschaftliche Umsetzung“ Substanz gewinnt.